BGer 1P.154/2000 |
BGer 1P.154/2000 vom 10.10.2000 |
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1P.154/2000/boh
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I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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10. Oktober 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
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I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
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Aeschlimann, Bundesrichter Favre und Gerichtsschreiber Sigg.
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In Sachen
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P.________, Beschwerdeführer,
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gegen
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Staatsanwaltschaft des Kantons B a s e l -Stadt, Appellationsgericht des Kantons Basel- Stadt, Ausschuss,
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betreffend
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Strafverfahren, hat sich ergeben:
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Das Strafgericht Basel-Stadt (Dreiergericht) sprach P.________ mit Urteil vom 5. November 1998 der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig und verurteilte ihn zu sieben Monaten Gefängnis, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs bei einer Probezeit von zwei Jahren. P.________ appellierte gegen dieses Urteil. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (Ausschuss) bestätigte das erstinstanzliche Urteil am 17. Dezember 1999 mit der Massgabe, dass die Schadenersatzforderung der Bank von Firma E.________ auf den Zivilweg verwiesen wurde. Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10. März 2000 stellt P.________ den Antrag, das Urteil des Appellationsgerichts sei aufzuheben. Das Appellationsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei; die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt verzichtet auf Vernehmlassung.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Nach Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann. Die Rüge, dass die angefochtene Entscheidung das Schweizerische Strafgesetzbuch verletze, kann gemäss Art. 269 Abs. 1 StGB mit der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts erhoben werden. Soweit ist eine staatsrechtliche Beschwerde nicht zulässig.
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b) Das Appellationsgericht verweist im Wesentlichen auf die Ausführungen des Strafgerichts. Dieses stellte in seinem Urteil vom 5. November 1998 fest, der Beschwerdeführer sei Protektor des "X.________", eines Trusts nach liechtensteinischem Recht, gewesen und habe in dieser Funktion gegenüber Banken, welche dem Trust Kredite gewährt haben, schriftlich erklärt, im Besitz bestimmter Aktienpakete zu sein, ohne dass er die Aktien besessen oder auch nur je gesehen hätte; ausserdem habe er in einer weiteren Erklärung zuhanden eines Kreditgebers nicht alle Verpflichtungen des Trusts erwähnt. Den vom Protektor eines Trusts abgegebenen schriftlichen Erklärungen komme eine erhöhte Glaubwürdigkeit zu, weshalb es sich bei solchen Erklärungen um Urkunden im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 StGB handle.
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c) Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst, dass er bei der Abgabe der umstrittenen Erklärungen den Banken gegenüber als Garant aufgetreten sei. Das Wort "Protektor" komme in den Erklärungen nicht vor.
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d) In Art. 251 Ziff. 1 StGB wird das Wort "Urkunde" verwendet, und der Tatbestand ist - wie das Strafgericht festgestellt hat - nur dann erfüllt, wenn eine Urkunde im Sinne dieser Bestimmung des Strafgesetzbuches gefälscht, verfälscht oder zur Täuschung gebraucht worden ist. Art. 110 Ziff. 5 StGB enthält eine für das Strafgesetzbuch massgebende Definition des Ausdruckes "Urkunde". Bei der Frage, ob ein bestimmtes Schriftstück unter den Begriff der Urkunde im Sinne von Art. 110 Ziff. 5 StGB oder Art. 251 Ziff. 1 StGB fällt, handelt es sich demnach um eine Frage der Auslegung und Anwendung des eidgenössischen Strafrechts. Die Rüge, ein bestimmtes Schriftstück sei zu Unrecht als Urkunde im Sinne des Strafgesetzbuches qualifiziert worden, kann deshalb mit der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts erhoben werden. In einer staatsrechtlichen Beschwerde ist die Rüge unzulässig. Auf die Rüge des Beschwerdeführers, die kantonalen Gerichte hätten ihn zu Unrecht als Garanten für die Wahrheit seiner Erklärungen betrachtet, ist daher nicht einzutreten.
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2.- a) Zulässig ist hingegen die Rüge des Beschwerdeführers, die kantonalen Gerichte hätten den Grundsatz "in dubio pro reo" gemäss Art. 4 der alten Bundesverfassung (aBV; vgl. Art. 32 Abs. 1 der neuen Bundesverfassung, BV) und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verletzt. Eine im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde auf Willkür hin zu überprüfende Tatfrage ist, was der Täter wusste, wollte oder womit er einverstanden war; eine im Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof des Bundesgerichts zu prüfende Rechtsfrage ist hingegen, ob die von der kantonalen Instanz festgestellten Tatsachen den Schluss auf Eventualvorsatz rechtfertigen (BGE 125 IV 49 E. 2d, 242 E. 3c; 120 IV 287 E. 1a; 119 IV 1 E. 5, 242 E. 2c, 266 E. 4).
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b) Der Beschwerdeführer wirft den kantonalen Gerichten in diesem Zusammenhang vor, sie hätten allein aus der Tatsache, dass er falsche Erklärungen abgegeben habe, auf einen Vorsatz, auf eine Schädigungsabsicht und auf eine Vorteilsabsicht geschlossen, ohne auf seine subjektiven Beweggründe einzugehen. Insbesondere dürfe ihm kein Eventualvorsatz in Bezug auf einen unrechtmässigen Vorteil zugunsten von A.________ vorgeworfen werden, denn er habe bloss fahrlässig die nötige Vorsicht ausser Acht gelassen. Die kantonalen Gerichte hätten in dieser Hinsicht die Beweislast umgekehrt und von ihm verlangt, seine Unschuld zu beweisen.
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c) Der Grundsatz "in dubio pro reo" nach Art. 4 aBV (bzw. Art. 32 Abs. 1 BV) besagt als Beweiswürdigungsregel, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, das heisst um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Solche Fälle, in denen der Richter seinen Schuldspruch ausdrücklich auf die Erwägung stützt, der Angeklagte habe seine Schuldlosigkeit nicht bewiesen, kommen in der Praxis nur selten vor. Der Satz "in dubio pro reo" ist aber auch dann verletzt, wenn sich aus der Begründung des Urteils ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang (BGE 120 Ia 31 E. 2c; siehe auch BGE 124 I 327 E. 3b S. 331).
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Nach der Praxis ist eine Beweiswürdigung nicht schon dann willkürlich, wenn vom Sachrichter gezogene Schlüsse nicht mit der Darstellung des Beschwerdeführers übereinstimmen. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen offensichtlich falsch sind oder auf einem offenbaren Versehen beruhen, wenn sie mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, wenn sie sich in entscheidende Widersprüche verwickeln, oder wenn Feststellungen ohne jede Beweisgrundlage getroffen werden (BGE 118 Ia 28 E. 1d; 116 Ia 85 E. 2b; 113 Ia 19 E. 3a, je mit Hinweisen). Willkürlich ist auch eine Beweiswürdigung, welche einseitig einzelne Beweise berücksichtigt (BGE 118 Ia 30 E. 1b, mit Hinweis). Die Rügen des Beschwerdeführers können nur unter diesem eingeschränkten Gesichtspunkt geprüft werden.
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Trifft das kantonale Gericht Feststellungen ohne jede Beweisgrundlage, so läuft dies auf dasselbe hinaus, wie wenn das Gericht dem Angeklagten den Beweis seiner Unschuld zugeschoben hätte. In diesem Fall ist der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht nur als Beweiswürdigungsregel verletzt, sondern auch als Beweislastregel.
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d) Sowohl das Strafgericht als auch das Appellationsgericht halten in ihren Urteilen fest, dass der Tatbestand der Urkundenfälschung nach Art. 251 Ziff. 1 StGB nur dann erfüllt ist, wenn der Täter in der besonderen Absicht handelt, jemanden am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Beide Gerichte führen aus, beim Beschwerdeführer sei sowohl eine Schädigungsabsicht (gegenüber den Banken, die Kredite gewährt haben) als auch die Absicht vorhanden gewesen, A.________ einen unrechtmässigen Vorteil (Kredite ohne Sicherheitsleistung) zu verschaffen. Im Urteil des Appellationsgerichts finden sich zur Begründung dieses Vorwurfs folgende Stellen (S. 4 und 5 des angefochtenen Urteils):
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"dass es zur Vollendung des Delikts nicht des Gebrauchs
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der unechten bzw. falschen Urkunde und
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schon gar nicht der Schädigung eines andern oder
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der Erlangung eines Vorteils bedarf, sondern ausreicht,
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dass dies beabsichtigt wird (Stratenwerth,
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Schweizerisches Strafrecht BT II, 4. A., Bern 1995,
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§ 36 N 21; BGE 114 IV 126, 127), "
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"dass die Vorinstanz auch die Erfüllung des subjektiven
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Tatbestands zu Recht bejaht hat, da der Appellant
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die von ihm verschwiegenen Verbindlichkeiten
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und die vom Trust zugunsten von A.________ eingegangenen
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Verpfändungen, die er unterzeichnet hatte,
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kannte und beabsichtigte, entweder A.________
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oder der Firma T.________ einen unrechtmässigen
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Vorteil zu verschaffen (Urteil Vorinstanz S. 20), "
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Das Strafgericht, auf dessen Urteil das Appellationsgericht verweist, führt im gleichen Zusammenhang Folgendes aus (S. 15 und 20 des Urteils vom 5. November 1998):
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"P.________ gab in den vorliegenden Fällen vorsätzlich
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falsche Erklärungen ab. Insofern entscheidend
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war ausschliesslich der Umstand, dass sich weder
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Aktien noch Zertifikate in seinem Besitz befanden.
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Ausserdem sind kumulativ Schädigungs- und Vorteilsabsicht
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zu bejahen. Der Angeklagte war sich bewusst,
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dass Firma G.________ eine Kreditforderung
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erwarb, deren Sicherung nicht gewährleistet war.
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Die Kreditforderung der Bank erlitt dadurch eine
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Werteinbusse, die als direkter Schaden zu werten
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ist (vgl. Markus Boog, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts
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zum Begriff des Vermögensschadens beim
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Betrug, Basel/Frankfurt 1991, S. 31). Anderseits
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umfasst der unrechtmässige Vorteil jede Besserstellung.
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In diesem Sinne ist der Vorteil des Trusts
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bzw. von A.________, liquide Mittel ohne die geforderte
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Sicherheitsleistung zu erhalten, unrechtmässig.
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Darüber war sich der Angeklagte völlig im
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klaren.. "
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"Erfüllt sind ferner die subjektiven Tatbestandselemente.
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Der Angeklagte hat vorsätzlich gehandelt:
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kannte er doch die von ihm - wider besseres Wissen
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- verschwiegenen Verbindlichkeiten und vom
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Trust zugunsten von A.________ eingegangenen Verpfändungen,
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die er unterzeichnet hatte (vgl. Liste
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AS, pag. 3). Im weiteren zu bejahen ist die Eventualabsicht,
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entweder A.________ oder Firma
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T.________ einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen
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(s.o. S. 18): denn für andere Kreditnehmer
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hat der Trust bisher keine Sicherheiten zur Verfügung
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gestellt.. "
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In allen vier Erwägungen wird ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in den umstrittenen Erklärungen vorsätzlich die Unwahrheit geschrieben hat. Hingegen findet sich an keiner Stelle irgendeine Begründung dafür, dass er damit jemanden schädigen oder jemandem einen unrechtmässigen Vorteil verschaffen wollte, und sei es auch nur eventualvorsätzlich.
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Vielmehr beschränken sich beide kantonalen Gerichte auf die nicht weiter begründeten Feststellungen, der Beschwerdeführer "beabsichtigte, entweder A.________ oder der Firma T.________ einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen" (Urteil des Appellationsgerichts S. 5), darüber sei er sich "völlig im klaren" gewesen (Urteil des Strafgerichts S. 15), und "zu bejahen ist die Eventualabsicht, entweder A.________ oder Firma T.________ einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen" (Urteil des Strafgerichts S. 20). Für diese Feststellungen fehlt jede Beweisgrundlage, und in beiden Urteilen findet sich kein Hinweis auf irgendein Beweismittel oder auch nur auf ein Indiz für die dem Beschwerdeführer vorgeworfene Absicht (oder zumindest Eventualabsicht), die Kreditgeber zu schädigen und den Kreditnehmern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen. Die kantonalen Gerichte haben ihre Feststellung des Sachverhalts nicht mit Beweisen begründet, sondern sich mit der apodiktischen Behauptung begnügt, der Beschwerdeführer habe alle objektiven und subjektiven Elemente des Tatbestandes von Art. 251 Ziff. 1 StGB erfüllt. Sie haben in einem für den Schuldspruch wesentlichen Punkt den massgeblichen Sachverhalt festgestellt, ohne sich auf einen Beweis zu stützen. Damit haben sie gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" verstossen. Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich in dieser Hinsicht als begründet.
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3.- Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das angefochtene Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 17. Dezember 1999 ist aufzuheben.
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Dem unterliegenden Kanton Basel-Stadt ist keine Gerichtsgebühr aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 2 OG). Dem Beschwerdeführer ist trotz seines Obsiegens keine Parteientschädigung zuzusprechen, da er sich im bundesgerichtlichen Verfahren nicht vertreten liess und deshalb durch die Notwendigkeit, eine staatsrechtliche Beschwerde einzureichen, keinen wesentlichen Schaden erlitten hat (Art. 159 Abs. 2 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das angefochtene Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 17. Dezember 1999 wird aufgehoben.
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2.- Es werden keine Kosten erhoben.
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3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.
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______________
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Lausanne, 10. Oktober 2000
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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