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1P.93/2000/boh
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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29. September 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Nay, Bundesrichter
Aeschlimann und Gerichtsschreiber Störi.
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In Sachen
P.W.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Eltern, diese vertreten durch Rechtsanwalt Werner Schnyder, Hungerbergstrasse 1, Zürich,
gegen
Schulpflege O b e r r i e d e n, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Stünzi, Seestrasse 162a, Postfach, Horgen, Bezirksschulpflege Horgen, Schulrekurskommission des Kantons Zürich,
betreffend
Verweigerung der Übernahme von Schulkosten, hat sich ergeben:
A.- Die 1986 geborene P.W.________ besuchte von 1992 bis 1998 die Primarschule Oberrieden. Aufgrund ihrer Teilleistungsschwäche lehnten ihre Eltern den Wechsel in die Real- oder Oberschule für das Schuljahr 1999/2000 ab und schickten P.W.________ stattdessen in eine heilpädagogische Kleinklasse der Freien Evangelischen Schule Zürich.
Am 22. März 1999 ersuchten die Eltern von P.W.________ die Schulpflege Oberrieden, die nicht durch die IV gedeckten Kosten der Sonderschulung in der Höhe von jährlich 16'500 Franken zu übernehmen.
Mit Entscheid vom 14. Juni 1999 lehnte die Schulpflege Oberrieden das Gesuch ab. Sie erklärte sich indessen bereit, einen Beitrag an die Schulungskosten in der Höhe von 8'800 Franken pro Jahr zu übernehmen, was dem Betrag entspricht, den sie einer anderen Bezirksgemeinde für die Plazierung eines Kindes in einer Sonderklasse bezahlen müsste.
Ein Wiedererwägungsgesuch der Eltern wies die Schulpflege am 12. Juli ab.
Mit Rekurs an die Bezirksschulpflege Horgen beantragten die Eltern W.________, die Sonderschulbedürftigkeit von P.W.________ festzustellen und sie der Sonderklasse der Freien Evangelischen Schule Zürich zuzuweisen.
Am 14. September 1999 hiess die Bezirksschulpflege den Rekurs gut und verpflichtete die Schulpflege Oberrieden, die Sonderschulungskosten von P.W.________ in der Freien Evangelischen Schule Zürich für das Schuljahr 1999/2000 vollumfänglich zu übernehmen.
Die Schulpflege Oberrieden focht diesen Entscheid bei der Schulrekurskommission des Kantons Zürich an. Diese hiess den Rekurs mit Entscheid vom 17. Januar 2000 gut und stellte fest, dass die Schulpflege Oberrieden nicht verpflichtet sei, die Kosten für die Privatschulung von P.W.________ zu übernehmen.
B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 16. Februar 2000 wegen Verletzung des Willkürverbotes beantragen die Eltern W.________:
"1. Der Entscheid der Schulrekurskommission des Kantons
Zürich vom 17. Januar 2000 sei aufzuheben und
die Beschwerdegegnerin sei anzuweisen, auf die Beschwerde
der Schulpflege Oberrieden mangels Legitimation
nicht einzutreten.
2. Den Rekursgegnern (recte: der Beschwerdeführerin)
sei eine angemessene Prozessentschädigung zuzusprechen.. "
Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend, die Schulrekurskommission hätte auf die Beschwerde der Schulpflege Oberrieden nicht eintreten dürfen, da sie nach kantonalem Verfahrensrecht nicht rechtsmittelbefugt sei.
Gleichentags stellten die Eltern W.________ bei der Schulrekurskommission ein Wiedererwägungsgesuch und reichten in der Sache selbst beim Bundesrat Beschwerde nach Art. 72 und 73 Abs. 1 lit. a Ziff. 2 VwVG ein.
C.- Mit Schreiben vom 24. Februar 2000 teilte das Bundesamt für Justiz den Eltern W.________ mit, dass es das Verwaltungsbeschwerdeverfahren bis zum Entscheid der Schulrekurskommission über das Wiedererwägungsgesuch sistieren würde.
Mit Verfügung vom 21. März 2000 setzte der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Kammer des Bundesgerichts das bundesgerichtliche Verfahren bis zum Entscheid der Schulrekurskommission über das Wiedererwägungsgesuch aus.
Am 27. März 2000 teilte das Bundesamt für Justiz mit, die Schulrekurskommission des Kantons Zürich sei mit Entscheid vom 20. März 2000 auf das Wiedererwägungsgesuch nicht eingetreten und das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesrat bleibe bis zum Entscheid des Bundesgerichts weiter sistiert.
Am 6. April 2000 nahm der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts das Verfahren wieder auf.
D.- Die Bezirksschulpflege verzichtet auf Vernehmlassung, da sie als Laienbehörde zur Frage der Rekurslegitimation der Schulpflege Oberrieden nichts Neues beitragen könne. Die Schulrekurskommission und die Schulpflege Oberrieden beantragen, die Beschwerde abzuweisen.
In ihrer Replik halten die Eltern W.________ an der Beschwerde vollumfänglich fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der angefochtene Entscheid der Schulrekurskommission ist kantonal letztinstanzlich (Art. 86 Abs. 1 OG), da er weder mit Rekurs an den Regierungsrat (§ 5 Abs. 2 des Unterrichtsgesetzes vom 23. Dezember 1859 [UG] i.V.m. § 19b Abs. 2 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 24. Mai 1959 [VRG]) noch mit Beschwerde ans Verwaltungsgericht (§ 42 VRG) angefochten werden kann. Nach konstanter Praxis und im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Justiz ist die umstrittene Legitimationsfrage vom Bundesgericht, nicht vom Bundesrat im zurzeit sistierten Verwaltungsbeschwerdeverfahren zu entscheiden; die Beschwerde ist somit unter dem Gesichtspunkt von Art. 84 Abs. 2 OG zulässig.
Allerdings stellt sich bei einem Eintreten auf die staatsrechtliche Beschwerde die Frage der kantonalen Letztinstanzlichkeit neu, da die Beschwerde ans kantonale Verwaltungsgericht nach § 42 VRG deshalb ausgeschlossen ist, weil die Verwaltungsbeschwerde an den Bundesrat offen steht. Ist die umstrittene Legitimationsfrage nicht vom Bundesrat, sondern vom Bundesgericht zu entscheiden, ist somit möglicherweise der kantonale Instanzenzug nicht ausgeschöpft. Allerdings bestehen ernsthafte Zweifel, ob das Verwaltungsgericht diese vom Bundesverfahrensrecht vorgegebene Spaltung des Rechtsweges nachvollziehen bzw. vorwegnehmen und auf eine solche Vorfrage zu einem Verfahren, für das es in der Hauptsache nicht zuständig ist, eintreten würde. Unter diesen Umständen kann daher vom Erfordernis der Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges abgesehen werden (BGE 125 I 394 E. 3; 120 Ia 194 E. 1d; 116 Ia 442 E. 1a).
Die Beschwerdeführerin ist durch die Gutheissung der Beschwerde der Schulpflege Oberrieden und die damit verbundene Verweigerung der Übernahme der Sonderschulungskosten in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen (Art. 88 OG), und sie ist befugt, die Verletzung von Art. 9 BV zu rügen (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist.
2.- a) Umstritten ist einzig, ob die Schulrekurskommission im angefochtenen Entscheid in Willkür verfallen ist, indem sie die Rekurslegitimation der Schulpflege Oberrieden anerkannte und dementsprechend auf deren Beschwerde eintrat.
Diese Frage wurde im kantonalen Verfahren von der Beschwerdeführerin nicht aufgeworfen, die entsprechende Rüge ist somit neu. Das steht dem Eintreten darauf unter dem Gesichtspunkt von Art. 86 Abs. 1 OG hier nicht entgegen. Die Legitimation der Schulpflege war von der Schulrekurskommission als Prozessvoraussetzung offensichtlich von Amtes wegen zu prüfen (Rechenschaftsbericht des Verwaltungsgerichts an den Kantonsrat 1998 Nr. 14 E. 2; Kölz/Bosshart/Röhl, Kommentar zum VRG des Kantons Zürich, 2. A. Zürich 1999, N. 29 zu § 21 mit Hinweis auf BGE 123 II 56 E. 2); unter dieser Voraussetzung sind nach der Praxis des Bundesgerichts Noven ausnahmsweise zulässig (BGE 99 Ia 113 E. 4a mit Hinweisen; vgl. auch BGE 119 Ia 88 E. 1a).
b) Willkürlich ist ein Entscheid, der mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
Dabei genügt es nicht, dass die Begründung unhaltbar ist, der Entscheid muss sich vielmehr im Ergebnis als willkürlich erweisen (BGE 125 I 166 E. 2a; 125 II 10 E. 3a; 129 E. 5b; 122 I 61 E. 3a je mit Hinweisen).
3.- a) In der Verwaltungsrechtspflege ist eine Behörde grundsätzlich nicht befugt, den Entscheid einer oberen Verwaltungsinstanz anzufechten, weil dies dem hierarchischen Organisationsprinzip der öffentlichen Verwaltung widersprechen würde. Dieser Grundsatz wird im Gemeinderecht wegen der körperschaftlichen Struktur der Gemeinden und deren Selbstverwaltungsrechten durchbrochen (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O.
N. 62 zu § 21). § 21 lit. b VRG bestimmt daher, dass "eine Gemeinde, eine andere Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts zur Wahrung der von ihr vertretenen schutzwürdigen Interessen" zum Rekurs berechtigt ist.
b) Nach der Praxis des Zürcher Verwaltungsgerichts ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn sich eine Gemeinde für die Durchsetzung und richtige Anwendung des kommunalen Rechts wehrt, wenn sie einen Eingriff in ihre qualifizierte Entscheidungs- oder Ermessensfreiheit oder einen Eingriff in ihr Verwaltungs- oder Finanzvermögen geltend macht, wenn sie wie eine Privatperson betroffen ist, wenn Interessen oder Aufgaben betroffen sind, welche die Gemeinde zu wahren hat, oder wenn sich eine Verfügung auf einen grossen Teil ihrer Einwohner auswirkt. Nicht befugt ist die Gemeinde hingegen, auf dem Rechtsmittelweg die richtige Anwendung kantonalen Rechts oder allgemeine öffentliche Interessen zu verfolgen (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O. N. 62 zu § 21).
c) Die Schulgemeinde Oberrieden ist eine selbständige öffentlich-rechtliche Körperschaft des kantonalen Rechts (Art. 89 der Gemeindeordnung der Politischen Gemeinde und der Schulgemeinde Oberrieden vom 26. November 1989, GO).
Als solche ist sie zum Rekurs berechtigt, wenn die Voraussetzungen gemäss der Praxis zu § 21 Abs. 1 lit. b VRG erfüllt sind. Die Schulpflege ist zuständig, für die Schulgemeinde Prozesse zu führen (Art. 106 Ziff. 7 GO).
d) Die von der Schulpflege Oberrieden und den kantonalen Rechtsmittelinstanzen zu behandelnden Fragen der Sonderschulung der Beschwerdeführerin und der Verteilung der daraus entstehenden Kosten werden überwiegend vom kantonalen Recht beherrscht, die Schulpflege Oberrieden wehrte sich mit
ihrem Rekurs somit nicht für die richtige Anwendung ihres kommunalen Rechts. Ein Eingriff in ihre qualifizierte Entscheidungs- oder Ermessensfreiheit stand nicht zur Diskussion, was sich ohne weiteres daraus ergibt, dass die kantonalen Rechtsmittelinstanzen die Rekurse nach § 20 VRG voll prüfen konnten und sie sich keinerlei Kognitionsbeschränkungen auferlegten. Zu Recht wird von keiner Seite geltend gemacht, der umstrittene Entscheid der Schulpflege würde sich auf einen grossen Teil der Gemeindebevölkerung auswirken, und die Sonderschulbedürftigkeit von Kindern ist im ganzen Kanton gleich, ohne Rücksicht auf kommunale Eigenheiten, zu beurteilen. Die Schulgemeinde war durch den ihre Schulpflege desavouierenden Rekursentscheid der Bezirksschulpflege in der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben und somit nicht wie eine Privatperson betroffen. Die Schulpflege, welche die Schulung der Beschwerdeführerin in einer öffentlichen Sonderklasse für angemessen hält, setzte sich gegen den Entscheid der Bezirksschulpflege zur Wehr, die Beschwerdeführerin könne nur in einer Sonderschule angemessen gefördert werden, weshalb die Schulgemeinde, die diese Sonderschulung nicht anbieten könne, die aus dem Besuch der privaten Sonderschule entstehenden, nicht anderweitig gedeckten Kosten zu tragen habe. Damit widersetzt sie sich der ihr von der Bezirksschulpflege auferlegten Art und Weise der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe - nämlich die Sonderschulung der Beschwerdeführerin - bzw. den daraus für die Schulgemeinde entstehenden finanziellen Konsequenzen. Dazu ist sie indessen nach der Zürcher Praxis, die sich an der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 103 lit. a OG (BGE 124 II 409 E. 1 e/bb S. 418; 123 II 425 E. 4) orientiert, nicht befugt (Kölz/Bosshart/Röhl, a.a.O. N. 63 i.V.m. N. 55 zu § 21).
Entgegen der in der Vernehmlassung vorgebrachten, nicht näher begründeten Auffassung der Schulrekurskommission vermögen nach dem Gesagten die finanziellen Konsequenzen, die der Schulgemeinde Oberrieden aus dem Rekursentscheid der Bezirksschulpflege erwachsen, für sich allein keine Rekursbefugnis der Schulpflege Oberrieden zu begründen. Weitere Gründe, worauf sich die Legitimation nach der Praxis des Verwaltungsgerichts stützen könnte, sind weder dargetan noch ersichtlich. Fehlen somit sachlich vertretbare Gründe für ein Eintreten, so ist die Schulrekurskommission in Willkür verfallen, indem sie auf den Rekurs der Schulpflege Oberrieden eintrat. Die Rüge ist begründet.
4.- Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Zürich der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen ( Art. 159 Abs. 1 und 2 OG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der Schulrekurskommission des Kantons Zürich vom 17. Januar 2000 aufgehoben.
2.- Es werden keine Kosten erhoben.
3.- Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Schulpflege Oberrieden, der Bezirksschulpflege Horgen und der Schulrekurskommission des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 29. September 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: