BGer 6A.112/2001
 
BGer 6A.112/2001 vom 24.01.2002
[AZA 0/2]
6A.112/2001/kra
KASSATIONSHOF
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Sitzung vom 24. Januar 2002
Es wirken mit: Bundesrichter Schubarth, Präsident des
Kassationshofes, Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Kolly, Karlen und Gerichtsschreiber Borner.
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In Sachen
K.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Andreas Imobersteg, Hodlerstrasse 16, Bern,
gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
betreffend
Entzug des Führerausweises(Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des III. Verwaltungsgerichtshofs des Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 28. September 2001), hat sich ergeben:
A.- K.________ fuhr am 31. August 2000 mit einem Personenwagen auf der N5 von Biel in Richtung Neuenburg.
In Tüscherz überschritt er die zulässige Innerortshöchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 27 km/h.
Die Kommission für Administrativmassnahmen im Strassenverkehr des Kantons Freiburg entzog ihm deswegen am 9. November 2000 den Führerausweis für die Dauer von einem Monat.
B.- Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg am 28. September 2001 ab.
C.- K.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei eine Verwarnung auszusprechen.
Das Verwaltungsgericht und das Bundesamt für Strassen beantragen die Abweisung der Beschwerde (act. 10 und 12).
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.-a) Die Kommission für Administrativmassnahmen im Strassenverkehr entzog dem Beschwerdeführer am 9. November 2000 wegen Überschreitens der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 27 km/h den Führerausweis für die Dauer von einem Monat. In der Beschwerde an die Vorinstanz beantragte der Beschwerdeführer, das Administrativverfahren sei bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Strafurteils zu sistieren, eventuell sei lediglich eine Verwarnung auszusprechen, weil er sich bezüglich der tatsächlich erlaubten Höchstgeschwindigkeit in einem nachvollziehbaren Irrtum befunden habe. In der Folge wurde das Verfahren bis zum Vorliegen des Strafurteils ausgesetzt.
Der Gerichtspräsident von Biel-Nidau verurteilte den Beschwerdeführer am 20. August 2001 wegen Überschreitens der signalisierten Höchstgeschwindigkeit innerorts um 27 km/h und in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG (SR 741. 01) zu einer Busse von Fr. 800.--. Das Dispositiv des Entscheids, der öffentlich verkündet und kurz mündlich begründet worden war, liess der Beschwerdeführer der Vorinstanz zukommen. Die Möglichkeit, innert zehn Tagen eine schriftliche Urteilsbegründung zu verlangen, liess der Beschwerdeführer unbenutzt verstreichen.
b) Die Vorinstanz bestätigte den einmonatigen Führerausweisentzug im Wesentlichen mit der Begründung, der Beschwerdeführer sei in einem ordentlichen Strafverfahren rechtskräftig und damit endgültig wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt worden. Er habe offensichtlich auf eine schriftliche Begründung des Strafurteils verzichtet, da er im Verwaltungsgerichtsverfahren lediglich das Urteilsdispositiv unterbreitet habe. Unter diesen Umständen seien seine Einwände nicht weiter zu hören, der Strafrichter sei ebenfalls zum Schluss gekommen, der Beschwerdeführer habe aus nachvollziehbaren Gründen meinen müssen, er würde sich noch auf einer Strecke mit einer signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h befinden. Wenn dem tatsächlich so gewesen wäre, hätte er eine schriftliche Begründung des Urteils verlangen oder den Strafbescheid gar mit einem Rechtsmittel anfechten sollen. Denn der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer habe wissen müssen, dass die Administrativbehörde und mithin das Verwaltungsgericht an das Strafurteil gebunden sei. Immerhin sei auch aus diesem Grund das Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen des Strafurteils ausgesetzt worden.
c) Der Beschwerdeführer verweist auf BGE 111 Ia 169 E. 4c, wonach das Stillschweigen einer Behörde überspitzten Formalismus darstellt, wenn sie den Mangel der Unterschrift auf einer Rechtsschrift so rechtzeitig erkennt, dass die Partei bei entsprechendem Hinweis den Fehler innert Frist hätte verbessern können. Ausgehend von dieser Rechtsprechung könne allgemein gesagt werden, prozessuales Verhalten einer Behörde sei überspitzt formalistisch, wenn die strikte Anwendung von Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt werde. Mit Erhalt des Dispositivs sei für die Vorinstanz ersichtlich gewesen, dass das Strafurteil nicht schriftlich begründet gewesen sei. Indem die Vorinstanz es unterlassen habe, innert der 10-tägigen Frist vom Beschwerdeführer eine schriftliche Begründung des Strafurteils nachzufordern, und ihn die Folgen der fehlenden schriftlichen Begründung habe tragen lassen, sei sie in überspitzten Formalismus verfallen.
2.- a) Das aus Art. 29 Abs. 1 BV (früher aus Art. 4 aBV) fliessende Verbot des überspitzten Formalismus wendet sich gegen prozessuale Formenstrenge, die als exzessiv erscheint, durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder gar verhindert. Das Bundesgericht prüft frei, ob eine solche Rechtsverweigerung vorliegt (BGE 127 I 31 E. 2a/bb S. 34; 125 I 166 E. 3a S. 170, je mit weiteren Hinweisen).
Die Rüge des Beschwerdeführers geht an der Sache vorbei. Es stellt sich nicht die Frage, ob der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren eine (innert Frist verbesserbare) Formvorschrift verletzt hat, sondern inwieweit er verpflichtet war, bei der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken. Er legte das entscheidende Prozessthema nämlich selbst fest, indem er geltend machte, er sei irrtümlich von einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h auf dem fraglichen Strassenabschnitt ausgegangen. Zudem beantragte er die Sistierung des Verwaltungsgerichtsverfahrens, bis der Strafrichter diese Frage beurteilt habe.
b) Für die Feststellung des Sachverhalts gilt im Verwaltungsverfahren grundsätzlich die Untersuchungsmaxime (ebenso Art. 45 VRG/FR). Diese wird jedoch relativiert durch die Mitwirkungspflicht der Parteien, welche namentlich insoweit greift, als eine Partei das Verfahren durch eigenes Begehren eingeleitet hat oder darin eigene Rechte geltend macht. Die Mitwirkungspflicht gilt vorab gerade für solche Tatsachen, welche eine Partei besser kennt als die Behörden und welche diese ohne ihre Mitwirkung gar nicht oder nicht ohne vernünftigen Aufwand erheben können (BGE 124 II 361 E. 2b). Das Freiburger Verwaltungsrechtspflegegesetz sieht eine Mitwirkungspflicht der Parteien insbesondere vor, wenn sie sich auf einen bestimmten Sachverhalt berufen (Art. 47 lit. a VRG/FR), und berechtigt die Behörde, auf die Begehren der Partei nicht einzutreten oder aufgrund der Akten zu entscheiden, wenn die Partei die zumutbare Mitwirkung nicht leistet (Art. 49 Abs. 1VRG/FR).
c) Zunächst ist der Behauptung des Beschwerdeführers entgegenzutreten, seine Verurteilung gestützt auf Art. 90 Ziff. 1 SVG könne nur bedeuten, dass der Strafrichter zur Überzeugung gelangt sei, der Beschwerdeführer habe aus nachvollziehbaren Gründen meinen dürfen, er befinde sich noch auf einer Strecke mit einer signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Die Verurteilung gemäss Ziff. 1 schliesst lediglich die Annahme einer groben Verkehrsregelverletzung durch den Strafrichter aus; ob er aber das Verschulden als leicht oder mittelschwer beurteilte, lässt sich daraus nicht ableiten. Möglicherweise erkannte er bloss auf eine einfache Verkehrsregelverletzung, weil die Innerortshöchstgeschwindigkeit auf dem fraglichen Streckenabschnitt 60 km/h betrug und er die bundesgerichtliche Rechtsprechung, die auf der generellen Innerortshöchstgeschwindigkeit von 50 km/h beruht, entsprechend anpasste. Auf weitere Mutmassungen kann hier jedoch verzichtet werden. Aus dem Urteilsdispositiv des Strafrichters geht lediglich hervor, dass der Beschwerdeführer die signalisierte Höchstgeschwindigkeit innerorts um 27 km/h überschritten hatte und deswegen in Anwendung von Art. 90 Ziff. 1 SVG mit Fr. 800.-- gebüsst wurde. In Bezug auf den Einwand des Beschwerdeführers, er habe irrtümlich angenommen, am fraglichen Ort sei das Fahren mit 80 km/h erlaubt, bringt das Dispositiv keine Klarheit.
Entscheidend ist nun aber, dass der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer das vorinstanzliche Verfahren sistieren liess, damit der Strafrichter die Irrtumsfrage kläre. In dieser Situation traf den Beschwerdeführer eine Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung der Ergebnisse des Strafverfahrens. Nachdem wie erwähnt dem Urteilsdispositiv keine Angaben bezüglich der Irrtumsfrage zu entnehmen waren, konnte die Vorinstanz vom Beschwerdeführer nach Treu und Glauben erwarten, dass er die schriftliche Begründung des Strafurteils verlange, zumal ihm ja die Urteilsmotive vom Strafrichter bereits kurz mündlich erläutert worden waren. Unter diesen Umständen durfte die Vorinstanz auf weitere Abklärungen verzichten und ihren Entscheid auf das vom Beschwerdeführer eingereichte Dispositiv stützen. Jedenfalls hat sie dabei keine wesentlichen Verfahrensbestimmungen (Art. 105 Abs. 2 OG) verletzt.
Im Übrigen enthalten Angaben des Beschwerdeführers Anhaltspunkte, die eher gegen einen Irrtum sprechen.
Angesichts des Wohnorts des Beschwerdeführers, seiner drei Arbeitsorte und der hohen jährlichen Fahrleistung liegt die Vermutung nahe, dass er bezüglich des fraglichen Streckenabschnitts der N5 ortskundig ist. Zudem gab er selbst an, bei der zu schnellen Fahrt habe es sich um eine Testfahrt mit einem Fahrzeug mit Alternativ-Treibstoffen auf Rapsöl-Basis gehandelt; er habe auf der breiten und übersichtlichen Strasse zwischen Biel und Neuenburg eine neue Fahrweise (Fahrt in hohen Gängen bei möglichst geringer Tourenzahl) getestet und sich auf diese Fahrweise bzw. die Messungen konzentriert.
3.- Inwiefern gestützt auf den verbindlichen Sachverhalt ein einmonatiger Führerausweisentzug gegen Bundesrecht verstossen sollte, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Folglich ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde abzuweisen.
Im Übrigen ist der Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass anstelle eines Führerausweisentzugs eine Verwarnung nur anzuordnen ist, wenn der Fall nicht nur unter Berücksichtigung des Verschuldens, sondern auch des Leumunds als Motorfahrzeugführer als leicht erscheint (Art. 31 Abs. 2 VZV). Der Beschwerdeführer war bereits 1993 und 1996 unter anderem wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung verwarnt worden. Bei dieser Ausgangslage hätte die Anordnung eines einmonatigen Führerausweisentzugs selbst dann Bundesrecht nicht verletzt, wenn dem Beschwerdeführer bloss ein leichtes Verschulden vorzuwerfen gewesen wäre.
4.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Kommission für Administrativmassnahmen im Strassenverkehr sowie dem Verwaltungsgericht (III. Verwaltunsgerichtshof) des Kantons Freiburg und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 24. Januar 2002
Im Namen des Kassationshofes
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTSDer Präsident: Der Gerichtsschreiber: