[AZA 7]
K 39/00 Vr
IV. Kammer
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiberin Berger
Urteil vom 16. Mai 2001
in Sachen
P.________, 1958, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Urs Marolf, Spitalgasse 9, 3001 Bern,
gegen
Visana, Juristischer Dienst, Weltpoststrasse 17-21, 3000 Bern, Beschwerdegegnerin,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
A.- Der 1958 geborene P.________ hatte bei der Krankenkasse Visana (nachfolgend: Visana) die obligatorische Krankenpflegeversicherung mit wählbarer Jahresfranchise im Betrag von Fr. 600.- sowie verschiedene Zusatzversicherungen abgeschlossen. Mit Schreiben vom 30. November 1998 kündigte er seine Mitgliedschaft auf den 31. Dezember 1998.
Die Visana hielt daraufhin am 22. Januar 1999 fest, die am 1. Dezember 1998 bei ihr eingegangene Kündigung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung per Ende 1998 sei nicht rechtzeitig erfolgt. Am 12. März 1999 liess P.________ mitteilen, die Fristenregelung richte sich vorliegend nicht nach privatem, sondern nach öffentlichem Recht. Demgemäss sei nicht der Eingang der Kündigung beim Versicherer, sondern der Poststempel für die Fristwahrung massgebend, weshalb sich die der Post am 30. November 1998 übergebene Kündigung als rechtzeitig erweise. In der Folge hielt die Visana an der Ablehnung der Kündigung fest (Schreiben vom 26. März 1999) und verfügte am 19. Mai 1999, das obligatorische Krankenpflegeversicherungsverhältnis mit P.________ bleibe über den 31. Dezember 1998 hinaus bestehen. Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 24. Juni 1999.
B.- In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde stellte das Verwaltungsgericht des Kantons Bern fest, das Versicherungsverhältnis zwischen P.________ und der Visana sei per 30. Juni 1999 rechtmässig gekündigt worden; insoweit hob es die Verfügung vom 19. Mai 1999 und den Einspracheentscheid vom 24. Juni 1999 auf (Entscheid vom 27. Januar 2000).
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt P.________ beantragen, es sei festzustellen, dass der Kündigung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vom 30. November 1998 per 31. Dezember 1998, eventuell per 31. Januar 1999, Rechtswirkung zukomme.
Die Visana stellt das Rechtsbegehren, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei abzuweisen und der kantonale Gerichtsentscheid sei in dem Sinne abzuändern, dass die Kündigung per 31. Dezember 1999 wirksam werde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Das Gericht darf ferner weder zu Gunsten noch zu Ungunsten der Parteien über deren Begehren hinausgehen (Art. 132 in Verbindung mit Art. 114 Abs. 1 OG).
2.- Anfechtungsobjekt im vorinstanzlichen Verfahren bildet - entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts - nur der Einspracheentscheid der Visana vom 24. Juni 1999 (Art. 86 Abs. 1 KVG). Dies trifft gemäss den von der Rechtsprechung zum Einspracheverfahren des UVG entwickelten Grundsätzen, welche sinngemäss anwendbar sind (BGE 123 V 130 Erw. 3a), auch auf den Fall zu, in welchem die vorgängige Verfügung - wie vorliegend - durch den Einspracheentscheid lediglich bestätigt wird (BGE 119 V 350 mit Hinweisen).
3.- Die versicherte Person kann unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist den Versicherer auf das Ende eines Kalendersemesters wechseln (Art. 7 Abs. 1 KVG). Bei einer Prämienerhöhung kann sie den Versicherer unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat seit Ankündigung der Prämienerhöhung auf das Ende eines Monats wechseln (Art. 7 Abs. 2 KVG in der vorliegend anwendbaren, bis
30. September 2000 geltenden Fassung).
4.- a) Vorliegend hat die Beschwerdegegnerin die Prämienerhöhung auf den 1. Januar 1999 unbestrittenermassen Mitte Oktober 1998 angekündigt. Mit der neuen Versicherungspolice sandte sie einen Prospekt (vom 15. Oktober 1998) an den Beschwerdeführer, in welchem sie ihre Versicherten darauf hinwies, dass eine allfällige Kündigung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bis am 30. November 1998 schriftlich zu melden sei. Auf Grund dieses Umstandes hat die Vorinstanz in Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben den 30. November 1998 als letzten Tag der einmonatigen Kündigungsfrist gemäss Art. 7 Abs. 2 KVG qualifiziert, was vom Beschwerdeführer im Ergebnis nicht beanstandet wird.
Streitig und zu prüfen ist, ob zur Wahrung der Kündigungsfrist die Aufgabe des Kündigungsschreibens bei der Post am letzten Tag der Frist reicht oder ob dieses innert Frist bereits von der Adressatin hätte in Empfang genommen werden müssen, um rechtzeitig zu sein.
b) Das kantonale Gericht ist der Auffassung, aus dem Sozialversicherungsrecht sowie aus dem übrigen Bundesverwaltungsrecht ergebe sich keine Regelung hinsichtlich der Wahrung der Kündigungsfristen nach KVG. Es liege somit eine Gesetzeslücke vor, die durch die Anwendung der analogen, für das Zivilrecht entwickelten Grundsätze zur Wahrung von Kündigungsfristen zu schliessen sei. Wie sich aus dem in RKUV 1991 Nr. K 873 S. 187 publizierten Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts ergebe, entfalte die Austrittserklärung der versicherten Person ihre Wirkung erst dann, wenn sie in die Machtsphäre der Krankenkasse gelangt sei. Die am letzten Tag der Post übergebene Kündigung des Beschwerdeführers genüge somit zur Fristwahrung nicht.
Dieser habe deshalb das Recht, das Versicherungsverhältnis mit der Visana per 1. Januar 1999 aufzulösen, verwirkt. Da er die einmonatige Kündigungsfrist verpasst habe, sei eine Kündigung nach Art. 7 Abs. 2 KVG auch auf Ende Januar 1999 nicht möglich. Mit Schreiben vom 12. März 1999 habe der Beschwerdeführer seinen unveränderten Willen zum Ausdruck gebracht, den Versicherer wechseln zu wollen. Dies sei ihm auf dem Weg der ordentlichen Kündigung nach Art. 7 Abs. 1 KVG möglich gewesen, weshalb das Versicherungsverhältnis mit der Beschwerdegegnerin auf den 30. Juni 1999 geendet habe. Art. 94 Abs. 2 KVV, welcher bei Franchisenversicherungen einen Wechsel nur auf das Ende eines Kalenderjahres vorsehe, komme vorliegend aus Billigkeitsgründen nicht zur Anwendung.
Die Kasse geht mit dem kantonalen Gericht einig, dass die ausserordentliche Kündigung nach Art. 7 Abs. 2 KVG zu spät erfolgt sei. Sie macht jedoch geltend, da der Beschwerdeführer eine Franchisenversicherung abgeschlossen habe, sei ein Wechsel des Versicherers zufolge der Regelung in Art. 94 Abs. 2 KVV erst auf den 31. Dezember 1999 möglich.
Der Beschwerdeführer und das BSV sind der Ansicht, für die Berechnung und Einhaltung der Kündigungsfristen kämen die allgemeinen bundesverwaltungsrechtlichen Vorschriften zur Anwendung. Es rechtfertige sich deshalb bei einer gegenüber der Kasse als hoheitlich auftretender Verwaltungsträgerin ausgesprochenen Kündigung das Abstellen auf den Poststempel zur Fristwahrung. Zur Begründung des Eventualbegehrens wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht, nach Art. 7 Abs. 2 KVG könne die versicherte Person den Versicherer bei einer Prämienerhöhung auf das Ende eines beliebigen Monats wechseln. Die Kündigung müsse demnach zumindest auf Ende des Folgemonates Januar 1999 wirksam werden.
5.- a) Die Ausübung des Rechts zum Versichererwechsel gemäss Art. 7 KVG entspricht ihrer Natur und ihren Wirkungen nach einer Kündigung (im gleichen Sinn: Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], S. 25 Rz 46). Dabei wird unterschieden zwischen der ordentlichen Kündigung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 KVG und der ausserordentlichen Kündigung gemäss Art. 7 Abs. 2 KVG, welche auf die Ankündigung einer Prämienerhöhung folgt (BGE 124 V 336 Erw. 2b).
b) Im Rahmen des bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 13. Juni 1911 (KUVG) hat das Eidgenössische Versicherungsgericht entschieden, bei der Austrittserklärung handle es sich um ein einseitiges, nicht annahmebedürftiges Rechtsgeschäft.
Als (aufhebendes) Gestaltungsrecht sei sie aber stets empfangsbedürftig, entfalte ihre Wirkung somit erst dann, wenn sie in die Machtsphäre der angeschriebenen Person gelangt sei. Die Kündigung musste nach dieser Praxis mit anderen Worten spätestens am letzten Tag der gesetzlichen oder statutarischen Frist ordnungsgemäss bei der Krankenkasse eingetroffen sein. Eine Kündigung, die am letzten Tag der Post übergeben wurde, genügte deshalb zur Fristwahrung nicht, wenn sie erst zu einem späteren Zeitpunkt beim Versicherer einging (RKUV 1991 Nr. K 873 S. 195 Erw. 4a mit Hinweisen auf Lehre und Rechtsprechung).
Die angeführte Rechtsprechung behält ihre Gültigkeit gemäss dem noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichten Urteil A. vom 1. Dezember 2000, K 69/00, auch nach Inkrafttreten des KVG. Das neue Recht hat am Umstand, dass die versicherte Person das Rechtsverhältnis mit der Krankenkasse mittels eines einfachen Gestaltungsaktes beenden kann, nichts geändert. Der einzige Unterschied zum KUVG besteht darin, dass das Versicherungsverhältnis beim bisherigen Versicherer - in Nachachtung des in Art. 3 KVG statuierten Versicherungsobligatoriums - erst endet, wenn ihm der neue Versicherer mitgeteilt hat, dass die betreffende Person bei ihm ohne Unterbrechung des Versicherungsschutzes versichert ist (Art. 7 Abs. 5 KVG). Diese Einschränkung ändert jedoch nichts an der Einseitigkeit der Willenserklärung, mit welcher die versicherte Person nach Massgabe von Art. 7 KVG das obligatorische Krankenpflegeversicherungsverhältnis mit der Kasse beenden kann. Die Wirksamkeit der Kündigung hängt, wie schon unter altem Recht, nicht von der Zustimmung des Versicherers ab.
Für die Geltung der Empfangstheorie spricht im Übrigen auch die neue, seit 1. Oktober 2000 in Kraft stehende Fassung des Art. 7 Abs. 2 KVG:
"Bei der Mitteilung der neuen Prämie kann die versicherte
Person den Versicherer unter Einhaltung einer einmonatigen
Kündigungsfrist auf das Ende eines Monats wechseln, welcher der Gültigkeit der neuen Prämie vorausgeht. Der Versicherer muss die neuen, vom Bundesamt für Sozialversicherung (Bundesamt) genehmigten Prämien jeder versicherten
Person mindestens zwei Monate im Voraus mitteilen und dabei auf das Recht, den Versicherer zu wechseln, hinweisen. "
Nach der Botschaft betreffend den Bundesbeschluss über die Bundesbeiträge in der Krankenversicherung und die Teilrevision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung vom 21. September 1998 (BBl 1999 I 793) soll gemäss dem neuen Art. 7 Abs. 2 KVG die Möglichkeit für den Versichererwechsel unabhängig davon bestehen, ob die neue, vom BSV genehmigte Prämie gleich hoch, niedriger oder höher ist als die frühere Prämie. Zusätzlich wurde mit der Neuformulierung des Gesetzesartikels der Termin für den Wechsel des Versicherers im folgenden Sinn vereinheitlicht: "wenn die Prämien ab dem 1. Jan. gültig sind, so hat der Versicherer diese spätestens bis zum 31. Okt. mitzuteilen und die Versicherten können ihren Wechsel bis zum 30. Nov. mitteilen" (BBl 1999 I 836). Bezüglich des Grundsatzes, wonach die versicherte Person eine Kündigungsfrist von einem Monat einzuhalten hat, um den Versicherer wechseln zu können, hat der neue Art. 7 Abs. 2 KVG im Vergleich zur alten Fassung keine Neuerungen gebracht. Indem in der Botschaft ausgeführt wird, "die Versicherten können ihren Wechsel bis zum 30. Nov. mitteilen" (BBl 1999 I 836), wird klar zum Ausdruck gebracht, dass die Empfangstheorie Anwendung finden soll, um die Kündigungsfrist von einem Monat gemäss Art. 7 Abs. 2 KVG zu berechnen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil A. vom 1. Dezember 2000, K 69/00).
c) Die der Kasse am 1. Dezember 1998 zugegangene Erklärung vom 30. November 1998, mit welcher der Beschwerdeführer den Willen zum Ausdruck gebracht hat, den Versicherer auf den 31. Dezember 1998 zu wechseln, erweist sich nach dem Gesagten als verspätet. Das Rechtsgeschäft entfaltet seine Wirkung folglich auf den nächstmöglichen Kündigungstermin (RKUV 1991 Nr. K 873 S. 195 Erw. 4a mit Hinweisen). Wie im angefochtenen Gerichtsentscheid zutreffend dargelegt wird, ist ein Wechsel des Versicherers auf Ende Januar 1999 nicht möglich, da der Beschwerdeführer nicht innert der verkürzten Frist bei Prämienerhöhung gekündigt hat. Die Vorinstanz hat deshalb angenommen, die Kündigung werde nach Massgabe von Art. 7 Abs. 1 KVG auf das Ende des ersten Kalendersemesters des Jahres 1999 wirksam.
Ob die Kündigung gestützt auf Art. 94 Abs. 2 KVV erst auf den 31. Dezember 1999 gültig wäre, wie dies von der Kasse vernehmlassungsweise vorgebracht wird, muss offen bleiben, weil die Beschwerdegegnerin darauf verzichtet hat, den kantonalen Gerichtsentscheid selber mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anzufechten und das Eidgenössische Versicherungsgericht im Rahmen der eingeschränkten Kognition (Erw. 1 hiervor) nicht zu Ungunsten der Parteien über deren - rechtzeitig gestellte - Anträge hinausgehen darf (Art. 132 in Verbindung mit Art. 114 Abs. 1 OG).
6.- Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens gehen die Kosten zu Lasten des Beschwerdeführers (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II.Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 16. Mai 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: