[AZA 0/2]
5P.364/2001/bnm
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
15. Januar 2002
Es wirken mit: Bundesrichter Bianchi, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Raselli, Ersatzrichter Riemer
und Gerichtsschreiber Levante.
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In Sachen
A.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Reiner H.U. Rippmann, Schifflände 22, Postfach 279, 8024 Zürich,
gegen
Obergericht des Kantons Aargau (Kammer für Vormund-schaftswesen), Alois Strebel, Amtsvormund des Bezirks Muri, 5630 Muri,
betreffend
verspätete Beschwerde (Absetzung einer Vormündin,
Art. 445 ZGB, Einsetzung eines Amtsvormundes), hat sich ergeben:
A.- Die Vormundschaftsbehörde Z.________ beschloss am 13. November 2001 u.a., A.________ im Sinne von Art. 445 ZGB als Vormündin ihrer Nichte B.________ abzusetzen und den anderen der beiden Vormünder über das Kind, Amtsvormund Alois Strebel, mit umfassenden Befugnissen auszustatten. Diesen Beschluss focht A.________ durch ihren damaligen Rechtsvertreter, Rechtsanwalt Dr. Kurt Fricker, am 4. Dezember 2000 mit Beschwerde an, welche das Bezirksamt Muri/AG mit Verfügung vom 23. Februar 2001 abwies. Diese Verfügung (mit einer Beschwerdefrist von 20 Tagen) wurde an A.________ mittels Gerichtsurkunde an die Adresse Z.________ versandt und traf am 24. Februar 2001 beim Postamt Z.________ ein. In der Folge wurde die Gerichtsurkunde mit dem Vermerk "retour C.________" sowie mit dem Vermerk und entsprechenden postalischen Klebezettel "Annahme verweigert" versehen und ging am 27. Februar 2001 wieder beim Bezirksamt Muri ein. Am 23. Mai 2001 händigte das Bezirksamt Muri A.________ u.a. den Beschwerdeentscheid vom 23. Februar 2001 persönlich aus. Gegen diesen Entscheid reichte A.________ mit Postaufgabe vom 11. Juni 2001 Beschwerde (datiert vom 12. Juni 2001) ein, auf welche das Obergericht des Kantons Aargau (Kammer für Vormundschaftswesen) mit Urteil vom 27. September 2001 zufolge Verspätung nicht eintrat.
B.- A.________ führt mit Eingabe vom 18. Oktober 2001 staatsrechtliche Beschwerde und beantragt dem Bundesgericht, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben. Weiter ersucht sie, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Der Amtsvormund hat die Abweisung des Gesuchs um aufschiebende Wirkung beantragt; das Obergericht hat sich diesbezüglich nicht vernehmen lassen. Mit Verfügung vom 8. November 2001 hat der Präsident der II. Zivilabteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen. In der Sache haben der Amtsvormund und der Gemeinderat Z.________ keinen Antrag gestellt; das Obergericht schliesst auf Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Das Obergericht hat zur Begründung seines Nichteintretensentscheides festgehalten, der angefochtene Beschwerdeentscheid vom 23. Februar 2001 sei in einem Briefumschlag als Gerichtsurkunde eingeschrieben an die Anschrift der Beschwerdeführerin versandt worden, am 24. Februar 2001 beim Postamt Z.________ eingetroffen und von diesem am 27. Februar 2001 mit dem Vermerk "Annahme verweigert" an den Absender zurückgeleitet worden. Das Obergericht hat aus dem offenbar am Montag, dem 26. Februar 2001, auf der Gerichtsurkunde angebrachten Vermerk "retour C.________" sowie dem Vermerk und entsprechenden postalischen Klebezettel "Annahme verweigert" geschlossen, der Beschwerdeentscheid habe mit der Zustellungsvereitelung durch Annahmeverweigerung seitens der Beschwerdeführerin am 26. Februar 2001 als zugestellt zu gelten.
2.-a) Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 8 und 9 BV sowie von Art. 6 EMRK, weil das Obergericht bezüglich des Beschwerdeentscheides vom 23. Februar 2001 von einer Annahmeverweigerung ausgegangen sei. Die Sendung sei der Beschwerdeführerin nie präsentiert worden und ihr Bruder C.________ habe die Sendung mit dem Vermerk "retour" zurückgehen lassen, weil er keine Befugnis gehabt habe, eine an die Beschwerdeführerin adressierte Gerichtsurkunde mit Wirkung für diese entgegenzunehmen; ebenso wenig sei er befugt gewesen, eine Annahmeerklärung mit Wirkung für die Beschwerdeführerin zu erklären. Es sei auch keine Abholungseinladung zuhanden der Beschwerdeführerin (mit 7-tägiger Abholungsfrist) erstellt worden. Dem Bezirksamt sei aufgrund der Umstände genau bekannt gewesen, dass keine Annahmeverweigerung der Beschwerdeführerin vorgelegen habe. Dennoch habe es einen Zustellversuch an die ihm bekannte aktuelle Adresse der Beschwerdeführerin in Jugoslawien unterlassen. Im Übrigen sei die Konstruktion einer Zustellungsvereitelung seitens der Beschwerdeführerin auch deswegen willkürlich, weil diese alles Zumutbare getan habe, um eine solche Zustellung überhaupt zu ermöglichen: Als sie am 6. Oktober 2000 nach Jugoslawien gefahren sei, sei sie durch Rechtsanwalt Dr. Kurt Fricker vertreten gewesen und habe nicht ahnen können, dass dieser am 25. Januar 2001 telefonisch sein Mandat niederlegen würde.
Dabei sei ihr weder möglich noch zumutbar gewesen, aus Jugoslawien eine neue anwaltliche Vertretung mit Aktenübergabe und Instruktion in der Schweiz zu bewerkstelligen. Sie habe aber bereits vor ihrer Abreise (am 6. Oktober 2000) der Behörde mit Schreiben vom 5. Oktober 2001 ihre aktuelle Adresse in Jugoslawien bekannt gegeben, wobei dies dem Bezirksamt bekannt gewesen sei. Alle diese Angaben hätten im Entscheid des Obergerichts keine Erwähnung gefunden, sodass auch Art. 29 Abs. 2 BV verletzt worden sei.
b) Es ist unbestritten, dass im Falle einer rechtsgültigen Zustellung des Beschwerdeentscheides am 26. Februar 2001 die Beschwerdefrist am 11. Juni 2001 längst abgelaufen war, nicht dagegen, wenn die Zustellung am 23. Mai 2001 erfolgt ist. Dabei ist grundsätzlich die Frage entscheidend, ob am 26. Februar 2001 an den Bruder der Beschwerdeführerin eine rechtsgültige Zustellung deswegen erfolgen konnte, weil er an derselben Adresse wohnte, an welcher auch die Beschwerdeführerin jedenfalls bis zum 6. Oktober 2000 ebenfalls gewohnt hatte. Konnte eine solche Zustellung an ihn rechtsgültig erfolgen, so muss sich die Beschwerdeführerin grundsätzlich auch die Annahmeverweigerung seitens des Bruders anrechnen lassen (vgl. BGE 109 III 1 E. 2b S. 3; Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung,
2. Aufl. 1998, N. 8 a.E. zu § 92). Ob diese Zustellung rechtsgültig war, richtet sich primär nach allfälligen kantonalen Sondernormen, sekundär nach den Postvorschriften (Messmer/Imboden, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, S. 22, Ziff. 19 und Anm. 9, m.H.). Im Kanton Aarau gelten mangels abweichender kantonaler Bestimmungen die Postvorschriften (Bühler/Edelmann/Killer, a.a.O., N. 4 zu § 92; die von den Kommentatoren erwähnten Vorschriften sind seit
1. Januar 1998 nicht mehr in Kraft, vgl. Art. 13 der Postverordnung vom 29. Oktober 1997 [SR 783. 01]). Massgebend sind daher grundsätzlich die rechtsgeschäftlichen Regelungen der Post (vgl. BGE 127 I 31 E. 2a S. 34; 127 III 173 E. 1a S. 174).
c) Ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schweizerischen Post die vorliegende Frage der rechtswirksamen Zustellung beantworten, braucht nicht näher erörtert zu werden, da die staatsrechtliche Beschwerde auf alle Fälle aus anderen Gründen gutzuheissen ist:
Die Beschwerdeführerin war anlässlich ihrer Abreise nach Jugoslawien am 6. Oktober 2000 nicht nur (noch) anwaltlich vertreten, sondern sie hatte auch ausdrücklich ihre dortige Adresse samt Telefonnummer hinterlassen. Dies war dem Bezirksamt aus dem Beschwerdeverfahren betreffend das Besuchsrecht vom Oktober 2000 bekannt; im Übrigen bestätigte das Bezirksamt die Auslandadresse auch durch sein eigenes Rundschreiben vom 22. Dezember 2000 im hier in Frage stehenden Verfahren. Auf den schon in der Beschwerdeschrift (S. 7) vom 12. Juni 2001 erwähnten Umstand, dass die Beschwerdeführerin ihre Adresse samt Telefonnummer in Jugoslawien bekanntgegeben hatte, geht das Obergericht in keiner Weise ein, sodass sich aus dem angefochtenen Entscheid nicht ergibt, dass die Beschwerdeführerin unter dieser Adresse nicht oder nur schwer erreichbar gewesen wäre. Wenn das Obergericht unter diesen Umständen das Vorgehen des Bezirksamtes geschützt hat, der Beschwerdeführerin mehr als 4½ Monate nach ihrer Abreise die fragliche Verfügung ohne weiteres und ausschliesslich an ihre frühere schweizerische Wohnadresse zuzusenden und den "retour"-Vermerk ihres Bruders als Annahmeverweigerung der Beschwerdeführerin selbst zu qualifizieren, ist dies unter dem Gesichtswinkel des Gebotes von Treu und Glauben nicht haltbar (Art. 9 BV).
3.- Aus diesen Gründen ist die Beschwerde gutzuheissen und der angefochtene Nichteintretensentscheid aufzuheben.
Gerichtskosten sind keine zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG).
Der Kanton Aargau hat die durch einen Rechtsanwalt vertretene Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau (Kammer für Vormundschaftswesen) vom 27. September 2001 wird aufgehoben.
2.- Es wird keine Gerichtsgebühr erhoben.
3.- Der Kanton Aargau wird verpflichtet, die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
4.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Obergericht des Kantons Aargau (Kammer für Vormundschaftswesen) und dem Amtsvormund des Bezirks Muri schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 15. Januar 2002
Im Namen der II. Zivilabteilung des
SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: