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1P.428/2000/mks
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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14. Mai 2001
Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger,
Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Nay, Bundesrichter Aeschlimann und Gerichtsschreiber Störi.
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In Sachen
Heinz Fuhrer, Ruegna, Trin Mulin, Beschwerdeführer 1,Vincent Augustin, Nordstrasse 32, Chur, Beschwerdeführer 2, beide vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Vincent Augustin, Vazerolgasse 2, Postfach 731, Chur,
gegen
Grosser Rat des Kantons Graubünden,
betreffend
Art. 85 lit. a OG (Überführung von Anlagewerten des
Finanzvermögens ins Verwaltungsvermögen; obligatorisches
Finanzreferendum), hat sich ergeben:
A.- Bei der Detailberatung der Staatsrechnung 1999 des Kantons Graubünden stellte Vincent Augustin an der Sitzung des Grossen Rates vom 30. Mai 2000 folgenden Antrag zur Bilanz:
"1. Die Verlagerung der Anlagewerte des Finanzvermögens
in das Verwaltungsvermögen (Übertrag von
Kontogruppe FV 1021 auf VV 1158) gemäss Zusammenstellung
Rechnung 1999, Seite A 50, Ziff. 1,
Beteiligungen, in Höhe von 79'237'789 Franken
sei nicht zu vollziehen und die Anlagewerte
seien im Finanzvermögen zu behalten.
2. Eventuell seien die Beteiligungen an der AG
Bündner Kraftwerke bzw. an der Kraftwerke Brusio
AG bzw. ihre Überführung ins Verwaltungsvermögen
als Ausgabe dem obligatorischen Finanzreferendum
gemäss Art. 2 Abs. 6 lit. a der Kantonsverfassung
zu unterstellen.. "
Der Grosse Rat lehnte den Hauptantrag Augustin mit 85:6 Stimmen und den Eventualantrag mit 89:4 Stimmen ab. Anschliessend genehmigte er die Staatsrechnung 1999 mit 99:0 Stimmen.
B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung des Stimmrechts vom 28. Juni 2000 beantragen Heinz Fuhrer und Vincent Augustin:
"1. Der vom Grossen Rat des Kantons Graubünden am 30.05.2000 im Rahmen der Ratsdebatte betr. Abnahme
der Rechnung des Kantons Graubünden pro
1999 abgelehnte Antrag des Beschwerdeführers
Nr. 2, die Verlagerung von Anlagewerten des
Finanzvermögens, Beteiligungen an der AG Bündner
Kraftwerke bzw. Kraftwerke Brusio AG, Übertrag
von Kontogruppe FV 1021 auf Kontogruppe VV 1158,
gemäss Zusammenstellung Rechnung 1999 S. 50 A
Ziff. 1, in Höhe von Fr. 78'960'380.-- in das
Verwaltungsvermögen als Ausgabe dem obligatorischen
Finanzreferendum gemäss Art. 2 Abs. 6
lit. a Kantonsverfassung zu unterstellen, sei
aufzuheben und Regierung und Grosser Rat anzuweisen,
diese Überführung von Anlagewerten des
Finanzvermögens in das Verwaltungsvermögen dem
obligatorischen Finanzreferendum und damit der
Volksabstimmung zu unterstellen.
2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen gemäss
Gesetz.. "
C.- In seiner Vernehmlassung beantragt der Grosse Rat, auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht einzutreten. Falls eingetreten werde, sei sie abzuweisen.
Im Rahmen des zweiten Schriftenwechsels halten sowohl Heinz Fuhrer und Vincent Augustin in ihrer Beschwerdeergänzung als auch der Grosse Rat in seiner Replik an ihren Anträgen vollumfänglich fest.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und inwieweit auf ein Rechtsmittel eingetreten werden kann (BGE 126 I 50 E. 1).
a) Auf Stimmrechtsbeschwerde nach Art. 85 lit. a OG hin beurteilt das Bundesgericht Beschwerden betreffend die politische Stimmberechtigung der Bürger in kantonalen Wahlen und Abstimmungen. Kennt ein Kanton das Institut des obligatorischen oder fakultativen Finanzreferendums, so kann Anfechtungsobjekt der Stimmrechtsbeschwerde jeder Ausgabenbeschluss des Gemeinwesens oder ein darüber ergangener Rechtsmittelentscheid sein, unabhängig davon, ob er von der Exekutive oder vom Parlament gefasst wurde (Urteil des Bundesgerichts vom 8. November 1993 in ZBl 95 1994 222 E. 1a; BGE 118 Ia 184 E. 1a; 113 Ia 388 E. 1b).
b) Mit ihrem Rechtsbegehren wollen die Beschwerdeführer - trotz der missglückten Formulierung, der (ganze) Antrag sei aufzuheben, - wie sich aus der Begründung ergibt, die Aufhebung des Entscheides des Grossen Rats verlangen, mit welchem der Antrag des Beschwerdeführers Nr. 2, die Überführung der bisher im Finanzvermögen gehaltenen Kraftwerkbeteiligungen in der Höhe von rund 79 Millionen Franken ins Verwaltungsvermögen dem obligatorischen Finanzreferendum zu unterstellen, abgelehnt wurde. Insoweit ist das Rechtsbegehren nachvollziehbar und zulässig. Der darüber hinaus gehende Antrag, der Regierung bestimmte Anweisungen zu erteilen, scheitert dagegen an der kassatorischen Natur der Stimmrechtsbeschwerde (BGE 119 Ia 167 E. 1f).
c) Als Stimmbürger des Kantons Graubünden sind die Beschwerdeführer zur Stimmrechtsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG ohne weiteres legitimiert (BGE 121 I 357 E. 2a; 120 Ia 194 E. 1c). Fragen könnte man sich allerdings, ob der Beschwerdeführer Nr. 2 sein Beschwerderecht nicht verwirkt hat, weil er sich an der Sitzung des Grossen Rates vom 30. Mai 2000, an welcher er teilnahm und seine Anliegen vorbrachte, nach der Ablehnung seines Haupt- und seines Eventualantrages der (ohne Gegenstimme erfolgten) Genehmigung der Jahresrechnung 1999 nicht widersetzte. Das kann hier jedoch offen bleiben, da dies die Legitimation des nicht im Grossen Rat einsitzenden Beschwerdeführers Nr. 1 nicht beeinträchtigen könnte und auf die Beschwerde ohnehin, wie nachfolgend zu zeigen ist, nicht eingetreten werden kann.
d) Die Regierung hat dem Grossen Rat durch die Vorlage der Rechnung jährlich Rechenschaft abzulegen über ihr Finanzgebaren (Art. 24 Abs. 1 FHG). Mit der Genehmigung der Staatsrechnung entlastet der Grosse Rat die Regierung, eine darüber hinaus gehende Bedeutung kommt der Rechnungsabnahme nicht zu (Klaus A. Vallender, Finanzhaushaltrecht, Bern und Stuttgart 1983, S. 35 und 54). Der angefochtene Genehmigungsbeschluss des Grossen Rates ist daher kein Ausgabenbeschluss, der gegebenenfalls dem Finanzreferendum unterstellt werden müsste und der damit Anfechtungsobjekt einer Stimmrechtsbeschwerde wegen Verletzung des Finanzreferendums sein könnte (vgl. oben E. a). Daran ändern, entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer, auch die Besonderheiten des vorliegenden Falles nichts:
e) Nach unbestrittener Darstellung der Regierung diente die Totalrevision des Finanzhaushaltgesetzes (FHG), welche am 7. Juni 1998 vom Volk angenommen und auf den
1. Januar 1999 in Kraft gesetzt wurde, unter anderem dazu, die Begriffe des Finanz- und Verwaltungsvermögens neu zu fassen und an das Mustergesetz für den Finanzhaushalt der Kantone und damit an die Regelung praktisch aller Kantone anzugleichen. Nach Art. 9 Abs. 1 und 4 FHG gehören nunmehr alle Vermögenswerte, die jederzeit realisierbar sind, zum Finanzvermögen, während Vermögenswerte, die unmittelbar und auf längere Zeit der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dienen, Verwaltungsvermögen darstellen.
Mit dieser Gesetzesänderung wollte die Regierung, wie sie in ihrer Botschaft vom 23. Dezember 1997 an den Grossen Rat zum Ausdruck brachte, bisher im Finanzvermögen gehaltene Beteiligungen an Unternehmen, mit denen sie nicht in erster Linie Anlagezwecke verfolgte, sondern sich ein Mitspracherecht für die Geltendmachung öffentlicher Interessen sichern wollte, vom Finanz- ins Verwaltungsvermögen überführen. Die Beteiligungen - darunter die hier umstrittenen Kraftwerkbeteiligungen -, die aufgrund dieser Gesetzesänderung ins Verwaltungsvermögen überführt werden sollten, wurden im Anhang der Botschaft einzeln ausgewiesen.
In der Botschaft (S. 673) wird ausdrücklich erklärt, die Überführung der im Anhang aufgeführten Werte vom Finanzzins Verwaltungsvermögen werde nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes "mit den dannzumaligen Werten ohne weiteres Ausgabenbewilligungsverfahren vorgenommen".
Die Vorlage wurde vom Grossen Rat gestützt auf diese Botschaft oppositionslos zu Handen der Volksabstimmung verabschiedet und anschliessend vom Volk angenommen. Es ist fraglich, ob mit der Annahme der Gesetzesvorlage in der Volksabstimmung zugleich auch der Ausgabenbeschluss gefasst wurde, wie die Regierung geltend macht, zumal die Erklärungen dazu in der Botschaft in den Erläuterungen zur Volksabstimmung keine Erwähnung mehr fanden. Das kann indessen offen bleiben. Die umstrittene Vermögensumschichtung war, worauf die Regierung im Kommentar zum Voranschlagsentwurf 1999 ausdrücklich hingewiesen hatte, im Voranschlag 1999 enthalten. Mit dessen Genehmigung durch den Grossen Rat am 24. November 1998 war die Regierung berechtigt, im Jahre 1999 die Kraftwerkbeteiligungen ins Verwaltungsvermögen zu überführen, was sie denn nach ihrer unbestrittenen Darstellung nach dem definitiven Abschluss der Rechnung 1998 per
25. Februar 1999 auch tat. Wenn davon ausgegangen wird, der Ausgabenbeschluss sei nicht bereits mit der Annahme des FHG durch das Volk getroffen worden, dann wurde die Ausgabe ohne einen Ausgabenbeschluss ins Budget aufgenommen bzw. bildete die Aufnahme in den Voranschlag 1999 den Ausgabenbeschluss (vgl. dazu in Pra 1996 4 E. 3a publizierter BGE vom 23. Dezember 1994, 1P.303/1994; Yvo Hangartner und Andreas Kley, Die demokratischen Rechte in Bund und Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2000, S. 735 N 1844).
Die Beschwerdeführer hätten daher diesen Beschluss des Grossen Rates vom 24. November 1998 über die Genehmigung des Voranschlages 1999 mit Stimmrechtsbeschwerde anfechten und verlangen können und müssen, die streitige Ausgabe sei dem obligatorischen Finanzreferendum zu unterstellen. Ihr Einwand, das FHG sei erst auf den 1. Januar 1999 in Kraft getreten, weshalb der Grosse Rat nicht schon vor diesem Datum die sich aus der Neufassung von Art. 9 FHG ergebenden Ausgaben habe beschliessen dürfen, ändert daran nichts. Im Gegenteil: gerade wenn sie der Auffassung waren, die im Budget 1999 enthaltene Ausgabe von rund 79 Millionen Franken könne sich nicht auf eine (in Kraft stehende) gesetzliche Grundlage stützen, hätten sie umso mehr Anlass gehabt, deren Unterstellung unter das obligatorische Referendum zu fordern.
2.- Danach ist auf die Stimmrechtsbeschwerde nicht einzutreten, weil der Beschluss des Grossen Rates vom 30. Mai 2000 über die Genehmigung der Jahresrechnung kein taugliches Anfechtungsobjekt darstellt und die Beschwerdeführer gegen den spätestens im Voranschlag 1999 enthaltenen Ausgabenbeschluss Stimmrechtsbeschwerde hätten führen können und müssen.
Praxisgemäss sind bei einer Stimmrechtsbeschwerde keine Kosten zu erheben.
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.- Es werden keine Kosten erhoben.
3.- Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern und dem Grossen Rat des Kantons Graubünden schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 14. Mai 2001
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: