BGer C 126/1999 |
BGer C 126/1999 vom 18.10.2000 |
[AZA 0]
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C 126/99 Ws
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II. Kammer
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Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari;
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Gerichtsschreiberin Hofer
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Urteil vom 18. Oktober 2000
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in Sachen
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Staatssekretariat für Wirtschaft, Bundesgasse 8, Bern,
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Beschwerdeführer,
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gegen
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1. Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abteilung Arbeitsmarkt, Laupenstrasse 22, Bern,
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2.F.________, Beschwerdegegner,
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und
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Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
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A.- Die 1967 geborene, aus dem ehemaligen Jugoslawien stammende F.________ reiste im Jahre 1993 in die Schweiz ein. Vom Kanton Bern erhielt sie eine befristete Aufenthaltsbewilligung (Ausländerausweis B) mit dem Aufenthaltszweck "Verbleib beim Ehemann". Seither widmete sie sich der Erziehung der 1989, 1990 und 1994 geborenen Kinder, ohne daneben einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Am 24. Februar 1998 meldete sich F.________ bei der Arbeitslosenversicherung an und erfüllte ab 1. Juli 1998 die Kontrollpflicht. Die Arbeitslosenkasse Bern unterbreitete die Sache dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA) zum Entscheid über die Anspruchsberechtigung. Mit Verfügung vom 1. September 1998 bejahte dieses den grundsätzlichen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung ab 1. Juli 1998.
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B.- Das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (ab 1. Juli 1999 Staatssekretariat für Wirtschaft, nachfolgend seco) erhob Beschwerde mit dem Antrag, es sei infolge fehlender Arbeitsberechtigung während der Dauer der Kindererziehung und im Zeitpunkt der Anspruchstellung die Zusprechung von Arbeitslosenentschädigung zu verneinen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die Beschwerde mit Entscheid vom 30. März 1999 ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das seco, es sei F.________ für die Zeit ab 1. Juli 1998 die Anspruchsberechtigung wegen fehlender Vermittlungsfähigkeit abzusprechen.
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Das KIGA verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die zum Verfahren beigeladene F.________ hat sich nicht vernehmen lassen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Im angefochtenen Entscheid sind die Bestimmungen zur für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung unter anderem vorausgesetzten Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f und Art. 15 Abs. 1 AVIG) zutreffend wiedergegeben. Ebenfalls beizupflichten ist den Ausführungen über den Zugang von im Familiennachzug in die Schweiz eingereisten Ausländern ohne Niederlassungsbewilligung zum Arbeitsmarkt (Art. 7 Abs. 1, 3 und 5bis, Art. 42 f. BVO).
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2.- a) Das kantonale Gericht hat erwogen, es seien keine Gründe ersichtlich, bezüglich der Frage der Arbeitsberechtigung nicht auf die Auskunft des KIGA - welches auch zuständige Arbeitsmarktbehörde gemäss BVO ist - abzustellen, wonach der Versicherten unter bestimmten Voraussetzungen eine Arbeitsbewilligung erteilt werden könne, wenn sie ein konkretes Arbeitsverhältnis nachweise. Die Vermittlungsfähigkeit könne daher nicht mangels Berechtigung, eine Arbeit anzunehmen, abgesprochen werden. Auch könne der Sachverhalt nicht mit dem in ARV 1998 Nr. 45 S. 255 publizierten Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 11. Mai 1998 verglichen werden.
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b) Das seco stellt sich demgegenüber auf den Standpunkt, ausländische Staatsangehörige, welche sich im Rahmen des Familiennachzugs mit dem Aufenthaltszweck "Verbleib beim Ehegatten" in der Schweiz aufhielten, könnten arbeitslosenversicherungsrechtlich nicht bereits deshalb als vermittlungsfähig qualifiziert werden, weil sie mit der Erteilung einer ausländerrechtlichen Arbeitsberechtigung rechnen könnten. Um trotz fehlender gültiger Arbeitsberechtigung die Vermittlungsfähigkeit bejahen zu können, müssten neben dem Vorliegen des individuell-konkret zu prüfenden Elements des "mit einer Bewilligung rechnen können" besonders qualifizierende Umstände hinzutreten (z.B. rechtzeitige Einreichung eines Verlängerungsgesuches, Ehepartner von schweizerischen Staatsbürgern, Asylanten und Flüchtlinge und deren Ehegatten oder Personen im Besitze einer Niederlassungsbewilligung).
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3.- a) Zu unterscheiden sind ausländische Staatsangehörige, die mit der Absicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit einreisen möchten und über keine familiären Beziehungen zur Schweiz verfügen, von solchen, die sich auf Grund eines besonderen Aufenthaltstitels in der Schweiz aufhalten, und Arbeit suchen. Personen, welche sich im Rahmen des Familiennachzugs in der Schweiz aufhalten, unterliegen nicht einem generellen Arbeitsverbot. Bei der Aufnahme einer erstmaligen Erwerbstätigkeit unterstehen sie dem Vorrang der einheimischen Arbeitskräfte, nicht aber jenem der stellensuchenden Ausländer (Art. 7 Abs. 5bis BVO). Die Vermittlungsfähigkeit beurteilt sich prospektiv, d.h. von jenem Zeitpunkt aus und auf Grund der tatsächlichen Verhältnisse, wie sie bei Erlass der angefochtenen Verfügung bestanden hatten (BGE 120 V 387 Erw. 2 mit Hinweisen). Die Bewilligungspraxis der Arbeitsmarktbehörde wird durch die Arbeitsmarktlage bestimmt, wobei den zuständigen kantonalen Behörden bei der Bewilligung von Arbeitsberechtigungen ein weiter Ermessensspielraum zukommt. Somit kann nicht zum Vornherein festgelegt werden, ob ein im Familiennachzug in die Schweiz eingereister Ausländer eine gefundene Stelle antreten darf. Es muss daher arbeitslosenversicherungsrechtlich genügen, wenn gestützt auf eine konkrete Auskunft der zuständigen Behörde (Art. 42 f. BVO) mit einer Bewilligung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gerechnet werden kann (zur Publikation vorgesehenes Urteil M. vom 19. September 2000, C 122/99).
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b) In der Verfügung vom 1. September 1998 führte das KIGA aus, der Versicherten könne unter bestimmten Voraussetzungen eine Arbeitsbewilligung erteilt werden, wenn sie ein konkretes Arbeitsverhältnis nachweise. Daher sei sie nicht generell vermittlungsunfähig. Im vorinstanzlichen Verfahren hielt das KIGA fest, auf Grund der kantonalen Arbeitsmarktlage erteile es erstmalige Arbeitsbewilligungen an Inhaberinnen von B-Ausweisen, wenn sie eine konkrete Stelle nachwiesen. Die Vermittlungsfähigkeit könne daher nicht an der fehlenden Arbeitsberechtigung scheitern. Diese kantonale Praxis zu überprüfen fällt nicht in die Zuständigkeit des Sozialversicherungsrichters. Aus der Anmeldung zur Arbeitsvermittlung ergibt sich, dass die Versicherte eine Beschäftigung als Hilfsarbeiterin sucht. Für eine solche Tätigkeit kann sie - vorbehältlich der Bewilligung der kantonalen Fremdenpolizei gemäss Art. 43 BVO - mit einer Arbeitsbewilligung rechnen. Unter diesen Umständen kann ihr die Vermittlungsfähigkeit nicht zum Vornherein abgesprochen werden. Mithin steht ihr eine Arbeitslosenentschädigung zu, sofern die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.
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4.- Nach Art. 13 Abs. 2bis AVIG werden Zeiten, in denen Versicherte keine beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt haben, weil sie sich der Erziehung von Kindern unter 16 Jahren widmeten, als Beitragszeiten angerechnet, sofern die Versicherten im Anschluss an die Erziehungsperiode auf Grund einer wirtschaftlichen Zwangslage eine unselbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen müssen. Gemäss Art. 11a Abs. 1 AVIV bestimmen die Versicherten das Ende der Erziehungsperiode selber und können es bis zum Zeitpunkt geltend machen, in welchem das jüngste Kind das Alter von 16 Jahren erreicht. Dem Zweck des Anrechnungstatbestandes entsprechend werden lediglich in der Schweiz ausgeübte Erziehungsperioden erfasst (Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 180). Die allfällige Erfüllung der Anspruchsberechtigung nach Art. 13 Abs. 2bis AVIG vermag die Erteilung oder Verlängerung einer Arbeitsbewilligung als Voraussetzung der Vermittlungsfähigkeit (vgl. Art. 15 Abs. 1 AVIG) nicht zu präjudizieren (ARV 1998 Nr. 44 S. 253 Erw. 2b). Denn diese Bestimmung beschlägt nur die Beitragspflicht und bedeutet nichts anderes, als dass die Mindestbeitragszeit mit einem Anrechnungstatbestand ganz oder teilweise erfüllt werden kann (BGE 125 V 133 Erw. 7). Für die Anrechenbarkeit von Erziehungszeiten als Beitragszeiten ist lediglich erforderlich, dass die anspruchstellende Person einerseits wegen der Erziehung der Kinder auf eine Erwerbstätigkeit verzichtete (ARV 1998 Nr. 45 S. 258 f. Erw. 3a) und anderseits auf Grund einer wirtschaftlichen Zwangslage zur Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gezwungen ist (BGE 125 V 134 Erw. 8a). Ein Kausalzusammenhang dahingehend, dass bereits während der Erziehungsperiode eine Arbeitsberechtigung vorliegen müsste, ist entgegen der Auffassung des seco nicht notwendig. Diese Voraussetzung muss dagegen von dem Moment an gegeben sein, da Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung erhoben wird und sich der oder die Stellensuchende zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung stellt. Etwas Gegenteiliges kann auch ARV 1998 Nr. 44 S. 253 Erw. 2b nicht entnommen werden. In jenem Entscheid wurde die Vermittlungsfähigkeit verneint, weil die Versicherte für den Zeitraum, ab welchem sie Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung geltend machte, gemäss der zuständigen Arbeitsmarktbehörde nicht mit einer Arbeitsbewilligung rechnen konnte. Ebensowenig kann der vorliegende Fall mit ARV 1998 Nr. 45 S. 255 verglichen und die Kausalität zwischen fehlender Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung abgesprochen werden. Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung und dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse, zugestellt.
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Luzern, 18. Oktober 2000
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der II. Kammer:
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Die Gerichtsschreiberin:
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