BGer 5C.154/2000 |
BGer 5C.154/2000 vom 02.10.2000 |
[AZA 0]
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5C.154/2000/min
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II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
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2. Oktober 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
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Bundesrichter Weyermann, Bundesrichter Bianchi,
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Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Merkli und Gerichtsschreiber Mazan.
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In Sachen
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K.H.________, Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwältin Hannelore Fuchs, Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen,
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gegen
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M.H.________, Beklagter und Berufungsbeklagter, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Heinz Mäusli, Pestalozzistrasse 2, 9000 St. Gallen,
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betreffend
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Ehescheidung, hat sich ergeben:
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A.-K.H.________ und M.H.________ heirateten am 23. September 1959 in X.________. Mit Klage vom 14. Mai 1994 verlangte K.H.________ (nachfolgend: Klägerin) die Trennung der Ehe, worauf M.H.________ (nachfolgend: Beklagter) widerklageweise die Scheidung beantragte. Mit Urteil vom 13. Februar 1995 sprach das Bezirksgericht St. Gallen die Trennung der Ehe auf unbestimmte Zeit aus, wies die Scheidungsklage ab und regelte die Nebenfolgen der Trennung. Dagegen führte der Beklagte Berufung ans Kantonsgericht St. Gallen, worauf das Kantonsgericht mit Urteil vom 5. November 1996 die Ehe der Parteien schied und die Nebenfolgen der Scheidung regelte.
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Eine von der Klägerin dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil vom 4. August 1997 gut, soweit darauf einzutreten war.
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B.-Mit Entscheid vom 29. Mai 2000 hiess das Kantonsgericht die Scheidungsklage des Beklagten erneut gut (Ziff. 1).
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Im Rahmen der Nebenfolgen wurde der Beklagte verpflichtet, der Klägerin bis Ende März 2003 je die Hälfte seiner Altersrente aus beruflicher Vorsorge und seiner AHV-Altersrente und ab April 2003 unbefristet die Hälfte seiner Altersrente aus beruflicher Vorsorge zu bezahlen (Ziff. 2). Ferner wurde der Beklagte verpflichtet, der Klägerin zur Abgeltung ihrer güterrechtlichen Ansprüche Fr. 27'000.-- zu bezahlen (Ziff. 3).
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C.-Mit Berufung vom 6. Juli 2000 beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, Ziff. 1 des angefochtenen Urteils aufzuheben und die Ehe gemäss aArt. 147 Abs. 1 ZGB auf unbestimmte Zeit zu trennen. Ferner beantragt sie die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Auf die Einholung von Rechtsantworten wurde verzichtet.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.-Erhebt eine Partei gleichzeitig staatsrechtliche Beschwerde und Berufung, so ist in der Regel zuerst über die staatsrechtliche Beschwerde zu befinden, und der Entscheid über die Berufung wird ausgesetzt (Art. 57 Abs. 5 OG). Von dieser Regel wird unter anderem dann abgewichen, wenn der Ausgang des Beschwerdeverfahrens ohne Einfluss auf das Berufungsverfahren ist (BGE 122 I 81 E. 1 S. 82 f. m.w.H.). Dies ist der Fall, wenn das Scheidungsverfahren dem neuen Scheidungsrecht untersteht und die Scheidungsklage gestützt auf nArt. 114 ZGB zufolge vierjährigen Getrenntlebens ohne weiteres gutzuheissen ist.
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2.-Ein erstes Scheidungsurteil der Vorinstanz hat das Bundesgericht mit Urteil vom 4. August 1997 aufgehoben. In der Folge hat das Kantonsgericht die Scheidung mit Urteil vom 29. Mai 2000 erneut ausgesprochen und zur Begründung ausgeführt, dass die Scheidungsklage sowohl nach bisherigem als auch nach neuem Scheidungsrecht gutzuheissen sei. Nach bisherigem Recht sei davon auszugehen, dass die Ehe der Parteien tief zerrüttet und das klägerische Verschulden nicht überwiegend sei, so dass die Scheidungsklage des Beklagten nach aArt. 142 ZGB gutzuheissen sei. Auch nach neuem Scheidungsrecht sei die Klage gestützt auf nArt. 114 ZGB gutzuheissen, weil die Parteien schon mehr als vier Jahre getrennt gelebt hätten. Für unzutreffend hält das Kantonsgericht den Einwand der Klägerin, dass das neue Scheidungsrecht übergangsrechtlich gar nicht anwendbar sei. Im Verfahren vor Bundesgericht macht die Klägerin unter anderem wiederum geltend, dass das neue Scheidungsrecht nicht anwendbar sei.
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a) Gemäss Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB findet das neue Recht auf Scheidungsprozesse Anwendung, die bei dessen Inkrafttreten rechtshängig und von einer kantonalen Instanz zu beurteilen sind. Da das angefochtene Scheidungsurteil am 29. Mai 2000 gefällt wurde und das Scheidungsverfahren beim Inkrafttreten des neuen Rechtes am 1. Januar 2000 somit bei einer kantonalen Instanz hängig war, hat die Vorinstanz insoweit zutreffend das neue Scheidungsrecht angewendet. Umstritten ist indessen, ob an der grundsätzlichen Anwendbarkeit des neuen Scheidungsrechtes der Umstand etwas ändert, dass das erste Scheidungsurteil des Kantonsgerichtes vom 5. November 1996 durch das Bundesgericht mit Urteil vom 4. August 1997 aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung zurückgewiesen wurde.
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b) Art. 7 Abs. 3 SchlTZGB bestimmt, dass das Bundesgericht nach bisherigem Recht entscheidet, wenn das angefochtene Urteil vor dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechtes ergangen ist (erste Satzhälfte), welche Regelung ausdrück-lich auch bei einer allfälligen Rückweisung an die kantonale Instanz gilt (zweite Satzhälfte). Bezüglich dieser Bestimmung sind zwei Fälle zu unterscheiden.
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aa) Entscheidet das Bundesgericht nach bisherigem Recht, weil der angefochtene Entscheid unter altem Recht ergangen ist, urteilt bei einer allfälligen Rückweisung auch die kantonale Instanz wiederum nach bisherigem Recht - dessen ungeachtet, dass der Entscheid nach dem Inkrafttreten des neuen Rechtes gefällt wird (Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 24 zu Art. 7b SchlTZGB; Audrey Leuba, Loi sur le divorce: Les dispositions transitoires, Plädoyer 4/99, S. 61 f.). Eine andere Lösung liefe darauf hinaus, dass ein Scheidungsprozess bisherigem Recht unterstünde, wenn das Bundesgericht ein Rechtsmittel abweist bzw. eine Berufung gutheisst und in der Sache selbst entscheidet, neuem Recht jedoch, wenn ein kantonales Urteil aufgehoben wird und von der Vorinstanz neu zu beurteilen ist.
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bb)Hat hingegen das Bundesgericht - wie vorliegend in seinem Rückweisungsurteil vom 4. August 1997 - nach "bisherigem" Recht entschieden, und zwar nicht weil dies übergangsrechtlich geboten gewesen wäre, sondern weil das Urteil vor Inkrafttreten des neuen Rechts erging, stand das Verfahren nach der Rückweisung wie jedes andere Verfahren unter der allgemeinen übergangsrechtlichen Regel von Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB. Da der Scheidungsprozess bei Inkrafttreten des neuen Rechtes noch rechtshängig und von einer kantonalen Instanz zu beurteilen war, fand auf ihn das neue Recht Anwendung.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus Art. 7b Abs. 3 zweite Satzhälfte SchlTZGB nicht abgeleitet werden, dass das Kantonsgericht St. Gallen zufolge der Rückweisung durch das Urteil des Bundesgerichtes vom 4. August 1997 nach bisherigem Recht hätte entscheiden müssen. Aus diesen Gründen hat die Vorinstanz zutreffend das neue Scheidungsrecht angewendet.
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3.-Vor diesem Hintergrund kann ohne weiteres festgehalten werden, dass das Kantonsgericht die Scheidungsklage zu Recht gutgeheissen hat.
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a) Gemäss nArt. 114 ZGB kann ein Ehegatte die Scheidung verlangen, wenn die Ehegatten beim Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage oder beim Wechsel zur Scheidung auf Klage mindestens vier Jahre getrennt gelebt haben. Das Bundesgericht hat unlängst in Einklang mit der praktisch einhelligen Lehrmeinung entschieden, dass beim Wechsel zum neuen Scheidungsrecht von einer vierjährigen Trennungszeit im Sinne von nArt. 114 ZGB nicht nur dann auszugehen ist, wenn die Trennung bei Rechtshängigkeit schon vier Jahre gedauert hat, sondern auch dann, wenn das Getrenntleben im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Scheidungsrechtes schon mehr als vier Jahre gedauert hat (zur Publikation bestimmtes Urteil des Bundesgerichtes vom 10. Juli 2000 i.S. Ehel. C.). Die Beklagte hat denn in der Berufung zu Recht auch nicht geltend gemacht, dass das Erfordernis des vierjährigen Getrenntlebens nicht erfüllt sei.
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b) Auf die weiteren Beanstandungen in der Berufung, ist nicht einzugehen, weil sie sich auf den Fall beziehen, dass das bisherige Scheidungsrecht anwendbar sein sollte. Die Regelung der Nebenfolgen der Scheidung durch die Vorinstanz wird in der Berufung nicht kritisiert, so dass darauf ebenfalls nicht einzugehen ist.
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c) Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berufung abzuweisen und der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 29. Mai 2000 zu bestätigen ist.
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4.-Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Klägerin kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Da auf die Einholung einer Berufungsantwort verzichtet wurde, entfällt eine Entschädigungspflicht.
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Die Klägerin hat für das Verfahren vor Bundesgericht um die unentgeltliche Rechtspflege nachgesucht. Gemäss Art. 152 Abs. 1 OG kann einer bedürftigen Partei, deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und nötigenfalls ein unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben werden. Dem Gesuch der Klägerin ist zu entsprechen, da ihr Begehren nicht als aussichtslos bezeichnet werden kann und da sie angesichts der Schwierigkeiten des Verfahrens und ihrer finanziellen Verhältnisse auf eine unentgeltliche Rechtsvertretung angewiesen ist.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.-Die Berufung wird abgewiesen, und der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 29. Mai 2000 wird bestätigt.
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2.-Dem Gesuch der Klägerin um unentgeltliche Rechtspflege wird entsprochen, und der Klägerin wird für das bundesgerichtliche Verfahren Rechtsanwältin Hannelore Fuchs als Rechtsbeiständin beigegeben.
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3.-Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird der Klägerin auferlegt, einstweilen jedoch auf die Bundesgerichtskasse genommen.
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4.-Der unentgeltlichen Rechtsbeiständin der Klägerin, Rechtsanwältin Hannelore Fuchs, wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- zugesprochen.
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5.-Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Kantonsgericht St. Gallen (II. Zivilkammer) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. Oktober 2000
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Im Namen der II. Zivilabteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Der Gerichtsschreiber:
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