Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.52/2002 /sta
Urteil vom 4. April 2002
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Störi.
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic.iur. Robert Hadorn, Stockerstrasse 39, Postfach, 8027 Zürich,
gegen
Statthalteramt des Bezirkes Bülach, Postfach 121, 8180 Bülach,
Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
Postfach, 8023 Zürich.
(Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 5. Dezember 2001)
Sachverhalt:
A.
Das Statthalteramt des Bezirkes Bülach verurteilte X.________ am 25. Januar 1999 zu einer Baubusse von 20'000 Franken, da er als Architekt bei der Erstellung von zwei Mehrfamilienhäusern an der Strasse Y.________ in Oberembrach von den bewilligten Plänen abgewichen sei.
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirksgerichts Bülach verurteilte X.________ am 29. Dezember 1999 auf dessen Einsprache hin wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen § 340 Abs. 1 PBG in Verbindung mit § 309 lit. a und b PBG sowie § 326 PBG und wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen § 340 Abs. 2 PBG in Verbindung mit § 250 PBG sowie Art. 14 BZO der Gemeinde Oberembrach zu einer Busse von 11'000 Franken.
X.________ focht dieses Urteil mit Nichtigkeitsbeschwerde an; darin wehrte er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen das Planungs- und Baugesetz und beanstandete die Strafzumessung. In Bezug auf die ihm vom bezirksgerichtlichen Einzelrichter vorgeworfene fahrlässige Zuwiderhandlung gegen § 340 Abs. 1 PBG wegen Überschreitung der zulässigen Ausnützung um 1,91 m2 machte er insbesondere geltend, das Zürcher Verwaltungsgericht toleriere Abweichungen der Baumasse gegenüber den genehmigten Plänen von bis zu einem Prozent, da solche Ungenauigkeiten in der Natur der Sache lägen. Die ihm vorgeworfene Überschreitung der Ausnützung liege weit unter einem Prozent und sei daher nicht tatbestandsmässig.
Das Obergericht des Kantons Zürich wies die von X.________ gegen seine Verurteilung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss vom 5. Dezember 2001 ab, soweit es darauf eintrat, und auferlegte ihm die Verfahrenskosten (Dispositiv-Ziffern 1 und 4). Das von X.________ ergänzend gestellte Gesuch um Wiederaufnahme des Verfahrens wies es ab (Dispositiv-Ziffer 2).
B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 31. Januar 2001 wegen Verletzung des Willkürverbots und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV ) beantragt X.________, die Dispositiv-Ziffern 1 und 4 dieses obergerichtlichen Beschlusses aufzuheben.
C.
Das Statthalteramt und das Obergericht verzichten auf Vernehmlassung. Letzteres teilt mit, sein Entscheid sei auch mit kantonaler Nichtigkeitsbeschwerde angefochten worden; es werde die Verfahrensakten dem Bundesgericht zukommen lassen, sobald die kantonalrechtliche Beschwerde erledigt sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer ist durch die verwaltungsstrafrechtliche Verurteilung in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist, die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Da diese und die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
2.
2.1 Gemäss § 340 Abs. 1 des Planungs- und Baugesetzes des Kantons Zürich vom 7. September 1975 (PBG) wird mit Haft oder Busse bis zu 50'000 Franken bestraft, wer vorsätzlich gegen dieses Gesetz oder ausführende Verfügungen verstösst. Handelt der Täter fahrlässig, wird er mit Busse bis zu 5'000 Franken bestraft § 340 Abs. 2 PBG).
Der Beschwerdeführer wurde in 4 Punkten wegen vorsätzlicher Verstösse und in einem Punkt wegen eines fahrlässigen Verstosses gegen die Baugesetzgebung bzw. die Baubewilligung verurteilt. Umstritten ist einzig noch dieser letzte Punkt, zu welchem der Beschwerdeführer vorbringt, es sei willkürlich, dass das Obergericht davon ausgegangen sei, die ihm vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Ausnützung von 1,91 m2 stelle eine Gesetzesverletzung dar und erfülle damit den Tatbestand von § 340 PBG.
2.2 Willkürlich ist ein Entscheid, der mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Dabei genügt es nicht, dass die Begründung unhaltbar ist, der Entscheid muss sich vielmehr im Ergebnis als willkürlich erweisen (BGE 125 I 166 E. 2a; 125 II 10 E. 3a; 129 E. 5b; 122 I 61 E. 3a, je mit Hinweisen).
3.
3.1 Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat im Entscheid vom 24. Oktober 1995 (RB 1995 Nr. 81), auf den sich der Beschwerdeführer beruft, ausgeführt, dass Ausnützungsflächenberechnungen im Baubewilligungsverfahren aufgrund der Grundrisspläne 1:100 vorgenommen würden. "Derartigen Berechnungen wohnt bereits systembedingt ein gewisser Unsicherheitsfaktor inne, indem nämlich die für die exakte Flächenberechnung notwendige Vermassung aller relevanten Bauteile sowie die definitive Materialisierung wie auch allfällige Detaillösungen vom Architekten regelmässig erst im Rahmen der Ausführungsphase erbracht werden (vgl. SIA-Norm 102 Art. 4.3.2 und 4.4.2). Hinzu kommt, dass bei der Bauausführung selber übliche Bautoleranzen gelten, welche etwa dem Baumeister erlauben, in den Fertigmassen bei einer Messdistanz von 20 m bis zu 2 cm von den Planmassen abzuweichen (vgl. SIA-Norm V 414/10. Masstoleranzen im Hochbau. Tabelle 30), welche Ungenauigkeit sich durch die zugunsten weiterer Unternehmer bestehenden Toleranzen noch erhöht. Aus diesen Umständen ergibt sich, dass minuziöse Korrekturen der Flächenberechnungen aufgrund der Baubewilligungspläne keinen Sinn machen, jedenfalls soweit die festgestellten Abweichungen weniger als 1 % betragen. Dies kann zwar bei grösseren Überbauungen in absoluten Zahlen durchaus gewichtige Flächendifferenzen ausmachen, ist jedoch im Interesse der Rechtsgleichheit als zwangsläufige Folge der Addition vermehrter Kleinstmassabweichungen hinzunehmen".
3.2 Das Obergericht hat im angefochtenen Entscheid den Einwand des Beschwerdeführers, Abweichungen von weniger als 1 % seien nach dieser Praxis des Verwaltungsgerichts nicht zu korrigieren und daher strafrechtlich nicht relevant, mit folgender Begründung zurückgewiesen: "Er (der Beschwerdeführer) übersieht, dass es sich bei dem von ihm angerufenen Entscheid um Messungenauigkeiten geht, die im Baubewilligungsverfahren toleriert werden. Diese Regel mag im Verwaltungsverfahren, welches vom Opportunitätsprinzip beherrscht wird, ihre Gültigkeit haben, ist für den Strafrichter jedoch nicht präjudizierend. Abgesehen davon sind aber Unzulänglichkeiten, die keine Folge von Massungenauigkeiten sind, sondern daher rühren, dass ganze Räume oder - wie hier - Raumteile in Abweichung zu den Vorschriften nicht in die Berechnung miteinbezogen worden sind, von dieser Regel ausgenommen und nach wie vor zu korrigieren (Christoph Fritzsche/Peter Bösch, Zürcher Planungs- und Baurecht, 2. Aufl. Zürich 2000, S. 275, Ziff. 12.2.3.2), mithin strafrechtlich relevant."
3.3 Bei der Erstellung von Bauten können, wie das Verwaltungsgericht im angeführten Entscheid nachweist, systembedingt immer geringfügige Abweichungen von den in den Bauplänen festgelegten Massen auftreten. Das heisst, dass auch ein sorgfältiger Bauherr, der sein Bauprojekt nach den anerkannten Regeln der Baukunde ausführen lässt, nicht verhindern kann, dass die Baute die geplanten und bewilligten Masse geringfügig überschreitet. Es ist somit nur folgerichtig, dass das Zürcher Verwaltungsgericht für diese systembedingten Ungenauigkeiten eine geringfügige Überschreitung der bewilligten Baumasse zulässt. Diese Marge erscheint mit 1 % auch durchaus sachgerecht.
Ist somit eine geringfügige Überschreitung der zulässigen Ausnützung von weniger als einem Prozent nach der zutreffenden Auffassung des Verwaltungsgerichts baurechtlich nicht zu beanstanden, kann darin schon objektiv kein strafrechtlich relevanter Verstoss gegen das Planungs- und Baurecht vorliegen. Das Obergericht führt dagegen zwar an, diese Marge könne nur für Messungenauigkeiten in Anspruch genommen werden und gelte nicht, wenn, wie im vorliegenden Fall, ganze Räume oder Raumteile irrtümlich nicht in die Berechnung der Ausnützungsziffer miteinbezogen worden seien. Abgesehen davon, dass diese Marge nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht ausschliesslich für Messungenauigkeiten, sondern auch für "Detaillösungen", die vom Architekten in der Ausführungsphase getroffen werden müssen, bestimmt sind, kann schon angesichts der Geringfügigkeit der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Übernutzungen - für die beiden Vollgeschosse 0,87 m2 bezogen auf eine zulässige Fläche von 541,2 m2 und für die Dachgeschosse 1,04 m2 bezogen auf eine zulässige Fläche von 270,6 m2 - nicht im Ernst die Rede sein, es handle sich dabei um "Räume oder Raumteile".
Schlechterdings nicht nachvollziehbar ist schliesslich die Auffassung des Obergerichts, dass die Verurteilung wegen des im Strafrecht geltenden Gesetzmässigkeitsprinzips selbst dann rechtens sei, wenn die umstrittene Überschreitung der Ausnützung baurechtlich wegen des im Verwaltungsrecht geltenden Opportunitätsprinzips nicht zu beanstanden sei. Einmal trifft diese Auffassung schon im Ansatz nicht zu, wird doch das Verwaltungsrecht im Allgemeinen und das Baupolizeirecht im Besonderen weitgehend vom Gesetzmässigkeitsgrundsatz beherrscht, während anderseits im Zürcher Strafprozess ein gemässigtes Opportunitätsprinzip gilt (§ 39a der Zürcher Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919; Robert Hauser/Erhard Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. A., Basel/Genf/München 1999, S. 193 Rz. 10). Zudem beruht die oben in E. 3.1 angeführte Auffassung des Verwaltungsgerichts keineswegs auf Opportunitätsüberlegungen, sondern trägt den Ungenauigkeiten Rechnung, die bei der Umsetzung von Bauplänen in die Wirklichkeit systembedingt nicht ausgeschlossen werden können und daher in Kauf zu nehmen sind.
Die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen das PBG im Sinne von dessen § 340 Abs. 2 in Verbindung mit § 250 sowie Art. 14 der BZO der Gemeinde Oberembrach ist daher sachlich offensichtlich nicht haltbar. Die Willkürrüge ist begründet.
4.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die Dispositiv-Ziffern 1 und 4 des angefochtenen Entscheids aufzuheben, ohne dass die weiteren Rügen geprüft werden müssen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 156 Abs. 2 OG). Hingegen hat der Kantons Zürich dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Dispositiv-Ziffern 1 und 4 des angefochtenen Entscheids des Obergerichts des Kantons Zürich vom 5. Dezember 2001 werden aufgehoben.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Statthalteramt des Bezirkes Bülach und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. April 2002
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: