BGer 1P.571/2000 |
BGer 1P.571/2000 vom 16.11.2000 |
[AZA 1/2]
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1P.571/2000/bie
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I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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16. November 2000
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Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident
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der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
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Aeschlimann, Bundesrichter Favre und Gerichtsschreiber Steinmann.
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In Sachen
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Niklaus Scherr, Feldstrasse 125, Zürich, Beschwerdeführer,
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gegen
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Stadt Zürich, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas F. Weber, Limmatquai 72, Postfach 727, Zürich, Bezirksrat Zürich, Regierungsrat des Kantons Zürich, vertreten durch die Direktion der Justiz und des Innern,
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betreffend
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Art. 85 lit. a OG
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Ergänzung der Stadtzürcher Gemeindeordnung
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("Ausgabenbremse bei grossen Aufwendungen"), hat sich ergeben:
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A.- In der Abstimmung vom 28. September 1997 stimmte die Stimmbevölkerung der Stadt Zürich einer Ergänzung der Gemeindeordnung zu. Diese bezweckt mittels Einführung eines qualifizierten Mehrs für die Beschlussfassung über bestimmte Ausgaben und Kredite durch den Gemeinderat eine sog. Ausgabenbremse.
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Die angenommene Bestimmung der Gemeindeordnung hat folgenden Wortlaut:
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"Art. 43bis
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1Der Zustimmung entweder mindestes der Mehrheit
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aller Mitglieder des Gemeinderates oder von mindestens
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zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen
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bedürfen Beschlüsse des Gemeinderates:
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a) über Ausgaben gemäss Art. 41 lit. c und die
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Festsetzung einzelner Voranschlagskredite gemäss
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Art. 41 lit. b insoweit, als sie über den Antrag
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des Stadtrates hinausgehen;
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b) über Zusatzkredite im Sinne von Art. 41 lit. b;
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c) über einmalige Ausgaben für einen bestimmten
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Zweck von mehr als Fr. 5'000'000 oder jährlich
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wiederkehrende Ausgaben von mehr als Fr. 250'000
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gemäss Art. 41 lit. c.
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2Dasselbe gilt für Anträge an die Gemeinde zur
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Bewilligung neuer Ausgaben gemäss Art. 10 lit. d.
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3Bei der Beschlussfassung und Antragstellung des
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Gemeinderates zu Initiativen findet dieser Artikel
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keine Anwendung.. "
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B.- Die von Niklaus Scherr gegen diesen Gemeindebeschluss erhobene Beschwerde hiess der Bezirksrat Zürich am 2. April 1998 gut und hob den Gemeindebeschluss auf. Der Bezirksrat führte im Wesentlichen aus, das Abstimmungsverfahren werde auch für die Gemeindeebene durch das kantonale Wahlgesetz geordnet und richte sich grundsätzlich nach dem einfachen Mehr; Ausnahmen für Gemeindeparlamente bestünden nicht. Diese kantonale Ordnung habe abschliessenden Charak-ter und erlaube keine Ausnahmen durch Gemeindeerlasse.
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Die Stadt Zürich focht diesen Bezirksratsentscheid beim Regierungsrat des Kantons Zürich an, welcher die Beschwerde am 12. Juli 2000 guthiess und den Entscheid des Bezirksrates aufhob. Der Regierungsrat führte zur Begründung in erster Linie an, das Wahlgesetz enthalte keine allgemeine Bestimmungen zu sämtlichen Arten von Abstimmungen und finde auf Abstimmungen in Gemeindeversammlungen und in Behörden keine Anwendung. Der Bezirksratsentscheid verletze daher die Stadt Zürich in ihrer Autonomie, Organisation und Verfahren des Gemeinderates im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften selbst zu regeln. Im Übrigen befasste er sich mit weiteren Rügen, die Niklaus Scherr vor dem Bezirksrat erhoben hatte.
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C.- Gegen diesen Entscheid des Regierungsrates hat Niklaus Scherr am 14. September 2000 staatsrechtliche Beschwerde und Stimmrechtsbeschwerde erhoben. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Regierungsratsentscheides und des Gemeindebeschlusses vom 28. September 1997. Er macht im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 9 BV wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs sowie eine Verletzung der politischen Rechte geltend. Auf die Begründung ist, soweit erforderlich, in den Erwägungen einzugehen.
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Die Stadt Zürich und die Direktion der Justiz und des Innern für den Regierungsrat beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne.
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D.- Mit Verfügung vom 10. Oktober 2000 ist der Be-schwerde aufschiebende Wirkung beigelegt worden.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.- Der Beschwerdeführer erhebt in materieller Hinsicht Stimmrechtsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG. Vorerst ist zu prüfen, ob diese Beschwerde zulässig ist.
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Nach Art. 85 lit. a OG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger und betreffend Wahlen und Abstimmungen. Erforderlich für die Zulässigkeit der Stimmrechtsbeschwerde ist eine Betroffenheit in den politischen Rechten der Stimmbürger selber. Hingegen liegt von vornherein keine Verletzung der politischen Rechte im Sinne des Organisationsgesetzes vor, sofern den Parlamentsbetrieb betreffende Massnahmen oder Vorschriften organisatorischer Natur einer Behörde oder eines Wahlkörpers in Frage stehen (BGE 112 Ia 174 E. 2 S. 176, 123 I 41 E. 6b S. 46, 121 I 252 E. 1a S. 255, ZBl 2000/1999 S. 483 E. 1b; vgl. auch Christoph Hiller, Die Stimmrechtsbeschwerde, Diss. Zürich 1990, S. 95 f.). Aus diesen Gründen ist die Stimmrechtsbeschwerde etwa gegen indirekte, von einem Wahlkörper wie einem Parlament vorgenommene Wahlen nicht zulässig (BGE 112 Ia 174 E. 2 S. 176, 108 Ia 281 E. 1 S. 282, ZBl 95/1994 S. 366 E. 1a).
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Im vorliegenden Fall soll mit Art. 43bis der Gemeindeordnung für bestimmte Ausgabenbeschlüsse ein qualifiziertes Mehr im Gemeinderat eingeführt werden. Diese Massnahme greift nicht direkt in die politischen Rechte der Stimmbürger ein, sondern beeinflusst allein die Beschlussfassung im Gemeinderat. Es kann auch nicht von einer indirekten rechtlichen Auswirkung auf die politischen Rechte der Stimmbürger gesprochen werden. Denn die Frage, ob sich das Stimmvolk etwa zu einem allfälligen Kredit aussprechen kann, ist allein davon abhängig, ob ein entsprechender Be-schluss im Gemeinderat gültig zu Stande kommt. Schliesslich kann sich der Beschwerdeführer auch als Mitglied des Gemeinderates nicht auf die politischen Rechte im Sinne von Art. 85 lit. a OG berufen (vgl. Hiller, a.a.O., S. 289).
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Aus diesen Gründen ist die Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG nicht zulässig und demnach auf die vorliegende Beschwerde in diesem Punkte nicht einzutreten.
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2.- Der Beschwerdeführer erhebt überdies sinngemäss staatsrechtliche Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG.
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a) Die Legitimation hierzu richtet sich nach Art. 88 OG. In Bezug auf die Frage der Zulässigkeit eines qualifizierten Mehrs für gewisse Beschlüsse des Gemeinderates wird der Beschwerdeführer nicht in eigenen rechtlich geschützten Rechten betroffen. Die Verfassungsmässigkeit der angefochtenen Regelung kann daher auch unter dem Gesichtswinkel der staatsrechtlichen Beschwerde nach Art. 84 Abs. 1 lit. a OG nicht überprüft werden.
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b) Als Beteiligter am Verfahren vor dem Bezirks- und dem Regierungsrat kann der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 29 Abs. 2 BV rügen. In dieser Hinsicht bringt er vor, der Regierungsrat hätte die von ihm vor dem Bezirksrat vorgebrachten Rügen nicht selber prüfen dürfen, sondern die Angelegenheit an diesen zurückweisen müssen. Durch dieses Vorgehen habe er eine Prüfungsinstanz verloren und sei daher in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
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Die Rüge erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann.
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Zum einen legt der Beschwerdeführer nicht dar, gestützt auf welche kantonale Norm der Regierungsrat die Angelegenheit an den Bezirksrat zur Prüfung der noch offenen Rügen hätte zurückweisen müssen. Insofern fehlt es der Beschwerde an einer hinreichenden Begründung im Sinne von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG. Zum andern zeigt sich in materieller Hinsicht, dass der Regierungsrat in Anwendung von § 28 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes von Verfassung wegen nicht gehalten war, die Angelegenheit an den Bezirksrat zurückzuweisen. In Fällen, in denen rein rechtliche Frage im Vordergrund stehen, bilden Rückweisungen die Ausnahmen und darf der Regierungsrat über sämtliche offenen Rechtsfragen entscheiden (vgl. Kölz/Bosshard/Röhl, Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz,
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2. Auflage 1999, Rz. 29 ff. zu § 28). In Anbetracht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine untere Instanz im Verfahren der oberen ausnahmsweise geheilt werden kann (vgl. BGE 126 I 68 E. 2 S. 72; 126 V 130 E. 2b i.f. S. 132), hat der Beschwerdeführer keinen unbedingten Anspruch darauf, dass seine rechtlichen Vorbringen durch zwei Instanzen mit voller Kognition geprüft werden.
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3.- Demnach ist die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens und in Anbetracht des Umstandes, dass keine Stimmrechtsbeschwerde vorliegt, sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
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3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Stadt Zürich, dem Bezirksrat Zürich sowie dem Regierungsrat des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 16. November 2000
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Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
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Der Präsident:
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Der Gerichtsschreiber:
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