BGer C 376/2000 |
BGer C 376/2000 vom 08.07.2002 |
[AZA 7]
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C 376/00 Bh
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IV. Kammer
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Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari;
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Gerichtsschreiberin Berger Götz
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Urteil vom 8. Juli 2002
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in Sachen
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B.________, 1942, Beschwerdeführer, vertreten durch den Schweizerischen Beobachter, Walter Ilg, Förrlibuckstrasse 10, 8005 Zürich,
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gegen
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Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse, Zürcherstrasse 285, 8500 Frauenfeld, Beschwerdegegner,
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und
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Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung, Eschlikon TG
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A.- Der 1942 geborene B.________ bezog seit November 1996 Taggeldleistungen der Arbeitslosenversicherung. Mit Verfügung vom 16. November 1998 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons Thurgau rückwirkend ab 1. Dezember 1997 bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Invalidenrente zu. In der Folge verfügte die Arbeitslosenkasse des Kantons Thurgau am 30. Oktober 1998 die Rückforderung der vom 1. Dezember 1997 bis 30. September 1998 ausgerichteten Arbeitslosenentschädigung in der Höhe von Fr. 16'101. 25, wobei sie über Fr. 8360.- einen Verrechnungsantrag an die Ausgleichskasse stellte und den Restbetrag von Fr. 7741. 25 von B.________ zurückforderte.
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B.- Die Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung wies mit Entscheid vom 3. Februar 1999 eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde ab. Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde des B.________ hin hob das Eidgenössische Versicherungsgericht den Entscheid auf und wies die Sache an die Rekurskommission zurück, damit sie in richtiger und vollständiger Besetzung über die Beschwerde gegen die Verfügung der Arbeitslosenkasse vom 30. Oktober 1998 neu entscheide (Urteil vom 25. November 1999).
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Mit Entscheid vom 14. September 2000 wies die Rekurskommission die Beschwerde gegen die Verfügung der Arbeitslosenkasse vom 30. Oktober 1998 ab.
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C.- B.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und das Rechtsbegehren stellen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides vom 14. September 2000 sei der Rückforderungsbetrag von Fr. 16'101. 25 um ungefähr 60 % zu reduzieren; eventuell seien die Akten zur Berechnung der zulässigen Rückforderung an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen.
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Die Arbeitslosenkasse beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
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Das Staatssekretariat für Wirtschaft verzichtet auf eine Stellungnahme.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.- a) Eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung ist die Vermittlungsfähigkeit (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG). Gemäss Art. 15 Abs. 1 AVIG ist der Arbeitslose vermittlungsfähig, wenn er bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen.
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b) Wie das kantonale Gericht zutreffend erwogen hat, gilt der körperlich oder geistig Behinderte (vgl. zu diesem Begriff ARV 1999 Nr. 19 S. 106 Erw. 2) nach Art. 15 Abs. 2 AVIG als vermittlungsfähig, wenn ihm bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage, unter Berücksichtigung seiner Behinderung, auf dem Arbeitsmarkt eine zumutbare Arbeit vermittelt werden könnte. Darauf wird verwiesen.
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2.- Nach Art. 95 Abs. 1 AVIG muss die Kasse Leistungen der Versicherung, auf die der Empfänger keinen Anspruch hatte, zurückfordern. Hat eine Kasse Arbeitslosenentschädigung ausgerichtet und erbringt später eine andere Sozialversicherung für denselben Zeitraum Leistungen, die zu einer Rückforderung Anlass geben, so verlangt die Kasse beim zuständigen Versicherungsträger die Verrechnung (Art. 124 AVIV).
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Eine auf Grund einer formell rechtskräftigen Verfügung ausgerichtete Leistung ist in der Sozialversicherung nur zurückzuerstatten, wenn entweder die für die Wiedererwägung oder die prozessuale Revision erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 126 V 399 Erw. 1 mit Hinweis). Diese Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn die zur Rückforderung Anlass gebenden Leistungen formlos verfügt worden sind (BGE 126 V 24 Erw. 4b mit Hinweis).
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Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (BGE 126 V 23 Erw. 4b, 46 Erw. 2b, 400 Erw. 2b/aa, je mit Hinweisen).
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Von der Wiedererwägung ist die so genannte prozessuale Revision von Verwaltungsverfügungen zu unterscheiden.
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Danach ist die Verwaltung verpflichtet, auf eine formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen, wenn neue Tatsachen oder neue Beweismittel entdeckt werden, die geeignet sind, zu einer andern rechtlichen Beurteilung zu führen (BGE 126 V 24 Erw. 4b, 46 Erw. 2b, je mit Hinweisen).
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Nach der Rechtsprechung gilt der von der Invalidenversicherung (oder der SUVA) ermittelte Invaliditätsgrad als erhebliche neu entdeckte Tatsache, deren Unkenntnis die Arbeitslosenkasse nicht zu vertreten hat (ARV 1998 Nr. 15 S. 81 Erw. 5a, 1996/1997 Nr. 43 S. 238 Erw. 5a, je mit Hinweisen).
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3.- a) Der Versicherte meldete sich am 2. Oktober 1996 per 1. November 1996 zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung an und führte im Antragsformular aus, er sei bereit und in der Lage, Teilzeit, höchstens zu 50 % einer Vollzeitbeschäftigung, zu arbeiten. Mit Wirkung ab 1. Mai 1996 bezog er eine halbe Rente der Invalidenversicherung, basierend auf einem Invaliditätsgrad von 54 %. Am 14. Oktober 1998 erhielt die Arbeitslosenkasse Kenntnis von der Mitteilung der IV-Stelle vom 13. Oktober 1998, mit welcher die Ausgleichskasse aufgefordert wurde, die Rentenleistungen für die Zeit ab 1. Dezember 1997, gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 100 %, neu zu berechnen. Nachdem die IV-Stelle im Rahmen eines vom behandelnden Arzt des Beschwerdeführers eingeleiteten Revisionsverfahrens zum Schluss gelangt war, dass die Erzielung eines Erwerbseinkommens auf Grund der gesundheitlichen Einschränkung nicht mehr möglich sei, gewährte sie mit Verfügung vom 16. November 1998 rückwirkend ab 1. Dezember 1997 eine ganze Rente der Invalidenversicherung. Dieser Verwaltungsakt ist unangefochten in Rechtskraft erwachsen.
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b) Da dem Beschwerdeführer zufolge der von der Invalidenversicherung festgestellten Erwerbsunfähigkeit die Vermittlungsfähigkeit vollständig abgeht, erweist sich die Annahme der Vermittlungsfähigkeit durch die Arbeitslosenkasse für die Zeit ab 1. Dezember 1997 nachträglich als unrichtig.
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Nach der Rechtsprechung können Leistungen der Arbeitslosenversicherung zwar dann nicht zurückgefordert werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass trotz Annahme vollständiger Erwerbsunfähigkeit durch die Invalidenversicherung auf vollständige oder teilweise Vermittlungsfähigkeit geschlossen werden muss (ARV 1998 Nr. 15 S. 81 f. Erw. 5b, 1995 Nr. 12 S. 61). Solche besonderen Umstände liegen hier aber entgegen der Ansicht des Versicherten nicht vor. Daran vermag nichts zu ändern, dass er sich aus eigener Sicht noch im Ausmass von 30 % einer Vollzeitbeschäftigung einsatzfähig fühlte. Zur Vermittlungsfähigkeit gehört nicht nur subjektiv die Bereitschaft, die Arbeitskraft entsprechend den persönlichen Verhältnissen während der üblichen Arbeitszeit einzusetzen, sondern auch die Arbeitsfähigkeit im objektiven Sinn (BGE 125 V 58 Erw. 6a, 123 V 216 Erw. 3, je mit Hinweis). Aus den Akten ergeben sich keinerlei Hinweise auf eine verbleibende Teilarbeitsfähigkeit. In ihrer Verfügung vom 16. November 1998 schloss die IV-Stelle die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer ein Erwerbseinkommen erzielen könnte, vielmehr explizit aus. Verhält es sich demnach so, dass der Versicherte beruflich nicht wieder eingegliedert werden konnte, müssen die Ausrichtung der ganzen Rente und die damit verbundene vollständige Erwerbsunfähigkeit massgebend bleiben. Vorinstanz und Verwaltung haben sich demnach zu Recht auf den von der Invalidenversicherung ermittelten Invaliditätsgrad von 100 % abgestützt. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Rekurskommission habe das rechtliche Gehör verletzt, weil sie sich nicht ausführlich genug mit der Frage beschäftigt habe, ob die Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung für die Arbeitslosenversicherung verbindlich sei, ist unter diesen Umständen unbegründet. Zu weiteren Abklärungen bezüglich der Vermittlungsfähigkeit besteht kein Anlass.
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4.- a) Gemäss Art. 95 Abs. 4 Satz 1 AVIG verjährt der Rückforderungsanspruch innert eines Jahres, nachdem die auszahlende Stelle davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber fünf Jahre nach der Auszahlung der Leistung. Bei diesen Fristen handelt es sich um Verwirkungsfristen (vgl.
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dazu auch BGE 127 V 488 Erw. 3b).
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b) Die Arbeitslosenkasse hatte seit dem 14. Oktober 1998 Kenntnis vom Anspruch des Beschwerdeführers auf eine ganze Invalidenrente, basierend auf einem Invaliditätsgrad von 100 %, für die Zeit ab 1. Dezember 1997. Mit Verfügung vom 30. Oktober 1998 forderte sie alsdann die ab 1. Dezember 1997 zu Unrecht ausgerichteten Taggelder wieder zurück.
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Damit sind sowohl die einjährige relative als auch die fünfjährige absolute Verwirkungsfrist des Art. 95 Abs. 4 AVIG eingehalten.
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5.- Nach dem Gesagten lässt sich nicht beanstanden, dass die Arbeitslosenkasse am 30. Oktober 1998 revisionsweise auf die ab 1. Dezember 1997 zu Unrecht erfolgte Gewährung von Arbeitslosentaggeldern zurückgekommen ist. Die in ihrer Höhe nicht bestrittene Rückforderung sowie die teilweise Verrechnung der ausbezahlten Arbeitslosenentschädigung mit der Invalidenrente (Art. 124 AVIV) sind rechtmässig.
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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III. Dieses Urteil wird den Parteien, der Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abteilung Rechtsdienst
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und Entscheide, Frauenfeld, und dem Staatssekretariat
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für Wirtschaft zugestellt.
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Luzern, 8. Juli 2002
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Im Namen des
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Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Die Präsidentin der IV. Kammer:
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Die Gerichtsschreiberin:
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