BGer 6P.92/2000
 
BGer 6P.92/2000 vom 29.03.2001
[AZA 0/2]
6P.92/2000/hev
KASSATIONSHOF
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29. März 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Bundesrichterin
Escher und Gerichtsschreiber Monn.
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In Sachen
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Hohler, Badenerstrasse 75, Zürich,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Obergericht des Kantons Luzern,
betreffend
Art. 9, Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie
Art. 6 Ziff. 3 EMRK (Strafverfahren; Beweiswürdigung,
rechtliches Gehör etc.),hat sich ergeben:
A.- X.________ betrieb seit 1989 das seiner Mutter gehörende Restaurant Y.________ in Z.________ als Geschäftsführer.
Im September 1990 wurde ein Nachtclubbetrieb mit Striptease-Shows aufgenommen. In diesem Zusammenhang werden X.________ mehrere Straftaten vorgeworfen.
B.- Das Obergericht des Kantons Luzern sprach X.________ am 15. Dezember 1999 im Appellationsverfahren schuldig des gewerbsmässigen Betrugs nach Art. 146 Abs. 2 StGB, des gewerbsmässigen Wuchers nach Art. 157 Ziff. 2 StGB, der mehrfachen Förderung der Prostitution gemäss Art. 195 Abs. 3 StGB, der gewerbsmässigen Kuppelei nach Art. 199 Abs. 1 aStGB, der mehrfachen Urkundenfälschung nach Art. 251 Ziff. 1 StGB und Art. 251 Ziff. 1 aStGB, der mehrfachen Geldwäscherei nach Art. 305bis Ziff. 1 StGB, der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 87 AHVG, der mehrfachen Widerhandlung gegen Art. 112 Abs. 1 UVG und des mehrfachen Steuerbetrugs nach Art. 186 Abs. 1 DBG und § 30 UeStG. Das Gericht bestrafte ihn mit 2½ Jahren Zuchthaus, abzüglich 108 Tage Untersuchungshaft, und mit einer Busse von Fr. 20'000.--.
C.- X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.
Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
Obergericht und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 9, 29 Abs. 2 und 32 Abs. 2 BV sowie von Art. 6 Ziff. 3 EMRK. Das Obergericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, die ihm zustehenden Verteidigungsrechte beschnitten und das Willkürverbot missachtet (Beschwerde S. 4 Ziff. 4).
2.- a) Zunächst macht er als Verletzung von Art. 29 Abs. 2 und 32 Abs. 2 BV geltend, das Obergericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und seine Verteidigungsrechte missachtet, indem auf eine formungültige und gesetzeswidrige Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft eingetreten worden sei. Dies sei ohne jede Beachtung und ohne Behandlung des begründeten Nichteintretensantrages der Verteidigung geschehen (vgl. Beschwerde S. 5 - 9).
b) Die Staatsanwaltschaft reichte am 8. Januar 1999 gegen den erstinstanzlichen Entscheid Anschlussappellation ein (angefochtener Entscheid S. 5 oben). Mit Eingabe vom 16. Juni 1999 stellte der Verteidiger unter anderem den Antrag, auf die Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft vom 8. Januar 1999 sei nicht einzutreten (angefochtener Entscheid S. 6 Mitte). An der Appellationsverhandlung vom 22. Juni 1999 hielt der Verteidiger an seinen am 16. Juni 1999 gestellten Anträgen - also auch am Antrag auf Nichteintreten auf die Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft - fest (angefochtener Entscheid S. 7 Mitte). Er begründete dies damit, dass eine Anschlussappellation Anträge auf Abänderung des erstinstanzlichen Urteilsspruchs enthalten müsse und die Anschlussappellation vom 8. Januar 1999 keine derartigen Anträge enthalte, weshalb darauf nicht einzutreten sei (Akten Obergericht act. 17 S. 5/6). Die Staatsanwaltschaft anerkannte an der Verhandlung, dass die Anschlussappellation in Bezug auf die Anträge einen "Druckfehler" enthalte (Protokoll Obergericht S. 2). In der Replik hielt der Verteidiger am Antrag auf Nichteintreten auf die Anschlussappellation fest (Protokoll S. 6).
Das Obergericht befasst sich im angefochtenen Entscheid mit der mehrfach vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage, ob auf die Anschlussappellation - trotz des offensichtlichen Formfehlers - eingetreten werden könne, nicht. Dies stellt grundsätzlich eine Verletzung der Begründungspflicht bzw. des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.
Dies muss jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist zwar formeller Natur, er gilt jedoch nicht um seiner selbst willen, sondern ist mit der Berechtigung in der Sache selbst verbunden (vgl. BGE 111 Ia 101 E. 2b, 273 E. 2b; 110 Ia 27 E. 2a; 107 Ia 182 E. 3c; Arthur Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 133).
Im vorliegenden Fall ist der Beschwerdeführer durch den Mangel im angefochtenen Entscheid in keiner Weise beschwert. Er behauptet zu Unrecht, es liege ein "verschärfter Schuldspruch" vor (vgl. Beschwerde S. 7/8).
Das Obergericht hat den Beschwerdeführer sowohl im Schuld- als auch im Strafpunkt milder beurteilt als die erste Instanz. In Bezug auf die vom Beschwerdeführer erwähnte mehrfache Förderung der Prostitution hat die erste Instanz den Beschwerdeführer noch in Anwendung von Art. 195 Abs. 2 und 3 StGB, das Obergericht ihn demgegenüber nur gemäss Art. 195 Abs. 3 StGB schuldig gesprochen (vgl. angefochtener Entscheid S. 21 Mitte).
Über den Tatzeitraum äussert sich das Dispositiv im Gegensatz zur Behauptung des Beschwerdeführers nicht (unrichtig Beschwerde S. 8 vor Ziff. 7). In Bezug auf die Frage, ob zwischen der Förderung der Prostitution und der Kuppelei echte Konkurrenz besteht, bezieht sich das Obergericht nicht auf die Anschlussappellation der Staatsanwaltschaft (vgl. angefochtener Entscheid S. 21 unten und 25/26); ob der angefochtene Entscheid in diesem Punkt richtig ist oder nicht, wird im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde zu prüfen sein.
Unter den gegebenen Umständen liegt auch eine Verletzung der Verteidigungsrechte gemäss Art. 32 Abs. 2 BV offensichtlich nicht vor.
Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen.
3.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe seinen Gehörsanspruch und seine Verteidigungsrechte eingeschränkt, indem der Beizug der Akten der Kriminal- und Anklagekommission betreffend die Verwertung der Telefonprotokolle verweigert und der Beizug aller Protokolle der Telefonüberwachung im Zeitraum vom 20. Juni bis 27. Oktober 1995 abgelehnt worden sei.
Insbesondere sei zu rügen, dass der Beizug der effektiven Tonbänder abgelehnt und ihm das Abhören der aufgenommenen Gespräche während der Untersuchung und auch im gerichtlichen Verfahren verweigert worden sei (vgl. Beschwerde S. 9 - 13).
b) Die Telefonprotokolle spielen nach der Darstellung des Beschwerdeführers nur eine Rolle im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Geldwäscherei (Beschwerde S. 10 Ziff. 2).
Dabei geht es um Einnahmen, die im Nachtclub Y.________ erwirtschaftet und auf Konti bei der Bank A.________ einbezahlt wurden. Als der Beschwerdeführer verhaftet wurde, befanden sich auf diesen Konti insgesamt Fr. 657'000.--. Unbestrittenermassen liess er einen Tag nach seiner Verhaftung das Geld durch seinen Schwager, B.________, unter Verwendung von Bankchecks abheben.
Der Beschwerdeführer behauptete vor Obergericht, es sei ihm und seiner Familie nicht bewusst gewesen, dass es sich bei den erzielten Einnahmen (zumindest teilweise) um deliktisches Geld gehandelt habe. Das Obergericht erachtete dies als Schutzbehauptung, da der Beschwerdeführer das Geld ausgerechnet einen Tag nach seiner Verhaftung abheben liess (angefochtener Entscheid S. 30 oben). Diese Feststellung ist einleuchtend und jedenfalls nicht willkürlich. Der Beschwerdeführer hat an einer im angefochtenen Urteil (S. 30 unten) zitierten Stelle denn auch selber ausgesagt, "aufgrund des Strafverfahrens musste ich davon ausgehen, dass das Konto vom Amtsstatthalteramt Sursee gesperrt wird" (Dossier O, Aussagen des Beschwerdeführers, S. 134 Nr. 836). Dies beweist, dass ihm die deliktische Herkunft des Geldes sehr wohl bewusst war.
Seine spätere Behauptung, er habe angenommen, dass "bei jedem Verfahren die Konti beschlagnahmt werden" (a.a.O.
S. 163 Nr. 993), ist abwegig und unglaubwürdig.
Das Obergericht führt weiter aus, dasselbe ergebe sich überdies aus einem in diesem Zusammenhang zwischen der Mutter des Beschwerdeführers und dem Bankbeamten C.________ geführten Telefongespräch (angefochtener Entscheid S. 30 oben). Da dies die einzige Stelle ist, an welcher das Obergericht im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Geldwäscherei auf die Telefonprotokolle hinweist, ist nicht ersichtlich, was der Beschwerdeführer aus dem Beizug aller Protokolle bzw. aus deren Abhörung vor Gericht für sich herleiten will.
Was nun dieses einzige Protokoll betrifft, auf welches das Obergericht hingewiesen hat, ist eine weitere Prüfung der Angelegenheit unnötig. Wie oben schon gesagt, ergibt sich der Geldwäschereivorsatz des Beschwerdeführers ohne weiteres schon aus dem Umstand, dass er einen Tag nach seiner Verhaftung das Geld abheben liess.
Auch in diesem Punkt ist die Beschwerde abzuweisen.
4.- a) Der Beschwerdeführer macht geltend, sein Gehörsanspruch und seine Verteidigungsrechte seien beschnitten worden, indem der Entlastungszeuge D.________ nicht zur Frage der Rechtmässigkeit der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Abzüge und insbesondere über seine diesbezügliche Empfehlung gegenüber dem Beschwerdeführer einvernommen und die in der Untersuchung ohne Gewährung der Teilnahmerechte des Beschwerdeführers befragten Tänzerinnen nicht erneut als Zeuginnen zum Sachverhalt betreffend Förderung der Prostitution und gewerbsmässige Kuppelei befragt worden seien (vgl. Beschwerde S. 13 - 20).
b) Das Obergericht weist den Antrag auf Einvernahme von D.________ ab, da der Beschwerdeführer die Urkundenfälschungen einerseits zugegeben habe und zudem nicht auf die Aussagen von D.________ abgestellt worden sei (angefochtener Entscheid S. 9 unten).
Nach der Darstellung des Beschwerdeführers steht seine Rüge im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Betruges mittels der Salärabrechnungen (Beschwerde S. 14 Ziff. 2).
Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe die Salärabrechnungen der Tänzerinnen durch ungerechtfertigte Abzüge sowie durch unrichtige Additionen auf Kosten der Tänzerinnen und zu seinen Gunsten falsch ausgefüllt.
Im Einzelnen kann auf die Ausführungen des Obergerichts verwiesen werden (vgl. angefochtener Entscheid S. 11 - 15).
Der Beschwerdeführer bezieht sich konkret auf die Reiseentschädigungen und Versicherungsprämien. Er will in diesen Punkten auf Empfehlung von D.________ gehandelt haben (Beschwerde S. 16/17 Ziff. 4).
Seine damit sinngemäss aufgestellte Behauptung, er sei sich wegen der Empfehlung von D.________ der Unrechtmässigkeit seines Tuns nicht bewusst gewesen, ist abwegig.
Nach den Feststellungen des Obergerichts spiegelte der Beschwerdeführer den Tänzerinnen ab 1993 vor, dass er die ihnen gemäss Arbeitsvertrag zustehenden Reisekosten auszahle, indem er diese Position in der Lohnabrechnung zwar aufführte, sie jedoch in der Addition nicht berücksichtigte. Sodann führte er z.B. die Position "Krankenkasse" auf den Abrechnungen mit Bleistift auf, um sie nach der Unterzeichnung durch die Tänzerinnen mit Kugelschreiber wieder abzuändern (angefochtener Entscheid S. 12).
Selbst wenn D.________ bestätigen würde, dass er dem Beschwerdeführer eine entsprechende Empfehlung gegeben hat, steht fest, dass dem Beschwerdeführer die Unrechtmässigkeit seines offensichtlich verfehlten Vorgehens bewusst gewesen sein muss. Unter den gegebenen Umständen war eine Einvernahme von D.________ offensichtlich nicht nötig.
c) Das Obergericht verzichtet im Sinne antizipierter Beweiswürdigung auf eine abermalige Einvernahme mehrerer Personen, da auf deren bisherige Aussagen nicht abgestellt worden sei bzw. von deren allfälligen weiteren Aussagen - insbesondere im Hinblick auf die lange Zeit, die seit den massgebenden Vorfällen vergangen sei - keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien (angefochtener Entscheid S. 8/9).
Konkret bezieht sich der Beschwerdeführer nur auf zwei Stellen im angefochtenen Entscheid, wo die Aussagen von Tänzerinnen eine Rolle gespielt hätten (Beschwerde S. 18/19).
Abgestellt hat das Obergericht auf die Tänzerin E.________, die bestätigt habe, dass ihr zur Kontrolle der Abrechnung keine Zeit geblieben sei (angefochtener Entscheid S. 14). Dass die Tänzerin nicht mehr einvernommen wurde, ist von vornherein unerheblich. Das Obergericht stellt gestützt auf eine Aussage des Beschwerdeführers an anderer Stelle fest, die der deutschen Sprache nicht mächtigen Tänzerinnen hätten nach einer Arbeitszeit von sechs bis acht Stunden morgens um 02.00 bis 04.00 Uhr in übermüdetem und alkoholisiertem Zustand die Lohnabrechnung unterzeichnen müssen, bevor sie anschliessend direkt an den neuen Arbeitsort transportiert wurden (angefochtener Entscheid S. 12/13). Dass sie unter diesen Umständen keine Möglichkeit zur Überprüfung der Abrechnungen hatten, ist offensichtlich.
Soweit der Beschwerdeführer bemängelt, dass das Obergericht auf die Aussage von F.________ abgestellt hat (Beschwerde S. 19 oben), ist darauf nicht einzutreten.
Das Obergericht zitiert die Zeugin am vom Beschwerdeführer angegebenen Ort im Zusammenhang mit dem Vorwurf des Wuchers (angefochtener Entscheid S. 17/18). Der Beschwerdeführer aber macht geltend, dass die Tänzerinnen zum Sachverhalt betreffend Förderung der Prostitution und gewerbsmässige Kuppelei hätten einvernommen werden müssen (Beschwerde S. 14). Aus welchem Grund F.________ zu diesen Vorwürfen hätte einvernommen werden müssen, ergibt sich aus der insoweit nicht hinreichend begründeten Beschwerde nicht.
d) In diesem Punkt ist die Beschwerde als offensichtlich unbegründet abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
5.- Die Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Damit wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos geworden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht (II. Kammer) des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
--------- Lausanne, 29. März 2001
Im Namen des Kassationshofes
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: