BGer 4C.431/1999
 
BGer 4C.431/1999 vom 14.07.2000
«AZA 0»
4C.431/1999/rnd
I. Z I V I L A B T E I L U N G
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14. Juli 2000
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter, Präsident, Klett, Rottenberg Liatowitsch und Gerichtsschreiber Luczak.
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In Sachen
A.________, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Felix Kuster, Brandschenkestrasse 10, Postfach 768, 8039 Zürich,
gegen
Genossenschaft X.________, Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Rolf Dürr, Waisenhausstrasse 4, 8001 Zürich,
betreffend
missbräuchliche Kündigung; Arbeitsvertrag,
hat sich ergeben:
A.- Die Genossenschaft X.________ (Beklagte) betreibt in Zürich und Umgebung Apotheken und besitzt Drogerien und Reformgeschäfte. A.________ (Kläger) arbeitete seit dem Jahre 1975 für die Beklagte, beziehungsweise für deren Rechtsvorgängerin und übernahm Ende 1976 die Stelle als Offizinverwalter in einer Apotheke der Beklagten. Im Frühjahr 1996 entschloss sich der Verwaltungsrat der Beklagten, die in den Statuten vorgesehene Verwalterkonferenz sowie die Stellung des Chefapothekers abzuschaffen. Die Statutenrevision wurde an der Delegiertenversammlung vom 5. Juni 1996 auf eine ausserordentliche Delegiertenversammlung vom 29. August 1996 verschoben. In deren Vorfeld wandten sich einige Verwalter der Beklagten, unter ihnen auch der Kläger, mit einem Schreiben direkt an die Delegierten. Sie übten darin Kritik an der Geschäftsführung und sprachen sich gegen die Änderung der Statuten aus. Letztere bildeten integrierenden Bestandteil des Arbeitsvertrags mit dem Kläger. Das Projekt der Statutenänderung wurde in der Folge aufgegeben.
B.- Mit Schreiben vom 30. August 1996 kündigte die Beklagte dem Kläger. Sie begründete ihre Kündigung insbesondere mit dem an die Delegiertenversammlung gerichteten Schreiben, welches das letzte Glied einer Kette von Treuwidrigkeiten bilde, die das Vertrauensverhältnis unter den Parteien zerstört hätten.
C.- Der Kläger bestritt die Rechtmässigkeit der Kündigung und verlangte beim Arbeitsgericht Zürich von der Beklagten insgesamt Fr. 36'000.-- wegen missbräuchlicher Kündigung. Er reduzierte diesen Betrag im Verlaufe des Verfahrens auf Fr. 27'000.--. Die Beklagte erhob Widerklage auf Zahlung von Fr. 960.-- nebst Zins. Bei der Widerklage geht es um einen Solidaritätsbeitrag, den die Vereinigung der Apotheker der Stadt Zürich an diejenigen Apotheker ausrichtet, die sich am Notfalldienst beteiligen. Zwischen den Parteien ist streitig, wer Mitglied dieser Vereinigung ist, und wer Anspruch auf den Beitrag erheben darf. Das Arbeitsgericht hiess die Klage am 21. Dezember 1998 im Umfang von Fr. 18'000.-- teilweise gut und wies die Widerklage ab. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich ein; der Kläger erklärte Anschlussberufung. Am 20. September 1999 wies das Obergericht die Hauptklage ab und schützte die Widerklage.
D.- Gegen diesen Entscheid erhob der Kläger sowohl kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wie auch eidgenössische Berufung. Am 27. März 2000 strich das Kassationsgericht des Kantons Zürich Erwägung Ziff. 4 lit. a-f des obergerichtlichen Entscheides und wies die Beschwerde im Übrigen ab, soweit es darauf eintrat, da es die eine der beiden vom Obergericht angeführten Begründungen nicht beanstandete. In der Berufung verlangt der Kläger, die Beklagte zur Zahlung von Fr. 18'000.-- zu verpflichten und die Widerklage abzuweisen; eventuell sei die Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung zurückzuweisen. Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung und beantragt eventuell, eine dem Kläger allenfalls zu entrichtende Entschädigung auf einen halben Monatslohn festzusetzen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Der Berufungsstreitwert von Fr. 8'000.-- (Art. 46 OG) wird zwar von der Hauptklage, nicht aber von der Widerklage erreicht. Für diese ist daher die Berufung nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die mit Haupt- und Widerklage geltend gemachten Ansprüche einander ausschliessen (Art. 47 Abs. 3 OG). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da die Widerklage unabhängig vom Schicksal der Hauptklage gutgeheissen oder abgewiesen werden kann und umgekehrt. Auf die Berufung ist somit nur in Bezug auf die Hauptklage einzutreten (BGE 108 II 51 E. 1 S. 52 f.; 107 II 411 E. 1 S. 412 f., je mit Hinweisen).
b) Das Kassationsgericht hat Erwägung Ziff. 4 des angefochtenen Entscheides gestrichen. Soweit die Berufung sich gegen die dort enthaltene Begründung richtet, ist mangels aktuellen Rechtsschutzinteresses nicht darauf einzutreten. Zu prüfen bleibt, ob die verbleibende Begründung, welche der Kläger ebenfalls kritisiert, vor Bundesrecht standhält.
c) Im Rahmen der Berufung sind Rügen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen und gegen die Beweiswürdigung der kantonalen Instanzen richten, unzulässig (BGE 125 III 368 E. 3 S. 372, 120 II 97 E. 2b S. 99; 119 II 84 E. 3; 116 II 92 E. 2 S. 93, 480 E. 3d S. 489, 745 E. 3 S. 749 mit Hinweisen), es sei denn, es werde zugleich ein offensichtliches Versehen, eine Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften (Art. 63 Abs. 2 OG) oder eine unvollständige Ermittlung des Sachverhaltes geltend gemacht (Art. 64 OG). Soweit der Kläger Behauptungen aufstellt, die den tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts bzw. des Kassationsgerichts nicht zu entnehmen sind, ohne eine entsprechende Ausnahme anzurufen, ist auf die Berufung nicht einzutreten (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
2.- In rechtlicher Hinsicht hält das Obergericht fest,
der Kläger habe mit dem Schreiben an die Delegiertenversammlung keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne von Art. 336 Abs. 1 lit d OR geltend gemacht. Die Aufzählung in Art. 336 OR ist indessen nicht abschliessend (BGE 125 III 70 E. 2a S. 72; Staehelin, Zürcher Kommentar zu Art. 336, N 7, je mit Hinweisen). Selbst wenn das Verhalten des Klägers nicht unter Art. 336 Abs. 1 lit. d OR fiele, bleibt daher abzuklären, ob die Kündigung aufgrund der gesamten Umstände missbräuchlich erscheint. Dass sich der Kläger nur auf Art. 336 Abs. 1 lit. d OR beruft, ändert daran nichts, da das Recht von Amtes wegen anzuwenden ist.
3.- a) Das Obergericht wirft dem Kläger vor, seine Treuepflicht verletzt zu haben, indem er das Schreiben nicht an die zuständigen Vorgesetzten, sondern unter Umgehung des Dienstweges an die Delegierten der Mitgliederkrankenkassen gerichtet habe. Die massgebenden Organe hätten erst unmittelbar vor der Delegiertenversammlung vom Schreiben Kenntnis erhalten und nicht mehr darauf reagieren können. Entscheidend könne nicht sein, "dass der Dienstweg nichts gebracht hätte". Ausschlaggebend sei vielmehr, dass das Schreiben schwere Vorwürfe gegen den Vorgesetzten des Klägers und den Verwaltungsrat enthalte. Von Bedeutung sei, dass die Vorwürfe bestritten seien. Aber selbst wenn die Vorwürfe objektiv zuträfen, hätte der Kläger sie nicht hinter dem Rücken der Vorgesetzten an die Öffentlichkeit bringen dürfen, um damit eigene Interessen zu verfolgen.
b) Der Kläger erhebt zunächst eine Versehensrüge, indem er anführt, das Schreiben sei nur an die Delegierten der Krankenkassen gerichtet gewesen und nicht an die Öffentlichkeit. Nach den Feststellungen des Kassationsgerichts versteht indes auch das Obergericht unter "Öffentlichkeit" die Delegierten der Genossenschafter, was sich mit der Darstellung des Klägers deckt. Damit liegt kein offensichtliches Versehen vor. Sofern die Beklagte in der Berufungsantwort geltend machen möchte, das Obergericht habe mit "Öffentlichkeit" auch andere Personen neben den Delegierten der Mitgliederkrankenkassen bezeichnet, weicht sie von den Feststellungen des Kassationsgerichts ab und ist damit in der Berufung nicht zu hören.
4.- a) Entgegen der Ansicht des Obergerichts kann nicht offen bleiben, ob die im Schreiben an die Delegiertenversammlung erhobenen Vorwürfe zutreffen und ob es "etwas gebracht" hätte, wenn der Kläger den Dienstweg beschritten hätte. War das Beschreiten des Dienstwegs sinnlos, kann es vom Kläger nach Treu und Glauben nicht verlangt werden, zumal für die vorgesehene Statutenänderung ohnehin die Delegiertenversammlung das zuständige Organ war. Trafen die erhobenen Vorwürfe zu, läuft ihre Bekanntgabe an die Delegierten den Interessen der Beklagten nicht zuwider. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass die Arbeitnehmer den Delegierten mitteilten, wie sie sich zur traktandierten Statutenänderung stellten. Sie beeinflussten dadurch die Delegierten nicht auf unzulässige Weise, sondern erweiterten deren Entscheidungsgrundlage.
b) Die Tatsache, dass der Verwaltungsrat erst kurz vor der Versammlung vom Schreiben erfuhr, vermag daran nichts zu ändern. Treffen die Vorwürfe zu, bestand kein Anlass für eine Richtigstellung seitens des Verwaltungsrates. Vielmehr stellt sich sogar die Frage, ob der Kläger auf Grund seiner Treuepflicht nicht verpflichtet war, die Delegiertenversammlung auf die betreffenden Vorkommnisse hinzuweisen, sofern seine Vorgesetzten bei Einhaltung des Dienstwegs die Informationen zurückgehalten hätten. Dass die Enthüllungen des Klägers auch seinen eigenen Interessen dienlich waren, wie die Vorinstanz ausgeführt hat, vermag unter diesen Umständen keine Treuwidrigkeit zu begründen.
c) Ob die Kündigung missbräuchlich ist, beurteilt sich nach objektiven Kriterien. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist deshalb die Meinung des Vorgesetzten, der Kläger wolle die Beklagte zerstören, unerheblich, solange diesem kein treuwidriges Verhalten nachgewiesen wird. Ebenso vermöchte auch ein innerhalb der Beklagten stattfindender Machtkampf die Kündigung nur zu rechtfertigen, wenn sich der Kläger dabei unzulässiger Mittel bedient hätte, was im vorliegenden Falle wiederum davon abhängt, wie der Brief vom 22. August 1996 zu beurteilen ist (vgl. E. 4a und b hievor).
d) Treffen die erhobenen Vorwürfe zu oder musste
der Kläger sie in guten Treuen für zutreffend halten und hätte die Einhaltung des Dienstwegs "nichts gebracht", erscheint die Kündigung als missbräuchlich im Sinne von Art. 336 OR. Da das Obergericht diesbezüglich keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, ist die Sache an die Vorinstanz zu neuer Entscheidung zurückzuweisen. Sollte der Inhalt des Schreibens nicht oder nur teilweise den Tatsachen entsprechen, wird abzuklären sein, ob die Kündigung allenfalls insofern missbräuchlich ist, als nicht alle Personen, die das Schreiben unterzeichneten, gleich behandelt wurden, wie der Kläger zur Klagebegründung vorgetragen hat (Art. 64 Abs. 2 OG; vgl. JAR 1994 S. 171 ff.). Sollte das Obergericht die Missbräuchlichkeit der Kündigung bejahen, müsste es über die vom Kläger verlangte Entschädigung befinden.
5.- a) Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben, soweit es die Hauptklage abweist, und die Sache ist diesbezüglich zur Ergänzung der tatsächlichen Feststellungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
b) Bei der Kostenverteilung ist zu berücksichtigen, dass die Widerklage nur einen Bruchteil des Streitwertes ausmacht. Dies rechtfertigt, sie bei der Verteilung der Kosten nicht gesondert zu berücksichtigen. Da der Streitwert vor erster Instanz Fr. 20'000.-- überstieg, ist das Verfahren nicht kostenlos, selbst wenn vor Bundesgericht der Streitwert Fr. 20'000.-- nicht mehr erreicht (BGE 115 II 30 E. 5b, S. 41 mit Hinweisen). Der Kläger dringt mit seinem Begehren nur teilweise durch, und der Ausgang des Verfahrens ist noch offen. Daher sind die Gerichtskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts, 1. Zivilkammer, des Kantons Zürich vom 20. September 1999 mit Bezug auf die Hauptklage aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Mit Bezug auf die Widerklage wird auf die Berufung nicht eingetreten.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Parteien je zur Hälfte auferlegt.
3.- Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 14. Juli 2000
Im Namen der I. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: