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2P.144/2001/bmt
II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ***********************************
31. Juli 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Hungerbühler, präsidierendes
Mitglied der II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Müller, Ersatzrichter Cavelti und Gerichtsschreiber Fux.
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In Sachen
H.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Peter Wüthrich, Schlösslistrasse 9A, Postfach 8915, Bern,
gegen
Anwaltskammer des Kantons Bern,
betreffend
(Verletzung des Anwaltsgeheimnisses),
wird festgestellt und in Erwägung gezogen:
1.-Fürsprecherin H.________ stellte am 29. März 2000 ein Betreibungsbegehren gegen einen ehemaligen Klienten, weil dieser die Honorarforderung nicht beglichen hatte. Als Forderungsgrund gab sie "Honorarnote vom 25.10.1999" an.
Nachdem der Betriebene Rechtsvorschlag erhoben hatte, ersuchte H.________ die Anwaltskammer des Kantons Bern um Befreiung von der beruflichen Schweigepflicht, soweit dies zur Geltendmachung der Honorarforderung notwendig sei.
Mit Entscheid vom 24. April 2001 verurteilte die Anwaltskammer des Kantons Bern H.________ wegen Widerhandlung gegen Art. 10 Abs. 1 des bernischen Gesetzes vom 6. Februar 1984 über die Fürsprecher (FG) zu einer Busse von Fr. 200.--. Die Anwaltskammer befand, H.________ habe mit dem Hinweis "Honorarnote vom 25.10.1999" im Betreibungsbegehren das Berufsgeheimnis verletzt, weil sich daraus das Bestehen eines Mandatsverhältnisses ableiten lasse, ohne dass dafür die vorherige Einwilligung des Mandanten oder eine Befreiung von der Schweigepflicht gemäss Art. 41 FG erfolgt sei. Demgegenüber hätte keine Verletzung des Berufsgeheimnisses vorgelegen, wenn im Betreibungsbegehren als Forderungsgrund lediglich "Rechnung vom (...)" angegeben worden wäre.
H.________ beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde, Ziffern 1 (Busse) und 3 (Verfahrenskosten) des Entscheiddispositivs der Anwaltskammer wegen Willkür (Art. 9 BV) und Ungleichheit in der Rechtsanwendung (Art. 8 BV) aufzuheben.
2.-Willkür im Sinn von Art. 9 BV liegt bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzesnormen nicht schon dann vor, wenn eine andere Auslegung ebenfalls vertretbar oder sogar zutreffender erscheint, sondern erst dann, wenn ein Entscheid offensichtlich unhaltbar ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Entscheid mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (statt vieler: BGE 127 I 60 E. 5a S. 70, mit Hinweisen).
3.-Mit der Anwaltskammer ist davon auszugehen, dass die berufliche Schweigepflicht eine der wichtigsten Berufspflichten ist (vgl. auch Art. 321 StGB) und dass bereits die Tatsache des Bestehens eines Mandatsverhältnisses grundsätzlich unter den Geheimnisschutz fällt. Nicht gefolgt werden kann der Anwaltskammer indessen, wenn sie aus dem Hinweis "Honorarforderung vom ..." zwingend auf ein Mandatsverhältnis zwischen Anwalt und Klient schliesst, während der Hinweis "Rechnung vom ..." höchstens eine nicht belegbare Vermutung auf das Bestehen eines Mandatsverhältnisses begründe.
"Honorare" werden, wie die Beschwerdeführerin zu Recht ausführt, nicht nur aufgrund von Geldforderungen aus anwaltlicher Tätigkeit begründet, sondern können auch Entschädigungen sein für die Tätigkeit als Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft oder für eine wissenschaftliche oder künstlerische Leistung. Die Bezeichnung "Honorarnote" lässt wohl auf eine Entschädigung aus einer freiberuflichen Tätigkeit schliessen, nicht aber auf ein bestehendes Mandatsverhältnis.
Eine Honorarforderung setzt mit andern Worten nicht zwingend das Bestehen eines Mandatsverhältnisses voraus. Der Hinweis "Honorarnote vom ..." begründet deshalb ebenso wie der Hinweis "Rechnung vom ..." höchstens eine nicht belegbare Vermutung, dass es sich um eine Forderung aus einem Mandatsverhältnis handeln könnte. Die von der Anwaltskammer gemachte Unterscheidung lässt sich sachlich nicht vertreten und ist somit offensichtlich unhaltbar.
4.-Die staatsrechtliche Beschwerde ist nach dem Gesagten gutzuheissen.
Dem Verfahrensausgang entsprechend werden keine Kosten erhoben (Art. 156 Abs. 2 OG). Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und Ziffern 1 und 3 des Dispositivs des Entscheids der Anwaltskammer des Kantons Bern vom 24. April 2001 werden aufgehoben.
2.-Es werden keine Kosten erhoben.
3.-Der Kanton Bern hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
4.-Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und der Anwaltskammer des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 31. Juli 2001
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTSDas präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: