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1P.251/2000/mks
I. ÖFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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20. Juni 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Aeschlimann, Bundesrichter Favre sowie Gerichtsschreiberin Camprubi.
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In Sachen
H.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, Postfach, Luzern,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer,
betreffend
willkürliche Beweiswürdigung; Unschuldsvermutung
(Urkundenfälschung),
zieht das Bundesgericht in Erwägung:
1.- Am 9. September 1999 wurde H.________ vom Obergericht des Kantons Luzern im Appellationsverfahren der mehrfachen Urkundenfälschung nach Art. 251 Ziff. 1 StGB sowie der mehrfachen Erschleichung einer falschen Beurkundung nach Art. 253 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen. Es wird ihm vorgeworfen, mit Hilfe von gefälschten Fahrzeugausweisen falsche Nachprüfungsdaten bescheinigt zu erhalten zu haben.
Der Angeklagte erhebt gegen das Urteil des Obergerichts staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" sowie willkürlicher Beweiswürdigung.
2.- Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene, kantonal letztinstanzliche Endurteil in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und insbesondere zur Erhebung der Willkürbeschwerde legitimiert (Art. 88 OG; Näheres dazu in BGE 126 I 43 E. 1a S. 44; 123 I 279 E. 3c/aa S. 280, mit Hinweisen; siehe auch für die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Bundesverfassung vom 18. April 1999 [BV] das zur Publikation vorgesehene Urteil vom 3. April 2000). Soweit der Beschwerdeführer die Art der Einsetzung des Amtsverteidigers in Frage stellt (Beschwerdeschrift Ziffer 5), gibt er entgegen dem Erfordernis von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG nicht an, welches Individualrecht dadurch verletzt worden sein soll. Ferner genügt seine Beschwerde in Bezug auf die Rüge, wonach sich eine der einvernommenen Personen nur zu seinen - des Beschwerdeführers - Lasten habe entlasten wollen (Beschwerdeschrift Ziffer 9), den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ebenfalls nicht; es ist nicht ersichtlich, inwiefern diese Person den Beschwerdeführer zu Unrecht belastet haben soll. Da die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist unter den genannten Vorbehalten auf die Beschwerde einzutreten.
3.- Gemäss der aus Art. 4 der Bundesverfassung vom 29. April 1874 (aBV) fliessenden und in Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Maxime "in dubio pro reo" ist bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld zu vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist (BGE 124 IV 86 E. 2a S. 87 f.; 120 Ia 31 E. 2b S. 35). Nach der Praxis des Bundesgerichts stellt dieser Grundsatz sowohl eine Beweiswürdigungs- als auch eine Beweislastregel dar (BGE 120 Ia 31 E. 2c S. 37). Das gilt auch für die Unschuldsvermutung, wie sie in Art. 32 Abs. 1 BV verankert ist.
a) Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Beweiswürdigungsregel ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen.
Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (BGE 124 IV 86 E. 2a S. 88; 120 Ia 31 E. 2c S. 37; Hauser/ Schweri, a.a.O., S. 211 f. Rz. 12). Bei der Beurteilung von Fragen der Beweiswürdigung beschränkt sich das Bundesgericht auf eine Willkürprüfung. Es kann demnach nur eingreifen, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden (BGE 124 IV 86 E. 2a S. 88; 120 Ia 31 E. 2d S. 38). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtes vor, wenn der angefochtene kantonale Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 123 I 1 E. 4a S. 5; 121 I 113 E. 3a S. 114; 118 Ia 28 E. 1b S. 30; 116 Ia 85 E. 2b S. 88). Der Sachrichter verfällt insbesondere nicht in Willkür, wenn seine Schlüsse nicht mit der Darstellung des Beschwerdeführers übereinstimmen (BGE 116 Ia 85 E. 2b S. 88).
b) Als Beweislastregel bedeutet der Grundsatz "in dubio pro reo", dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen (BGE 120 Ia 31 E. 2c S. 37). Ob der Sachrichter diese Beweislastregel verletzt hat, prüft das Bundesgericht frei (BGE 120 Ia 31 E. 2e S. 38).
4.-Hinsichtlich der aus der Unschuldsvermutung fliessenden Beweislastregel ist die Rüge des Beschwerdeführers offensichtlich unbegründet: Das angefochtene Strafurteil beruht keineswegs darauf, dass der Beschwerdeführer seine Unschuld nicht habe nachweisen können. Vielmehr stützt das Obergericht sein Urteil auf zahlreiche konkrete Sachverhaltselemente, namentlich auf das (widerrufene) Geständnis des Beschwerdeführers sowie auf beschlagnahmte Fälschungsutensilien und Dokumente.
5.- Der Beschwerdeführer streitet ab, dass er Dokumente gefälscht habe, wie es das Obergericht namentlich aufgrund seines an die Polizei abgegebenen und dem Amtsstatthalter gegenüber bestätigten Geständnisses annimmt.
a) Er macht zunächst geltend, die Untersuchungsbehörden hätten ihn zum Vornherein für schuldig befunden. Das würden drei Fragen des Amtsstatthalters an andere Beteiligte belegen, in welchen im Zusammenhang mit seinen - des Beschwerdeführers - Handlungen jedesmal das Wort "fälschen" vorkomme. Die kantonalen Instanzen hätten sich ferner zu Unrecht lediglich auf Kopien, nicht auf Originaldokumente gestützt, um anzunehmen, diese Dokumente seien Fälschungen.
Ausserdem hätten die kantonalen Instanzen, wie von ihm beantragt, eine Expertise zur von ihm angegebenen Fälschungstechnik einholen sollen. Das hätte klargestellt, dass sein Geständnis nicht wahr sein könne, da diese Fälschungstechnik untauglich sei. Zudem würden die Fälschungsutensilien nicht ihm gehören, wie er bereits der Polizei gesagt habe. In diesem Zusammenhang sei die Annahme lebensfremd, dass praktisch das gesamte beschlagnahmte Gut einem Dritten gehöre, nur die Fälschungsutensilien nicht.
b) Für die Bewertung seines Geständnisses dem Amtsstatthalter gegenüber seien ferner die damals herrschenden Umstände zu berücksichtigen. So habe er nicht von Anfang an den Verteidiger seiner Wahl beiziehen können. Dieser sei erst nach der betreffenden Einvernahme eingesetzt worden.
Zum amtlichen Verteidiger, der ihm für die Einvernahme zugeteilt worden war und der im Übrigen nicht daran teilgenommen habe, habe kein Vertrauensverhältnis bestanden, da dieser gleichzeitig seinen Gegenspieler vertreten habe. Mehrmals habe er sein Unbehagen kundgetan und er habe um jeden Preis aus der für ihn äusserst belastenden Untersuchungshaft entlassen werden wollen. Das habe zur Bestätigung seines Geständnisses gegenüber dem Amtsstatthalter geführt. Diesen psychischen Druck habe der Amtsstatthalter wohl selber gespürt, wie sich aus den unüblichen Fragen danach, ob ihm - dem Beschwerdeführer - anlässlich der polizeilichen Befragung Versprechungen gemacht worden seien bzw. ob er unter Druck gestanden sei, ergebe. Wie er es auch gehofft habe, sei er sofort nach seinem Geständnis aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Aus dieser "Entlassungsstrategie" heraus habe er im Schreiben an seinen Verteidiger kurz vor der Einvernahme nichts von einem Druckversuch angegeben.
Denn er habe wohl gewusst, dass seine Briefe zensuriert würden.
6.- Die aus der Unschuldsvermutung abgeleitete Beweiswürdigungsregel ist offensichtlich nicht verletzt. Dem Obergericht kann weder eine willkürliche Beweiswürdigung vorgeworfen werden, noch bestehen nach einer gesamthaften Betrachtung der als willkürfrei zu bezeichnenden, den Beschwerdeführer belastenden Momente erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel an seiner Schuld:
a) Es ist dem Beschwerdeführer zwar einzuräumen, dass die Benützung des Worts "fälschen" durch den Amtsstatthalter nicht neutral ist. Das macht den Schuldspruch im konkreten Fall jedoch weder verfassungs- noch konventionswidrig, da zu jenem Zeitpunkt der Beschwerdeführer geständig war und der Schuldspruch der verschiedenen kantonalen Instanzen im Wesentlichen auf seinem wiederholten Geständnis sowie auf dem beschlagnahmten Gut, nicht auf den betreffenden Einvernahmen durch den Amtsstatthalter beruht. Ausserdem haben die befragten Personen jeweils verneint, dass sie von den Handlungen des Beschwerdeführers gewusst hätten.
Es stimmt hingegen nicht, dass die kantonalen Instanzen nicht die Originaldokumente herangezogen hätten.
Den kantonalen Akten sind sowohl Kopiervorlagen als auch Originalfahrzeugausweise zu entnehmen, und das Obergericht hat durchaus darauf Bezug genommen (vgl. angefochtenes Urteil E. 2.2 S. 5). Die Kritik des Beschwerdeführers betreffend die Annahmen der kantonalen Instanzen zum Eigentum an den Fälschungsutensilien ist ebenfalls unbegründet.
Inwiefern das Obergericht das beschlagnahmte Gut tatsächlich gesamthaft einer anderen Person zuordnet, nur die Fälschungsutensilien nicht, kann dabei offen bleiben. Denn selbst diese Annahme wäre nicht an und für sich unvertretbar. Dass der Pass einer Drittperson in der Wohnung des Beschwerdeführers gefunden wurde, spricht dabei keineswegs dafür, dass diese Person die Fälschungsutensilien in die Wohnung eingeschmuggelt haben soll, im Gegenteil.
Mit Bezug auf die vom Beschwerdeführer vor der Polizei und dem Amtsstatthalter beschriebene Fälschungstechnik vermag er nicht darzulegen, inwieweit sich ein Gutachten aufdrängen sollte. Das Obergericht führt aus, dass die drei vom Beschwerdeführer genannten Fälschungstechniken aufgrund der beschlagnahmten Akten und dem sichergestellten Material auf ihre Tauglichkeit überprüft und den Unterlagen zugeordnet werden konnten. Diese Aussage kann wesensgemäss nicht näher begründet werden. Ausserdem legt das Obergericht dar, dass sich ein der Fälschungsmethode entsprechend präparierter Fahrzeugausweis bei den Akten befinde, und führt aus, es sei nicht einzusehen, weshalb die genannte Methode als untauglich zu bezeichnen sei, da die auf diese Weise erfolgte Fälschung nicht ohne weiteres zu erkennen sei. Diese Annahme ist sachlich vertretbar. Das Obergericht durfte mithin in antizipierter Beweiswürdigung auf die Einholung einer Expertise verzichten, ohne gegen das Willkürverbot zu verstossen.
b) Ob der Beschwerdeführer das Obergericht auf seine psychische Belastung im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft hingewiesen hat und inwiefern sie einen Einfluss auf sein Geständnis gehabt haben soll, braucht nicht näher geprüft zu werden. Insbesondere kann offen bleiben, inwieweit die die Einsetzung eines Verteidigers begleitenden Umstände einen Einfluss auf die psychische Verfassung des Beschwerdeführers gehabt haben sollen. Denn alle angerufenen Umstände schliessen die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses nicht zum Vornherein aus. Die kantonalen Instanzen durften sich darauf stützen, ohne in Willkür zu verfallen. Man kann sogar sagen, dass die bestimmte Frage des Amtsstatthalters, worauf sich der Beschwerdeführer beruft, gerade für die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses spricht: So ist es mit Blick auf die notorische Belastung, welche die Untersuchungshaft mit sich bringt, nicht ersichtlich, dass diese Frage aussergewöhnlich sein sollte. Aber selbst dann würde sie gerade darauf hindeuten, dass sich der Amtsstatthalter der psychischen Belastung des Beschwerdeführers sehr wohl bewusst war. Schliesslich ist trotz der vom Beschwerdeführer behaupteten "Entlassungsstrategie" die Annahme vertretbar, dass die fehlende Erwähnung eines psychischen Drucks im Schreiben des Beschwerdeführers an seinen Verteidiger für die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses spricht.
c) Zusammenfassend sind keine der Beweismittel des Obergerichts als willkürlich zu betrachten. Das Obergericht hat überzeugend ausgeführt, dass der erst rund ein Jahr später erfolgte Widerruf des mehrfach wiederholten Geständnisses des Beschwerdeführers nicht glaubwürdig wirke. Ausserdem wurde der angegebenen Fälschungstechnik entsprechendes Belastungsmaterial gefunden. Das Obergericht durfte ferner die Verschwörungstheorie des Beschwerdeführers mit Bezug auf die Fälschungsutensilien als wenig überzeugend einstufen. Gesamthaft betrachtet genügen die belastenden Momente des Sachverhalts reichlich zur Annahme der Schuld des Beschwerdeführers. Der Schuldspruch ist mithin ohne weiteres verfassungs- und konventionskonform.
7.-Nach dem Gesagten ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. Dem Beschwerdeführer, der unterliegt, ist die Gerichtsgebühr aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.- Das Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 20. Juni 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Die Gerichtsschreiberin: