[AZA 0]
4C.157/2000/rnd
I. ZIVILABTEILUNG
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22. August 2000
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter,
Präsident, Klett, Rottenberg Liatowitsch und Gerichtsschreiber
Luczak.
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In Sachen
A.________, Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Konrad Stierlin, Stadthausstrasse 39, Postfach 134, 8402 Winterthur,
gegen
B.________, Kläger und Berufungsbeklagter, vertreten durch Rechtsanwalt Jürgen Imkamp, Bahnhofstrasse 55, 8600 Dübendorf,
betreffend
Mietvertrag; Ausweisung, hat sich ergeben:
A.- B.________ (Kläger) und A.________ (Beklagte) schlossen am 10. Oktober 1998 einen Mietvertrag über das Einfamilienhaus in X.________. Mit Schreiben vom 24. September 1999 beanstandete der Kläger, dass drei Monatszinse ausstehend seien und setzte der Beklagten eine Frist von 30 Tagen zur Bezahlung an. Gleichzeitig drohte er mit der Kündigung für den Fall, dass innert Frist keine Zahlung erfolge. Mit Einschreiben vom 29. Oktober 1999 kündigte er den Mietvertrag auf den 30. November 1999. Innerhalb der 7-tägigen Abholfrist hat die Beklagte das Kündigungsschreiben nicht abgeholt.
B.-In einem Schreiben, welches ebenfalls vom 29. Oktober 1999 datiert, teilte C.________ (Zedentin) dem Kläger unter anderem mit:
"Bitte nimm zur Kenntnis, dass ich Teile meiner Guthaben Dir gegenüber an Frau A.________ abtreten werde, damit sie mit Deinen Mietzinsforderungen verrechnen kann. Es hat also keinen Zweck, gegenüber Frau A.________ Zwangsvollstreckungsmassnahmen einzuleiten.. "
Am gleichen Tag trat sie Fr. 20'000.-- einer Forderung gegenüber dem Kläger an die Beklagte ab.
C.-Am 4. Januar 2000 verlangte der Kläger beim Gerichtspräsidium See des Kantons St. Gallen die Ausweisung der Beklagten aus der Liegenschaft. Mit Verfügung vom 27. Januar 2000 gab der Einzelrichter im Zivilrecht dem Gesuch statt und befahl der Beklagten unter Androhung einer Busse, das Einfamilienhaus in X.________ sofort nach Rechtskraft der Verfügung zu verlassen. Gegen diesen Entscheid legte die Beklagte einen Rekurs ein, den der Einzelrichter des Kantonsgerichts St. Gallen am 6. April 2000 abwies.
D.-Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung erhoben.
Sie verlangt, den angefochtenen Entscheid und die darin verfügte Ausweisung aufzuheben. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.-Der Ausweisungsentscheid erging nach dem Zivilprozessgesetz des Kantons St. Gallen vom 20. Dezember 1990 (sGS 961. 2) im summarischen Verfahren (Art. 196 ff.). Dem Entscheid kommt unbeschränkte materielle Rechtskraft zu, weshalb ein berufungsfähiger Endentscheid vorliegt (vgl.
Leuenberger/Uffer, Kommentar zur Zivilprozessordnung des Kantons St. Gallen, Bern 1999, N 7.c zu Art. 197 ZPO). Da auch der erforderliche Streitwert erreicht ist, ist auf die Berufung einzutreten.
2.- a) Das Kantonsgericht ging davon aus, dass zwar eine Abtretung im Betrage von Fr. 20'000.-- , jedoch keine entsprechende Verrechnungserklärung vorliege. Mangels Zahlung sei die Kündigung somit gültig.
b) Die Beklagte führt dagegen an, die Zedentin habe in ihrem Schreiben vom 29. Oktober 1999 dem Kläger nicht nur die beabsichtigte Abtretung eines Teils des ihr geschuldeten Darlehens angezeigt, sondern gleichzeitig für die Beklagte Verrechnung mit den ausstehenden Mietzinsen erklärt. Daher seien die Rückstände innert der angesetzten Frist beglichen worden.
c) Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist zunächst auf den Sinn abzustellen, den ihnen die beteiligten Parteien tatsächlich zugemessen haben (Art. 18 OR). Der wirkliche Wille der Parteien bildet eine tatsächliche Feststellung, die im Rahmen der Berufung nicht überprüft werden kann (Art. 55 Abs. 1 lit c OG). Nur wenn die beteiligten Parteien die Willenserklärung unterschiedlich gedeutet haben, hat der Richter die Erklärung nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Diese Auslegung überprüft das Bundesgericht im Rahmen der Berufung frei (BGE 125 III 305 E. 2b S. 308; 435 E. 2a/aa S. 436 f.).
d) Ob das Kantonsgericht den tatsächlichen Willen feststellte oder die Erklärung nach dem Vertrauensprinzip auslegte, ist nicht restlos klar, kann aber offen bleiben.
Auch wenn die Zedentin tatsächlich für die Beklagte Verrechnung erklären wollte, wäre der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden:
aa) Die Verrechnungserklärung muss den Willen des Verrechnenden unzweideutig erkennen lassen (von Tuhr/Escher, Allgemeiner Teile des schweizerischen Obligationenrechts,
3. Aufl. , Zürich 1974, Bd. II S. 204 ff.). Der Verrechnungsgegner muss wissen, welche Forderung mit welcher Schuld verrechnet werden soll. Will der Mieter, dem wegen Zahlungsrückstand die Kündigung angedroht wurde, die ausstehenden Mietzinse durch Verrechnung tilgen, muss er die Verrechnung innerhalb der Zahlungsfrist erklären (vgl. BGE vom 14. Juli 1999 in SJ 2000 S. 78 f.).
bb) Diesen Anforderungen genügt das Schreiben der Zedentin offensichtlich nicht. Nach dem Wortlaut soll die Abtretung erst in Zukunft erfolgen. Damit wäre eine Verrechnungserklärung noch gar nicht möglich, da es an der Gegenseitigkeit der Forderungen fehlt. Das Schreiben enthält keinen Hinweis darauf, dass die Zedentin für die Beklagte handle. Der Kläger musste daher nach Treu und Glauben im erwähnten Schreiben keine Verrechnungserklärung im Namen der Beklagten erkennen. Hinzu kommt, dass die Zedentin weder erklärt, welchen Betrag sie an die Beklagte abgetreten hat noch dass sie überhaupt die Höhe der Mietzinsrückstände kennt. Aus dem Schreiben geht lediglich hervor, dass sie einen Teil ihrer Forderung an die Beklagte abtreten will, um dieser die Verrechnung zu ermöglichen. Der Kläger konnte demnach nicht erkennen, ob die ausstehenden Mietzinse vom abgetretenen Teil der Forderung überhaupt gedeckt waren. Damit ist das Schreiben als Verrechnungserklärung zu unbestimmt und genügt den Anforderungen für die Einhaltung der Zahlungsfrist jedenfalls nicht. Insoweit ist die Berufung unbegründet.
3.- a) Das Kantonsgericht geht in seinem Entscheid davon aus, die Kündigungsandrohung sei der Beklagten mangels gegenteiliger Behauptung nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge am Montag dem 27. September 1999 zugegangen. Daher sei die Kündigung vom 29. Oktober 1999 nach Ablauf der Zahlungsfrist und insofern gültig ausgesprochen worden.
b) Mit dieser Annahme verletzt das Kantonsgericht nach Meinung der Beklagten entweder Art. 257d OR, oder es würdigt die Fakten willkürlich. Die Beklagte habe sich zwar nicht ausdrücklich zum Zeitpunkt des Eintreffens der Kündigungsandrohung geäussert. Sie habe jedoch klar ausgeführt, dass die Abtretungsanzeige von der Zedentin dem Kläger noch innerhalb der 30-Tages-Frist zugegangen sei. Der Entscheid leide an einem inneren Widerspruch, indem er einerseits ausführe, der 29. Oktober 1999, von dem die Abtretungserklärung an den Kläger datiert, liege noch innerhalb der Zahlungsfrist, und andererseits davon ausgehe, dass die an demselben Tag abgesandte Kündigung nach Ablauf der Zahlungsfrist erfolgt sei. Eine während laufender Zahlungsfrist ausgesprochene Kündigung sei ungültig. Es wäre Sache des Klägers gewesen, den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungsandrohung zu beweisen.
c) Die Beklagte rügt eine Verletzung von Art. 257d OR beziehungsweise eine willkürliche Würdigung der Fakten durch das Kantonsgericht. Die Kündigungsandrohung gilt an dem Tag als zugestellt, an dem sie der Mieter tatsächlich abholt. Holt er eine eingeschriebene Sendung nicht ab, wird die Zustellung am Ende der Abholfrist fingiert (vgl. Weber/Zihlmann, Basler Kommentar, 2. Aufl. Basel 1996, zu Art. 257d OR N 5). Das Kantonsgericht ging mangels gegenteiliger Behauptung davon aus, die Androhung sei der Beklagten nach der allgemeinen Lebenserfahrung am 27. September 1999 zugegangen.
Aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung gezogene Schlüsse bilden grundsätzlich Teil der Beweiswürdigung, die im Rahmen der Berufung nicht überprüft werden kann (BGE 123 III 241 E. 3a S. 243). Inwiefern das Kantonsgericht unter Zugrundelegung dieses Zustellungstermins Bundesrecht verletzt haben soll, ist nicht ersichtlich, da diesfalls die Kündigung offensichtlich nicht verfrüht erfolgte.
d) Ausnahmen von der Bindung an die Beweiswürdigung bestehen, wenn ein offensichtliches Versehen, eine Verletzung bundesrechtlicher Beweisvorschriften (Art. 63 Abs. 2 OG) oder eine unvollständige Ermittlung des Sachverhaltes geltend gemacht werden (Art. 64 OG). Wer sich auf solche Ausnahmen von der Bindung des Bundesgerichts an die tatsächlichen Feststellungen der letzten kantonalen Instanz beruft und den Sachverhalt gestützt darauf berichtigt oder ergänzt wissen will, hat darüber genaue Angaben mit Aktenhinweisen zu machen (Art. 55 Abs. 1 lit. d OG; BGE 125 III 368 E. 3 S. 372; 115 II 484 E. 2a S. 485 f.). Erforderlich ist weiter, dass der angebliche Irrtum des Gerichts für den Entscheid wesentlich war. Mit der Versehensrüge gemäss Art. 63 OG können nicht nur Versehen betreffend tatsächliche Feststellungen gerügt werden, sondern auch betreffend prozessuale Vorbringen (BGE 96 I 193 E. 3 S. 197 ff.; Poudret, Commentaire de la loi fédérale d'organisation judiciaire, Vol. II, Bern 1990, N 5.3 zu Art. 63 OG S. 569). Zu prüfen bleibt damit, ob die Feststellung, die Beklagte habe sich zum Zeitpunkt, an dem ihr die Kündigungsandrohung zuging, nicht geäussert, auf einem offensichtlichen Versehen beruht, wie die Beklagte sinngemäss vorbringt.
aa) Die Beklagte hat im kantonalen Verfahren behauptet, die Verrechnungserklärung sei rechtzeitig erfolgt.
Da jedoch keine gültige Verrechnungserklärung vorliegt, ist unerheblich, ob die Erklärung innerhalb der Zahlungsfrist erfolgte. Insoweit ist auf die Versehensrüge nicht einzutreten.
bb) Davon zu trennen ist die Frage, ob die Kündigung ungültig ist, weil sie allenfalls vor Ablauf der Zahlungsfrist ausgesprochen wurde. Der Kläger verneint dies unter Hinweis auf BGE 119 II 154, da die Beschwerdeführerin die Kündigung vom 29. Oktober 1999 nicht angefochten habe.
Das Bundesgericht hat indes die angeführte Rechtsprechung in BGE 121 III 156 E. 1c/bb S. 161 geändert. Auf diese Problematik ist jedoch ohnehin nicht einzugehen, da die Beklagte nicht darlegt, dass sie im kantonalen Verfahren behauptet hat, die Kündigung sei verfrüht. Die blosse Behauptung, die Verrechnung sei rechtzeitig erfolgt, reicht dazu nicht aus.
Das Vorbringen der Beklagten ist vielmehr neu und im Rahmen der Berufung nicht zu hören (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG).
5.-Die Berufung erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 6. April 2000 wird bestätigt.
2.-Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
3.-Die Beklagte hat den Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Einzelrichter für Rekurse des Kantonsgerichts St. Gallen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 22. August 2000
Im Namen der I. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: