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Original
 
[AZA 0/2]
1P.809/2000/boh
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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18. Januar 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Nay, präsidierendes Mitglied
der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Féraud, Bundesrichter Catenazzi und Gerichtsschreiber Störi.
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In Sachen
W.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Beat Zürcher, Schmiedenplatz 5, Postfach 333, Bern,
gegen
Untersuchungsrichteramt III Bern - M i t t e l l a n d, Untersuchungsrichter 10, St. Neuhaus, Obergericht des Kantons Bern, Anklagekammer,
betreffend
persönliche Freiheit,
Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK
(Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug), hat sich ergeben:
A.- Der Untersuchungsrichter 10 des Untersuchungsrichteramtes III Bern-Mittelland führt gegen W.________ eine Strafuntersuchung wegen Mordes, eventuell vorsätzlicher Tötung. Er verdächtigt ihn, an der Erschiessung von L.________ vom 1. Juli 1996 beteiligt gewesen zu sein.
W.________ wurde am 20. November 1999 in Deutschland in Auslieferungshaft und nach seiner Auslieferung an die Schweiz am 24. Januar 2000 in Untersuchungshaft genommen.
Seit dem 6. September 2000 befindet er sich im vorzeitigen Strafantritt.
Am 28. November 2000 beantragte der Untersuchungsrichter 10 der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern im Sinne von Art. 197 Abs. 2 des Gesetzes über das Strafverfahren vom 15. März 1995 (StrV), die Haft gegen W.________ um 3 Monate bis zum 6. März 2001 zu verlängern und setzte diesem Frist bis zum 1. Dezember 2000, zum Haftverlängerungsgesuch schriftlich Stellung zu nehmen.
Am 30. November 2000 hiess die Anklagekammer das Haftverlängerungsgesuch gut und erstreckte die Haftfrist bis zum 6. März 2001.
Am 4. Dezember 2000 liess der Untersuchungsrichter 10 der Anklagekammer die bei ihm an diesem Tag eingegangene Stellungnahme von W.________ vom 1. Dezember 2000 zum Haftverlängerungsgesuch zukommen.
B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 22. Dezember 2000 wegen Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK beantragt W.________, der Entscheid der Anklagekammer vom 30. November 2000 sei aufzuheben und er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
C.- Der Untersuchungsrichter 10 beantragt in der Vernehmlassung, auf das Gesuch um Haftentlassung sei nicht einzutreten.
Die Anklagekammer beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
In der Replik hält W.________ an seinen Anträgen fest und beantragt "ergänzend", es sei festzustellen, "dass der Beschwerdeführer im gegen ihn laufenden Strafverfahren nicht mehr in die Untersuchungshaft zurückversetzt werden kann".
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Der Beschwerdeführer wirft der Anklagekammer die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten vor, wozu er befugt ist (Art. 84 und 88 OG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 126 I 81 E. 1; 125 I 71 E. 1c), einzutreten ist.
b) Mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft kann, ausser der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, auch die sofortige Entlassung aus der Haft verlangt werden (BGE 115 Ia 293 E. 1a). Der entsprechende Antrag des Beschwerdeführers ist daher zulässig.
2.- Der Beschwerdeführer wirft der Anklagekammer eine Gehörsverweigerung vor, weil sie das Haftverlängerungsgesuch des Untersuchungsrichters bewilligte, bevor seine fristgerechte Stellungnahme dazu bei ihr eingegangen war.
Aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV verankerten Anspruch auf rechtliches Gehörs ergibt sich für den Richter (von hier nicht zutreffenden Ausnahmen v.a. beim vorsorglichen Rechtsschutz abgesehen) die unabdingbare Pflicht, einer Partei Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen, bevor er einen sie belastenden Entscheid fällt. Da die Haft für Untersuchungshäftlinge im vorzeitigen Strafvollzug nach Art. 197 Abs. 2 StrV auf jeweils drei Monate befristet ist und damit nach unbenütztem Ablauf der Haftfrist kein rechtsgültiger Haftbefehl mehr besteht (Entscheid des Bundesgerichts vom 7. April 2000 in ZBJV 136/2000 S. 356), belastet die angefochtene Haftverlängerung den Beschwerdeführer zweifellos. Die Anklagekammer hat den Beschwerdeführer vor ihrem Entscheid, die Haft gegen ihn um drei Monate zu verlängern, nicht angehört bzw. ihren Entscheid getroffen, bevor die ihm vom Untersuchungsrichter angesetzte Frist zur Stellungnahme abgelaufen war, sodass der Entscheid ohne Berücksichtigung der fristgemäss eingereichten Stellungnahme des Beschwerdeführers erging.
Dieses Vorgehen ist mit Art. 29 Abs. 2 BV klarerweise nicht vereinbar.
Was die Anklagekammer in der Vernehmlassung dagegen vorbringt, ist nicht geeignet, ihr Vorgehen als verfassungsmässig erscheinen zu lassen. Ihr Einwand, das kantonale Recht sehe für die Fristverlängerung nach Art. 197 Abs. 2 StrV, anders als beim Haftprüfungsverfahren nach Art. 189 ff.
StrV, kein kontradiktorisches Verfahren vor, geht an der Sache vorbei, da sich der (elementare) Gehörsanspruch unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV ergibt und unabhängig von der kantonalen Gesetzgebung besteht. Ebenso wenig stichhaltig ist angesichts der formellen Natur des Gehörsanspruchs ihr weiteres Argument, sie habe bereits bei der Behandlung eines Beweisrekurses des Beschwerdeführers Akteneinsicht genommen und sei dabei zur Erkenntnis gelangt, dass die Haft offensichtlich habe verlängert werden müssen, weshalb sie den Eingang der Stellungnahme des Beschwerdeführers nicht habe abzuwarten brauchen (BGE 126 I 19 E. 2d/bb S. 24).
Die Anklagekammer hat somit den Gehörsanspruch des Beschwerdeführers verletzt, die Rüge ist begründet. Der vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang ebenfalls angerufene Art. 5 Ziff. 4 EMRK ist hingegen nicht einschlägig, weshalb die vom Beschwerdeführer damit gerügte Konventionsverletzung unbegründet ist.
3.- Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben.
Abzuweisen ist hingegen das Gesuch um Haftentlassung.
Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist zwar die nachträgliche Verlängerung der in der Zwischenzeit abgelaufenen Haftfrist ausgeschlossen, nicht aber eine erneute Verhaftung (Entscheid des Bundesgerichts vom 8. Mai 2000 in ZBJV 136/200 S. 427 und Pra 200 145 849). Bereits die Schwere der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Tat - Mord oder eventuell vorsätzliche Tötung - rechtfertigt, den Strafverfolgungsbehörden nochmals Gelegenheit zu geben, den Beschwerdeführer unverzüglich in konventions- und verfassungskonformer Weise zu inhaftieren, sollten die Haftgründe, wie es den Anschein macht, noch bestehen. Damit erweist sich auch das vom Beschwerdeführer in der Replik gestellte Begehren, es sei festzustellen, dass er im laufenden Strafverfahren nicht mehr in Untersuchungshaft versetzt werden dürfe, als unbegründet.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kanton Bern dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 OG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 30. November 2000 aufgehoben; im Übrigen wird sie abgewiesen.
2.- Es werden keine Kosten erhoben.
3.- Der Kanton Bern hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland, Untersuchungsrichter 10, St. Neuhaus, und dem Obergericht des Kantons Bern, Anklagekammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 18. Januar 2001
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Das präsidierende Mitglied:
Der Gerichtsschreiber: