Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
«AZA 7»
U 428/99 Vr
III. Kammer
Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer; Gerichtsschreiber Arnold
Urteil vom 17. Januar 2001
in Sachen
R.________, 1940, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Lukas Denger, Schwarztorstrasse 7, Bern,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Luzern, Beschwerdegegnerin,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
A.- R.________, geb. 1940, war seit 17. Januar 1995 bei der Einzelfirma N.________ als Taxichauffeur angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfall und Berufskrankheit versichert. Am 4. Februar 1995 kollidierte der von ihm gelenkte Personenwagen auf der Autobahn mit einem von hinten kommenden Fahrzeug. Gemäss Zeugnis des Dr. med. B.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, vom 8. März 1995 erlitt R.________ dabei ein Distorsionstrauma der Halswirbelsäule sowie eine Rippenbogenkontusion; der Arzt erachtete ihn mit Wirkung ab 14. Februar 1995 als zu 100 % arbeitsunfähig. Die SUVA, die ihre Leistungspflicht anerkannte, bejahte mit Verfügung vom 22. Oktober 1998 einen Anspruch auf Taggeld in Höhe von Fr. 43.-. Sie stellte dabei auf die Angaben des Taxihalters ab, wonach R.________ nicht, wie von diesem geltend gemacht, ein monatliches Fixum von Fr. 3500.- zuzüglich Trinkgelder, sondern einen ausschliesslich umsatzabhängigen (45,5 % des Fahrtaxenumsatzes) Lohn beziehen sollte, und berücksichtigte bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes die vom 17. Januar bis 3. Februar 1995 erzielten Tagesumsätze. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 1. März 1999).
B.- Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 29. Oktober 1999 ab.
C.- R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, das Taggeld sei gestützt auf einen höheren als den durch die SUVA festgelegten, vorinstanzlich bestätigten versicherten Verdienst von Fr. 19'378.- zu ermitteln.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung reicht keine Vernehmlassung ein.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Zu beurteilen ist der Anspruch auf Taggeld (Art. 16 f. UVG). Der erstbehandelnde, am 15. Februar 1995 konsultierte Dr. med. B.________ spricht sich für eine 100 %ige Arbeitsunfähigkeit ab 14. Februar 1995 aus (Zeugnis vom 8. März 1995). Eine vorherige, unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit ist nicht ausgewiesen. Auf Grund der Arbeitsrapporte steht vielmehr fest, dass R.________ nach dem Unfallereignis vom 4. Februar 1995 die Tätigkeit als Taxichauffeur wieder aufnahm und bis am 14. Februar 1995 uneingeschränkt ausüben konnte. Es besteht letztinstanzlich kein Anlass, den von der SUVA festgelegten, durch das kantonale Gericht bestätigten und letztinstanzlich nunmehr nicht mehr strittigen Anspruchsbeginn (15. Februar 1995) in Zweifel zu ziehen. Näher zu prüfen ist einzig die Höhe des Taggeldes.
2.- Laut Art. 15 Abs. 1 UVG werden Taggelder nach dem versicherten Verdienst bemessen (Abs. 1). Als versicherter Verdienst gilt dabei der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn (Art. 15 Abs. 2 Halbsatz 1 UVG). Art. 15 Abs. 3 UVG räumt dem Bundesrat die Befugnis ein, Bestimmungen über den versicherten Verdienst in Sonderfällen zu erlassen, wovon dieser Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 22-24 UVV). Gemäss Art. 22 UVV gilt als versicherter Verdienst, vorbehältlich hier nicht zur Diskussion stehender Ausnahmetatbestände (lit. a-d), der nach der Bundesgesetzgebung über die AHV massgebende Lohn (Abs. 2). Grundlage für die Bemessung der Taggelder ist der letzte vor dem Unfall bezogene Lohn, einschliesslich noch nicht ausbezahlter Lohnbestandteile, auf die ein Rechtsanspruch besteht (Art. 22 Abs. 3 UVV). Übt die versicherte Person keine regelmässige Erwerbstätigkeit aus oder unterliegt ihr Lohn starken Schwankungen, so wird, gemäss der in Art. 23 Abs. 3 UVV normierten Sonderregel, auf einen angemessenen Durchschnittslohn pro Tag abgestellt.
3.- a) Mit SUVA und Vorinstanz ist davon auszugehen, dass die mündlich vereinbarte Anstellung als Taxichauffeur auf der Basis eines (vollumfänglich) umsatzabhängigen Lohnes erfolgte. Dafür sprechen, nebst den Aussagen des Taxihalters gegenüber dem SUVA-Inspektor (vom 30. September 1997 und 6. Oktober 1998), insbesondere auch die Modalitäten der Beschäftigung der beiden Chauffeure L.________ und F.________ (vgl. die diesbezüglichen Lohnabrechnungen für die Zeit vom 21. Januar bis 20. Februar 1996). Die vom Beschwerdeführer behauptete Abrede eines monatlichen Fixums von Fr. 3500.- findet demgegenüber in den Akten keinerlei Stütze. Eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 108 Abs. 1 lit. c UVG; BGE 125 V 195 Erw. 2, 120 V 360 Erw. 1a, je mit Hinweisen) hat bereits die Vorinstanz mit einlässlicher Begründung zu Recht verneint. Anlass zu weiteren Beweisvorkehren bestand weder im kantonalen Verfahren, noch sind solche letztinstanzlich geboten.
b) Das kantonale Gericht hat, wie bereits die SUVA, sämtliche vom Beschwerdeführer unbestrittenermassen vor dem Unfallereignis erzielten Tagesumsätze (vom 17. Januar bis 3. Februar 1995 = 15 Werktage) addiert (Fr. 2465.35) und gestützt auf eine Provision von 45,5 % einen Verdienst von Fr. 19'443.40 (jährlich) und Fr. 53.- (täglich) errechnet. Das ungekürzte Taggeld beträgt demnach Fr. 43.- (80 % von Fr. 53.-). Der Beschwerdeführer hält - im Eventualstandpunkt - dafür, sein Lohn unterliege starken Schwankungen im Sinne von Art. 23 Abs. 3 UVV, weshalb auf einen angemessenen Durchschnittslohn pro Tag abzustellen sei.
c) aa) Massgebend für die nach der abstrakten Methode erfolgende Berechnung des Taggeldes ist nicht der mutmasslich entgangene Verdienst, sondern jener, den die versicherte Person vor dem Unfall bezogen hat. Das gilt grundsätzlich auch für die in Art. 23 UVV geregelten Sonderfälle. Mit Ausnahme von Abs. 7 (langandauernde Taggeldberechtigung) und Abs. 8 (Rückfall) knüpfen die Regeln des Art. 23 UVV allesamt an Tatsachen an, die sich vor dem Unfall verwirklicht haben. Art. 23 Abs. 3 UVV zielt darauf, dort einen Ausgleich zu schaffen, wo eine versicherte Person einen Unfall zufälligerweise in einer Tief- oder eventuell gar einer Nichtlohnphase im Rahmen der bislang ausgeübten Erwerbstätigkeit erleidet. Damit wird nichts am Prinzip geändert, wonach die bis zum Unfall geltenden Verhältnisse massgebend sind: Arbeitsverhältnisse, die erst nach dem Unfallereignis angetreten oder umgestaltet werden (sollten), bleiben bei der Taggeldberechnung ausser Acht. Das Kriterium der starken Lohnschwankungen ist erfüllt, wenn es im Arbeitsverhältnis auftritt, in welchem die versicherte Person im Unfallzeitpunkt stand (RKUV 1997 Nr. U 274 S. 181 ff. Erw. 3b mit Hinweisen). Bei einem Taxifahrer, dessen monatlicher Verdienst im Zeitraum von acht Monaten vor dem Unfallereignis um Fr. 851.- schwankte, ist der durchschnittlich erzielte Lohn relevant (nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 23. Oktober 1990, U 130/89). In RKUV 1989 Nr. U 70 S. 213 ff. bestätigte das Eidgenössische Versicherungsgericht einen kantonalen Entscheid, wonach bei einem im Frühling engagierten, Ende Oktober verunfallten Eishockeyspieler nicht auf den zuletzt erzielten (monatlichen) Verdienst abzustellen ist. Da der Spielerlohn weitgehend von den durch die Mannschaft erzielten Punkten und von der Zuschauerzahl abhängig war, wurde davon ausgegangen, dass er starken Schwankungen im Sinne von Art. 23 Abs. 3 UVV unterliege und für die Taggeldberechnung ein angemessener Durchschnittslohn pro Tag als massgebend erachtet. Dieser wurde auf Grund der vertraglichen Abreden prognostisch bestimmt.
bb) Ereignet sich ein Unfall während eines seit längerer Zeit dauernden Arbeitsverhältnisses, birgt die Beurteilung, ob der Lohn starken Schwankungen gemäss Art. 23 Abs. 3 UVV unterliegt, keine grösseren Probleme. Anzuknüpfen ist an die in der Vergangenheit erzielten Entgelte. Diese (rückblickende) Möglichkeit entfällt, wenn - etwa bei erst seit kurzem bestehendem Arbeitsvertrag - im Zeitpunkt des Unfalls noch keine Löhne geleistet worden sind. Die kurze Dauer des Arbeitsvertrages und der Umstand, dass bis zum Unfallereignis keine Entgelte ausbezahlt wurden, schliessen die Anwendung von Art. 23 Abs. 3 UVV indes nicht grundsätzlich aus. Es ist Zufall und mit Blick auf den Normzweck (vgl. Erw. 3c/aa hievor) unbeachtlich, ob ein Unfall in ein mehrjähriges Arbeitsverhältnis fällt oder sich bereits kurz nach Antritt einer neuen Stelle ereignet. Es verstösst weiter nicht gegen das Prinzip, wonach die Verhältnisse im Zeitpunkt des Unfalles massgebend sind, wenn die Auswirkungen der aktuellen Lohnabrede geprüft werden.
cc) Entgegen SUVA und Vorinstanz ist bei einem vollständig umsatzabhängigen Lohn eines Taxichauffeurs - ungeachtet dessen, wie lange das konkrete Vertragsverhältnis im Zeitpunkt des Unfallereignisses dauerte und ob Entgelte ausbezahlt wurden - das Kriterium der starken Lohnschwankungen gemäss Art. 23 Abs. 3 UVV erfüllt. Es ist offensichtlich, dass die Umsätze von diversen Faktoren, wie Tages- oder Nachtschicht, Feier- oder Werktag etc., abhängen und der Lohn dadurch stark schwankt. Ein von den Parteien des Arbeitsvertrages umschriebenes Umsatzziel sowie ein damit einhergehender, angestrebter (Ziel)Lohn ändern daran nichts. Sie sind bei der ermessensweisen Festlegung des angemessenen Durchschnittslohns zu beachten. Dies darf aber nicht dazu führen, dass unrichtige, namentlich überhöhte Lohnvorstellungen zur Grundlage der Taggeldberechnung erhoben werden. Massgebend für die gesetzeskonforme Bestimmung des Durchschnittslohns sind vielmehr sämtliche Faktoren des konkreten Arbeitsverhältnisses wie Alter, Fähigkeit, Berufserfahrung, Ortskenntnis des Arbeitnehmers, bisher erzielte Tagesumsätze etc.. Als Bezugsgrössen bieten sich weiter die Löhne von im gleichen Betrieb und in gleicher Weise tätigen Arbeitskollegen sowie die in der Branche üblicherweise bezahlten Entgelte an (vgl. Ghélew/Ramelet/Ritter, Commentaire de la loi sur l'assurance-accidents [LAA], Lausanne 1992, S. 87).
Mit Blick darauf, dass der Beschwerdeführer unbestrittenermassen jeweils nur an vier Wochentagen, mit unterdurchschnittlicher Präsenz- und Arbeitszeit sowie erst seit kurzem als Taxichauffeur tätig war und unter Berücksichtigung der Entlöhnung des ebenfalls als Taxifahrer angestellten Arbeitskollegen L.________, ist der durch die SUVA festgesetzte, vorinstanzlich bestätigte versicherte Verdienst im Ergebnis nicht zu beanstanden, sondern stellt einen angemessenen Durchschnittslohn dar. Dies selbst dann, wenn die Vertragsparteien - bei 100 %igem Pensum, branchenüblicher Arbeits- und Präsenzzeit und nach angemessener Einarbeitungszeit - einen Ziellohn von Fr. 3500.- vereinbart haben, was nicht abschliessend beurteilt zu werden braucht.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 17. Januar 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: