[AZA 0]
6A.44/2000/odi
KASSATIONSHOF
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19. Juli 2000
Es wirken mit: Bundesgerichtspräsident Schubarth,
Präsident des Kassationshofes, Bundesrichter Schneider,
Wiprächtiger, Kolly, Bundesrichterin Escher und Gerichtsschreiber Härri.
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In Sachen
Bundesamt für Strassen, Hauptabteilung Strassenverkehr, Beschwerdeführer,
gegen
X.________, Beschwerdegegner,
betreffend
Sicherungsentzug des Führerausweises(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen vom 5. April 2000) hat sich ergeben:
A.- X.________, geboren 1957, besitzt den Führerausweis der Kategorie B seit 1980.
Am 5. Januar 1997, um ca. 03.15 Uhr, lenkte X.________ seinen Personenwagen mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,74 Promille. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen (im Folgenden: Strassenverkehrsamt) entzog ihm deshalb den Führerausweis für die Dauer von 6 Monaten. Dieser Entzug war am 5. Juli 1997 vollzogen.
Am 6. Januar 1998, um ca. 23.50 Uhr, kam X.________ mit seinem Personenwagen von der Fahrbahn ab.
Die angeordnete Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,79 Promille.
B.- Wegen dieses neuen Vorfalles entzog das Strassenverkehrsamt X.________ am 26. Juli 1999 den Führerausweis in Anwendung von Art. 16 Abs. 3 lit. b i.V.m. Art. 17 Abs. 1 lit. d SVG für die Dauer von 21 Monaten.
In teilweiser Gutheissung des von X.________ dagegen erhobenen Rekurses reduzierte die Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen am 5. April 2000 die Dauer des Entzuges auf 17 Monate.
C.- Das Bundesamt für Strassen führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Verwaltungsrekurskommission aufzuheben; die Sache sei an das Strassenverkehrsamt zur medizinischen Abklärung der Eignung von X.________ zum Führen von Motorfahrzeugen im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG zurückzuweisen mit der Auflage, dass das Strassenverkehrsamt von Amtes wegen die Notwendigkeit einer vorsorglichen Massnahme prüfe; sollte die medizinische Abklärung ergeben, dass bei X.________ kein Eignungsmangel vorliegt, sei das Strassenverkehrsamt anzuweisen, gemäss dem Entscheid der Verwaltungsrekurskommission einen Warnungsentzug für die Dauer von 17 Monaten anzuordnen.
D.- Die Verwaltungsrekurskommission beantragt unter Verzicht auf eine Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
X.________ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Der Beschwerdeführer bringt vor, nach der im Schrifttum vertretenen Auffassung ergebe sich ein konkreter und erheblicher Verdacht auf eine verkehrsmedizinisch relevante Alkoholproblematik unter anderem bei einem zweiten FIAZ-Ereignis innerhalb von fünf Jahren mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 Promille. Der Beschwerdegegner sei ein halbes Jahr nach der Wiederaushändigung des Führerausweises mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,79 Promille rückfällig geworden. Schon bei der ersten Trunkenheitsfahrt sei die Blutalkoholkonzentration mit 1,74 Promille erheblich gewesen. Die beiden hohen BAK-Werte und der Umstand, dass die beiden FIAZ-Ereignisse kurze Zeit nacheinander erfolgt seien, stellten erhebliche Indizien für eine Trunksucht im Sinne des Strassenverkehrsgesetzes dar. Indem die Vorinstanz lediglich die Dauer des Führerausweisentzuges von 21 auf 17 Monate herabgesetzt und auf die Anordnung einer medizinischen Abklärung der Fahreignung des Beschwerdegegners verzichtet habe, habe sie Bundesrecht verletzt.
b) Der Beschwerdegegner legt dar, er habe nie regelmässig Alkohol konsumiert und aus den beiden Vorfällen seine Lehren gezogen; er lebe nun abstinent. Er wirft die Frage auf, ob der Beschwerdeführer seinen Antrag nicht bereits nach der Verfügung des Strassenverkehrsamtes vom 26. Juli 1999 hätte stellen müssen. Der Beschwerdegegner macht geltend, das Strassenverkehrsamt habe sich schon mit der Frage einer bezirksärztlichen Untersuchung auseinander gesetzt und mit Schreiben vom 24. Juni 1999 darauf verzichtet. Er kritisiert ausserdem das Strafurteil der Gerichtskommission Sargans vom 1. September 1998 als "ungenügend objektiv".
2.- Gemäss Art. 24 Abs. 5 SVG steht im Beschwerdeverfahren der kantonalen und Bundesbehörden das Beschwerderecht den Personen und Organisationen zu, die durch die angefochtene Verfügung berührt sind und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung haben, sowie (...) dem Bundesamt für Strassen bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht (lit. c).
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide gegeben (Art. 24 Abs. 2 SVG). Der Beschwerdeführer konnte also nicht schon die Verfügung des Strassenverkehrsamtes vom 26. Juli 1999, sondern erst den Entscheid der Vorinstanz mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechten.
Zutreffend ist, dass das Strassenverkehrsamt von einer bezirksärztlichen Untersuchung abgesehen hat. Dabei ging es jedoch nicht um eine allfällige Trunksucht des Beschwerdegegners. Vielmehr erwog das Strassenverkehrsamt zunächst deshalb eine bezirksärztliche Untersuchung, weil ihm der Beschwerdegegner mitgeteilt hatte, es sei ihm eine halbe Invalidenrente in Aussicht gestellt worden.
Das Strassenverkehrsamt sah von der ärztlichen Untersuchung ab, nachdem der Beschwerdegegner die Gründe für die halbe Invalidenrente dargelegt und sich gezeigt hatte, dass die der Rente zugrunde liegenden gesundheitlichen Probleme auf die Fahreignung keinen Einfluss haben. Die medizinische Abklärung einer allfälligen Trunksucht des Beschwerdegegners wurde im kantonalen Verfahren bisher nicht erwogen.
Soweit sich der Beschwerdegegner gegen das Strafurteil der Gerichtskommission Sargans richtet, ist er nicht zu hören. Das Strafurteil ist hier nicht Gegenstand des Verfahrens.
3.- a) Gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG darf der Führerausweis nicht erteilt werden, wenn der Bewerber dem Trunke oder anderen die Fahrfähigkeit herabsetzenden Süchten ergeben ist. Wird nachträglich festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen, ist der Führerausweis nach Art. 16 Abs. 1 SVG zu entziehen. Ein solcher Sicherungsentzug dient gemäss Art. 30 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr (VZV; SR 741. 51) der Sicherung des Verkehrs vor Führern, die aus medizinischen oder charakterlichen Gründen, wegen Trunksucht oder anderen Süchten oder wegen einer anderen Unfähigkeit zum Führen von Motorfahrzeugen nicht geeignet sind. In solchen Fällen wird der Führerausweis gemäss Art. 17 Abs. 1bis SVG auf unbestimmte Zeit entzogen.
Voraussetzung für den Sicherungsentzug gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 17 Abs. 1bis SVG ist das Vorliegen einer Sucht. Trunksucht ist nach der Rechtsprechung gegeben, wenn der Betreffende regelmässig so viel Alkohol konsumiert, dass seine Fahrfähigkeit vermindert wird und er diese Neigung zum übermässigen Alkoholgenuss durch den eigenen Willen nicht zu überwinden vermag. Der Sicherungsentzug wegen Trunksucht oder anderer Suchtkrankheiten wird gemäss Art. 17 Abs. 1bis SVG auf unbestimmte Zeit angeordnet und mit einer Probezeit von mindestens einem Jahr verbunden. Nach Ablauf der Probezeit kann der Ausweis bedingt und unter angemessenen Auflagen wieder erteilt werden; in der Regel wird hierfür der Nachweis der Heilung durch eine mindestens einjährige kontrollierte Abstinenz verlangt. Der Sicherungsentzug greift damit tief in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen ein. Nach der Rechtsprechung ist daher eine genaue Abklärung der persönlichen Verhältnisse und insbesondere der Trinkgewohnheiten des Betroffenen in jedem Fall und von Amtes wegen vorzunehmen. Das Ausmass der notwendigen behördlichen Nachforschungen, namentlich die Frage, ob ein medizinisches Gutachten eingeholt werden soll, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles und liegt im pflichtgemässen Ermessen der Entzugsbehörde.
Bei Drogensucht ist die Entzugsbehörde in aller Regel verpflichtet, ein gerichtsmedizinisches Gutachten einzuholen; der Verzicht auf eine spezialärztliche Begutachtung wird nur ausnahmsweise, etwa in Fällen offensichtlicher, schwerer Drogenabhängigkeit, gerechtfertigt sein (BGE 126 II 185 E. 2a mit Hinweisen; vgl. auch Karl Hartmann, Der Sicherungsentzug in der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung, Collezione Assista, Genf 1998, S. 259).
Wie das Bundesgericht in BGE 126 II 185 entschieden hat, sind Personen, die während der letzten fünf Jahre vor der aktuellen Trunkenheitsfahrt keine einschlägige Widerhandlung begangen haben, einer Fahreignungsuntersuchung zu unterziehen, wenn die Blutalkoholkonzentration 2,5 und mehr Promille beträgt. Personen mit einer so hohen Blutalkoholkonzentration verfügen über eine sehr hohe Alkoholtoleranz, die in aller Regel auf eine Alkoholabhängigkeit hinweist (E. 2e).
b) Im Schrifttum wird ausgeführt, es könne davon ausgegangen werden, dass bei Personen, die im Strassenverkehr mit 1,6 Promille und mehr auffällig werden, eine Missbrauchstoleranz oder auch robuste Alkoholgewöhnung vorliege, die nur durch chronischen, die Persönlichkeit, die soziale Umwelt und die Gesundheit belastenden Alkoholmissbrauch erworben werden könne (Egon Stephan, Trunkenheitsdelikte im Verkehr: Welche Massnahmen sind erforderlich?, AJP 1994, S. 453; vgl. auch derselbe, Trunkenheitsdelikte im Verkehr und Alkoholmissbrauch, Blutalkohol 1988, S. 203).
René Schaffhauser (Zur Entwicklung von Recht und Praxis des Sicherungsentzugs von Führerausweisen, AJP 1992, S. 35) führt aus, es stehe fest und unter Medizinern und Psychologen sei heute grundsätzlich unangefochten, dass ein höherer BAK-Wert selbst beim Alkoholersttäter in aller Regel ein Indiz für gewisse Suchtprobleme darstelle. Diese (nicht ganz neue) Erkenntnis scheine unseren Verwaltungen und Gerichten noch nicht ausreichend bekannt zu sein. Betrachte man die Entscheide zu den Sicherungsentzügen wegen Trunksucht, gewinne man (überspitzt formuliert) oft den Eindruck, es werde nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit zunächst einmal wiederholt ein Warnungsentzug ausgesprochen, ohne sich vorerst die Frage nach der Trunksucht überhaupt zu stellen.
Erst wenn man zur Erkenntnis komme, dass auch lange Warnungs-Entzugsdauern keine Wirkung hätten, werde die Frage nach Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG ernsthaft aufgeworfen. Die Frage, ob ein Warnungs- oder ein Sicherungsentzug auszusprechen sei, sei nicht aufgrund von Erwägungen zur Verhältnismässigkeit, sondern in Beantwortung der Rechtsfrage zu klären, ob Ungeeignetheit - hier: Trunksucht im strassenverkehrsrechtlichen Sinne - vorliege.
R. Seeger (Fahreignung und Alkohol, in: Probleme der Verkehrsmedizin, hrsg. vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich, 1999, S. 7) legt dar, mit einem FIAZ-Ereignis habe die betreffende Person mindestens einmal bewiesen, dass sie Trinken und Fahren nicht trennen könne. Nicht selten liege dem ein chronisches Alkoholproblem zugrunde. Ein konkreter und erheblicher Verdacht auf das Vorliegen einer verkehrsmedizinisch relevanten Alkoholproblematik ergebe sich unter anderem bei einem zweiten FIAZ-Ereignis innerhalb von fünf Jahren und einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,6 Promille.
c) Der Beschwerdegegner lenkte bereits am 5. Januar 1997 seinen Personenwagen in angetrunkenem Zustand.
Die Blutalkoholkonzentration betrug beim damaligen Vorfall mindestens 1,74 Promille. Rund ein halbes Jahr nach Ablauf des dafür ausgesprochenen Führerausweisentzuges von 6 Monaten setzte sich der Beschwerdegegner erneut angetrunken ans Steuer. Die Blutalkoholkonzentration war mit mindestens 1,79 Promille beim neuen Vorfall wiederum beträchtlich. Angesichts dessen hätten im Lichte der angeführten Äusserungen im Schrifttum die kantonalen Behörden abklären lassen müssen, ob der Beschwerdegegner an einer Trunksucht im Sinne des Strassenverkehrsgesetzes leidet. Indem sie das nicht getan haben, haben sie Bundesrecht verletzt. Da Alkohol nebst übersetzter Geschwindigkeit eine der Hauptursachen für schwere Unfälle im Strassenverkehr darstellt, ist der mit der medizinischen Abklärung verbundene Eingriff gegenüber dem Fahrzeuglenker verhältnismässig. Im Übrigen liegt es auch im Interesse des Lenkers selbst, wenn in einem Fall wie hier geklärt wird, ob er an einer Sucht leidet oder nicht.
d) Die Sache wird an das Strassenverkehrsamt zur Durchführung der entsprechenden Abklärung zurückgewiesen.
Dabei wird das Strassenverkehrsamt von Amtes wegen auch die Notwendigkeit einer vorsorglichen Massnahme zu prüfen haben. Die Beschwerde wird insoweit gutgeheissen.
e) Der Beschwerdeführer beantragt, falls die medizinische Abklärung ergeben sollte, dass beim Beschwerdegegner kein Eignungsmangel vorliegt, sei das Strassenverkehrsamt anzuweisen, gegenüber dem Beschwerdegegner gemäss dem Entscheid der Vorinstanz einen Warnungsentzug für die Dauer von 17 Monaten anzuordnen.
Die Dauer des Warnungsentzuges von 17 Monaten steht ausser Streit. Insoweit wird der vorinstanzliche Entscheid nicht aufgehoben. Sollte die medizinische Abklärung ergeben, dass beim Beschwerdegegner kein Eignungsmangel vorliegt und deshalb ein Sicherungsentzug nicht erforderlich ist, bleibt es daher beim Warnungsentzug von 17 Monaten. Die vom Beschwerdeführer verlangte Anweisung an das Strassenverkehrsamt ist überflüssig.
4.- Auf die Erhebung von Kosten wird verzichtet.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen. Die Sache wird an das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt des Kantons St. Gallen zur medizinischen Abklärung der Eignung von X.________ zum Führen von Motorfahrzeugen im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG zurückgewiesen wird mit der Auflage, dass das Strassenverkehrsamt von Amtes wegen die Notwendigkeit einer vorsorglichen Massnahme prüft. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
2.- Es werden keine Kosten erhoben.
3.- Dieses Urteil wird den Parteien, der Verwaltungsrekurskommission (Abteilung IV) und dem Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt (Abteilung Massnahmen) des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 19. Juli 2000
Im Namen des Kassationshofes
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: