[AZA 7]
U 16/00 Gr
II. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari; Gerichtsschreiber Fessler
Urteil vom 13. Oktober 2000
in Sachen
E.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Martin Hablützel, Lutherstrasse 4, Zürich,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, Beschwerdegegnerin,
und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
A.- Die 1968 geborene E.________ arbeitete seit 1. Juni 1992 in der Qualitätskontrolle der Firma X.________ AG, Hochfelden, einem der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unterstellten Betrieb. Am 21. März 1994 erlitt sie als Beifahrerin eines Personenwagens einen Verkehrsunfall. Die erstbehandelnden Ärzte des Universitätsspitals Zürich, Departement Chirurgie, stellten die Diagnose einer Commotio Cerebra sowie einer Rissquetschwunde am rechten Augenlid. Der Hausarzt Dr. med. H.________, Allgemeine Medizin FMH, Oberglatt, erwähnte in seinem Bericht vom 24. Mai 1994 an die zuständige Kreisagentur Winterthur der SUVA, es bestünden «weiterhin starke Kopfschmerzen, teils mit Übelkeit», welche mit Analgetika behandelt würden. Am 6. Juni 1994 nahm die Versicherte ihre Arbeit im Umfang eines hälftigen Arbeitspensums wieder auf, und ab 23. des Monats arbeitete sie wieder vollzeitlich.
Nach einer ersten neurologischen Konsultation am 7. Juni 1994 (Dr. med. L.________, Zürich) wurde E.________ am 11. November 1994 in der Neurologischen Klinik und Poliklinik des Universitätsspitals Zürich untersucht. Die Beurteilung lautete: «Posttraumatische Spannungstyp Kopfschmerzen mit Analgetika-Uebergebrauch» (Bericht vom 13. Dezember 1994). Der Kreisarzt Dr. med. C.________, Chirurgie FMH, äusserte sich nach dem Untersuch vom 19. Juli 1995 dahingehend, es sei bisher keine sichere Ursache für die chronischen Kopfschmerzen gefunden worden und gemäss Familienanamnese leide die Mutter an Migräne. Im Moment stehe ein Analgetikaabusus von beträchtlichem Ausmass im Raum und eine Reduktion oder völlige Aufhebung des Gebrauchs von Medikamenten sei wichtig.
Am 11. Dezember 1996 teilte E.________ der Kreisagentur Winterthur mit, sie sei seit dem 1. Oktober zu 50 % und seit 5. November vollständig arbeitsunfähig geschrieben. Gemäss Dr. med. Z.________, Neurologie FMH, Zürich, welcher sie am 12. November 1996 untersucht hatte, bestanden neben cervico-cephalen Kopfschmerzen «in letzter Zeit auch Migraine-accompagnée-Attacken» mit Skotomen (Gesichtsfeldausfälle). Eine vom Kreisarzt veranlasste ophthalmologische Abklärung ergab einen unauffälligen Augenstatus. Im Januar 1997 begab sich die Versicherte bei Dr. med. L.________ in psychiatrische Behandlung.
Am 3. März und 1. September 1997 wurde E.________ konsiliarisch von Prof. Dr. med. M.________, Spezialarzt FMH für Neurologie, Zürich, und am 26. November 1997 in der Neurologischen Klinik des Universitätsspitals Zürich durch Dr. med. I.________, Leiter Abteilung für Kopfweh und Schmerz, untersucht. Aufgrund der Stellungnahme des Dr. med. C.________, Spezialarzt FMH für Chirurgie, von der Abteilung Unfallmedizin der SUVA vom 16. März 1998 zu der von den neurologischen Fachärzten bejahten Unfallbedingtheit der ophthalmischen Migräne bestätigte die Kreisagentur Winterthur mit Verfügung vom 24. März 1998 die bereits am 11. Februar 1997 mitgeteilte Einstellung der Heilkosten- und Taggeldleistungen auf den 3. Februar 1997. Daran hielt die SUVA mit Einspracheentscheid vom 20. Mai 1998 fest.
B.- E.________ liess beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde einreichen und zur Hauptsache beantragen, es seien «die ihr zustehenden gesetzlichen Leistungen rückwirkend ab 3. Februar 1997 auszubezahlen». Zur Stützung ihres Begehrens liess sie in einer späteren Eingabe einen weiteren Bericht des Prof. Dr. med. M.________ vom 10. November 1998 nachreichen. Beschwerde mit dem sinngemäss selben Hauptantrag erhob auch der Krankenversicherer von E.________, die CSS Versicherung.
Nach Vernehmlassung der SUVA und zweitem Schriftenwechsel holte das angerufene Gericht bei Prof. Dr. med. M.________ eine ergänzende Stellungnahme zur Frage der Unfallkausalität der Migräne ein. Die Parteien äusserten sich zum gutachtlichen Bericht vom 31. Juli 1999, die SUVA unter Hinweis auf die «Ärztliche Beurteilung» des Dr. med. Bär vom 4. Oktober 1999.
Mit Entscheid vom 10. November 1999 wies das kantonale Sozialversicherungsgericht die Beschwerden ab.
C.- E.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und zur Hauptsache beantragen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und ihr «die gesetzlichen Leistungen aus der obligatorischen Unfallversicherung zu gewähren», insbesondere die SUVA «zu verpflichten, sämtliche Heilkosten- und Taggeldleistungen rückwirkend per 3. Februar 1997 zu übernehmen bzw. ausrichten».
Die SUVA verzichtet in ihrer Stellungnahme auf weiter gehende Ausführungen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, desgleichen die als Mitinteressierte beigeladene CSS Versicherung. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.
D.- Nach Abschluss des Schriftenwechsels hat der Rechtsvertreter von E.________ weitere medizinische Unterlagen eingereicht.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Zentrale Frage im Hinblick auf die Streitgegenstand bildende Leistungspflicht der SUVA für die Zeit nach dem 2. Februar 1997 (vgl. BGE 125 V 416 Erw. 2c) ist, ob die ophthalmische Migräne in (teil-)ursächlichem Zusammenhang mit dem Unfall vom 21. März 1994 steht. Soweit die Rechtsbegehren in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde über dieses Prozessthema hinaus gehen, es betrifft dies namentlich die sinngemäss beantragte Zusprechung von Leistungen, kann darauf mangels eines Anfechtungsgegenstandes nicht eingetreten werden (BGE 125 V 414 Erw. 1a mit Hinweisen).
2.- Im angefochtenen Entscheid werden der Begriff des natürlichen Kausalzusammenhanges zwischen Unfall, Gesundheitsschaden und gesundheitlich bedingten Einschränkungen der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit als einer Voraussetzung der Leistungspflicht des Unfallversicherers sowie die Beweiswürdigungsregeln bei ärztlichen Berichten zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass nach der Praxis bei Gerichtsgutachten nicht ohne zwingende Gründe von der Einschätzung des medizinischen Experten abgewichen werden soll. Nicht auf dessen Beurteilung abzustellen, rechtfertigt sich grundsätzlich nur, wenn sie widersprüchlich ist oder wenn Meinungsäusserungen anderer Spezialisten dem Richter als triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gerichtsgutachtens in Frage zu stellen (BGE 125 V 352 f. Erw. 3b/aa mit Hinweisen; RKUV 2000 Nr. U 377 S. 185 f. Erw. 4a).
3.- Prof. Dr. med. M.________ hat in seiner ausführlichen Stellungnahme vom 31. Juli 1999 zuhanden des kantonalen Gerichts die Unfallkausalität der unbestrittenen ophthalmischen Migräne im Sinne überwiegender Wahrscheinlichkeit bejaht. Der neurologische Experte führt zur Begründung im Wesentlichen an, die ersten typischen Migräne-Attacken seien anamnestisch zwar erst mit einer Latenz von wohl mehr als einem halben Jahr nach dem Unfall vom 21. März 1994 aufgetreten. Dies sei mit Blick auf die Fachliteratur, wo in diesem Zusammenhang immer wieder von Stunden bis wenigen Tagen die Rede sei, unüblich. Für Fälle wie den vorliegenden existierten in der Literatur nur unbefriedigende Angaben. Indessen dürfe auch bei einem längeren Zeitintervall zwischen Trauma und erstmaligem Auftreten der typischen Migräne-Symptomatologie unter bestimmten, im konkreten Fall gegebenen Voraussetzungen von einer posttraumatischen Ursache der Migräne ausgegangen werden, nämlich:
«1. Vor dem Trauma darf keine Migräne (...) vorhanden gewesen
sein.
2. Es muss tatsächlich ein Schädeltrauma stattgefunden
haben.
3. Im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an das Trauma
muss ein (unter Umständen nicht migräneartiges) Kopfweh,
welches als posttraumatisches Kopfweh klassifiziert
werden kann, vorhanden gewesen sein.
4. Der Übergang von diffusem, als Spannungstypkopfschmerz
zu etikettierendem Kopfweh in eine echte Migräne beziehungsweise
das Aufpfropfen von echten Migräne-Attacken
auf ein vorgängig nicht migränetypisches Kopfweh muss
aus der ärztlichen Erfahrung und aus der Literatur heraus
bekannt sein.»
Zur letzten Voraussetzung im Besonderen führt der Experte aus, es entspreche der Erfahrung eines jeden Kopfwehspezialisten, dass beispielsweise spätere typische Migränen in der initialen Präsentation (im Kindes- oder Jugendalter) ein durchaus diffuses Kopfweh darstellten und erst später daraus sich eine echte Migräne entwickelte oder zu diesem eine echte Migräne hinzukomme. Es sei nicht einzusehen, warum nicht auch ein posttraumatisch ausgelöstes, initial diffuses Kopfweh nicht die gleiche Entwicklung wie spontane Kopfschmerzen nehmen und somit ein anfänglich diffuses und uncharakteristisches posttraumatisches Kopfweh durch eine zusätzliche Migräne erweitert werden könnte. Hiezu sei zu sagen, dass nach eigener, in der medizinischen Literatur bestätigter Erfahrung gelegentlich posttraumatische Kopfschmerzen durch migränetypische Episoden erweitert wurden.
4.- a) Wie auch die Vorinstanz richtig festhält, ist das neurologische Gutachten vom 31. Juli 1999 sorgfältig und verständlich abgefasst. Der Experte, welcher die Beschwerdeführerin dreimal persönlich befragt und untersucht hat, legt die für die Kausalitätsbeurteilung massgebenden medizinischen Gesichtspunkte dar, und die seiner Meinung nach daraus sich ergebenden Schlussfolgerungen sind nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Eine den natürlichen Kausalzusammenhang zwischen der ophthalmischen Migräne und dem Unfall vom 21. März 1994 verneinende Aussage eines anderen neurologischen Facharztes steht nicht im Raum. Der SUVA-eigene Arzt Dr. med. B.________, welcher zu den verschiedenen Berichten des Prof. Dr. med. M.________ Stellung genommen hat, bezeichnet sich in seiner Beurteilung vom 4. Oktober 1999 selber denn auch als neurologisch fachfremden Arzt.
b) Bei dieser Aktenlage erscheint es im Lichte der Rechtsprechung zum Beweiswert von Gerichtsgutachten (vgl. Erw. 2) in grundsätzlich Hinsicht fraglich, wenn das kantonale Gericht, weil es von den Schlussfolgerungen des Experten zu wenig oder überhaupt nicht überzeugt ist, auf der Basis der gleichen medizinischen Unterlagen davon abweicht. Die vorinstanzliche Begründung hiefür besteht und erschöpft sich denn auch weitgehend darin darzutun, dass auch andere Ursachen als der Unfall vom 21. März 1994 für die Migräne in Betracht fallen können. Dies kann indessen nicht genügen, um den vom Gutachter als überwiegend wahrscheinlich bezeichneten natürlichen Kausalzusammenhang als blosse Möglichkeit erscheinen zu lassen, zumal wenn (und soweit) der Experte auch begründet, weshalb er eine aus medizinischer Sicht in Frage kommende Erklärung für die Entstehung des Gesundheitsschadens aufgrund seiner Erfahrung und der Fachliteratur für plausibler hält als eine andere.
aa) So kann aus der Tatsache, dass die Mutter der 1968 geborenen Beschwerdeführerin an Migräne leidet und auch der einzige Bruder gelegentlich Kopfschmerzen hat, nicht gefolgert werden, die Versicherte wäre rein veranlagungsbedingt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch ohne das Unfallereignis spätestens Anfang 1997 an Migräne erkrankt, zumal es gemäss Gutachter eher ungewöhnlich ist, dass eine anlagemässige Migräne nach dem zweiten Lebensjahrzehnt auftritt. Die vom Experten in diesem Zusammenhang genannte statistische Zahl von rund 25 % bestätigt diesen Sachverhalt. Allerdings ist diese Angabe insofern zu wenig aussagekräftig, als sie nicht nach der Ursache differenziert und auch nicht danach, ob der Erkrankung zunächst ein diffuser (Spannungstyp)Kopfschmerz voranging. Was sodann den erstmals im Bericht der Neurologischen Klinik des Universitätsspital Zürich vom 13. Dezember 1994 erwähnten MedikamentenÜberkonsum anbetrifft, scheidet nach zutreffender Feststellung der Vorinstanz die Migräne als Ursache hiefür ohne weiteres aus. Anderseits kann gemäss Gutachten die übermässige Einnahme von Analgetika zwar zu diffusem Spannungskopfweh führen, nicht aber eine Migräne verursachen.
bb) Von den Argumenten der Vorinstanz gegen den Kausalzusammenhang zwischen der Migräne und dem Unfall vom 21. März 1994 das Gewichtigste ist die auch vom Gerichtsexperten als unüblich bezeichnete lange Latenzzeit von mehr als einem halben Jahr bezogen auf die ersten Anzeichen für eine Modifikation der initialen diffusen Kopfschmerzen - «migraine-accompagnée-Attacken» werden erstmals im Bericht des Dr. med. Z.________ vom 29. November 1996 erwähnt. Daraus lässt sich indessen auch unter Berücksichtigung der erwähnten, im Übrigen nicht näher umschriebenen Veranlagung, an Migräne zu erkranken, nicht auf die blosse Möglichkeit des Zusammenhanges schliessen, was für die Begründung der Leistungspflicht des Unfallversicherers nicht genügte (vgl. BGE 119 V 338 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen), zumal hier nicht eine direkte Verursachung dieser Schmerzkrankheit zur Diskussion steht. Vielmehr geht es um eine gemäss Fragenkatalog an den Experten vom 1. Juni 1999 «sekundäre Modifikation ursprünglich posttraumatischer chronischer Kopfschmerzen in eine Migräne». Allerdings und gerade auch mit Blick darauf, dass es zu dieser Frage offenbar keine aussagekräftigen statistischen Daten gibt, kann nicht ohne weiteres auf die für die Beurteilung der Kausalitätsfrage entscheidende Aussage im Gutachten abgestellt werden, es spreche nichts dagegen, die empirische Tatsache, dass sich aus einem diffusen Kopfweh im Kindes- oder Jugendalter später eine echte Migräne entwickeln oder eine solche hinzutreten kann, auch auf Fälle wie den vorliegenden zu übertragen. Vielmehr ist zur Klärung der Frage, ob eine Kopfverletzung, wie sie die Beschwerdeführerin beim Unfall vom 21. März 1994 erlitten hat, und gegebenenfalls unter welchen Bedingungen eine Migräne in der im Gutachten vom 31. Juli 1999 beschriebenen Weise verursachen kann, eine zweite fachärztliche Meinungsäusserung einzuholen. Zu diesem Zwecke ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dass von einer solchen Massnahme keine verwertbaren Erkenntnisse zu erwarten sind, kann entgegen kantonalem Gericht aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht gesagt werden, und zwar umso weniger, als es in diesem Zusammenhang auch an Präjudizien fehlt. Bei ihrem neuen Entscheid wird die Vorinstanz im Übrigen nochmals zu prüfen haben, inwiefern psychische Unfallfolgen bestehen.
5.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG).
Dem Prozessausgang entsprechend steht der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
soweit darauf einzutreten ist, wird der
Entscheid vom 10. November 1999 aufgehoben und die
Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich zurückgewiesen, damit es, nach weiteren Beweismassnahmen
im Sinne der Erwägungen, über die Leistungspflicht
der SUVA ab 3. Februar 1997 entscheide.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Die SUVA hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer)
zu bezahlen.
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich, der CSS Versicherung
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 13. Oktober 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: