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Original
 
[AZA 0]
1P.499/2000/boh
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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7. September 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Féraud,
Ersatzrichterin Pont-Veuthey und Gerichtsschreiberin Widmer.
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In Sachen
K.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Adrian Klemm, Gottfried Keller-Strasse 7, Postfach, Zürich,
gegen
Bezirksamt Lenzburg, Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, Präsidium,
betreffend
persönliche Freiheit, rechtliches Gehör
(Haftprüfung; Kollusions- und Fluchtgefahr), hat sich ergeben:
A.- Das Bezirksamt Lenzburg führt gegen K.________ eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts, er habe im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Notar Klientengelder veruntreut und ein Tötungsdelikt begangen. Am 3. April 2000 wurde K.________ in Untersuchungshaft genommen, nachdem er in der Tiefgarage seiner Liegenschaft mit einem Schuss aus seiner Pistole W.________ tödlich verletzt und anschliessend die Ambulanz alarmiert hatte. W.________ hatte K.________ für die Errichtung eines Vertrags über einen Aktienverkauf beigezogen.
K.________ wird vorgeworfen, zum Nachteil von W.________ Fr. 800'000.-- veruntreut zu haben. Die Untersuchungshaft wurde mit Präsidialverfügung der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau vom 14. April 2000 bis Ende Mai 2000 und mit einer weiteren Verfügung vom 17. Mai 2000 bis zum Eingang der Anklage beim Gericht verlängert. Die beiden seither gestellten Haftentlassungsgesuche wies der Präsident der Beschwerdekammer jeweils ab, letztmals mit Verfügung vom 9. August 2000. Darin erwog er, dass neben dem unbestrittenen dringenden Tatverdacht nach wie vor Kollusions- und Fluchtgefahr gegeben seien. Dem von K.________ gestellten Antrag auf Anhörung und Gewährung der vollständigen Akteneinsicht wurde nicht entsprochen.
B.- Gegen den Haftprüfungsentscheid vom 9. August 2000 hat K.________ staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht erhoben. Er macht eine Verletzung der persönlichen Freiheit sowie des rechtlichen Gehörs geltend und beantragt, ihn bei Aufhebung des angefochtenen Entscheids aus der Haft zu entlassen; eventualiter ersucht er um Rückweisung der Sache an den Haftrichter zu neuer Entscheidung bei vorheriger Anhörung und Ermöglichung der Einsichtnahme in die dem Haftrichter zur Verfügung gestellten Akten.
Das Bezirksamt Lenzburg und das Obergericht beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält in seiner Replik an den gestellten Anträgen fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Beschwerdeführer ist legitimiert, gegen die Abweisung seines Haftentlassungsgesuchs staatsrechtliche Beschwerde zu erheben (Art. 88 OG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.- Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäss den Art. 5 Ziff. 3 und 4 EMRK sowie 29 Abs. 2 BV, weil der Haftrichter seinem Gesuch um Akteneinsicht nicht entsprochen und entgegen § 76 Abs. 3 der Strafprozessordnung des Kantons Aargau (StPO/AG) auf die beantragte persönliche Anhörung verzichtet habe.
a) Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob der vom Beschwerdeführer angerufene, sich unmittelbar aus der Bundesverfassung ergebende Gehörsanspruch verletzt ist; die Auslegung und Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts prüft es hingegen unter dem Gesichtswinkel der Willkür (BGE 121 I 230 E. 2b S. 232, 54 E. 2a S. 56 f.). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs führt aufgrund dessen formeller Natur auch in Verfahren der Haftprüfung zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 126 I 19 E. 2d/bb S. 24; 124 V 180 E. 4a), hingegen nicht zur Anordnung der Haftentlassung (BGE 125 I 113 E. 3 S. 118).
b) In einem Verfahren betreffend Entlassung aus der Untersuchungshaft hat der Beschuldigte gestützt auf den in den Art. 5 Ziff. 4 EMRK sowie 29 Abs. 2 BV gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör das Recht, Einsicht in die wesentlichen, die Haftverlängerung betreffenden Akten zu nehmen und vor Erlass eines richterlichen Haftprüfungsentscheids schriftlich oder mündlich Stellung zu nehmen (BGE 125 I 113 E. 2a). Dem Beschuldigten soll mit der Gewährung der Akteneinsicht ermöglicht werden, sich angemessen gegen die Argumente zur Wehr zu setzen, mit denen die Behörde das Vorliegen der Haftvoraussetzungen bejaht. Deshalb sind nicht nur diejenigen Unterlagen verfahrensrelevant, welche für die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sprechen, sondern auch solche Aktenstücke, die den Angeschuldigten entlasten. Das Einsichtsrecht besteht indessen nur soweit, als ihm keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen (BGE 126 I 7 E. 2b; 122 I 153 E. 6a S. 161 mit Hinweisen) und der Zweck der Strafuntersuchung nicht gefährdet wird (vgl. BGE 115 Ia 293 E. 5b und c S. 303 f.).
c) Der Haftrichter hat zum Antrag auf vollständige Akteneinsicht ausgeführt, der Beschwerdeführer sei bereits im Besitz derjenigen Akten und Einvernahmeprotokolle, die auch dem Haftprüfungsentscheid zugrunde lägen; diese Unterlagen hätten sich für die Beurteilung der Haftsache als ausreichend erwiesen. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, der Haftrichter habe seinen Entscheid auf Argumente abgestützt, die ihm nicht bekannt gewesen seien oder mit deren Vorhalt er aufgrund der ihm zugestellten Unterlagen nicht habe rechnen müssen. Dass sich der Beschwerdeführer ausreichend gegen die für eine Haftverlängerung sprechenden Argumente der Strafverfolgungsbehörden zur Wehr setzen konnte, geht bereits aus seiner Replik vom 8. August 2000 hervor. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass ihm bei Einreichung des Haftentlassungsgesuchs die entscheidrelevanten Akten zur Verfügung standen. Ein Recht auf Einsichtnahme in sämtliche Untersuchungsakten muss dem Beschwerdeführer schon deshalb abgesprochen werden, weil im gegenwärtigen Verfahrensstadium befürchtet werden muss, dies würde den Untersuchungszweck gefährden (s. vorne E. 2b und hinten E. 3b).
d) Nach § 76 Abs. 3 StPO/AG kann der Verhaftete beim Präsidenten der Beschwerdekammer des Obergerichts jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen, worüber nach allfälliger Anhörung des Gesuchstellers spätestens innert drei Tagen zu entscheiden ist. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, gestützt auf diese Bestimmung stehe ihm ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor dem Haftrichter zu, wenn er einen entsprechenden Antrag stelle.
Dass der Haftrichter eine mündliche Anhörung mit der Begründung abgelehnt hat, eine solche sei konkret nicht erforderlich, stellt keine unhaltbare Auslegung von § 76 Abs. 3 StPO/AG dar. In ihrem Wortlaut gewährleistet diese Bestimmung dem Inhaftierten keinen unbedingten Anspruch auf eine persönliche Vorführung vor den Haftrichter. Gründe, weshalb sich eine solche vorliegend aufgedrängt hätte, bringt der Beschwerdeführer nicht vor und sind auch nicht ersichtlich, zumal die Haftakten aussagekräftig sind und der Schriftenwechsel keine neuen Fragen aufwirft. Dass der Haftrichter keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, widerspricht auch nicht Art. 5 Ziff. 3 EMRK: Ein entsprechendes Recht kann daraus nur bei einer erstmaligen Haftanordnung, nicht jedoch bei der Prüfung eines Haftentlassungsgesuchs abgeleitet werden (BGE 125 I 113 E. 2a mit Hinweisen).
Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs erweist sich demnach unter jedem vorgebrachten Gesichtspunkt als unbegründet.
3.- a) Der Freiheitsentzug stellt einen Eingriff in das Recht auf persönliche Freiheit dar, das in den Art. 10 Abs. 2 und 31 BV gewährleistet ist. Dieser Eingriff ist nur zulässig, wenn er auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und verhältnismässig ist. Zudem ist der Kerngehalt der persönlichen Freiheit unantastbar: Diese darf weder völlig unterdrückt noch ihres Gehalts als Institution der Rechtsordnung entleert werden (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 36 BV; vgl. BGE 125 I 361 E. 4a; 124 I 80 E. 2c; je mit Hinweisen). Art. 5 EMRK geht in seinem Gehalt nicht über den verfassungsmässigen Anspruch auf persönliche Freiheit hinaus. Indessen berücksichtigt das Bundesgericht bei der Konkretisierung dieses Anspruchs auch die Rechtsprechung der Konventionsorgane (BGE 114 Ia 281 E. 3; 108 Ia 64 E. 2c mit Hinweisen).
Das Bundesgericht prüft im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs die Auslegung und Anwendung des einschlägigen kantonalen Rechts mit freier Kognition (BGE 124 I 80 E. 2; 123 I 31 E. 3a). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfeststellungen und Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht grundsätzlich nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Instanz willkürlich sind (BGE 123 I 31 E. 3a und 268 E. 2d; 117 Ia 72 E. 1; je mit Hinweisen).
b) Nach § 67 Abs. 1 StPO/AG ist die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft unter anderem zulässig, wenn der Beschuldigte einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Handlung dringend verdächtig ist und ausserdem entweder Fluchtgefahr besteht (Ziff. 1) oder Anzeichen vorliegen, die den Verdacht begründen, dass der Beschuldigte Spuren der Tat vernichten, Zeugen oder Mitschuldige zu falscher Aussage verleiten oder sonst den Zweck der Untersuchung gefährden werde (Ziff. 2).
Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen der besonderen Haftgründe der Flucht- und Kollusionsgefahr, welche dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegen.
c) Für die Annahme von Fluchtgefahr wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts eine gewisse Wahrscheinlichkeit gefordert, dass sich der Betreffende, in Freiheit belassen, der Strafverfolgung durch Flucht entziehen würde.
Die Schwere der drohenden Strafe darf als Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt für sich allein jedoch nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die gesamten Lebensverhältnisse des Angeschuldigten in Betracht gezogen und konkrete Gründe dargetan werden, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe kann immer nur neben anderen, eine Flucht begünstigenden Tatsachen herangezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a; 117 Ia 69 E. 4a; 108 Ia 64 E. 3).
Der Beschwerdeführer hat, soweit aus den Akten ersichtlich, bis heute immer in der Schweiz gelebt. Seine nahen Angehörigen sind ebenfalls hier ansässig, weshalb davon auszugehen ist, dass er zur Schweiz eine enge Beziehung aufweist.
Andererseits deuten sowohl die Schwere der dem Beschwerdeführer aufgrund des Tatverdachts drohenden Strafe sowie die mit den fraglichen Vorfällen verbundene Beeinträchtigung seiner beruflichen und gesellschaftlichen Perspektive auf Fluchtgefahr hin. In diese Richtung weist auch der Umstand, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers aus Russland stammt und er selbst geschäftlich verschiedentlich in Osteuropa unterwegs war. Anlässlich seiner Einvernahme vom 17. Juli 2000 hat der Beschwerdeführer erklärt, seine finanziellen Schwierigkeiten seien mit seinen "Russlandkontakten" entstanden. Dass beim gegenwärtigen Stand der Strafuntersuchung Hinweise auf den Verbleib der Fr. 800'000.-- fehlen, die der Beschwerdeführer W.________ übergeben haben will, darf hier ebenfalls im Sinne eines möglichen Fluchtanreizes berücksichtigt werden. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwände, wonach er in Freiheit besser in der Lage wäre, zur Schadensminderung allfälliger durch ihn Geschädigter beizutragen, und wonach seine Auslandkontakte rein geschäftlicher Natur gewesen seien, sind nicht derart gewichtig, dass die Fluchtgefahr deshalb in Frage gestellt wäre.
d) Kollusion bedeutet insbesondere, dass sich der Angeschuldigte mit Zeugen, Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitangeschuldigten ins Einvernehmen setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst. Die Untersuchungshaft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass der Angeschuldigte die Freiheit dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts zu gefährden oder zu vereiteln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts genügt indessen die theoretische Möglichkeit, dass der Angeschuldigte in Freiheit kolludieren könnte, nicht, um die Fortsetzung der Haft oder die Nichtgewährung von Urlauben unter diesem Titel zu rechtfertigen. Es müssen vielmehr konkrete Indizien für die Annahme von Verdunkelungsgefahr sprechen (BGE 123 I 31 E. 3c S. 35 mit Hinweisen).
Die Ermittlungen über den Zahlungsgang der Fr. 800'000.--, die der Beschwerdeführer W.________ ausbezahlt haben will, sind noch nicht abgeschlossen. Der Beschwerdeführer hat gegenüber den Untersuchungsbehörden erklärt, aufgrund einer von der Firma T.________ erhaltenen Mäklerprovision von Fr. 880'000.-- in der Lage gewesen zu sein, die Forderung von W.________ zu begleichen. Die Aussagen der zur angeblichen Ausrichtung dieser Provision befragten Eheleute A.S.________ und J.S.________ widersprechen den Angaben des Beschwerdeführers. Der Zeuge E.________, von dem diesbezügliche Informationen zu erwarten sind, konnte aus gesundheitlichen Gründen noch nicht befragt werden. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Veruntreuung der Fr. 800'000.-- steht im Sinne eines Tatmotivs in engem Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt. Den Zeugenaussagen kommt deshalb auch in dieser Hinsicht eine grosse Bedeutung zu.
Dass der Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme zum Tötungsvorwurf verschiedene Sachverhaltsversionen zu Protokoll gegeben hat, spricht für eine gewisse Neigung zum Kolludieren.
Es muss deshalb befürchtet werden, dass der Beschwerdeführer in Freiheit versuchen würde, unzulässigen Einfluss auf die Zeugen zu nehmen.
4.- Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen.
Ausgangsgemäss sind die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Bezirksamt Lenzburg und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, Präsidium, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. September 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Die Gerichtsschreiberin: