[AZA 7]
U 88/02 Bh
II. Kammer
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiberin Hofer
Urteil vom 4. Juli 2002
in Sachen
K.________, 1939, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Bischoff, Walchestrasse 17, 8006 Zürich,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin,
und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
A.- Der 1939 geborene K.________ war seit 1983 als Dreher in der von ihm gegründeten X.________ AG tätig und bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen Berufs- und Nichtberufsunfall versichert. Am 1. Januar 1997 kam es zu einem anaphylaktischen Schock unklarer Ätiologie mit notfallmässiger Spitaleinweisung. Das Auftreten von insgesamt elf anaphylaktischen Anfällen seit Januar 1997 veranlasste die Ärzte der Dermatologischen Klinik des Spitals Z.________ - wo der Versicherte seither untersucht und behandelt wurde - gemäss Bericht vom 13. Juli 1999 zur Diagnose einer chronisch rezidivierenden, idiopathischen Anaphylaxie. Im Rahmen der medizinischen Abklärungen hatten die Dermatologen am 23. Dezember 1997 zudem den Befund einer arbeitsbezogenen rezidivierenden Rhinoconjunctivitis und Kontaktdermatitis bei Sensibilisierung gegenüber Epoxidharzen, Isocyanaten, Formaldehyd und Äthylenoxid erhoben. Mit Verfügung vom 27. Januar 1998 erklärte die SUVA den Versicherten für alle Arbeiten in Kontakt mit Epoxidharzen, Phthalsäureanhydrid und Isocyanaten als ungeeignet. Im Anschluss an diese Nichteignungsverfügung manifestierte sich eine Depression, welche psychiatrisch behandelt werden musste (Berichte der Dermatologischen Klinik des Spitals Z.________ vom 30. Januar und 31. März 1998). Der Psychiater Dr. med. Y.________ diagnostizierte in seinem Bericht vom 3. April 1998 eine schwergradige depressive Episode (ICD-10 32.2).
Mit Verfügung vom 6. April 2000 teilte die SUVA dem Versicherten mit, dass sie für die Folgen der Berufskrankheit die gesetzlichen Leistungen erbringen werde (Übergangstaggeld ab 1. April 2000 und Übergangsentschädigung gemäss Schreiben vom 6. September 2000); hingegen verneinte sie ihre Leistungspflicht mit Bezug auf die psychischen Störungen, da weder die anaphylaktischen Anfälle noch die daraus resultierenden psychischen Beschwerden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem natürlichen Kausalzusammenhang mit der Berufskrankheit stünden. Auf Einsprache des K.________ hin ordnete sie eine ärztliche Beurteilung durch Dr. med. V.________ von der Abteilung Arbeitsmedizin an (Bericht vom 5. November 1999) und holte den Bericht der Dermatologischen Klinik des Spitals Z.________ vom 28. Mai 2000 ein. Gestützt darauf wies sie die Einsprache mit Entscheid vom 3. Juli 2000 ab.
B.- Beschwerdeweise liess K.________ unter anderem unter Hinweis auf das Zeugnis des Dr. med. Y.________ vom 3. Oktober 2000 die Zusprechung der gesetzlichen Leistungen für die psychischen Folgen der Berufskrankheit für die Zeit ab 1. April 2000 beantragen. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde mit Entscheid vom 4. Februar 2002 ab.
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt K.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Im vorinstanzlichen Entscheid wird die gesetzliche Bestimmung über die Berufskrankheit zutreffend wiedergegeben (Art. 9 Abs. 1 UVG). Darauf kann verwiesen werden. Dasselbe gilt mit Bezug auf die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers zunächst vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall oder der Berufskrankheit und dem eingetretenen Schaden (BGE 119 V 337 Erw. 1, 118 V 289 Erw. 1b, je mit Hinweisen) und zur Adäquanzbeurteilung bei psychischen Störungen nach Berufskrankheiten (BGE 125 V 464 Erw. 5d).
2.- Der Beschwerdeführer leidet unbestrittenermassen an einer Berufskrankheit nach Art. 9 Abs. 1 UVG in Form einer Sensibilisierung auf Epoxidharze, Phthalsäureanhydrid und Isocyanate, wofür die SUVA ein Übergangstaggeld und eine Übergangsentschädigung ausgesprochen hat. Streitig und zu prüfen ist, ob ihm ein weitergehender Anspruch wegen psychischer Folgen der Berufskrankheit zusteht.
a) Gemäss den medizinischen Unterlagen trat beim Versicherten nach Erlass der Nichteignungsverfügung vom 27. Januar 1998 eine akute reaktive Depression auf, welche indessen vorerst nicht behandelt werden musste (Bericht der Dermatologischen Klinik des Spitals Z.________ vom 30. Januar 1998). Der Beschwerdeführer gab am 24. Februar 1998 laut SUVA-Bericht an, er habe am 11. Februar 1998 erneut einen Anfall mit notfallmässiger Spitaleinweisung erlitten. Seit ihm die Konsequenzen der Verfügung der SUVA bewusst geworden seien, sei sein Leben aus den Fugen geraten. Er habe massive Angst vor der Zukunft, aber auch vor einem erneuten Anfall. Das ganze Vermögen habe er in seine Firma investiert, die er nun praktisch ohne Erlös liquidieren müsse. Seit 24. Februar 1998 stand er aus diesem Grund in der psychiatrischen Behandlung des Dr. med. Y.________. Dieser gab im Bericht vom 3. April 1998 an, der Versicherte sei nach dem anaphylaktischen Ereignis vom Februar 1998 in einen depressiv-suizidalen Zustand geraten, was zur Diagnose einer schwergradigen depressiven Episode (ICD-10 32.2) führte. Der SUVA teilte der Beschwerdeführer laut Rapport vom 6. August 1998 mit, er habe gehofft, die Anfälle würden nach dem Verkauf seiner Unternehmung aufhören, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Bei jeder neuen Attacke stehe er Todesängste aus, da die Reaktionen jeweils völlig unerwartet auftreten würden und er befürchten müsse, die Medikamente nicht rechtzeitig einnehmen oder das Spital nicht erreichen zu können. Eine Aussicht auf Besserung bestehe nicht, nachdem ihm die Ärzte gesagt hätten, er müsse mit diesem Zustand leben. In seinem Bericht vom 27. Dezember 1998 führte Dr. med. Y.________ aus, die Depressivität und Angst bezögen sich grösstenteils auf die Furcht vor einem erneuten Anfall und der damit verbundenen Ungewissheit, in dieser Situation ohne Hilfe der Ehefrau nicht zu überleben und an der physischen Atemnot zu ersticken. Zwischen Januar 1997 und 2. März 1999 machte der Versicherte insgesamt elf anaphylaktische Reaktionen durch. Nachdem es in der Folge während mehreren Monaten zu keinem solchen Ausbruch mehr gekommen war, besserte sich auch der psychische Zustand (Bericht der Dermatologischen Klinik des Spitals Z.________ vom 1. Oktober 1999). Nach der sehr heftigen Reaktion vom 27. Januar 2000 mit Notfallbehandlung manifestierte sich indessen auch die psychische Problematik wieder (Bericht des Dr. med. Y.________ vom 8. Februar 2000). Als Ursache der psychischen Erkrankung führte Dr. med. Y.________ im Zeugnis vom 3. Oktober 2000 zum einen die Nichteignungsverfügung der SUVA und die damit verbundene - mit massiven materiellen Einbussen einhergehende - Aufgabe der Berufstätigkeit an; zum andern sei es die Befürchtung erneuter anaphylaktischer Schockzustände und deren aktuelles Erleben mit anschliessender notfallmässiger Behandlung. Dr. med. V.________ ist der Ansicht, auch wenn die ab Februar 1998 auftretenden anaphylaktischen Anfälle kaum mehr berufsbedingt seien, stelle die Nichteignungsverfügung und ihre Konsequenzen einen Faktor dar, der den Versicherten in die Depression hineingeführt habe (ärztliche Beurteilung vom 5. November 1999).
b) Im Einspracheentscheid vom 3. Juli 2000 ging die SUVA davon aus, weil die Anaphylaxie nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit direkt oder indirekt auf die berufliche Tätigkeit zurückgeführt werden könne, stellten die psychischen Beschwerden, soweit sie auf die Anaphylaxie zurückzuführen seien, keine Folge der Berufskrankheit dar; dies müsse umso mehr auch für die finanziellen Zukunftsängste gelten, weshalb der natürliche Kausalzusammenhang zu verneinen sei.
Das kantonale Gericht hat demgegenüber erwogen, der Beschwerdeführer habe bereits vor der Aufgabe der Erwerbstätigkeit an berufsbedingten und berufsfremden anaphylaktischen Anfällen gelitten. Wie sich im Rahmen der nach dem Ereignis vom Januar 1997 getroffenen Abklärungen herausstellte, litt der Versicherte bereits seit Jahren an arbeitsplatzbezogener Rhinitis, Atembeschwerden, Konjunktivitis und Hautrötungen (vgl. Arbeitsanamnese im Anhang zum Bericht der Dermatologischen Klinik des Spitals Z.________ vom 13. Juli 1999). Anlässlich einer Testung im Betrieb kam es am 30. September 1997 zu einem kollapsartigen Zustand mit Atembeschwerden, Übelkeit sowie Haut- und Augenrötungen, sodass der Versicherte die Montagehalle fluchtartig verlassen musste. Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass eine Unterscheidung zwischen den als Berufskrankheit anerkannten Reaktionen und den als anaphylaktische Anfälle unklarer Ätiologie bezeichneten Ereignissen nicht abschliessend möglich sei, die beruflichen Umstände und die berufsbedingte Unverträglichkeit einzelner Substanzen jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest eine Teilursache der anaphylaktischen Anfälle darstellten. Weil diese ihrerseits eine natürliche Ursache der psychischen Beschwerden seien, habe die Berufskrankheit als natürliche Teilursache (vgl. RKUV 1996 Nr. U 264 S. 287 Erw. 3a) der psychischen Beschwerden zu gelten. Dieser aufgrund der Aktenlage überzeugenden Auffassung - welcher die SUVA in ihrer Vernehmlassung nichts entgegenhält - schliesst sich das Eidgenössische Versicherungsgericht vollumfänglich an.
3.- a) Es bleibt zu prüfen, ob auch die Adäquanz des Kausalzusammenhangs zwischen der Berufskrankheit und dem psychischen Leiden gegeben ist. Vorinstanz und SUVA verneinen dies unter Berufung auf BGE 125 V 456, dessen Sachverhalt mit dem vorliegend zu beurteilenden durchaus vergleichbar sei.
b) Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in jenem Fall erwogen, wer gegenüber gewissen Stoffen allergisch reagiere und nach dem Konsum solche Substanzen enthaltender Nahrungsmittel (Mohnbrötchen, türkische Süssspeise) anaphylaktische Reaktionen durchgemacht habe, entwickle nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung keine Vermeidungshaltung, die so weit gehe, dass er nicht nur Orte meide, wo solche Stoffe vorkommen oder vorkommen können, sondern grundsätzlich alle Orte, an denen er unangenehme Gerüche (schlechte Luft) vorfinde oder vermute, und deswegen nicht arbeiten zu können glaube (BGE 125 V 464 Erw. 5e). Während mit Bezug auf den Beschwerdeführer in den medizinischen Unterlagen wiederholt von einem anaphylaktischen Schock gesprochen wird, war in BGE 125 V 456 von einer anaphylaktischen Reaktion die Rede. Aus dieser unterschiedlichen Bezeichnung allein kann indessen nichts hinsichtlich Qualität oder Heftigkeit der Ereignisse hergeleitet werden. Obwohl rein begrifflich Unterschiede bestehen mögen, lässt sich nicht beurteilen, ob die Mediziner diesem Aspekt jeweils die notwendige Beachtung geschenkt haben. Hingegen unterscheiden sich die beiden Fälle in der Anzahl durchgemachter Anfälle. Während in BGE 125 V 456 von insgesamt zwei anaphylaktischen Reaktionen berichtet wurde, machte der Beschwerdeführer allein in der Zeit von Januar 1997 bis März 1999 elf Anfälle durch (Bericht der Dermatologischen Klinik des Spitals Z.________ vom 1. Oktober 1999). Es ist davon auszugehen, dass solche teils lebensbedrohliche Reaktionen oder Schocks geeignet sind, Todesängste auszulösen. Während der Beschwerdeführer unbestrittenermassen an solchen Ängsten leidet, verneinte der Versicherte im früheren Fall, Angst verspürt zu haben. Hinzu kommt, dass vorliegend - ebenfalls anders als in jenem Fall - die Stoffe, welche zu den Anfällen führen, zum grossen Teil unbekannt sind. Trotz Meidens der bekannten Substanzen traten jeweils völlig unerwartet weitere Reaktionen oder Schocks auf. Der Beschwerdeführer weiss somit nicht, wie er der Gefahr ausweichen kann. Dies führte zu einer schwergradigen Depression (ICD-10 32.2) und somit zu einer eigentlichen psychischen Krankheit. Demgegenüber liessen sich im erwähnten publizierten Urteil den Akten keine Hinweise entnehmen, welche die Vermeidungshaltung des Versicherten als krankhaftes, der willentlichen Kontrolle entzogenes Verhalten erscheinen liessen. Sodann ist der Verlust der wirtschaftlichen Existenz im Alter von rund 60 Jahren weit geeigneter, zu einer Depression zu führen als die Notwendigkeit eines rund 30-jährigen Versicherten, eine andere Tätigkeit zu suchen.
c) Entgegen der Auffassung von SUVA und Vorinstanz unterscheidet sich der vorliegende Fall somit in wesentlichen Punkten vom Sachverhalt, welcher BGE 125 V 456 zugrunde lag. Anders als bei den damaligen Gegebenheiten erweisen sich die beim Beschwerdeführer vorliegenden Umstände nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung als geeignet, zu einer Depression zu führen.
4.- Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilli- gung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich vom 4. Februar 2002 und der Einspracheentscheid
vom 3. Juli 2000 aufgehoben und es
wird festgestellt, dass die SUVA auch für die psychischen
Folgen der Berufskrankheit die gesetzlichen
Leistungen zu erbringen hat.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Die SUVA hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
IV. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird
über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren
entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
Prozesses zu befinden haben.
V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich und dem Bundesamt
für Sozialversicherung zugestellt. Luzern, 4. Juli 2002
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: