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Original
 
[AZA 0/2]
5P.20/2001/SAT/bnm
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
2. April 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Merkli und
Gerichtsschreiber Schett.
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In Sachen
A.J.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Peter Jossen-Zinsstag, Englisch-Gruss-Strasse 6, Post-fach 395, 3900 Brig,
gegen
Versicherung X.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Felix Truffer, Furkastrasse 25, Postfach 143, 3900 Brig, Kantonsgericht Wallis, Zivilgerichtshof I,
betreffend
Art. 4 aBV (Zivilprozess), hat sich ergeben:
A.- Am 18. Juni 1998 reichte A.J.________ beim Bezirksgericht Brig eine Klage gegen die Versicherung X.________ ein. Sie beantragte, ihr ein Geburtengeld im Betrag von Fr. 7'000.-- nebst Zins zu 5% seit dem 7. Dezember 1997 zuzusprechen.
Mit Entscheid vom 23. Februar 2000 wies der Bezirksrichter II von Brig die Klage ab. Hiergegen legte A.J._________ am 9. Juni 2000 Berufung zu Händen des Kantonsgerichts Wallis ein. Das Kantonsgericht (Zivilgerichtshof I) erwog, laut der am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen neuen Zivilprozessordnung (ZPO/VS) sei für hängige Verfahren das alte Recht, für Rechtsmittelverfahren jedoch das neue Recht massgebend. Da die Voraussetzungen für eine Umwandlung der Berufung in eine Nichtigkeitsklage hier nicht erfüllt seien, könne auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden (Urteil vom 1. Dezember 2000).
B.- Mit Eingabe vom 16. Januar 2001 führt A.J.________ staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht. Sie beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Beschwerdegegnerin hat keine Vernehmlassung eingereicht.
Der Zivilgerichtshof I des Kantonsgerichts Wallis hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das Urteil des Kantonsgerichts ist kantonal letztinstanzlich (vgl. ZPO/VS 5. Kapitel: Rechtsmittel, Art. 214 ff.). Es kann wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden (Art. 84 OG). Das kantonsgerichtliche Erkenntnis datiert vom 1. Dezember 2000 und ist den Parteien nach Angaben des Kantonsgerichts am 4. Dezember 2000 zugegangen (nicht am 4. Oktober 2000, wie die Beschwerdeführerin schreibt). Die Beschwerde vom 16. Januar 2001 erweist sich somit unter Berücksichtigung der Gerichtsferien als rechtzeitig (Art. 89 Abs. 1 i.V.m. Art. 34 Abs. 1 lit. c OG).
2.- a) Das Kantonsgericht hat erwogen, für Rechtsmittelverfahren in Fällen, die beim Inkrafttreten der neuen Zivilprozessordnung vom 24. März 1998 hängig gewesen seien, erkläre Art. 317 Abs. 2 ZPO/VS das neue Recht für anwendbar.
Dieses sehe vor, dass die Berufung nur gegen End-, Vor- oder Teilurteile zulässig sei, die in erster Instanz vom Bezirksrichter ausgefällt würden (Art. 23 Abs. 2 und Art. 214 Abs. 1 ZPO/VS), nämlich in denjenigen Fällen, die mit Berufung ans Bundesgericht weitergezogen werden könnten (Art. 22 Abs. 7 ZPO/VS). Bei geldwerten Streitigkeiten sei dies gemäss Art. 6 OG der Fall, wenn der Streitwert Fr. 8'000.-- übersteige.
Über Streitigkeiten, die wie die vorliegende in einem Streitwertrahmen von Fr. 5001.-- bis Fr. 7'999.-- lägen, entscheide nun der Bezirksrichter nicht mehr erstinstanzlich, sondern endgültig (Art. 22 Abs. 3 und 7 ZPO/VS), weshalb nur die Nichtigkeitsklage an das Kantonsgericht offen stehe (Art. 214 Abs. 1 e contrario; Art. 226 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 3 ZPO/VS). Auf die Berufung könne deshalb nicht eingetreten werden. Da nach ständiger Praxis des Kantonsgerichts die Umwandlung einer Berufung in eine Nichtigkeitsklage (oder umgekehrt) unzulässig sei, wenn die Eingabe wie hier von einem Rechtsanwalt stamme und ausdrücklich als Berufung (bzw. als Nichtigkeitsklage) bezeichnet werde sowie die Formvorschriften einhalte, müsse es mit dem Nichteintreten sein Bewenden haben. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei diese Praxis nicht überspitzt formalistisch.
b) Der Beschwerdeführer wirft dem Kantonsgericht überspitzten Formalismus vor. Die Revision des Rechtsmittelsystems habe zu eigentlichen Prozessfallen geführt. Das Kantonsgericht selber sei wie im Übrigen auch die Gegenpartei von der Zulässigkeit der Berufung ausgegangen und habe erst in einem späten Verfahrensstadium bemerkt, dass diese nicht gegeben sei. Nach dem ausdrücklich in die Zivilprozessordnung aufgenommenen Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 62 ZPO/VS) hätte das Kantonsgericht deshalb entweder die Berufung zur Verbesserung an den Anwalt zurücksenden oder das Rechtsmittel als Nichtigkeitsklage behandeln müssen.
3.-a) Überspitzter Formalismus ist eine besondere Form der Rechtsverweigerung und liegt insbesondere vor, wenn eine Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt.
Art. 29 Abs. 1 BV, der auch im Lichte von Art. 5 und 9 BV zu würdigen ist (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl. 1999, S. 500; BGE 124 II 265 E. 4a S. 270), ist verletzt, wenn die strikte Einhaltung einer Formvorschrift durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum Selbstzweck wird und auf unhaltbare Weise die Verfolgung des materiellen Rechts behindert oder kompliziert.
Das Bundesgericht prüft frei, ob eine solche Rechtsverweigerung vorliegt (BGE 125 I 166 E. 3a S. 170, mit weiteren Hinweisen).
b) Es trifft zu, dass das Bundesgericht die publizierte Praxis der Walliser Gerichtsbehörden als nicht überspitzt formalistisch bezeichnet hat, wonach eine unzulässige Nichtigkeitsklage (bzw. -beschwerde) nicht als Berufung entgegengenommen wird, wenn sie von einem Rechtsanwalt verfasst worden ist, der sie ausdrücklich als Nichtigkeitsklage bezeichnet und die entsprechenden Formvorschriften eingehalten hat (BGE 113 Ia 84 E. 3 und 4). Das Bundesgericht hat dabei erwogen, dass die Rechtsverfolgung durch das Nebeneinander von zwei Rechtsmitteln (Berufung und Nichtigkeitsklage) nur erschwert wird, wenn die Unterscheidung zwischen ihnen schwierig bzw. zweifelhaft ist, was für die alte ZPO/VS verneint wurde (E. 3b S. 88). Es hat im Weiteren ausgeführt, dass die falsche Bezeichnung noch nicht rechtfertigt, eine Konversion auszuschliessen, wenn die Form des Rechtsmittels und das Rechtsbegehren auch für das richtige Rechtsmittel geeignet sein können (E. 3c S. 88 ff.), aber bestätigt, dass gegenüber einem Anwalt ein strengerer Massstab angelegt werden darf (E. 3d S. 90). Es hat sodann als bedeutsam erachtet, dass die Verfahrensunterschiede zwischen der Berufung und der Nichtigkeitsklage im Falle der Wahl des falschen Rechtsmittels sowohl bei der Gegenpartei als auch beim Richter zu Verwirrung und unnötigen Prozesshandlungen führen können, und dass der Ausschluss der Konversion unnötige Vorkehren verhindert (E. 3e S. 90 ff.). Das Bundesgericht hat endlich daran erinnert, dass es überspitzten Formalismus nur angenommen hat, wenn weder die Gegenpartei noch die Behörde zu unnützen Verfahrenshandlungen verleitet wurden (E. 4a S. 92 f.). Für den konkreten Fall hat es derartige unnötige Vorkehren festgestellt und festgehalten, dass die Verweigerung der Konversion angesichts des klarerweise gegebenen anderen Rechtsmittelweges unter diesen Umständen nicht als unverhältnismässig erscheint (E. 4b S. 93). An die Voraussetzung der - für einen Rechtsanwalt - ohne Schwierigkeiten möglichen Wahl des richtigen Rechtsmittels und des leicht erkennbaren Rechtsmittelweges hat das Bundesgericht den Ausschluss der Konversion auch im Falle der Einreichung einer eidgenössischen Berufung an Stelle einer staatsrechtlichen Beschwerde gebunden (BGE 120 II 270 E. 2 S. 272).
4.- Vorliegend kann dem Kantonsgericht zwar darin gefolgt werden, dass sich die Anwendbarkeit der neuen Zivilprozessordnung für den Rechtsmittelweg klar aus dem Gesetz ergibt (Art. 317 Abs. 2 ZPO/VS). Der nunmehr gegebene Ausschluss der Berufung und die Zulassung der Nichtigkeitsklage an ihrer Stelle ist jedoch nicht leicht erkennbar: Zum Ersten müssen zahlreiche und weit auseinander liegende Bestimmungen der ZPO konsultiert werden (vgl. E. 2a hiervor). Zum Zweiten sind diese Bestimmungen zum Teil nicht einfach verständlich; insbesondere erfordern die vorliegend (unter anderem) interessierenden Absätze 3 und 7 von Art. 22 ZPO/VS einigen Interpretationsaufwand im Zusammenhang mit weiteren Vorschriften.
Drittens ist das in BGE 113 Ia 84 festgestellte einfache Abgrenzungskriterium für die Berufung und die Nichtigkeitsklage (Streitwertgrenze von Fr. 5'000.--) in der neuen ZPO/VS zu Gunsten einer differenzierteren Unterscheidung (mit einer weiteren Kategorie von Fällen [Entscheide mit einem Streitwert zwischen Fr. 5001.-- und Fr. 7'999.--]) aufgegeben worden.
Zumindest in der Übergangszeit, das heisst für die nach Art. 317 Abs. 2 ZPO/VS zu behandelnden Angelegenheiten, kann deshalb in Fällen wie hier nicht von einer ohne Schwierigkeiten möglichen Wahl des richtigen Rechtsmittels und einem leicht erkennbaren Rechtsmittelweg ausgegangen werden, selbst nicht für einen beruflichen Rechtsvertreter. Das zeigt sich auch im Verhalten der Behörden selber und in jenem der Gegenpartei:
Allen Beteiligten ist offenbar während längerer Zeit entgangen, dass die Berufung nach neuem Recht ausgeschlossen war. So hat der Bezirksgerichtsschreiber dem Kantonsgerichtspräsidenten die eingereichte Berufung (am 13. Mai 2000) kommentarlos angezeigt. Alsdann hat der Präsident des Zivilgerichtshofes I zwei verfahrensleitende Anordnungen getroffen, die sich eindeutig auf das Berufungsverfahren bezogen (Schreiben vom 5. Juli und 19. Oktober 2000). Zumindest die Einholung einer Stellungnahme zur Berufung hätte sich aber erübrigt, wenn der Präsident des Zivilgerichtshofes I der Auffassung gewesen wäre, die Berufung stehe klarerweise nicht offen und eine Konversion des Rechtsmittels scheide zum vornherein aus. Endlich hat sich die ebenfalls durch einen Rechtsanwalt handelnde Gegenpartei zur Berufung geäussert, ohne deren Unzulässigkeit geltend zu machen (Berufungsantwort vom 15. November 2000). Damit aber fehlt es an der oben erwähnten Grundvoraussetzung für einen Ausschluss der Konversion und muss sich das Kantonsgericht übertriebene Verfahrensstrenge vorwerfen lassen. Der angefochtene Entscheid erscheint als überspitzt formalistisch und ist aufzuheben.
Bei diesem Ausgang geht die Sache zurück an das Kantonsgericht, das zu prüfen hat, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Berufung die Anforderungen an eine Nichtigkeitsklage erfüllt und als solche behandelt werden kann. Ob dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers gegebenenfalls eine Frist zur Verbesserung anzusetzen ist, ist eine Frage des kantonalen Zivilprozessrechts und in diesem Verfahren nicht zu prüfen.
5.- Da die Beschwerdegegnerin auf eine Vernehmlassung und Rechtsbegehren stillschweigend verzichtet hat und dem Kanton vorliegend keine Kosten auferlegt werden können (Art. 156 Abs. 2 OG), ist keine Gerichtsgebühr zu erheben.
Der Kanton Wallis hat der Beschwerdeführerin jedoch die Parteikosten für das Verfahren vor dem Bundesgericht zu ersetzen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und das Urteil des Kantonsgerichts Wallis (Zivilgerichtshof I) vom 1. Dezember 2000 wird aufgehoben.
2.- Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
3.- Der Kanton Wallis hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen.
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Wallis (Zivilgerichtshof I) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 2. April 2001
Im Namen der II. Zivilabteilung des
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: