BGer U 351/2000 |
BGer U 351/2000 vom 10.10.2001 |
[AZA 7]
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U 351/00 Vr
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IV. Kammer
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Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; Gerichtsschreiber Grünvogel
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Urteil vom 10. Oktober 2001
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in Sachen
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H.________, 1968, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Eugen Mätzler, Poststrasse 23, 9000 St. Gallen,
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Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,
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Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
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A.- Die 1968 geborene H.________ war seit dem 25. Oktober 1993 beim Bezirksgericht X.________ als Gerichtspraktikantin angestellt und in dieser Eigenschaft bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) obligatorisch gegen Unfälle versichert. Am 21. Mai 1994 erlitt sie bei einem Sportunfall ein Halswirbelsäulen-Distorsionstrauma und eine Commotio cerebri. Die SUVA anerkannte ihre Leistungspflicht, übernahm die Heilungskosten und erbrachte Taggelder. Mit Verfügung vom 23. April 1998 sprach die Anstalt H.________ eine einmalige Abfindung zu. In teilweiser Gutheissung einer dagegen erhobenen Einsprache sprach die SUVA der Versicherten mit Entscheid vom 16. September 1998 anstelle der Abfindung mit Wirkung ab 1. Juni 1998 eine Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 60 % zu.
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B.- Dagegen liess H.________ beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde erheben. Dieses erhielt vor der Entscheidfindung Kenntnis vom die Invalidenrente nach IVG betreffenden, rechtskräftigen Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Appenzell A.Rh. vom 19. Januar 2000, worin der Versicherten in einem Revisionsverfahren über den 1. November 1998 hinaus und im Widerspruch zur Verfügung der IV-Stelle des Kantons Appenzell A.Rh vom 11. Juni 1999 weiterhin eine ganze Invalidenrente zugesprochen wurde. Das Verwaltungsgericht ging dabei von einem Invaliditätsgrad von 69,6 % aus. Mit Entscheid vom 17. Juli 2000 wies das Sozialversicherungsgericht die gegen den Einspracheentscheid vom 16. September 1998 erhobene Beschwerde ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt H.________ beantragen, der vorinstanzliche Entscheid und der Einspracheentscheid vom 16. September 1998 seien aufzuheben und es sei ihr eine auf einem höheren Invaliditätsgrad als 60 % basierende Invalidenrente zuzusprechen; eventuell sei die Sache an die Anstalt zurückzuweisen, damit sie weitere Abklärungen zum Valideneinkommen treffe und anschliessend neu verfüge.
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Die SUVA verzichtet unter Hinweis auf den vorinstanzlichen Entscheid auf eine Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Wird der Versicherte infolge eines Unfalles invalid, so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG). Als invalid gilt, wer voraussichtlich bleibend oder für längere Zeit in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG). Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach Eintritt der unfallbedingten Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG).
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2.- Wie von der Beschwerdeführerin zutreffend dargelegt, stimmt der Invaliditätsbegriff in der Invalidenversicherung mit demjenigen in der Unfallversicherung (und in der Militärversicherung) grundsätzlich überein, weshalb die Schätzung der Invalidität, auch wenn sie für jeden Versicherungszweig grundsätzlich selbstständig vorzunehmen ist, mit Bezug auf den gleichen Gesundheitsschaden im Regelfall zum selben Ergebnis zu führen hat (BGE 126 V 291 Erw. 2a mit Hinweisen). Umgekehrt entbindet die Einheitlichkeit des Invaliditätsbegriffes die verschiedenen Versicherungsträger und im Beschwerdefall die Gerichte nicht davon, die Invaliditätsbemessung in jedem einzelnen Fall selbstständig durchzuführen. Keinesfalls dürfen sie sich ohne weitere eigene Prüfung mit der blossen Übernahme des von einem anderen Versicherer oder Gericht festgelegten Invaliditätsgrades begnügen. Eine derart weitgehende Bindungswirkung ist nicht zu rechtfertigen. Anlass für ein Abweichen von einer bereits rechtskräftigen Invaliditätsschätzung eines anderen Versicherungszweigs können etwa äusserst knappe oder ungenaue Abklärungen sowie kaum überzeugende oder nicht sachgerechte Schlussfolgerungen bieten (BGE 126 V 294 Erw. 2d in fine; RKUV 2000 Nr. U 402 S. 391 Erw. 4a).
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3.- a) Das Verwaltungsgericht das Kantons Appenzell A.Rh., welches über den von der Invalidenversicherung festgelegten Invaliditätsgrad mit Entscheid vom 19. Januar 2000 rechtskräftig befunden hat, schätzte das Valideneinkommen im Jahre 1998 auf mindestens Fr. 128'000.-. Dabei erwog es, als Gesunde hätte die Versicherte als qualifizierte Juristin mit Anwaltspatent, Doktorat und einiger Berufserfahrung im Raum Zürich gearbeitet, was ihr in dieser Tätigkeit einen Jahresverdienst von mindestens Fr. 120'000.- eingebracht hätte. Dazu käme ein jährliches Verwaltungsratshonorar von Fr. 8000.- von der Firma C.________ AG.
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Bezüglich der mutmasslichen Einkommenshöhe als Juristin in Zürich berief sich das kantonale Verwaltungsgericht zunächst auf das in einem früheren Verfahren durch gerichtlich genehmigten Vergleich festgelegte Valideneinkommen im Jahr 1996 von Fr. 95'000.- als Juristin evtl. mit Doktorat, aber noch ohne Anwaltspatent; unter Berücksichtigung der Qualifikationen, welche die Beschwerdeführerin bis 1998 erwartungsgemäss noch dazu erworben hätte (Anwaltspatent) müsse von einem Valideneinkommen von Fr. 120'000.- ausgegangen werden, was dem zürcherischen Lohnniveau für qualifizierte Juristen mit erster Berufserfahrung entsprechen würde. Letztere Aussage sieht es durch ein, nicht in den letztinstanzlichen Akten befindliches Schreiben des Appenzellischen Anwaltsverbands vom 22. September 1998 belegt, wonach Anwälte in Zürich und Umgebung fast doppelt so viel verdienen sollen wie in der Ostschweiz.
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b) Zwar hatte das Verwaltungsgericht des Kantons Appenzell A.Rh. die erwerblichen Auswirkungen des gleichen Gesundheitszustandes zu bewerten wie die Unfallversicherung, insoweit sind seine Erwägungen zum Invaliditätsgrad von Interesse. Wie indessen aus der pauschal gehaltenen Aussage des kantonalen Anwaltsverbandes auf einen Durchschnittsverdienst einer Juristin mit Anwaltspatent und Doktorat im Grossraum Zürich geschlossen werden kann, ist nicht nachvollziehbar. Auch werden vom Verwaltungsgericht keine konkreten Vergleichszahlen angeführt, die seine Einschätzung belegen könnten. Ferner hat es das Verwaltungsratshonorar von Fr. 8000.- zu demjenigen Verdienst hinzugerechnet, den die Beschwerdeführerin nach Auffassung des Verwaltungsgerichts in einer Vollzeitstelle erwirtschaften könnte, was indessen nicht zulässig ist. Soll das aus dieser Tätigkeit mutmasslich erzielte Entgelt zum Valideneinkommen geschlagen werden, ist die dafür aufzubringende Arbeitszeit zu Lasten des Vollzeitpensums als Juristin zu berücksichtigen. In diesem Punkt kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden, zumal die Versicherte dagegen nichts Konkretes vorbringt. Der Rentenentscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Appenzell A.Rh. für die Invalidenversicherung stellt unter diesen Umständen keine zuverlässige und im Sinne der Rechtsprechung verbindliche Grundlage für die Invaliditätsbemessung in der obligatorischen Unfallversicherung dar.
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4.- a) Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat im UV-Verfahren das vom Verwaltungsgericht des Kantons Appenzell A.Rh. Versäumte nachgeholt, indem es konkrete Abklärungen über das mittlere Einkommen einer 30jährigen juristischen Sekretärin mit Anwaltspatent sowie mit oder ohne Doktorat einer Rechtsmittelinstanz im Kanton Zürich tätigte, was über die kantonale Lohnklasse 19, Erfahrungsstufe 3, zu einem Betrag von aufgerundet Fr. 92'000.- führte. Mit Blick auf den im Anhang 1 der Vollzugsverordnung zum Personalgesetz des Kantons Zürich befindlichen aktuellen Einreihungsplan (Adjunkt/in, jur. Sekretär/in, jur. Sekretär/in an einem Bezirksgericht, Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in: jeweils ab Lohnklasse 17; Abteilungschef/in, jur. Sekretär/in an einem obersten kantonalen Gericht: jeweils ab Lohnklasse 18) sowie die für Adjunktinnen und Adjunkte der Stadt Zürich geltenden Lohnskala (Art. 5 der Verordnung über die Besoldung des Personals der Stadt Zürich, ab Besoldungsklasse 11; Skala im Anhang) entspricht dieses Einkommen durchaus einem realistischen Durchschnittswert, wie er von der Versicherten als Gesunde in einer Vollzeittätigkeit in der Verwaltung oder bei einem Gericht im Raum Zürich mutmasslich erzielt würde. Entsprechend der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 1998 des Bundesamtes für Statistik (Tabellen TA1 und TA2, Anforderungsprofil 1+2) liegen die im privaten Sektor bezahlten Löhne im Durchschnitt nicht über jenen des öffentlichen Sektors, weshalb die Vorinstanz auch darauf verzichten durfte, weitere Abklärungen zum mutmasslichen Durchschnittsverdienst im privaten Sektor vorzunehmen. Aus diesem Grund ist auch auf die eventualiter beantragte Rückweisung zwecks ergänzenden Abklärungen zu verzichten.
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Soweit die Beschwerdeführerin unter Berufung auf schriftliche Auskünfte mehrerer Anwälte aus Zürich geltend macht, im Angestelltenverhältnis in einer Anwaltskanzlei erheblich mehr verdienen zu können, ist ihr entgegen zu halten, dass es sich beim Valideneinkommen um einen Durchschnittswert handelt. Ob sie tatsächlich in einer Anwaltskanzlei oder aber in der Verwaltung, in einem Privatunternehmen, an einem Gericht gearbeitet oder sich sogar selbstständig gemacht hätte, lässt sich mit der Vorinstanz (wie übrigens auch dem Verwaltungsgericht des Kantons Appenzell A.Rh.) nicht abschliessend beantworten. Ferner lässt sich die von der Vorinstanz detailliert begründete Feststellung, die Versicherte hätte das Anwaltspatent entsprechend dem Ende 1995 entworfenen hypothetischen Werdegang erst im Jahre 1998 erworben, nicht beanstanden.
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b) Das als Juristin in einer Vollzeitstelle durchschnittlich erzielbare Einkommen von Fr. 92'000.- ist auf ein Teilzeitpensum von 95 % umzulegen, damit das gemäss letztinstanzlich nicht beanstandeter Einschätzung der Vorinstanz mit einem Zeitaufwand von rund 5 % der jährlichen Arbeitszeit eines vollen Angestelltenpensums erzielbare Verwaltungsratshonorar von Fr. 8000.- bei der Invaliditätsbemessung berücksichtigt werden kann. Dergestalt ergibt sich ein Valideneinkommen im Jahr 1998 von Fr. 95'400.- (92'000 x 0.95 + 8000). Aus der Gegenüberstellung dieses Betrages mit dem von keiner Seite in Frage gestellten Invalideneinkommen von Fr. 38'800.- resultiert ein Invaliditätsgrad von 59 %.
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5.- Die Beschwerdeführerin bemängelt endlich, Verwaltung und Vorinstanz hätten lediglich das Einkommen nach Abschluss der Ausbildung im Jahre 1998 festgelegt, wogegen die Rente im Hinblick auf die voraussichtliche zukünftige Erwerbsunfähigkeit zu bemessen sei.
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Ob sich die Validen- und Invalideneinkommen in unterschiedlichem Ausmass weiterentwickeln, sodass sich dies auf die zukünftige Erwerbsunfähigkeit auswirkt, konnte zum massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen) nicht beantwortet werden. Dies wird erst die Zukunft zeigen und gegebenenfalls Anlass zu einer Revision geben.
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6.- Zusammengefasst ist der vorinstanzliche Entscheid, welcher die von der SUVA mit Wirkung ab 1. Juni 1998 zugesprochene Rente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von 60 % bestätigt, nicht zu beanstanden.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht
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des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
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Sozialversicherung zugestellt.
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Luzern, 10. Oktober 2001
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der IV. Kammer:
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Der Gerichtsschreiber:
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i.V.
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