BGer 5C.275/2000 |
BGer 5C.275/2000 vom 07.09.2001 |
[AZA 0/2]
|
5C.275/2000/ZBE/bnm
|
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
|
7. September 2001
|
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
|
Bundesrichter Bianchi, Bundesrichter Raselli,
|
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Riemer sowie Gerichtsschreiber Zbinden.
|
---------
|
In Sachen
|
Z.________, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Armin Linder, Rosenbergstrasse 22,9000 St. Gallen,
|
gegen
|
1.a)Y. ________, 1.b)Architekturbüro Y.________ AG, 2. X.________, 3. W.________, 4. V.________, Beklagte und Berufungsbeklagte, alle 5 vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Urs Glaus, Unterstrasse 15, 9000 St. Gallen,
|
betreffend
|
Dienstbarkeit, hat sich ergeben:
|
A.- Z.________ ist Eigentümer der Liegenschaft Parzelle Nr. 816 in A.________. Zu Gunsten dieses Grundstückes besteht ein "unbedingtes Fahr- und Fusswegrecht" auf eine maximale Breite von 2,2 bzw. 2,5m zu Lasten der Grundstücke Parzellen Nrn. 815 (später 2052 und 2053), 818 und 820. Die belasteten Parzellen gehören X.________ (Nr. 818), W.________ (Nr. 820) sowie der Schreinerei U.________ AG (Nrn. 2052 und 2053); Inhaber und einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat dieser Aktiengesellschaft ist V.________. Die Architekturbüro Y.________ AG hat ein Kaufsrecht an den Parzellen Nrn. 818, 819, 820.
|
Am 16. September 1996 reichte Y.________ als Bauherr und Projektverfasser bei der Gemeinde B.________ ein Baugesuch ein für eine Überbauung der Grundstücke Nrn. 818, 819 und 820, wobei auch das Grundstück Nr. 2053 mit beansprucht werden sollte. Gegen dieses Gesuch, das eine Verlegung des Fahr- und Fusswegrechtes vorsah, erhob der Berechtigte, Z.________, Einsprache; da der Gemeinderat diese als rein privatrechtliche Baueinsprache betrachtete, setzte er Z._________ Frist zur Einleitung eines Zivilverfahrens.
|
B.-Z.________ klagte in der Folge beim Bezirksgericht Gossau gegen Y.________, die Architekturbüro Y.________ AG, X.________, W.________ und V.________; zusammengefasst beantragte er, den Beklagten sei die Realisierung des Bauprojekts insoweit zu untersagen, als dadurch die bestehende Zu- und Wegfahrt zu bzw. von seinem Grundstück aufgehoben und damit die Ausübung des servitutarischen Fahr- und Fusswegrechts eingeschränkt bzw. verunmöglicht werde; die Beklagten seien zu verpflichten, die bestehende Zu- und Wegfahrt zur Strasse C.________ im jetzigen Zustand zu belassen und die Ausübung des Wegrechts im bisherigen Rahmen und Umfang auch inskünftig ungeschmälert zu dulden. Die Beklagten schlossen auf Abweisung der Klage und erhoben ihrerseits Widerklage mit dem Antrag, es sei das bestehende Fahrwegrecht zu löschen und neu als Fahr- und Fusswegrecht auf die in der Überbauung projektierte Zufahrt zu verlegen.
|
Mit Urteil vom 3. April 1998 wies die erste Instanz die Klage ab und trat auf die Widerklage nicht ein. Die gegen dieses Urteil erhobene kantonale Berufung des Klägers wies das Kantonsgericht St. Gallen, I. Zivilkammer, am 11. September 2000 ab; ebenso erfolglos blieb die kantonale Nichtigkeitsbeschwerde des Klägers (Entscheid vom 8. Mai 2001).
|
C.-Mit eidgenössischer Berufung beantragt der Kläger sinngemäss, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Klage gutzuheissen.
|
Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden.
|
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
|
1.- Vor Bundesgericht sind neue Beweismittel nicht zulässig (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Auf den Antrag des Klägers, einen Augenschein durchzuführen, ist daher nicht einzutreten.
|
2.- Der Kläger bestreitet nicht, dass die Zulässigkeit der beantragten Verlegung der Dienstbarkeit nach Art. 742 Abs. 1 ZGB zu beurteilen ist. Er nähme sogar deren Verlegung in Kauf, wenn es sich dabei um "eine ganz geringe, kaum erhebliche Verminderung der Bequemlichkeit bei der Ausübung der Dienstbarkeit" handeln würde; er ist jedoch der Meinung, "dass die vom Kantonsgericht ... festgestellten Nachteile der Ersatzerschliessung insbesondere unter Berücksichtigung ihrer Summierung ... nicht mehr nur eine kaum merkliche Verminderung der Bequemlichkeit bei der Ausübung der Dienstbarkeit bewirken, sondern die Erreichbarkeit der berufungsklägerischen Liegenschaft konkret und spürbar erschweren".
|
3.- Gemäss Art. 742 Abs. 1 ZGB kann der Eigentümer, wenn er ein Interesse nachweist und die Kosten übernimmt, die Verlegung der Dienstbarkeit auf eine andere, für den Berechtigten nicht weniger geeignete Stelle verlangen. Nach dem in E. 2 Ausgeführten ist im vorliegenden Fall einzig streitig, ob die neue Lage der Dienstbarkeit für den Kläger "nicht weniger geeignet" ist als die bisherige.
|
a) In Art. 742 Abs. 1 ZGB liegt eine besondere Anwendung des Grundsatzes, dass der Dienstbarkeitsberechtigte sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben hat (BGE 88 II 150 E. 4 S. 154). Der Eigentümer des belasteten Grundstückes soll in dessen Gebrauch, Nutzung und Verbesserung nur soweit eingeschränkt werden, als dies für eine dem Inhalt und Zweck der Dienstbarkeit entsprechende Ausübung des Rechtes nötig ist (Liver, Zürcher Kommentar, N. 1 zu Art. 742 ZGB). Trotz der gesetzlichen Formulierung werden in der Literatur kleinere Verschlechterungen zu Lasten des Dienstbarkeitsberechtigten zugelassen (vgl. Liver, Zürcher Kommentar, N. 32 zu Art. 742 ZGB, Piotet, Dienstbarkeiten und Grundlasten, in: Schweizerisches Privatrecht, V/1, S. 587/588; Petitpierre, Basler Kommentar, N. 10 zu Art. 742 ZGB). Unter Berücksichtigung auch der für den Dienstbarkeitsberechtigten mit der Verlegung verbundenen Vorteile hat die bundesgerichtliche Praxis als mit Art. 742 Abs. 1 ZGB vereinbar betrachtet, dass der neue Fahrweg etwa um eine Minute länger ist als der alte (BGE 57 II 158). Später hat das Bundesgericht auf das volkswirtschaftliche Interesse an der Verhinderung jeder unnötigen Beschränkung des Eigentums und auf das durch den Bevölkerungszuwachs begründete Bedürfnis nach einer zweckmässigen, sinnvollen Ordnung des Bodenrechts hingewiesen und sich daher gegen eine "engherzige Anwendung" von Art. 742 Abs. 1 ZGB ausgesprochen (BGE 88 II 150 E. 4 S. 154). Der Grundsatz, wonach Art. 742 Abs. 1 ZGB nicht "engherzig" auszulegen ist, muss aufgrund der seitherigen Entwicklung in diesen Bereichen auch für den zu beurteilenden Fall gelten.
|
b) Art. 742 Abs. 1 ZGB hält den Richter an, einen Entscheid nach Billigkeit zu treffen (Art. 4 ZGB) und gestattet ihm damit nicht, nach Belieben zu entscheiden; vielmehr hält diese Bestimmung den Richter dazu an, alle wesentlichen Umstände zu berücksichtigen. An die Begründung derartiger Ermessensentscheide sind höhere Anforderungen zu stellen als bei gewöhnlichen Entscheidungen. Ob das Ereignis Recht und Billigkeit entspricht, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung von Tatsachen und unterliegt daher im Berufungsverfahren der freien Prüfung durch das Bundesgericht (BGE 106 II 131 E. 5c S. 133 mit Hinweisen). Dieses beachtet jedoch praxisgemäss, dass dem Sachrichter ein eigener und breiter Ermessensspielraum zusteht, und schreitet daher nur ein, wenn er grundlos von in Lehre und Rechtsprechung anerkannten Grundsätzen abgewichen ist, Tatsachen berücksichtigt hat, die für den Entscheid im Einzelfall keine Rolle hätten spielen dürfen, oder umgekehrt Umstände ausser Betracht gelassen hat, die hätten beachtet werden müssen. Das Bundesgericht greift ausserdem ein, wenn sich ein Ermessensentscheid als offensichtlich unbillig, als in stossender Weise ungerecht erweist (BGE 123 III 246 E. 6a S. 255; 125 III 412 E. 2a S. 417 f.; 126 III 266 E. 2b S. 273, je mit Hinweisen). Zurückhaltung ist schliesslich am Platz, wo es örtliche und persönliche Verhältnisse zu berücksichtigen gilt, denen der Sachrichter näher steht (BGE 81 II 512 E. 2b S. 516; vgl. 104 Ia 120 E. 2a S.126; 116 Ib 203 E. 4b S. 208).
|
4.-a) Die Vorinstanz hat aufgrund verschiedener Gutachten und eines Augenscheins zusammenfassend angenommen, der Kläger erleide durch die Verlegung der Dienstbarkeit keine nennenswerten Nachteile; die allenfalls geringfügigen Beeinträchtigungen habe er bei vernünftiger Interessenabwägung in Kauf zu nehmen, weshalb der neue Verlauf des Wegrechts für ihn "nicht weniger geeignet" sei. In den Ausführungen zu den einzelnen Einwendungen des Klägers hat das Kantonsgericht hervorgehoben, die projektierte Zufahrt sei für 85% aller in der Schweiz verkehrenden schweren Lastfahrzeuge (Feuerwehr, Zügelwagen, Bauverkehr, Mulden- und Kehrichtfahrzeuge) befahrbar.
|
Eine Ausnahme gelte lediglich für sehr lange Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen, wobei der Kläger nie behauptet habe, derartige Fahrzeugtypen zu verwenden. In Bezug auf die vom Kläger kritisierten Sichtverhältnisse bei Kurve 1 des neu projektierten Weges hat das Kantonsgericht festgehalten, diese entsprächen den Anforderungen von Art. 100 SVG, womit ungenügende Sichtverhältnisse im fraglichen Kurvenbereich und damit erhebliche, durch das neue Projekt begründete Nachteile zuverlässig ausgeschlossen werden könnten. Die Vorinstanz hat ferner die etwas grössere Steigung des geplanten Fussweges als nur geringfügigen Nachteil betrachtet, die Verlängerung des Weges um 50m als für die Benutzung durch Motorfahrzeuge unbedeutend bezeichnet und die Einwände des Klägers hinsichtlich der Tragfähigkeit des Hartbelages als nicht näher begründet abgewiesen. Gering wertete das Kantonsgericht schliesslich den Nachteil der zwei zusätzlichen Kurven des neuen Wegverlaufes und jenen bei der Schneeräumung.
|
b) Das Kantonsgericht hat mithin gestützt auf Gutachten den neuen Verlauf der Dienstbarkeit mit dem ursprünglichen verglichen, die Einwendungen des Klägers geprüft, die behaupteten Nachteile des neuen Verlaufes entweder als nicht gegeben oder aber als geringfügig betrachtet und die für den Entscheid wesentlichen Elemente berücksichtigt. Es kann daher nicht gesagt werden, es habe das ihm von Gesetzes wegen eingeräumte Ermessen unrichtig ausgeübt, umso weniger als die Vorinstanz aufgrund ihres Augenscheines die örtlichen Verhältnisse besser kennt und nicht zuletzt gestützt auf diese Kenntnisse zum Schluss gelangt ist, der neue Wegverlauf beinhalte für den Kläger keine nennenswerten Nachteile und könne daher als "nicht weniger geeignet" bezeichnet werden.
|
Wird ferner berücksichtigt, dass sich die Rechtsprechung gegen eine "engherzige" Interpretation von Art. 742 Abs. 1 ZGB ausgesprochen hat, so kann eine Verletzung von Bundesrecht verneint werden.
|
5.-An dieser Schlussfolgerung vermag das, was der Kläger gegen das kantonsgerichtliche Urteil vorträgt, nichts zu ändern.
|
a) Der Kläger erachtet als erheblichen Nachteil, dass die vom Kantonsgericht erwähnten langen Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen nicht auf dem neuen Weg verkehren können, zumal der Dienstbarkeitsvertrag aus dem Jahre 1967 von einem uneingeschränkten Fuss- und Fahrwegrecht spreche und die aktuell möglicherweise eher theoretische Einschränkung der Zufahrtsmöglichkeiten für überlange Motorfahrzeuge sich für den Rechtsnachfolger des Klägers durchaus praktisch auswirken könnte.
|
Der Kläger behauptet vor Bundesgericht nicht, er werde durch den behaupteten Nachteil in der Ausübung seines Rechtes eingeschränkt. Dass ein allfälliger Rechtsnachfolger mit überlangen Fahrzeugen auf dem Weg verkehren wird, erweist sich als eher theoretische Überlegung und kann daher für die Würdigung der konkreten Verhältnisse nicht wesentlich sein.
|
Wie das Kantonsgericht nämlich hervorgehoben hat, ist die neue Wegführung für Feuerwehr- und Zügelwagen, Baufahrzeuge, Mulden- und Kehrichtfahrzeuge geeignet. Inwiefern ein wesentlicher Nachteil vorliegen könnte, ist somit nicht ersichtlich.
|
b) Der Kläger bemerkt zu den Sichtverhältnissen bei Kurve 1, die erfüllten Minimalanforderungen des Strassenverkehrsgesetzes stellten im Vergleich mit den Sichtverhältnissen beim alten Weg eine Verschlechterung dar. Da der neue Weg in Bezug auf die Sichtverhältnisse den Anforderungen des Strassenverkehrsgesetzes genügt, ist nicht ersichtlich, inwiefern der behauptete Nachteil als erheblich gelten könnte.
|
Zudem ist auch hier auf die bessere Ortskenntnis der Vorinstanz hinzuweisen, die das Bundesgericht zur Zurückhaltung mahnt.
|
c) Nicht zu hören ist der Kläger ferner, soweit er vorbringt, das Kantonsgericht habe bei seiner Wertung nicht beachtet, dass er in Zukunft die Erschliessung seines Grundstücks mit derjenigen der projektierten Überbauung teilen müsse, während die bestehende Zufahrt zu seinem Grundstück ausschliesslich von dessen Bewohnern genutzt werde; nicht beachtet worden sei ferner das durch die neue Zufahrt bewirkte höhere Verkehrsaufkommen. Damit wird nicht die Verlegung auf eine andere Stelle der belasteten Grundstücke (Art. 742 Abs. 1 ZGB) angesprochen, sondern der Umstand kritisiert, dass der Kläger nunmehr die neue Zufahrt mit anderen Grundstückeigentümern teilen muss. Da dieser Einwand kein wesentliches Kriterium beschlägt, lässt sich damit eine unrichtige Ausübung des Ermessens nicht nachweisen.
|
d) Der Kläger beanstandet schliesslich, dass das Kantonsgericht die verschiedenen ausgewiesenen, von ihm einzeln als geringfügig bezeichneten Nachteile, wie den um 50m längere Fahrweg, die zwei zusätzlichen Kurven, den Nachteil bei der Schneeräumung und die grössere Steigung in der Gesamtwertung nicht als erheblich bezeichnet habe. Es vermag nicht einzuleuchten, inwiefern einzelne Nachteile, die je als geringfügig bezeichnet werden, zusammengefasst im Rahmen einer Gesamtwürdigung als schwerwiegend betrachtet werden könnten. Aus der Würdigung des Kantonsgerichts, die sich - wie bereits erwähnt - auf einer Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse stützt, ergibt sich, dass die neue Erschliessung für den Kläger nicht weniger geeignet ist als die alte. Auch bei einer Berücksichtigung der Gesamtwertung kann somit von einer unrichtigen Anwendung des Ermessens nicht die Rede sein.
|
6.- Damit ist die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Kläger für das bundesgerichtliche Verfahren kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung an die Beklagten entfällt, da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist.
|
Demnach erkennt das Bundesgericht:
|
1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Kantonsgerichtes St. Gallen, I. Zivilkammer, vom 11. September 2000 bestätigt.
|
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
|
3.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Kantonsgericht St. Gallen, I. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
|
______________
|
Lausanne, 7. September 2001
|
Im Namen der II. Zivilabteilung des
|
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
|
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
|