Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
[AZA 7]
H 297/00 Vr
IV. Kammer
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiber Flückiger
Urteil vom 26. März 2001
in Sachen
N.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecherin Katrin Zumstein, "Villa Le Grand", Schulhausstrasse 12, Langenthal,
gegen
Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes, Gladbachstrasse 80, Zürich, Beschwerdegegnerin,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
A.- Im Juni 1997 übernahm die kurz zuvor gegründete X.________ GmbH den Schreinereibetrieb, einen Teil des Personals und mietweise die Räumlichkeiten der Y.________ AG, über welche am 23. Juni 1997 der Konkurs eröffnet wurde. Ab Ende des Jahres 1997 befand sich die X.________ GmbH in finanziellen Schwierigkeiten. Sie bezahlte die monatlichen paritätischen Sozialversicherungsbeiträge ab Februar 1998 sowie den Saldo der Schlussabrechnung 1997 nicht mehr. Am 29. Oktober 1998 wurde über die Firma der Konkurs eröffnet. Mit Verfügungen vom 5. Juli 1999 verlangte die Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes von N.________ (Geschäftsführer bis 24. April 1998) und B.________ (Geschäftsführer ab 20. Mai 1998) Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von Fr. 61'399. 30.
B.- Auf Einspruch der Betroffenen erhob die Ausgleichskasse am 20. August 1999 Klage mit dem Begehren, die Beklagten seien in solidarischer Haftbarkeit zur Bezahlung von Schadenersatz in der verfügten Höhe zu verpflichten.
Mit Entscheid vom 20. Juli 2000 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Klage gegen B.________ vollumfänglich gut (Ziffer 2). Diejenige gegen N.________ hiess es insofern teilweise gut, dass es den Beklagten zur Bezahlung des Schadenersatzes für die bis 24. April 1998 fällig gewordenen Beiträge verurteilte, wobei die genaue Summe durch die Ausgleichskasse verfügungsweise festzusetzen sei (Ziffer 1). Zudem legte das Verwaltungsgericht fest, im Umfang der Schadenersatzpflicht von N.________ bestehe solidarische Haftbarkeit der beiden Beklagten (Ziffer 3).
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt N.________ die Aufhebung der Ziffern 1 und 3 des kantonalen Entscheids beantragen.
Während die Ausgleichskasse sowie der als Mitinteressierter zum Verfahren beigeladene B.________ auf eine Stellungnahme verzichten, hat sich das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen lassen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
2.- Im angefochtenen Entscheid werden die in materiellrechtlicher Hinsicht massgebenden Normen (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff.
AHVV) und die Rechtsprechung zur subsidiären Haftbarkeit der Organe (vgl. für die auf die GmbH analog anwendbare [AHI 2000 S. 220] Rechtsprechung zur Aktiengesellschaft statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b), zur Haftungsvoraussetzung des qualifizierten Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b) sowie zu den Gründen, welche die vorübergehende Zurückbehaltung der Sozialversicherungsbeiträge zu rechtfertigen oder zu entschuldigen vermögen (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 193 Erw. 2b), zutreffend wiedergegeben.
Darauf kann verwiesen werden.
3.- Es steht fest, dass die X.________ GmbH in Verletzung ihrer gesetzlichen Beitragspflicht als Arbeitgeberin die monatlichen paritätischen Beiträge für die Zeit ab Februar 1998 sowie den Saldo der Schlussabrechnung 1997 absichtlich nicht mehr entrichtet hat. Dabei ist die Ausgleichskasse, soweit bundesrechtliche Sozialversicherungsbeiträge in Frage stehen, mit Fr. 61'399. 30 zu Schaden gekommen.
Das kantonale Gericht hat zutreffend dargelegt, dass dem Beschwerdeführer das Verhalten der Arbeitgeberin während seiner Zeit als Geschäftsführer bis 24. April 1998 anzurechnen ist. Damals waren, soweit vorliegend relevant, bis 10. März 1998 die Beiträge für Februar 1998 von Fr. 9702. 10 und bis 10. April 1998 die Beiträge für März 1998 von Fr. 9853. 20 (Art. 34 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Abs. 4 AHVV) sowie Anfang März der Saldo der Schlussabrechnung 1997 von Fr. 19'624. 70, der durch Verfügung vom 5. Februar 1998 festgesetzt und am 25. März 1998 gesetzlich gemahnt wurde, zu begleichen.
4.- a) Zu prüfen bleibt, ob für den Zeitraum von Anfang März bis 24. April 1998, als die Beiträge zu entrichten waren, Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe vorlagen (vgl. ZAK 1986 S. 222). Dies ist der Fall, wenn der Beschwerdeführer vernünftigerweise damit rechnen durfte, die Firma durch Verwendung der geschuldeten Beitragssumme zur Bezahlung anderer Verbindlichkeiten innert nützlicher Frist retten und die Beiträge entrichten zu können (BGE 108 V 187 Erw. 2).
b) Die X.________ GmbH hatte ab Januar 1998 mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen. Die Ursache dafür lag gemäss der Darstellung des Beschwerdeführers in der Verschiebung mehrerer Bauprojekte; zudem habe die Absicht, die Liegenschaften aus dem Konkurs der Y.________ AG zu erwerben, Mittel gebunden. Am 23. Januar 1998 stellte die Firma ein Gesuch um Kurzarbeitsentschädigung. Dieses wurde jedoch aus Gründen, die den Akten nicht entnommen werden können, abgelehnt.
Gemäss den Angaben des Beschwerdeführers im Einspruch vom 20. Juli 1999 war das entsprechende Beschwerdeverfahren jedenfalls im März 1998 noch hängig. Über die Auftragslage im Februar, März und April 1998 liegen keine Informationen vor. Im Schreiben der Alternativen Bank vom 18. März 1998, auf das sich der Beschwerdeführer beruft, werden Hypotheken auf der Geschäftsliegenschaft von Fr. 1'190'000.- und auf einer Wohnliegenschaft von Fr. 400'000.- definitiv, allerdings geknüpft an verschiedene Bedingungen, zugesagt. Ob damit gerechnet werden konnte, dass diese Bedingungen erfüllt würden, ist ebenso ungeklärt wie die Frage, ob der Firma durch diese Finanzierung - über die für den Erwerb der Liegenschaften benötigten Beträge hinaus - freie Mittel zugeflossen wären, welche die Begleichung der Beitragsausstände und die Fortsetzung des Betriebs ermöglicht hätten. Aus der im Mai 1998 erstellten Bilanz per 30. April 1998 geht hervor, dass die X.________ GmbH zu diesem Zeitpunkt überschuldet war, wobei die Erfolgsrechnung darauf hindeutet, dass der Fehlbetrag im Wesentlichen seit Anfang 1998 entstanden war. Die Bilanzsituation schliesst somit nicht aus, dass die Firma, falls die Finanzierung durch die Alternative Bank zustande gekommen wäre, bei guter Auftragslage hätte gerettet werden können. Da zudem der in Frage stehende Zeitraum relativ kurz ist und sich der Beschwerdeführer nach der ersten gesetzlichen Mahnung vom 25. März 1998 (für den Saldo der Schlussabrechnung 1997) mit Schreiben vom 14. April 1998 an die Beschwerdegegnerin wandte und ihr einen Zahlungsplan innerhalb von 14 Tagen in Aussicht stellte (vgl. AHI 1999 S. 26; vor dem Ablauf dieser 14 Tage wurde der Beschwerdeführer am 24. April 1998 fristlos entlassen), besteht die Möglichkeit, dass die Voraussetzungen einer Rechtfertigung oder Entschuldigung für die (einstweilige) Nichtbezahlung der Sozialversicherungsbeiträge erfüllt sind.
c) Die tatsächlichen Feststellungen des kantonalen Gerichts lassen somit die Beurteilung der Schadenersatzpflicht des Beschwerdeführers nicht zu. Sie sind deshalb in Bezug auf den rechtserheblichen Sachverhalt unvollständig.
Die Sache ist zur Ergänzung der Abklärungen, insbesondere hinsichtlich der Auftragslage im Februar, März und April 1998, der Chancen auf das Zustandekommen der durch die Alternative Bank in Aussicht gestellten Finanzierung und gegebenenfalls der daraus resultierenden freien Mittel sowie der Gründe für die Ablehnung des Kurzarbeitsgesuchs und des zeitlichen Verlaufs dieses Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5.- Der vorliegende Prozess ist kostenpflichtig, da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht (Art. 134 OG e contrario). Dem Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG) und dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsgerichts
des Kantons Bern vom 20. Juli 2000, soweit den
Beschwerdeführer betreffend, aufgehoben und die Sache
an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über die
Klage neu entscheide.
II.Die Gerichtskosten von Fr. 3500.- werden der Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes auferlegt.
III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 3500.- wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet.
IV.Die Ausgleichskasse des Schreiner-, Möbel- und Holzgewerbes hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung
von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer)
zu bezahlen.
V.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht
des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche
Abteilung, dem Bundesamt für Sozialversicherung und
B.________ zugestellt.
Luzern, 26. März 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: