[AZA 7]
I 525/00 Ge
I. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Bundesrichterinnen
Widmer und Leuzinger und Bundesrichter Kernen;
Gerichtsschreiberin Amstutz
Urteil vom 8. August 2001
in Sachen
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
gegen
A.________, 1957, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Grämiger, Bronschhoferstrasse 2, 9500 Wil,
und
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
A.- Mit Verfügung vom 25. Oktober 1999 sprach die IV-Stelle des Kantons St. Gallen dem 1957 geborenen, verheirateten türkischen Staatsangehörigen A.________ mit Wirkung ab 1. Juni 1998 eine ganze einfache Invalidenrente nebst zwei Kinderrenten zu; verneint wurde hingegen der Anspruch des Versicherten auf eine Zusatzrente für seine in der Türkei lebende Ehefrau mit der Begründung, diese habe die zu ihren Gunsten an die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) entrichteten Beiträge an die türkische Sozialversicherung überweisen lassen.
B.- Hiegegen liess A.________ Beschwerde führen mit dem sinngemässen Rechtsbegehren, in teilweiser Aufhebung der Verfügung vom 25. Oktober 1999 sei ihm mit Wirkung ab
1. Juni 1998 eine Zusatzrente für seine Ehefrau zuzusprechen.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die Beschwerde mit Entscheid vom 6. Juli 2000 gut und verpflichtete die IV-Stelle zur Ausrichtung einer Zusatzrente von Fr. 488.- monatlich für die Zeit vom 1. Juni 1998 bis
31. Dezember 1998 und von Fr. 493.- monatlich ab 1. Januar 1999.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids.
Während A.________ auf vollumfängliche Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen lässt, beantragt die IV-Stelle deren Gutheissung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf eine Zusatzrente für den Ehegatten ( Art. 34 Abs. 1 und 2 IVG in Verbindung mit Art. 30 IVV, je in der seit 1. Januar 1997 gültigen Fassung) zutreffend dargelegt, sodass darauf verwiesen werden kann.
b) Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 IVG werden - vorbehältlich abweichender zwischenstaatlicher Vereinbarungen - für im Ausland wohnhafte Angehörige von ausländischen Rentenansprechern keine Leistungen der Invalidenversicherung gewährt. Nach Landesrecht allein hat demnach der ausländische Leistungsansprecher kein Anspruch auf eine Zusatzrente für seine im Ausland lebende Ehegattin.
c) Art. 2 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 10 Ziff. 1 des Abkommens zwischen der Schweiz und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 1. Mai 1969 (in Kraft getreten am 1. Januar 1972 mit Wirkung ab 1. Januar 1969; nachfolgend:
Abkommen) statuiert den Grundsatz der Gleichstellung der schweizerischen und türkischen Staatsangehörigen mit Bezug auf ihre Rechte und Pflichten gegenüber der schweizerischen Invalidenversicherung; die Gleichstellung gilt grundsätzlich auch für Angehörige und Hinterlassene, soweit diese ihre Rechte von den genannten Staatsangehörigen ableiten.
Vorbehalten bleiben abweichende Bestimmungen des Abkommens sowie seines Schlussprotokolls (Art. 2 Ziff. 1 des Abkommens).
d) Mit Art. 1 Ziff. 2 des am 25. Mai 1979 abgeschlossenen und am 1. Juni 1981 in Kraft getretenen Zusatzabkommens zum Sozialversicherungsabkommen mit der Republik Türkei wurde diesem ein neuer Art. 10a hinzugefügt, wonach türkische Staatsangehörige verlangen können, "dass die zu ihren Gunsten an die schweizerische Alters- und Hinterlassenenversicherung entrichteten Beiträge an die türkische Sozialversicherung überwiesen werden, sofern ihnen noch keine Leistungen aus der schweizerischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung gewährt worden sind und vorausgesetzt, dass sie die Schweiz verlassen haben, um sich in der Türkei oder einem Drittstaat niederzulassen" (Abs. 1, 1. Unterabsatz). Weiter sieht die Bestimmung vor:
"Wurden bei Ehepaaren zugunsten beider Ehegatten Beiträge an die schweizerische Alters- und Hinterlassenenversicherung entrichtet, so kann jeder Ehegatte einzeln die Überweisung der zu seinen Gunsten entrichteten Beiträge verlangen.
Wurden die Beiträge der Ehefrau allein überwiesen, so beschränkt sich der Anspruch des Ehemannes auf eine einfache Rente der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (Abs. 1, 2. Unterabsatz). Mit der Überweisung der Beiträge an die türkische Sozialversicherung erlischt sodann für die Antrag stellende Person selbst jegliche darauf beruhende versicherungsrechtliche Beziehung zur schweizerischen AHV und IV (Art. 10a Abs. 2; vgl. Botschaft betreffend das Zusatzabkommen mit der Türkei über Soziale Sicherheit vom 24. Oktober 1979, BBl 1979 III S. 1024, Ziff. 22).
2.- Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdegegners auf eine Zusatzrente für seine in der Türkei lebende Ehegattin.
3.- a) In tatsächlicher Hinsicht steht fest, dass die Ehefrau des Beschwerdegegners ihren Wohnsitz am 24. Juni 1996 in die Türkei verlegte und die schweizerische Ausgleichskasse am 8. Mai 1998 gestützt auf Art. 10a des Abkommens mit der Türkei antragsgemäss die Überweisung der zwischen 1983 und 1992 entrichteten AHV-Beiträge der Ehefrau an die türkische Sozialversicherung verfügte; korrekterweise wurden die an die IV (und EO) entrichteten Beiträge von der Überweisung nicht erfasst.
b) Die IV-Stelle und das BSV vertreten den Standpunkt, dass Art. 10a Abs. 1 (2. Unterabsatz) des Abkommens abschliessend festlege, welche Rechte dem Ehemann nach der alleinigen Überweisung der Beiträge der Ehefrau an den türkischen Sozialversicherer noch verblieben, nämlich der "Anspruch auf eine einfache Rente der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung". Diese Formulierung im Vertragstext beinhalte gleichzeitig den Ausschluss jeglicher darüber hinausgehender Leistungen, somit auch einer Zusatzrente für die Ehefrau gemäss Art. 34 IVG. Daran ändert nach Auffassung des BSV der Umstand nichts, dass Art. 10a des Abkommens mit der Türkei - anders als dasjenige mit Griechenland (Art. 12) und mit Italien (Art. 1 Abs. 1 der am 1. Juli 1973 in Kraft getretenen Zusatzvereinbarung zum Abkommen) - nicht ausdrücklich vorsieht, dass mit der Beitragsüberweisung der Verlust des Anspruchs auf eine Zusatzrente einhergehe. So bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Rechtsfolgen der Beitragsüberweisung im Abkommen mit der Türkei anders regeln wollte als in den entsprechenden Staatsverträgen mit Italien und Griechenland.
c) Die Vorinstanz dagegen erwog, die Vertragsparteien hätten mit der in Art. 10a des Abkommens gewählten Formulierung, wonach sich der Leistungsanspruch des Ehemannes nach Überweisung der AHV-Beiträge der Ehefrau an die türkische Sozialversicherung auf eine "einfache Rente" der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung beschränkt, lediglich den Anspruch des Ehemannes auf eine Ehepaarrente gemäss der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Bestimmungen von Art. 22 AHVG und Art. 33 IVG (aufgehoben durch das Bundesgesetz über die 10. AHV-Revision vom 7. Oktober 1994, in Kraft seit 1. Januar 1997) ausschliessen wollen; dies sei denn auch folgerichtig, da die Ehegattin nach der Beitragsüberweisung in der Schweiz nicht mehr versichert sei und somit auch die Voraussetzungen einer altrechtlichen Ehepaarrente (e igene Rentenberechtigung der Ehefrau im Falle der Auflösung der Ehe bzw. bei Nichtbestehen der Ehe) nicht mehr erfüllt werden könnten.
Zum Anspruch des türkischen Staatsangehörigen auf eine Zusatzrente für die Ehefrau gemäss der seit 1. Januar 1997 in Kraft stehenden Regelung von Art. 34 IVG äussere sich das Abkommen indes nicht. Da nun aber Art. 34 IVG - im Unterschied zum Anspruch auf eine altrechtliche Ehepaarrente - die Versicherteneigenschaft des nicht hauptrentenberechtigten Ehegatten nicht voraussetze, führe eine nicht dem (ohnehin nicht eindeutigen) Wortlaut verhaftete, sondern auch systematischen und teleologischen Argumenten Rechnung tragende Interpretation des Art. 10a notwendigerweise zum Schluss, dass die AHV-Beitragsüberweisung der Ehefrau die Entstehung des Anspruchs auf eine Zusatzrente nicht zu verhindern vermag. Eine anders lautende Interpretation von Art. 10a des Abkommens habe mit Bezug auf türkische Staatsangehörige eine durch nichts begründete Einengung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Zusatzrente zur Folge, welche das IVG selbst nicht kenne.
d) Obwohl Art. 10a des Abkommens die Folgen der Beitragsüberweisung bezüglich des Anspruchs auf eine Zusatzrente nicht ausdrücklich normiert, ist dem BSV darin beizupflichten, dass sich aus dem Wortlaut der Bestimmung eine klare Antwort auf diese Frage ergibt: Wenn sich der Anspruch des Ehemannes gemäss Art. 10a Abs. 1 (2. Unterabsatz) auf eine "einfache Rente der Alters-, Hinterlasse- nen- und Invalidenversicherung (beschränkt)", so schliesst dies die Ausrichtung einer Zusatzrente gemäss Art. 34 IVG aus. Dem Begriff der "einfachen Rente" kann keine andere Bedeutung zugeordnet werden, was umso mehr gilt, als der Ausschluss einer Zusatzrente nicht als offensichtlich sinnwidrig erscheint und auch nichts auf eine vom Vertragstext abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten hindeutet (vgl. BGE 125 V 506 Erw. 4b mit Hinweisen).
Dass dem Beschwerdegegner nach Überweisung der zu Gunsten der Ehefrau des Beschwerdegegners entrichteten AHV-Beiträge eine Zusatzrente verwehrt bleibt, stellt keine Verletzung des im Abkommen statuierten Grundsatzes der Gleichstellung schweizerischer und türkischer Staatsangehöriger dar, bleibt es den Vertragsparteien aufgrund von Art. 2 Ziff. 1 des Abkommens doch ausdrücklich unbenommen, partiell vom Gleichstellungsgrundsatz abzuweichen. Eben eine solche Relativierung sieht Art. 10a des Abkommens - analog zu den erwähnten staatsvertraglichen Vereinbarungen mit Griechenland und Italien - insoweit vor, als der türkische Staatsangehörige, dessen Ehefrau die Schweiz derart definitiv verlassen hat, dass sie ihre Beiträge an die AHV an die türkische Sozialversicherung überweisen lässt, für diese generell keine Leistungen der schweizerischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung beanspruchen kann. Dabei wird es den türkischen Ehepartnern freigestellt, sich für oder gegen diese Lösung zu entscheiden, weshalb entgegen den Erwägungen der Vorinstanz von einer eigentlichen Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für eine Zusatzrente gemäss Art. 34 IVG zu Lasten türkischer Staatsangehöriger nicht die Rede sein kann.
Vor diesem Hintergrund erweist sich der vom Beschwerdegegner vernehmlassungsweise vorgebrachte Einwand als unbehelflich, seine Ehegattin erfülle das Erfordernis der Mindestbeitragsdauer gemäss Art. 34 Abs. 1 lit. a IVG, sodass der Zusprechung einer Zusatzrente für seine Ehefrau nichts entgegenstehe. Selbst wenn die Ehefrau tatsächlich mindestens ein volles Beitragsjahr aufweisen könnte, ändert dies nichts daran, dass ihm nach dem Gesagten weder aufgrund des schweizerischen Rechts (vgl. Erw. 1b hievor) noch aufgrund des vorrangigen Sozialversicherungsabkommens zwischen der Schweiz und der Republik Türkei ein entsprechender Anspruch zusteht. Auch die übrigen Vorbringen des Beschwerdegegners vermögen kein anderes Ergebnis zu begründen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons
St. Gallen vom 6. Juli 2000 aufgehoben.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der IV-Stelle des Kantons St. Gallen und der Ostschweizerischen Ausgleichskasse
für Handel und Industrie, St. Gallen,
zugestellt.
Luzern, 8. August 2001
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin:+