BGer 5C.212/2001
 
BGer 5C.212/2001 vom 08.11.2001
[AZA 0/2]
5C.212/2001/bmt
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
8. November 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Bianchi, Bundesrichter Raselli,
Bundesrichterin Escher, Bundesrichter Meyer sowie Gerichtsschreiber Zbinden.
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In Sachen
H.S.________, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Fürsprecher Martin Schwaller, Obere Vorstadt 37, 5001 Aarau,
gegen
1. R.S.________,
2. S.E.________, Beklagte und Berufungsbeklagte, beide vertreten durch Fürsprecher Peter Krebs, Täfernhof, Mellingerstrasse 207, 5405 Baden,
betreffend
Ungültigerklärung einer letztwilligen Verfügung;
Aktivlegitimation,
hat sich ergeben:
A.-Mit öffentlich beurkundeter letztwilliger Verfügung vom 28. Dezember 1996 setzte K.S.________ R.S.________ und S.E.________ als Willensvollstrecker ein. Am 31. Dezember 1996 verstarb K.S.________. Als gesetzliche Erben hinterliess er seine überlebende Ehefrau M.S.________ und seinen Sohn H.S.________, welcher am 9. Juni 1997 auf seine gesetzlichen Erbrechte zu Gunsten seiner Mutter verzichtete; dieser Erbverzicht wurde am 22. Juli 1997 vom Vormund der Mutter angenommen.
B.-Mit Klage vom 28. April 1998 stellte H.S.________ beim Bezirksgericht Baden unter anderem das Begehren, die letztwillige Verfügung vom 28. Dezember 1996 sei für ungültig zu erklären. Am 16. Dezember 1999 wies das Bezirksgericht Baden die Klage ab. Die beim Obergericht des Kantons Aargau eingereichte Appellation blieb ohne Erfolg.
C.-Gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 18. Mai 2001 hat H.S.________ Berufung eingelegt mit dem Hauptantrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung zurückzuweisen, eventuell sei die Klage gutzuheissen. Es ist keine Berufungsantwort eingeholt worden. Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.-a) Das Obergericht hat die Aktivlegitimation des Klägers verneint. Es hat ausgeführt, der Kläger habe auf den Nachlass zu Gunsten seiner Mutter verzichtet und der Vormund der Mutter habe den Erbverzicht angenommen. Es handle sich dabei um einen Vertrag unter den Miterben über die Abtretung der Erbanteile im Sinne von Art. 635 Abs. 1 ZGB. Die Abtretung an einen Miterben habe zur Folge, dass der Abtretende aus der Erbengemeinschaft austrete und nicht mehr Erbe des Erblassers sei. Damit verliere er auch die Aktivlegitimation.
Es treffe zwar zu, dass der austretende Miterbe den Nachlassgläubigern gegenüber in analoger Anwendung von Art. 639 ZGB während fünf Jahren mit den andern Erben solidarisch hafte. Die weiterbestehende Haftung ändere aber nichts daran, dass ihm keine Erbenstellung und damit keine Aktivlegitimation mehr zukomme.
Der Kläger wendet sich nicht gegen die Qualifikation seines Schreibens vom 9. Juni 1997 als Abtretung seines Erbanteils an die Miterbin und gegen die dingliche Wirkung dieser Abtretung. Er vertritt aber die Auffassung, dieser Umstand schliesse die Ungültigkeitsklage gemäss Art. 519 Abs. 2 ZGB nicht aus. Vielmehr habe die weiterbestehende Haftung für Erbschaftsschulden zur Folge, dass auch die Aktivlegitimation erhalten bleibe.
b) Die Ungültigkeitsklage kann nach Art. 519 Abs. 2 ZGB von jedermann erhoben werden, der als Erbe oder Bedachter ein Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt wird. Nach dem Wortlaut der Bestimmung muss der Kläger Erbe oder Bedachter sein und zudem ein Interesse daran haben, dass die Verfügung für ungültig erklärt wird.
Die Abtretung von Erbanteilen unter Miterben gemäss Art. 635 Abs. 1 ZGB bewirkt eine subjektive partielle Erbteilung und hat dingliche Wirkung. Dies bedeutet, dass der Abtretende aus der Erbengemeinschaft austritt und die Erbenstellung verliert (BGE 102 Ib 321 E. 3a; Schaufelberger, Basler Kommentar, N. 12 zu Art. 635 ZGB mit weiteren Hinweisen).
Im Zeitpunkt der Klageeinreichung war der Kläger daher nicht mehr Erbe, so dass er seine Aktivlegitimation nicht aus seiner Eigenschaft als Erbe ableiten kann.
2.-In der Lehre wird mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte und die französische Fassung der Norm die Meinung vertreten, der deutsche Wortlaut von Art. 519 Abs. 2 ZGB sei zu eng und entspreche nicht dessen wahren Sinn. Das Bundesgericht hat zu dieser Frage bisher nicht Stellung genommen.
a) Der Text der Vorschrift hat im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens mehrere Veränderungen durchgemacht (zur Entstehungsgeschichte: Escher, Zürcher Kommentar,
3. Aufl. 1959, N. 3 zu Art. 519 ZGB; Tuor, Berner Kommentar,
2. Aufl. 1952, N. 8 - 10 zu Art. 519 ZGB). Nach dem Teilentwurf war jedermann zur Klage zugelassen, "der an dem Nichtvorhandensein der Verfügung ein Interesse hat", sowie die zuständige Behörde und der Erbschaftsverwalter. Der Vorentwurf verlangte nur noch ein Interesse, wobei die Behörde und der Erbschaftsverwalter nicht mehr als aktivlegitimiert galten.
Die eidgenössischen Räte verabschiedeten schliesslich eine engere Formulierung, wonach für die Aktivlegitimation ein "erbrechtliches Interesse" verlangt wurde. Dieser Formulierung entspricht der gültige französische Text, der lautet: "L'action appartient à toute personne intéressée à titre héréditaire". Damit soll ausgeschlossen werden, dass ein bloss familien-, obligationen- oder sachenrechtliches Interesse ausreiche. Die noch engere, definitive deutsche Formulierung (als Erbe oder Bedachter ...) führte erst die Redaktionskommission ein. Da dieser Kommission keine Befugnis zu materiellrechtlichen Änderungen übertragen war, kann dieser Änderung nur formelle Bedeutung zukommen. Zur Klage legitimiert ist somit, wer als Erbe oder Bedachter oder aus einem andern Grund ein erbrechtliches Interesse daran hat, dass die Verfügung für ungültig erklärt werde (vgl. Tuor, a.a.O., N. 8 zu Art. 519 ZGB; Forni/Piatti, Basler Kommentar, N. 25 zu Art. 519/520 ZGB; Gottfried Müller, Die Ungültigkeitsklage bei den Verfügungen von Todes wegen, Diss.
Zürich 1928, S. 77).
b) Der Kläger führt dazu aus, er sei zwar mit der Abtretung seines Erbanteils an seine Mutter aus der Erbengemeinschaft ausgetreten, bleibe aber gestützt auf Art. 639 ZGB für die Schulden des Erblassers während fünf Jahren solidarisch haftbar (BGE 102 Ib 321 E. 6 S. 328; 109 II 408 S. 410). Die Wirkung der Abtretung zwischen Zedent und Zessionar sei daher beschränkt, so dass der Abtretungserbe gemäss Art. 639 ZGB ein eigenes erbrechtliches Interesse am weiteren Verlauf der Nachlassliquidation habe. Die Abtretung ohne Sicherstellung werde der Abtretungserbe in der Regel im Vertrauen auf die Person des Zessionars abschliessen, dieser werde die Nachlassschulden bezahlen und ihn dadurch schadlos halten. Zum eingesetzten Willensvollstrecker bestehe aber ein anderes Verhältnis als zum Zessionar - vorliegend nämlich ein Misstrauensverhältnis. Durch seine Handlungen greife der Willensvollstrecker unmittelbar in die Rechtsstellung des Abtretungserben ein, potentiell negativ, wenn er z.B.
die Schulden nicht bezahle.
c) Wie der Erbe und der Bedachte muss auch derjenige, der seinen Erbanteil abgetreten hat, ein Interesse an der Ungültigkeit der letztwilligen Verfügung ausweisen können. Vorausgesetzt sind beim Abtretungserben konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ihm aus der Ungültigkeit der Verfügung ein Vorteil erwächst. Der rein theoretischen Befürchtung des Klägers, solidarisch für allfällige Erbschaftsschulden zu haften, sollten die Willensvollstrecker diese nicht bezahlen, entspricht der rein theoretische Vorteil, dass sich eine solidarische Haftung nicht ergeben kann, wenn die Verfügung für ungültig erklärt würde. Dies reicht indes nicht aus. Damit ein Interesse bejaht werden könnte, müsste der Kläger vielmehr darlegen, welche konkreten Anhaltspunkte für einen Vorteil aus der Ungültigkeit der Verfügung sprechen.
Diesen Anforderungen kommt er indes nicht in einer Art. 55 Abs. 1 lit. c OG genügenden Weise nach, und dem angefochtenen Entscheid lassen sich in diesem Zusammenhang keine verbindlichen tatsächlichen Feststellungen entnehmen (Art. 63 Abs. 2 OG). Der Kläger weist zwar in allgemeiner Weise auf sein Misstrauensverhältnis zu den Willensvollstreckern hin. Inwiefern ein solches besteht und die Bezeichnung der beiden Willensvollstrecker seine Haftbarkeit eher auslösen könnte, als wenn an ihrer Stelle der Vormund der Mutter die Erbschaftsschulden zu begleichen hätte, legt der Kläger nicht dar und ist dem angefochtenen Entscheid auch nicht zu entnehmen. Der Umstand allein, dass der Abtretungserbe ein belastetes Verhältnis zum Willensvollstrecker hat und ihn deswegen von seinem Amt fernhalten möchte, vermag die Aktivlegitimation ohnehin nicht zu begründen (vgl. dazu auch Johann Steiner, Das Erfordernis des richterlichen Urteils für die Ungültigerklärung oder Herabsetzung von Verfügungen von Todes wegen, Diss. Freiburg 1945, S. 16). Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, indem sie ein erbrechtliches Interesse an der Aufhebung der letztwilligen Verfügung und damit die Aktivlegitimation des Klägers verneint hat. Die Berufung ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann, und das angefochtene Urteil ist zu bestätigen.
3.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Kläger die Verfahrenskosten (Art. 156 Abs. 1 OG). Eine Parteientschädigung an die Beklagten entfällt, da keine Berufungsantwort eingeholt worden ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.-Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, vom 18. Mai 2001 wird bestätigt.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird den Parteien sowie dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 8. November 2001
Im Namen der II. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: