«AZA 7»
H 87/00 Ge
II. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari; Gerichtsschreiber Signorell
Urteil vom 13. Februar 2001
in Sachen
S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Humbert Entress, Wiesentalstrasse 27, Aadorf,
gegen
Ausgleichskasse Gastrosuisse, Heinerich Wirri-Strasse 3, Aarau, Beschwerdegegnerin,
und
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
A.- S.________ war Verwaltungsratsmitglied der Firma W.________ AG (mit Kollektivunterschrift bis zum 24. November 1995). Dieser wurde am 23. Februar 1995 eine Nachlassstundung für zunächst vier und anschliessend für weitere zwei Monate bis zum 23. August 1995 gewährt. Das Bezirksgericht Untertoggenburg bestätigte am 28. September 1995 den vorgelegten Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung. Am 4. Dezember 1995 orientierten die Liquidatoren die Ausgleichskasse darüber, dass die Masse nur aus einer Liegenschaft bestehe und dass die Grundpfandgläubiger nicht bereit seien, die privilegierten Forderungen vorab zu befriedigen. Mit Verfügung vom 2. Oktober 1996 verpflichtete die Ausgleichskasse Gastrosuisse S.________ solidarisch haftend mit A.________ und B.________ zur Leistung von Schadenersatz von Fr. 172 703.70 für ausgefallene Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verzugszinsen sowie Mahn- und Betreibungskosten, abzüglich geleistete Zahlungen und Gutschriften) der Beitragsjahre 1992 bis 1995. Mit einer weiteren Verfügung vom 2. Oktober 1996 forderte die Ausgleichskasse für das Beitragsjahr 1994 zusätzlich noch Fr. 2659.70.
B.- Auf Einspruch des Belangten hin klagte die Ausgleichskasse auf Bezahlung der erwähnten Beträge. Mit Entscheid vom 25. Januar 2000 hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die Klage gut und verpflichtete S.________ zur Bezahlung von Fr. 175 363.40.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ beantragen, es sei in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides die Schadenersatzklage abzuweisen; eventuell sei das Verfahren zur Ergänzung zurückzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Ausgleichskasse.
Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung sich nicht vernehmen lässt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Streitig ist, ob der Beschwerdeführer Schadenersatz zu leisten hat. Zunächst wird geltend gemacht, ein
allfälliger Anspruch der Ausgleichskasse sei verwirkt.
Der Beschwerdeführer begründet seine Einrede damit, die Ausgleichskasse habe spätestens am 10. August 1995, als die erste Gläubigerversammlung einem Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung zugestimmt habe, Kenntnis vom Schaden und dessen Höhe erhalten. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Die Kasse besass zu diesem Zeitpunkt im Hinblick auf die Regelung von Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG in Verbindung mit Art. 219 Abs. 4 SchKG (in der bis zum 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung [Konkursprivileg II. Klasse]) noch keine ausreichende Kenntnis des Schadens. Das Gesetz verlangt nämlich für die Bestätigung eines Nachlassvertrages u.a. die vollständige Befriedigung der angemeldeten privilegierten Gläubiger. Da die Ausgleichskasse für die ausstehenden Beitragsforderungen ein Konkursprivileg besass und dem Nachlassvertrag zugestimmt wurde, musste sie nicht mit einem Verlust rechnen. Kenntnis des Schadens erhielt sie erst, als die Liquidatorin ihr am 4. Dezember 1995 mitteilte, die privilegierten Forderungen könnten nicht gedeckt werden. Damit sind die Schadenersatzverfügungen vom 2. Oktober 1996 innerhalb der einjährigen Frist des Art. 82 Abs. 1 AHVV erlassen worden.
2.- Das kantonale Gericht hat die Haftungsvoraussetzungen des Art. 52 AHVG (Schaden, Organstellung, Widerrechtlichkeit, qualifiziertes Verschulden und Kausalität) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
3.- a) Der Beschwerdeführer hatte in der W.________ AG gemäss Handelsregister die Stellung eines Verwaltungsrats inne. Es kommt ihm daher formelle Organeigenschaft zu, worauf das Eidgenössische Versicherungsgericht in ständiger Rechtsprechung für die Bejahung der subsidiären Haftbarkeit (Passivlegitimation nach Art. 52 AHVG) abstellt (BGE 123 V 15 Erw. 5b mit Hinweisen). Die Verantwortlichkeit eines Verwaltungsrates dauert in der Regel bis zum Moment seines tatsächlichen Austritts aus dem Verwaltungsrat und nicht bis zum Zeitpunkt der Löschung seiner Funktion im Handelsregister (BGE 123 V 173 Erw. 3a, 112 V 4 Erw. 3c, 109 V 93 Erw. 13; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 1996 S. 1081). Das gilt jedenfalls in denjenigen Fällen, in denen die Betroffenen, nach ihrer Demission, keinen Einfluss mehr auf den Gang der Geschäfte und keine Entschädigung für ihre Verwaltungsratsstellung erhalten haben. Mit anderen Worten kann ein Verwaltungsrat nur für Schaden haftbar erklärt werden, der auf die Nichtbezahlung von Beiträgen zurückzuführen ist, welche im Zeitpunkt seines effektiven Austrittes entstanden und fällig waren. Vorbehalten bleibt der Fall, in dem der Schaden durch Handlungen verursacht worden ist, deren Wirkungen sich jedoch erst nach seinem Rücktritt als Verwaltungsrat entfaltet haben (BGE 126 V 61 Erw. 4a).
b) Die Vorinstanz setzte sich eingehend mit dem Einwand auseinander, der Beschwerdeführer sei bereits im April 1993 durch mündliche Erklärung aus dem Verwaltungsrat der W.________ AG ausgeschieden. Auf deren zutreffende Erwägungen wird verwiesen. Wie richtig festgestellt wurde, liegt keine Rücktrittserklärung vor. Die schriftliche Bestätigung vom 19. März 1996 des Präsidenten des Verwaltungsrates, wonach ihm sein Sohn im April 1993 den Austritt aus dem Verwaltungsrat unterbreitet habe, vermag einen damals tatsächlich erfolgten Rücktritt nicht zu belegen. Unbehelflich ist diesbezüglich der Hinweis, das Sagen in der W.________ AG habe einzig der Präsident des Verwaltungsrates gehabt. Denn der Schuldvorwurf, welcher einen fiduziarischen Verwaltungsrat oder einen Strohmann trifft (BGE 112 V 3), rührt gerade aus dem Umstand, sich auf eine Verwaltungsratsstellung in Verhältnissen eingelassen zu haben, die ihm die richtige gesetzlich vorgeschriebene Erfüllung dieses Amtes, d.h. die ihm nach Art. 716a OR obliegenden unübertragbaren Aufgaben, verunmöglichen. Schliesslich vermag der Beschwerdeführer aus dem Umstand, dass sein Rücktritt nicht unverzüglich dem Handelsregister zur Eintragung gemeldet wurde, nichts herzuleiten. Denn gemäss Art. 711 Abs. 2 OR kann der Ausgeschiedene die Löschung selbst anmelden, wenn die Gesellschaft die Anmeldung beim Handelsregister nicht innert dreissig Tagen vornimmt.
c) Die Darstellung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, die W.________ AG sei Ende 1992 praktisch vollkommen illiquid gewesen, wird durch den Umstand widerlegt, dass in den Jahren 1992 bis 1995 tatsächlich stets Löhne ausbezahlt wurden. Wenn der Beschwerdeführer den erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen seinem Verhalten und dem eingetretenen Schaden bestreitet, scheint er namentlich zu verkennen, dass nur so viel massgebender Lohn (Art. 5 Abs. 2 AHVG) hätte zur Auszahlung gebracht werden dürfen, als die darauf unmittelbar ex lege entstandenen Beitragsforderungen (Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) gedeckt waren (SVR 1995 AHV Nr. 70 Erw. 5).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II. Die Gerichtskosten von Fr. 6000.- werden dem Beschwer-
deführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvor-
schuss verrechnet.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs-
gericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 13. Februar 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: