BGer 2A.192/2000 |
BGer 2A.192/2000 vom 09.05.2001 |
[AZA 0/4]
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2A.192/2000/bie
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II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ***********************************
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9. Mai 2001
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Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der
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II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Hartmann, Hungerbühler,
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Müller, Bundesrichterin Yersin und Gerichtsschreiber Merz.
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In Sachen
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X.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch CompTax Treuhand Kurt Tenger, Hertistrasse 26, Wallisellen,
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gegen
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Steuerverwaltung des Kantons Thurgau, Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau,
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betreffend
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direkte Bundessteuer 1997
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(Verlustvortrag per 31. Dezember 1997),
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A.- Der X.________ AG wurden am 31. März 1999 die Veranlagungen für die direkte Bundessteuer 1995 - 1997 eröffnet.
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Die Bundessteuerveranlagung 1997 schloss mit einem Jahresverlust von Fr. 196'345.--, so dass sich kein steuerbarer Gewinn ergab. Ferner wurden darin als weitere sich aus den Geschäftsjahren 1994 und 1995 ergebende "verrechenbare Vorjahresverluste" Fr. 388'018.-- aufgeführt. Die Pflichtige wandte sich mit Schreiben vom 19. April 1999 gegen die sich aus der Bundessteuerveranlagung 1997 per 31. Dezember 1997 ergebende Höhe des Verlustvortrages von insgesamt Fr. 584'363.-- (Summe von Fr. 196'345.-- und Fr. 388'018.--). Die Steuerverwaltung des Kantons Thurgau behandelte dieses Schreiben als Einsprache und wies - nach einiger Korrespondenz - am 1. November 1999 das Begehren der X.________ AG zur Erhöhung des Verlustvortrages ab. Dieser sei richtig ermittelt worden.
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Auf Beschwerde hin bestätigte die Steuerrekurskommission des Kantons Thurgau (im Folgenden: Steuerrekurskommission) am 20. März 2000 den Entscheid der Kantonalen Steuerverwaltung vom 1. November 1999 mit der gleichen Begründung.
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B.- Die X.________ AG hat am 25. April 2000 beim Bundesgericht gegen den Entscheid der Steuerrekurskommission "Einsprache" eingereicht mit dem Antrag, "den Stand der Verlustverrechnung per 31.12.1997 mit Fr. - 804'127.-- festzulegen".
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Das Bundesgericht heisst die als Verwaltungsgerichtsbeschwerde behandelte Eingabe teilweise gut und hebt den Entscheid der Steuerrekurskommission vom 20. März 2000 sowie den Einspracheentscheid der Steuerverwaltung vom 1. November 1999 auf. Soweit eine anderweitige Festsetzung des Betrages des Verlustvortrages begehrt wird, tritt es auf die Beschwerde allerdings nicht ein.
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Aus den Erwägungen:
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1.- b) Fraglich könnte die von der Eidgenössischen Steuerverwaltung bestrittene Beschwerdelegitimation sein.
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Gemäss Art. 103 lit. a OG ist zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde berechtigt, wer durch die angefochtene Verfügung berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat. Ein Interesse nur tatsächlicher Natur genügt (BGE 115 Ib 47 E. 1b S. 49; ASA 60 S. 263 E. 1 S. 265), es muss aber im Zeitpunkt der Beschwerde und des Urteils grundsätzlich bestehen, d.h. aktuell sein (BGE 111 Ib 56 E. 2a S. 58 f., 182 E. 2a S. 185; ASA 60 S. 263 E. 1 S. 265). Die Vorinstanzen haben den zum 31. Dezember 1997 gemäss Art. 67 Abs. 1 DBG verrechenbaren Verlust mit Fr. 584'363.-- angegeben. Die Beschwerdeführerin möchte diesen Betrag in erster Linie höher angesetzt haben.
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aa) Laut Eidgenössischer Steuerverwaltung kann die Berechnung des Verlustvortrages aus den Vorperioden nicht Gegenstand einer Beschwerde sein, da fest stehe, dass die Erfolgsrechnung der Beschwerdeführerin für das Bemessungsjahr 1997 mit einem Verlust abschliesse. Mit Beschwerde könnten nur die im Dispositiv angeordneten Rechtsfolgen angefochten werden, mithin nur die Steuerfaktoren, der Steuerbetrag sowie etwaige Bussen und Kosten. Da der Ertrag der Bemessungsperiode null betrage und die Kapitalbesteuerung nicht im Streite liege, sei die Beschwerdeführerin durch die (von ihr bestrittene) Ermittlung der verrechenbaren Verluste nicht beschwert.
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bb) Nach ständiger Praxis des Bundesgerichts kommt einer Veranlagung bei periodischen Steuern nur für die betreffende Periode Rechtskraft zu; sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Verhältnisse können in einem späteren Veranlagungszeitraum anders gewürdigt werden (ASA 37 S. 67 E. 2 S. 71; BGE 88 I 240 E. 2 S. 244; 81 I 5 S. 7 f.). Die Erwägungen, worauf die Festsetzungen beruhen, haben lediglich die Bedeutung von Motiven. Diese nehmen an der materiellen Rechtskraft der Entscheidung für sich allein grundsätzlich nicht teil (vgl. BGE 81 I 5 S. 8; Ernst Känzig/ Urs R. Behnisch, Die direkte Bundessteuer, III. Teil, 2. Aufl.
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1992, N. 12 zu Art. 99 BdBSt, S. 223, und N. 7 zu Art. 106 BdBSt, S. 255 f.; sowie allgemein: Blaise Knapp, Précis de droit administratif, 4. Aufl. 1991, S. 250 f., N. 1131; Max Imboden/René A. Rhinow, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Band I, 6. Aufl. 1986, S. 258 f., Nr. 42 B II; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl. 1983, S. 323).
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In der Steuerveranlagung für 1997 ist insofern vorliegend die Aussage entscheidend, dass die Steuerpflichtige keinen steuerbaren Gewinn hat und dementsprechend keine Steuern für das erwähnte Jahr bezahlen muss. Nur dieser Teil ist damit anfechtbar und auch der Rechtskraft fähig.
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cc) Ein Teil der Literatur will indes zusätzlich ein aktuelles Interesse an der Feststellung der Höhe des Verlustes bejahen (Känzig/Behnisch, a.a.O., N. 37 zu Art. 88 BdBSt, S. 115) bzw. befürwortet, dass statt einer sog. Nulltaxation der "steuerlich noch verrechenbare Verlustbetrag" (Peter Brülisauer/Stephan Kuhn, in: Martin Zweifel/Peter Athanas [Hrsg. ], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Band I/2a, Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, 2000, N. 11 zu Art. 67 DBG) zahlenmässig beziffert und ebenfalls zu dem anfechtbaren sowie der Rechtskraft fähigen Teil der Steuerveranlagung erhoben wird (Brülisauer/Kuhn, a.a.O.; Bernhard Felix Schärer, Verlustverrechnung von Kapitalgesellschaften im interkantonalen Doppelbesteuerungsrecht, Diss. Zürich 1997, S. 66 f.; Peter Agner/Beat Jung/Gotthard Steinmann, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 4 zu Art. 67 DBG).
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Auch wenn nicht sicher sei, dass die Verluste einmal mit Gewinnen verrechnet werden können, müsse das Interesse, möglichst frühzeitig und nicht Jahre nach Ablauf der betreffenden Bemessungsperiode mit abnehmendem Kenntnisstand und erheblich grösseren Beweisproblemen über die Begründetheit des Verlustes streiten zu müssen, für einen Anspruch auf Feststellung genügen (so Känzig/Behnisch, a.a.O., N. 37 zu Art. 88 BdBSt, S. 115). Als weiteres Argument wird die zeitlich unbefristete Verlustverrechnungsmöglichkeit gemäss Art. 67 Abs. 2 DBG sowie die notwendige Unterscheidung zwischen Inland- und Auslandsverlusten gemäss Art. 52 Abs. 3 DBG angeführt (so Brülisauer/Kuhn, a.a.O., N. 11 zu Art. 67 DBG; Schärer, a.a.O., S. 67). Diese Gesichtspunkte sprechen indes allenfalls für eine Festsetzung der im Veranlagungsjahr angefallenen und nicht mit Gewinnen verrechneten Verluste.
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Hingegen macht die Ermittlung des Verlustvortrages unter Einbezug der sieben der Steuerperiode vorangegangenen Geschäftsjahre gemäss Art. 67 Abs. 1 DBG unter anderem bei Art. 67 Abs. 2 DBG keinen Sinn, da es dort nicht auf diese zeitliche Beschränkung ankommt.
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Der (ausschliesslich) im Veranlagungsjahr 1997 erlittene Verlust ist zwischen den Beteiligten unstreitig und vorliegend auch gar nicht Beschwerdegegenstand. Es kann daher offen bleiben, ob die Beschwerdeführerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Höhe des im Veranlagungsjahr angefallenen Verlustes hat. Soweit die Beschwerdeführerin aber die Höhe der nach Art. 67 Abs. 1 DBG auf das Folgejahr vortragbaren Verluste festgestellt haben will, fehlt es ihr auf jeden Fall an einem aktuellen schützenswerten Interesse (so im Ergebnis ausdrücklich zum Verlustvortrag Marco Duss, Verfahrensrecht in Steuersachen, 1987, S. 101; Felix Richner/Walter Frei/Barbara Weber/Hans R. Brütsch, Kurzkommentar zum Zürcher Steuergesetz, 2. Aufl.
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1997, N. 4a zu § 89; Felix Richner/Walter Frei/Stefan Kaufmann, Kommentar zum harmonisierten Zürcher Steuergesetz, 1999, N. 36 zu § 140): Die Berechnung der vorzutragenden Verluste ändert sich jährlich, indem wegen der zeitlichen Beschränkung nach der zuletzt genannten Bestimmung das älteste Jahr jeweils wegfällt. Damit verliert der sich ergebende Verlustvortrag in den folgenden Jahren seine Bedeutung.
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Ein etwaiges Problem bei der Ermittlung des Verlustvortrages in einem bestimmten Augenblick kann sich folglich durch Zeitablauf erledigen, vor allem dann, wenn auch die Folgejahre keinen (gegebenenfalls mit Verlusten aus Vorjahren zu verrechnenden) Gewinn aufweisen. Die Frage nach dem Stand der gesamten vortragbaren Verluste stellt sich aktuell erst, wenn eine Verrechnung mit Gewinnen tatsächlich in Betracht kommt.
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dd) Allerdings war vorliegend der Verlustvortrag per 31. Dezember 1997 einziger Gegenstand des Einspracheentscheids der kantonalen Steuerverwaltung. Diese trat auf die "Einsprache" ein und äusserte sich zur Ermittlung der Höhe des Verlustvortrages im Rahmen der Steuerveranlagung 1997. Sie hielt ausdrücklich fest, dass der Stand der auf den 31. Dezember 1997 verrechenbaren Verluste - wie in der Steuerveranlagung angegeben - Fr. 584'363.-- betrage, weshalb sie die Einsprache "betreffend die Verlustverrechnung" abwies. Sodann trat die Steuerrekurskommission ebenfalls auf das dagegen erhobene Rechtsmittel ein, mit welchem die Beschwerdeführerin erneut allein den Verlustvortrag anders festgesetzt haben wollte. Diesen bezeichnete die Steuerrekurskommission hierbei ausdrücklich als "Beschwerdegegenstand".
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Insofern befasste sie sich in ihren Erwägungen mit den gegensätzlichen Ansichten der Beteiligten, wie mit den Verlusten, die aus Veranlagungsjahren vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (am 1. Januar 1995, Art. 222 Abs. 2 DBG) stammen, bei der Ermittlung des Verlustvortrages nach Art. 67 Abs. 1 DBG umzugehen ist (vgl. auch Übersicht der verschiedenen Berechnungsmethoden bei Hans-Jürg Neuhaus, Die Verlustverrechnung juristischer Personen in der Steuerperiode 1995, ASA 64 S. 377 ff.).
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Damit können die Angaben zum Verlustvortrag nicht länger als der Rechtskraft nicht fähiger Teil der Begründung der Veranlagung angesehen werden. Vielmehr sind sie als Anordnung im Einzelfall, die die Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens und des Umfanges von Rechten zum Inhalt hat, zu behandeln. Auch wenn der Verlustvortrag wegen der im Gesetz vorgesehenen zeitlichen Beschränkung auf sieben Jahre annuell auf neuer Berechnungsbasis zu ermitteln ist, betrifft der per 31. Dezember 1997 festgestellte Verlustvortrag die für das folgende Veranlagungsjahr (1998) gemäss Art. 67 Abs. 1 DBG verrechenbaren Verluste. Es ist davon auszugehen, dass sich die Vorinstanzen gegebenenfalls auf die von der Beschwerdeführerin beanstandete Feststellung berufen werden. Daher kann diese zumindest Auswirkungen für die Steuerperiode 1998 haben, woraus der Beschwerdeführerin ein aktuelles schützenswertes Interesse an deren Aufhebung zuzugestehen ist. Ob die Steuerbehörden eine solche Feststellungsverfügung überhaupt erlassen durften, betrifft nicht das Eintreten, sondern bildet Gegenstand der materiellen Beurteilung.
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ee) Nach dem Gesagten hat die Beschwerdeführerin vorliegend ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids, nicht jedoch auch einen Anspruch, den Betrag des Verlustvortrages anders festsetzen zu lassen.
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Der Antrag auf Aufhebung des Entscheids der Steuerrekurskommission ist in ihrem Begehren um anderweitige Festsetzung des Verlustvortrages enthalten. Soweit sie mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids begehrt, ist auf ihre Beschwerde hingegen nicht einzutreten.
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3.- Im Bereich der direkten Bundessteuer besteht mit Bezug auf die Zulässigkeit von gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen Feststellungsentscheiden eine zurückhaltende Praxis (vgl. BGE 126 II 514 E. 3 S. 517 ff.). Insoweit bedarf es grundsätzlich mindestens eines aktuellen schützenswerten Interesses des Steuerpflichtigen (vgl. BGE 126 II 514 E. 3d S. 519, mit Hinweisen). Wie ausgeführt (E. 1b/cc), ist ein solches betreffend die Feststellung der nach Art. 67 Abs. 1 DBG auf das Folgejahr vortragbaren Verluste nicht gegeben.
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Daher hätten die Vorinstanzen gar nicht erst auf die entsprechenden Rechtsmittel der Beschwerdeführerin eintreten und einen materiellen Entscheid zur Höhe des Verlustvortrages gemäss Art. 67 Abs. 1 DBG fällen dürfen. Wurde deshalb zu Unrecht eine Verfügung erlassen, so ist diese aufzuheben.
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Lausanne, 9. Mai 2001
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