BGer I 271/2000 |
BGer I 271/2000 vom 07.12.2001 |
[AZA 7]
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I 271/00 Gb
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II. Kammer
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Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari;
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Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke
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Urteil vom 7. Dezember 2001
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in Sachen
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A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch die Beratungsstelle für Ausländer, Weinbergstrasse 147, 8006 Zürich,
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gegen
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IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin,
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Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
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A.- Der 1978 geborene, aus X.________ stammende A.________ reiste im August 1993 in die Schweiz ein. Ab Oktober 1994 arbeitete er im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms für Asylbewerber im landwirtschaftlichen Betrieb B.________ während drei bis vier Stunden täglich. Am 7. März 1995 verletzte sich A.________ bei der Arbeit an einer Holzspaltmaschine am rechten Arm. Am 29. September 1997 meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Bezug von beruflichen Massnahmen und Rente an. Die IV-Stelle des Kantons Zürich (nachfolgend: IV-Stelle) holte eine Auskunft des Arbeitgebers vom 11. November 1997 sowie einen Bericht der Ergotherapeutin S.________ vom 10. November 1995 ein und zog verschiedene medizinische Unterlagen bei (Bericht der Dres. med. P.________ und V.________, Spital Y.________, vom 27. April 1995, über die Hospitalisation vom 7. März bis 26. April 1995; Austrittsbericht der Rehabilitationsklinik Z.________ vom 31. Mai 1995 über den stationären Aufenthalt vom 26. April 1995 bis 24. Mai 1995; Gutachten des med. Dr. H.________ vom 25. September 1995; Bericht des Dr. med. C.________, Spital Y.________, vom 8. Dezember 1997).
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Gestützt darauf lehnte sie mit Verfügung vom 20. Mai 1998 einen Anspruch auf eine Rente und auf berufliche Massnahmen ab mit der Begründung, in der ihm verbliebenen Restarbeitsfähigkeit in einer geeigneten Tätigkeit wie beispielsweise industrielle Hilfsarbeiten, Verpackungsarbeiten könne er ein rentenausschliessenden Einkommen von ca.
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Fr. 42'380.- pro Jahr erzielen; berufliche Massnahmen seien dazu nicht notwendig.
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B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 22. März 2000 ab.
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C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt A.________ beantragen, es seien ihm mindestens eine halbe Rente zuzusprechen oder Eingliederungsmassnahmen anzuordnen.
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Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Invaliditätsbegriff (Art. 4 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG), die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie die Rechtsprechung zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V 134 Erw. 2 mit Hinweisen) und zur Beweiswürdigung von medizinischen Berichten (BGE 125 V 352 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
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2.- Nicht in Frage steht, dass der Beschwerdeführer die versicherungsmässigen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen der schweizerischen Invalidenversicherung im hier massgebenden Verfügungszeitpunkt (BGE 121 V 366 Erw. 1b) erfüllt. Ebenfalls unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist.
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Streitig ist hingegen, wie sich diese Einschränkung in erwerblicher Hinsicht auswirkt.
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Während die Vorinstanz davon ausgeht, eine leichte Tätigkeit sei dem Versicherten voll zumutbar und er könnte damit ein rentenausschliessendes Einkommen von Fr. 42'380.- erzielen, was im Vergleich zum Valideneinkommen von Fr. 47'171.- einen Invaliditätsgrad von rund 10 % ergebe, macht der Beschwerdeführer geltend, bei einer leichten körperlichen Arbeit könne er als Ausländer sicher nicht mehr als 50 % des Valideneinkommens erzielen.
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3.- Auf Grund des Gutachtens des Dr. med. H.________ vom 25. September 1995 und des Austrittsberichts der Rehabilitationsklinik Z.________ vom 31. Mai 1995 ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer die bisherige schwere Tätigkeit in der Landwirtschaft nicht mehr zumutbar ist, er jedoch in einer leichten manuellen Arbeit zu 100 % arbeitsfähig ist. Zu prüfen bleibt, wie sich diese Arbeitsunfähigkeit in erwerblicher Hinsicht auswirkt.
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a) Bei der Ermittlung des ohne invalidisierenden Gesundheitsschaden erzielbaren Einkommens (des sogenannten Valideneinkommens) ist entscheidend, was die versicherte Person im Zeitpunkt des Rentenbeginns auf Grund ihrer beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ohne den Gesundheitsschaden verdienen würde (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 Erw. 3b mit Hinweis). Da die Invaliditätsbemessung der voraussichtlich bleibenden oder längere Zeit dauernden Erwerbsunfähigkeit zu entsprechen hat (vgl. Art. 4 Abs. 1 IVG), ist auch die berufliche Weiterentwicklung mitzuberücksichtigen, die eine versicherte Person normalerweise vollzogen hätte; dazu ist allerdings erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ein beruflicher Aufstieg und ein entsprechend höheres Einkommen tatsächlich realisiert worden wären (BGE 96 V 30; AHI 1998 S. 171 Erw. 5a; RKUV 1993 Nr. U 168 S. 100 Erw. 3b). Die Einkommensermittlung hat so konkret wie möglich zu erfolgen. Es ist daher in der Regel vom letzten Lohn vor Eintritt der Gesundheitsschädigung auszugehen (ZAK 1980 S. 593 mit Hinweisen).
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Den letzten Lohn vor dem Unfall erzielte der Versicherte im Rahmen eines Beschäftigungsprogramms als Asylbewerber für seine Tätigkeit als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft.
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Bei einem unregelmässigen Einsatz von drei bis vier Stunden pro Tag und fünf Tagen in der Woche von Oktober 1994 bis 7. März 1995 erzielte er einen Stundenlohn von Fr. 3.- (was die IV-Stelle auf einen Jahreslohn von Fr. 3'900.- umrechnete). Die Vorinstanz hat zwar zu Recht nicht auf diesen Lohn, sondern auf Tabellenlöhne gemäss der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) abgestellt; doch kann ihr nicht gefolgt werden, wenn sie dabei von einem Durchschnitt von fünf ausgewählten Löhnen gemäss Tabelle A7 der LSE ausgegangen ist. Es bestehen zu wenig Anhaltspunkte bezüglich der vom Versicherten ohne Gesundheitsschaden voraussichtlich ausgeübten Hilfsarbeitertätigkeit - insbesondere über einen längeren Zeitraum gesehen -, um auf eine bestimmte Branche abzustellen, weshalb das Valideneinkommen nach dem allgemeinen Wert für den monatlichen Bruttolohn im Privaten Sektor für männliche Arbeitnehmer bei einfachen und repetitiven Tätigkeiten (Anforderungsprofil 4) festzusetzen ist (LSE 1996, monatlich Fr. 4'294.-). Umgerechnet auf die betriebsübliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 41,9 Stunden und angepasst an die im Jahr 1997 eingetretene Nominallohnerhöhung von 0,5 % (Die Volkswirtschaft 2001, Heft 8, S. 93, Tabelle B 10.2) ergibt sich ein Gehalt von Fr. 4'520. 45 monatlich oder Fr. 54'245. 40 im Jahr.
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b) aa) Für die Bestimmung des Invalideneinkommens ist primär von der beruflich-erwerblichen Situation auszugehen, in welcher die versicherte Person konkret steht. Ist kein solches tatsächlich erzieltes Erwerbseinkommen gegeben, namentlich, weil die versicherte Person nach Eintritt des Gesundheitsschadens keine oder jedenfalls keine ihr an sich zumutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, können nach der Rechtsprechung Tabellenlöhne beigezogen werden.
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Wird das Invalideneinkommen auf der Grundlage von statistischen Durchschnittswerten ermittelt, ist der entsprechende Ausgangswert (Tabellenlohn) allenfalls zu kürzen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass persönliche und berufliche Merkmale einer versicherten Person, wie Art und Ausmass der Behinderung, Lebensalter, Dienstjahre, Ausbildung, Nationalität oder Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad Auswirkungen auf die Lohnhöhe haben können (BGE 124 V 323 Erw. 3b/aa). Der Abzug hat nicht automatisch, sondern dann zu erfolgen, wenn im Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die versicherte Person wegen eines oder mehrerer dieser Merkmale ihre gesundheitlich bedingte (Rest-) Arbeitsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur mit unterdurchschnittlichem Erfolg verwerten kann. Bei der Bestimmung der Höhe des Abzuges vom Tabellenlohn sodann ist nicht in der Weise vorzugehen, dass für jedes in Betracht fallende Merkmal separat eine Reduktion vorgenommen wird, weil damit Wechselwirkungen ausgeblendet würden. Vielmehr ist der Einfluss aller Merkmale auf das Invalideneinkommen (leidensbedingte Einschränkung, Alter, Dienstjahre, Ausbildung, Nationalität, Aufenthaltskategorie und Beschäftigungsgrad) unter Würdigung der Umstände im Einzelfall nach pflichtgemässem Ermessen gesamthaft zu schätzen. Dabei ist der Abzug auf insgesamt höchstens 25 % zu begrenzen (BGE 126 V 79 f. Erw. 5b/aa-cc).
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bb) Was das Invalideneinkommen betrifft, ist zunächst festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer trotz der attestierten Einschränkungen eine Reihe von Verweisungstätigkeiten offen stehen, deren Ausübung ihm voll zumutbar ist (gemäss Austrittsberichts der Rehabilitationsklinik Z.________ vom 31. Mai 1995 leichte industrielle Hilfsarbeiten, wie Maschinen einrichten und überwachen, Pack- und Speditionsarbeiten, aber auch Einsatz bei Reinigung oder als Küchenhilfe im Gastgewerbe sowie Auffüllen von Regalen).
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Zu prüfen ist, welche Einkünfte der Versicherte bei vollschichtiger Verrichtung dieser Verweisungstätigkeiten durchschnittlich erreichen könnte. Da es sich bei den erwähnten Tätigkeiten durchwegs um leichte Hilfsarbeit handelt, ist auch hier vom Zentralwert für männliche Arbeitnehmer bei einfachen und repetitiven Tätigkeiten der LSE 1996 in der Höhe von Fr. 4'294.- auszugehen (nicht veröffentlichtes Urteil M. vom 2. September 1998, U 204/97).
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Mit Blick darauf, dass die Mehrzahl der das Invalideneinkommen beeinflussenden persönlichen und beruflichen Merkmale beim Versicherten erfüllt sind, erscheint im Vergleich mit anderen Fällen (unter anderem Urteile J. vom 5. November 2001, U 316/99, C. vom 28. August 2001, I 172/00 und I. vom 20. Juli 2001, I 377/00) ein leidensbedingter Abzug vom statistischen Lohn von 20 % (vgl. hierzu BGE 126 V 78 ff. Erw. 5) als angemessen. Entsprechend beläuft sich das Invalideneinkommen nach Berücksichtigung von betriebsüblicher durchschnittlicher Wochenarbeitszeit und Nominallohnentwicklung auf Fr. 43'396.-, was einen Invaliditätsgrad von 20 % ergibt.
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4.- Nach dem Gesagten ist der Beschwerdeführer zwar nicht rentenbegründend, jedoch im Sinne des Art. 17 IVG als invalid zu betrachten, da er in den für ihn ohne zusätzliche berufliche Ausbildung noch offen stehenden zumutbaren Tätigkeiten eine bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbseinbusse von 20 % erleidet (BGE 124 V 110 f. Erw. 2b mit Hinweisen; AHI 2000 S. 62 Erw. 1).
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Dass der Versicherte keine Berufslehre absolviert hat und nur als Hilfsarbeiter tätig gewesen ist, schliesst einen Anspruch nach Art. 17 Abs. 1 IVG nicht aus. Als Umschulung in Betracht fällt auch eine Anlehre oder eine Vorbereitung - beispielsweise in Form eines Sprachkurses (vgl. AHI 1997 S. 79) - auf eine andere, besser entlöhnte Tätigkeit, welche es dem Versicherten erlaubt, die mit der erforderlichen Umstellung auf eine geeignete leichtere Tätigkeit verbundene Verdiensteinbusse ganz oder teilweise auszugleichen.
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Die Verwaltung hat den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen ausgehend von einem Invaliditätsgrad von rund 10 % abgelehnt und keine weiteren Abklärungen bezüglich beruflicher Massnahmen getroffen. Sie wird dies nachzuholen haben und über den Anspruch auf berufliche Massnahmen neu verfügen, weshalb die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen ist.
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5.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem durch einen Mitarbeiter der Beratungsstelle für Ausländer und Steuerfragen vertretenen, teilweise obsiegenden Beschwerdeführer steht nach Massgabe der zu Art. 159 Abs. 1 und 2 OG ergangenen Rechtsprechung (BGE 122 V 278; nicht veröffentlichte Urteile M. vom 10. Februar 2000, I 142/99, und B. vom 22. Juli 1998, U 108/97) eine aufwandgemässe reduzierte Parteientschädigung zu.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
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teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Sozialversicherungsgerichtes
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des Kantons Zürich vom 22. März
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2000 aufgehoben werden, und die Sache an die IV-Stelle
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des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit diese
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über den Anspruch auf Umschulung neu verfüge.
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II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III. Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von
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Fr. 500.-- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
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IV. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
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Prozesses zu befinden haben.
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V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht
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des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse
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des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung
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zugestellt.
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Luzern, 7. Dezember 2001
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der II. Kammer:
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Die Gerichtsschreiberin:
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