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Original
 
[AZA 0/2]
1P.478/2001/mks
I. ÖFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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Beschluss vom 6. November 2001
Es wirken mit: Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident
der I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter
Féraud, Bundesrichter Catenazzi und Gerichtsschreiber Härri.
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In Sachen
Vereinigung X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Blum, Apollostrasse 2, Zürich,
gegen
Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich, Büro 5,Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
betreffend
Art. 8, 9, 26, 29 und 36 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK
(Kontosperre), (staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich vom 14. Juni 2001), hat sich ergeben:
A.- Mit Verfügung vom 20. Februar 2001 sperrte die Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich verschiedene Konten der Vereinigung X.________ (im Folgenden: Vereinigung) bei der Y.________ Bank.
Am 16. März 2001 dehnte die Bezirksanwaltschaft die Kontensperre auf die nach dem 20. Februar 2001 eingegangenen Gutschriften aus.
Am 25. April 2001 gab die Bezirksanwaltschaft ein Konto zur Ausführung von Vergütungsaufträgen im Betrage von insgesamt USD 524'416.-- frei. Danach waren noch Vermögenswerte in Höhe von Fr. 950'476. 71 gesperrt.
B.- Den von der Vereinigung gegen die Kontensperre erhobenen Rekurs wies die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich am 14. Juni 2001 ab.
C.- Am 15. Juli 2001 erhob die Vereinigung staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Entscheid der Staatsanwaltschaft und die Verfügung der Bezirksanwaltschaft vom 20. Februar 2001 aufzuheben.
Die Vereinigung rügt eine Verletzung von Art. 8, 9, 26, 29 und 36 BV sowie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Sie macht geltend, die Vermögensbeschlagnahme in der verfügten Höhe sei in Anbetracht des in Frage kommenden Deliktsbetrages nicht erforderlich und deshalb unverhältnismässig; die Bezirksanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft kämen überdies ihrer Begründungspflicht nicht nach; der Verdacht des Betruges und der Urkundenfälschung im Zusammenhang mit der Sammlung von Spendengeldern werde nicht hinreichend konkretisiert; ebenso wenig werde die gänzliche Verweigerung der Akteneinsicht während des gesamten Verfahrens genügend begründet; die Verweigerung der Akteneinsicht sei verfassungswidrig; ausserdem seien die Verfahrensgarantien von Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht beachtet worden; die Kontensperre betreffe zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK; die Vereinigung hätte deshalb Anspruch gehabt auf das Urteil eines unabhängigen Gerichtes und auf ein öffentliches Verfahren; weder bei der Bezirksanwaltschaft noch der Staatsanwaltschaft handle es sich um ein unabhängiges Gericht und ein öffentliches Verfahren habe nicht stattgefunden.
D.- Die Staatsanwaltschaft und die Bezirksanwaltschaft verzichteten auf eine Vernehmlassung.
E.- Mit Verfügung vom 29. August 2001 gab die Bezirksanwaltschaft Zürich die am 20. Februar und 16. März 2001 gesperrten Vermögenswerte frei.
Am 24. September 2001 teilte das Bundesgericht den Parteien mit, damit sei die staatsrechtliche Beschwerde gegenstandslos geworden; es werde in Aussicht genommen, die Beschwerde gemäss Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72 BZP als erledigt zu erklären. Das Bundesgericht gab den Parteien Gelegenheit, zur Gegenstandslosigkeit und zur Kosten- und Entschädigungsregelung Bemerkungen einzureichen.
Die Bezirksanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft haben auf Bemerkungen verzichtet.
Die Vereinigung hat eine Stellungnahme eingereicht.
Sie bringt vor, die staatsrechtliche Beschwerde berühre grundsätzliche Aspekte, an deren höchstrichterlicher Beurteilung ein Interesse bestehe. Das gelte insbesondere für die Rüge der Verletzung der Verfahrensgarantien nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Die Vereinigung regt an, dass sich das Bundesgericht zu den grundsätzlich bedeutungsvollen Rügen äussere. Im Übrigen sei unbestritten, dass die staatsrechtliche Beschwerde zufolge Freigabe der gesperrten Vermögenswerte gegenstandslos geworden sei. Die Vereinigung beantragt, die Kosten auf die Staatskasse zu nehmen und ihr eine angemessene Entschädigung auszurichten.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG muss der Beschwerdeführer ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheides bzw. an der Überprüfung der von ihm erhobenen Rügen haben, damit auf die Beschwerde eingetreten werden kann (BGE 127 III 429 E. 1b mit Hinweisen).
Dieses Erfordernis soll sicherstellen, dass das Gericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet. Das Interesse an der Beschwerdeführung ist aktuell und praktisch, wenn der erlittene Nachteil im Zeitpunkt der Beurteilung durch das Bundesgericht noch besteht und durch die beantragte Aufhebung des angefochtenen Hoheitsaktes beseitigt würde (BGE 116 Ia 359 E. 2a mit Hinweisen). Es fehlt, wenn der Hoheitsakt widerrufen oder sonst gegenstandslos geworden ist (BGE 109 Ia 169 E. 3b mit Hinweisen; Walter Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. , Bern 1994, S. 258).
Das aktuelle und praktische Interesse muss noch bestehen, wenn das Bundesgericht urteilt. Liegt das praktische Interesse im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung vor, fällt es aber nachträglich weg, ist die Beschwerde in Anwendung von Art. 40 OG in Verbindung mit Art. 72 BZP als erledigt abzuschreiben (BGE 118 Ia 488 E. 1a). Das aktuelle praktische Interesse an der Behandlung einer Haftbeschwerde etwa entfällt, wenn der Beschwerdeführer während der Hängigkeit des bundesgerichtlichen Verfahrens aus der Haft entlassen wird (BGE 110 Ia 140).
Die Bezirksanwaltschaft hat die Kontensperre nach Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde aufgehoben. Damit hat die Beschwerdeführerin kein aktuelles praktisches Interesse mehr an der Behandlung der Beschwerde. Es verhält sich wie bei der Entlassung aus der Untersuchungshaft während der Hängigkeit des bundesgerichtlichen Verfahrens. Hier wie dort entfällt mit der Aufhebung der strafprozessualen Zwangsmassnahme der Nachteil, der Anlass zur Beschwerde gegeben hat.
Das bestreitet die Beschwerdeführerin auch nicht. Sie ist aber, wie dargelegt, der Auffassung, es stellten sich im vorliegenden Fall grundsätzliche Fragen, zu denen sich das Bundesgericht äussern solle.
Das Bundesgericht verzichtet ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können und an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und sofern diese im Einzelfall kaum je rechtzeitig verfassungsgerichtlich geprüft werden könnten (BGE 127 III 429 E. 1b S. 432, 125 I 394 E. 4b mit Hinweisen). Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein (Kälin, a.a.O., S. 261).
Soweit die Beschwerdeführerin die Unverhältnismässigkeit der Kontensperre im vorliegenden Fall und die Verletzung der Begründungspflicht rügt, wirft sie keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Das Gegenteil könnte man höchstens annehmen in Bezug auf die Vorbringen, die vollständige Verweigerung der Akteneinsicht während des gesamten Verfahrens sei verfassungswidrig und es hätten die Verfahrensgarantien von Art. 6 Ziff. 1 EMRK beachtet werden müssen. Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben. Jedenfalls lässt sich nicht sagen, dass das Bundesgericht diese Fragen im Einzelfall kaum je rechtzeitig prüfen könnte. Es sind ohne Weiteres Fälle denkbar, in denen sich in Bezug auf die Akteneinsicht und die Verfahrensgarantien nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK die gleichen Fragen stellen wie hier, die Kontosperre aber noch besteht. Die Voraussetzungen für die Behandlung der Beschwerde trotz Wegfalls des aktuellen praktischen Interesses sind damit nicht erfüllt.
2.- Wird ein Rechtsstreit gegenstandslos oder fällt er mangels rechtlichen Interesses dahin, so erklärt ihn das Gericht nach Vernehmlassung der Parteien ohne weitere Parteiverhandlung als erledigt und entscheidet mit summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes (Art. 40 OG i.V.m. Art. 72 BZP). Bei der Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist somit in erster Linie auf den mutmasslichen Ausgang des Prozesses abzustellen (BGE 118 Ia 488 E. 4a).
Die Rügen, welche die Beschwerdeführerin in der staatsrechtlichen Beschwerde erhebt, wären durchwegs nicht von vornherein aussichtslos gewesen. Insbesondere die vollständige Verweigerung der Akteneinsicht während des gesamten Verfahrens erscheint fragwürdig und die Begründung des angefochtenen Entscheids ist gerade in diesem Punkt knapp. Die staatsrechtliche Beschwerde hätte - bei summarischer Prüfung - durchaus Erfolgsaussichten gehabt. Bei dieser Sachlage rechtfertigt es sich, keine Kosten zu erheben und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zuzusprechen.
Demnach beschliesst das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird als gegenstandslos geworden am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben.
2.- Es werden keine Kosten erhoben.
3.- Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Bezirksanwaltschaft IV für den Kanton Zürich, Büro 5, und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 6. November 2001
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: