[AZA 0/2]
5C.201/2000/min
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
31. Oktober 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Merkli und
Gerichtsschreiber Levante.
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In Sachen
A.________, Klägerin,
gegen
1. Gemeinde Glattfelden, vertreten durch
die Vormundschaftsbehörde Glattfelden, 8192 Glattfelden,
2. Gemeinde Bülach, vertreten durch die Vormundschaftsbehörde
Bülach, 8180 Bülach,
3. Gemeinde Wallisellen, vertreten durch die
Vormundschaftsbehörde Wallisellen, 8304 Wallisellen,
4. Kanton Zürich, Beklagte,
betreffend
Verantwortlichkeit der vormundschaftlichen Organe,
wird festgestellt und in Erwägung gezogen:
1.- a) Die am 3. Mai 1943 geborene und bevormundete A.________, Tochter des B.________ und der C.________, lebte seit dem 6. Dezember 1946 als Pflegekind beim Ehepaar D.________, welches das Kind im Hinblick auf eine Adoption aufgenommen hatte. Am 5. November 1948 übernahm die Vormundschaftsbehörde Wallisellen die Vormundschaft über A.________ von der Vormundschaftsbehörde Glattfelden und bestätigte den bisherigen Vormund E.________, Amtsvormund in Bülach, in seinem Amt. Am 28. Januar 1950 erklärte das Ehepaar D.________, A.________ an Kindesstatt anzunehmen. Die Vormundschaftsbehörde Wallisellen stimmte auf Ersuchen von Amtsvormund E.________ hin am 14. Februar 1950 dem Adoptionsgesuch zu und der Bezirksrat Bülach als Aufsichtsbehörde erteilte am 24. Februar 1950 die Genehmigung.
b) Mit Klage vom 14. September 2000 verlangt A.________ von den "Vormundschaftsbehörden Glattfelden, Bülach, Wallisellen" und vom "Bezirksamt/Bezirksrat Bülach" eine Entschädigung von 2 Mio. Franken. Weiter ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege sowie um vorläufige Sistierung des Verfahrens, da sie sich um eine gütliche Einigung bemühe.
Rechtsantworten wurden nicht eingeholt.
2.- Die Klägerin begründet ihr auf Schadenersatz und Genugtuung gerichtetes Begehren damit, dass der damalige Amtsvormund, der die Genehmigung der Adoption beantragt hatte, und die damaligen Vormundschafts- und Aufsichtsbehörden für ihr verpasstes und verpfuschtes Leben verantwortlich seien.
Sie wirft den Beklagten im Wesentlichen vor, sich dafür hergegeben zu haben, ihre Adoption durch eine an Schizophrenie leidende Frau zu bewilligen, von der sie jahrelang körperlich und seelisch misshandelt worden sei. Die verantwortlichen Vormundschaftsorgane hätten insbesondere wissen müssen, dass die Adoptivmutter geisteskrank war, weil sie bereits vor der Adoption monatelang wegen eines Schizophrenieschubes hospitalisiert gewesen sei. Damit und durch weitere Handlungen hätten die Behörden die Kindesinteressen grob missachtet, was der Klägerin schweren Schaden und seelische Unbill verursacht habe.
3.- a) Das Bundesgericht beurteilt als einzige Instanz zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Kanton einerseits und Privaten oder Korporationen andererseits, wenn eine Partei es rechtzeitig verlangt und der Streitwert wenigstens Fr. 8'000.-- beträgt (Art. 42 Abs. 1 OG). Unter die betreffenden Streitigkeiten fallen auch Ansprüche gegen den Staat, wenn seine Verantwortlichkeit - wie diejenige der vormundschaftlichen Organe - auf öffentlichem Recht beruht (BGE 118 II 206 E. 2b S. 209, 107 Ib 155 E. 1 S. 157; vgl. Gross, Basler Kommentar, N. 2 zu Art. 426-429 ZGB ). Die Klägerin hat das Bundesgericht im Sinne von Art. 42 OG "rechtzeitig" angerufen, d.h. bevor für den gleichen Streitgegenstand - soweit ersichtlich - die kantonale Gerichtsbarkeit in Anspruch genommen wurde. Der Streitwert übersteigt den Betrag von Fr. 8'000.--. Das Bundesgericht kann insoweit die Klage an die Hand nehmen.
b) Art. 42 OG erfasst nur Streitigkeiten zwischen einem Kanton einerseits und Privaten oder Korporationen andererseits; die Praxis stellt die Gemeinde dem Kanton nicht gleich (nicht publ. Urteil des Bundesgerichts vom 30. November 1990 i.S. G. gegen Gemeinde Au, E. 2). Die Klage ist, soweit sie sich gegen die Gemeinden Glattfelden, Bülach und Wallisellen richtet (vgl. E. 4a), daher unzulässig, so dass darauf nicht eingetreten werden kann.
4.- a) Die Klägerin klagt die Vormundschaftsbehörden verschiedener Gemeinden sowie das Bezirksamt bzw. den Bezirksrat Bülach ein. Aus ihrer Eingabe geht hervor, dass die Klägerin mit "Vormundschaftsbehörden" der Gemeinden offensichtlich diese selbst und mit "Bezirksamt/Bezirksrat" den Staat bzw. Kanton Zürich meint. Die Parteibezeichnungen im Rubrum ihrer Eingabe sind in diesem Sinne zu berichtigen.
b) Die Verantwortlichkeit vormundschaftlicher Organe ist stufenweise geregelt: Die Mitglieder der vormundschaftlichen Behörden haften für den Schaden, den sie absichtlich oder fahrlässig verschulden und zwar jedes Mitglied nach Massgabe seines persönlichen Verschuldens ( Art. 426 und 428 Abs. 1 ZGB ). Sind Mitglieder der Aufsichtsbehörde und jene der Vormundschaftsbehörde zugleich haftbar, haften erstere nur für das, was von den letzteren nicht erhältlich ist; lediglich bei Arglist haften alle unmittelbar und solidarisch ( Art. 429 Abs. 2 und 3 ZGB ). Die Haftung des Gemeinwesens ist subsidiär: Der Kanton kommt nur zum Zuge, falls der Schaden durch die Mitglieder der vormundschaftlichen Behörde nicht gedeckt wird (Art. 427 Abs. 1 ZGB); bevor das Gemeinwesen für den Ausfall belangt werden kann, müssen zuerst alle haftbaren Einzelpersonen belangt worden sein (Kaufmann, Berner Kommentar, N. 6 zu Art. 427 ZGB). Die Kantone können vorerst die beteiligten Gemeinden oder Kreise haften lassen (Art. 427 Abs. 2 ZGB), ausser bei Verantwortlichkeit der Mitglieder der Aufsichtsbehörde; diesbezüglich kann für den Ausfall stets der Kanton belangt werden (Egger, Zürcher Kommentar, N. 10 zu Art. 427 ZGB).
c) Im Kanton Zürich haftet für den Schaden, der nicht durch den Vormund oder die Mitglieder der vormundschaftlichen Behörden gedeckt ist, in erster Linie die Gemeinde und nach ihr der Staat (§ 116 EGzZGB/ZH). Dies bedeutet, dass für den Ausfall vorerst die Gemeinde haftet, es sei denn, dass es um die Verantwortlichkeit der Mitglieder der Aufsichtsbehörde, d.h. des Bezirksrates geht; diesbezüglich haftet stets der Kanton Zürich für den Ausfall. Soweit sich die Klage gegen die Gemeinden Glattfelden, Bülach und Wallisellen richtet, ist sie aus verfahrensrechtlichen Gründen von vorneherein unzulässig (vgl. E. 3b). Da der Kanton Zürich nur für den Ausfall einzustehen hat, ist eine durch Anerkennung, Vergleich oder Urteil anerkannte Haftung der primär verantwortlichen Vormundschaftsorgane vorausgesetzt (Gross, a.a.O., N. 6 zu Art. 426-429 ZGB ), d.h. deren Mitglieder müssten zuerst belangt, verantwortlich erklärt und zu Schadenersatz verurteilt worden sein. Daran fehlt es aber hier, so dass die Klage auch insoweit scheitert, als die Klägerin den Kanton Zürich ins Recht fassen will. Im Übrigen wäre ohnehin nicht zulässig, die Behördenmitglieder direkt vor Bundesgericht gemäss Art. 42 OG einzuklagen (vgl. E. 3b).
5.- Somit ergibt sich, dass die Klage unzulässig und darauf nicht einzutreten ist; eine vorläufige Sistierung des Verfahrens erübrigt sich.
Die unzulässige Klage kann ohne Verhandlung und ohne öffentliche Beratung erledigt werden (Art. 36a lit. b OG in analoger Anwendung gemäss BGE 103 II 314 E. 5 S. 320). Von der Erhebung einer Gerichtsgebühr wird unter Würdigung der gesamten Umstände verzichtet. Den Beklagten sind keine Kosten erwachsen, so dass eine Entschädigungspflicht entfällt.
Da die Klage bereits an den Eintretensvoraussetzungen scheitert, erweist sich das Rechtsbegehren der Klägerin als aussichtslos, weshalb ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen ist (Art. 152 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.- Auf die Klage wird nicht eingetreten.
2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.- Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
4.- Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 31. Oktober 2000
Im Namen der II. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: