Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
H 258/01
Urteil vom 6. August 2002
III. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Hochuli
Parteien
1. A.________
2. B.________
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Advokat Dr. Niklaus Ruckstuhl, Binningerstrasse 1, 4123 Allschwil,
gegen
Ausgleichskasse Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109,
4102 Binningen, Beschwerdegegnerin,
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Liestal
(Entscheid vom 10. Juli 2000)
Sachverhalt:
A.
Mit zwei separaten Verfügungen vom 16. April 1999 forderte die Ausgleichskasse des Kantons Basel-Landschaft (nachfolgend: Kasse) u.a. von der Verwaltungsratspräsidentin A.________ und vom einzelzeichnungsberechtigten Prokuristen B.________ der am 20. Oktober 1998 in Konkurs gefallenen Firma H.________ AG in solidarischer Haftbarkeit Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von Fr. 161'490.85.
B.
Nachdem A.________ und B.________ gegen die ihnen zugestellten Schadenersatzverfügungen unter Angabe eben dieser Absenderadresse am 15. Mai 1999 je Einspruch erhoben hatten, fasste sie die Kasse am 15. Juni 1999 beim Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft (ab 1. September 2002: Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht) unter Angabe dieser Wohnadresse mit Schadenersatzklage ins Recht. A.________ und B.________ reichten weder Klageantwort ein noch liessen sie sich vernehmen, als ihnen die vorinstanzliche Instruktionsrichterin mit eingeschriebenem Brief vom 26. Juli 1999 eine Nachfrist zur Einreichung der Klageantwort angesetzt und sie darauf hingewiesen hatte, dass auf Grundlage der Akten entschieden werde, falls auch diese Frist unbenutzt verstreichen sollte. Nach unbenutztem Fristablauf hiess das Versicherungsgericht die Klage gegenüber A.________ und B._______ in Höhe von je Fr. 134'371.75 gut (Entscheid vom 10. Juli 2000).
C.
Gegen dieses vom kantonalen Gericht mit Gerichtsurkunde vom 12. Januar 2001 an die Parteien und das Bundesamt für Sozialversicherung versendete Urteil erheben A.________ und B.________ am 13. August 2001 Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es sei die Nichtigkeit des kantonalen Gerichtsentscheides festzustellen; eventualiter sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an das kantonale Versicherungsgericht zurückzuweisen.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
A.________ und B.________ machen u.a. geltend, sie hätten den kantonalen Entscheid aus Gründen, welche sie nicht zu vertreten hätten, erst am 17. Juli 2001 erhalten, als das mitverantwortliche Organ S.________ den Entscheid ihrem Rechtsvertreter zugesandt habe.
1.1 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung haben Prozessparteien gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass ihnen Gerichtsurkunden zugestellt werden können (vgl. BGE 116 Ia 92 Erw. 2a mit Hinweisen), woraus folgt, dass sie nach Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses gehalten sind, eine Adressänderung der zuständigen Gerichtsbehörde mitzuteilen (nicht veröffentlichtes Urteil H. vom 6. November 2000, 2A.285/2000).
Fest steht, dass die Beschwerde Führenden die im vorliegenden Verfahren zuständigen kantonalen Gerichts- und Verwaltungsbehörden während der Laufzeit eines offenbar aktivierten Postumleitungsauftrages im Zeitraum zwischen November 1998 und Januar 2001 nie über eine Verlegung ihrer alten Postzustelladresse (nachfolgend: alte Adresse) an die neue (nachfolgend: neue Adresse) oder an ein anderes Zustelldomizil informiert haben. Dennoch konnte die Kasse beiden je eine Schadenersatz-Verfügung vom 16. April 1999 per eingeschriebene Postsendung an die alte Adresse zustellen, wogegen A.________ und B.________ je separat mit Schreiben vom 3. Juni 1999 vorsorglich Einspruch einlegten und zwar unter ausdrücklicher Verwendung ihrer alten (Absender-) Adresse, obwohl sie angeblich bereits per 1. März 1999 ihren Wohnort verlegt und sich dort bei den zuständigen Behörden angemeldet hatten (Verwaltungsgerichtsbeschwerde S. 4). Davon abgesehen, dass hierin ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zu erblicken ist, haben die Beschwerde Führenden jedenfalls damit unzweifelhaft gegen die prozessuale Last verstossen, während eines hängigen Verfahrens (in casu: Einspruchsverfahren gegen die Schadenersatzverfügungen vom 16. April 1999) der Behörde, mit welcher sie nach erhobenem Einspruch in einem verfahrensrechtlichen Verhältnis stehen, in dessen Rahmen mit der Einreichung einer Klage durch die Ausgleichskasse mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ohne weiteres zu rechnen war, den Wohnortswechsel mitzuteilen. Die Eröffnung des Entscheids der Vorinstanz durch Gerichtsurkunde vom 12. Januar 2001 an die bekannte alte Adresse erfolgte demnach in rechtsgültiger Weise.
1.2 Ist die vorinstanzliche Urteilseröffnung hinsichtlich der Adressaten mängelfrei erfolgt, stellt sich die Frage, ob - und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt - die 30-tägige Beschwerdefrist im Sinne von Art. 106 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 132 OG zu laufen begann.
1.2.1 Da das kantonale Recht (vgl. Paragraph 19 des Gesetzes über die Verfassungs- und Verwaltungsprozessordnung [VPO] des Kantons Basel-Landschaft vom 16. Dezember 1993) die Frage der Zustellung eingeschriebener Sendungen nicht näher regelt, sind die hiezu in der Praxis entwickelten Grundsätze zu beachten. Wird der Adressat anlässlich einer versuchten Zustellung nicht angetroffen und daher eine Abholeinladung in seinen Briefkasten oder sein Postfach gelegt, so gilt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Sendung in jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie auf der Post abgeholt wird; geschieht das nicht innert der Abholfrist, die sieben Tage beträgt, so gilt die Sendung als am letzten Tag dieser Frist zugestellt, sofern der Adressat mit der Zustellung hatte rechnen müssen (BGE 127 I 34 Erw. 2a/aa; 123 III 493 Erw. 1; 119 V 94 Erw. 4b mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat entschieden, dass es nicht überspitzt formalistisch ist, die Zustellfiktion - unabhängig von der konkreten durch die Post gewährten (allenfalls längeren) Abholfrist - immer sieben Tage nach dem erfolglosen Zustellversuch eintreten zu lassen (BGE 127 I 35 Erw. 2b).
1.2.2 Nachdem die Gerichtsurkunde am 12. Januar 2001 an die alte Adresse versendet worden war, leitete die Poststelle Z.________ diese Gerichtsurkunde am 16. Januar 2001 nachweislich an die neue Wohnadresse von A.________ und B.________ weiter, welche gleichzeitig der handelsregisterrechtlich verzeichneten Sitzadresse der Firmen "H.________ AG" sowie der "H.________ Ltd" entspricht. Ab 17. Januar 2001 lagen die Gerichtsurkunden an der entsprechenden Postfachadresse auf der Poststelle X.________ zur Abholung bereit. Nach unbenutztem Fristablauf sendete die Poststelle X.________ diese beiden Gerichtsurkunden am 26. Januar 2001 mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an die Vorinstanz zurück. Demnach steht fest, dass die Zustellfiktion spätestens am 24. Januar 2001 (sieben Tage nach dem erfolglosen Zustellversuch an der neuen Wohnadresse vom 17. Januar 2001) eintrat und somit die 30-tägige Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde im Sommer 2001 längst abgelaufen war, weshalb auf die verspätet eingereichte Verwal-tungsgerichtsbeschwerde vom 13. August 2001 nicht einzutreten ist.
2.
Soweit die Beschwerde Führenden behaupten, von der Erhebung der Schadenersatzklage vom 15. Juni 1999 vor der Zustellung des entsprechenden kantonalen Entscheids vom 10. Juli 2000 unverschuldet niemals Kenntnis erhalten zu haben, da ihnen das Recht zur Einreichung einer Klageantwort und damit das rechtliche Gehör mangels Zustellung des Schreibens vom 16. Juni 1999 sowie der Nachfristansetzung mit Androhung der Säumnisfolge vom 26. Juli 1999 niemals gewährt worden sei, machen sie sinngemäss einen Fristwiederherstellungsgrund geltend.
2.1 Die versäumte Frist kann wiederhergestellt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter durch ein unverschuldetes Hindernis abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln, und binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses unter Angabe desselben die Wiederherstellung verlangt und die versäumte Rechtshandlung nachholt (Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG; vgl. auch Art. 24 VwVG in Verbindung mit Art. 96 AHVG).
2.2 Mit Eingabe vom 26. Juni 2002 behaupten A.________ und B.________, da die genannten Schreiben vom 16. Juni und 26. Juli 1999 nicht als Gerichtsurkunden, sondern nur als gewöhnliche Einschreibesendungen zugestellt worden seien, bleibe unklar, wer diese Briefe am Ort der Adressaten in Empfang genommen habe, ob sie es selbst gewesen seien oder ob es eine andere, "autorisierte oder nicht autorisierte Person" gewesen sei. Demgegenüber hat das kantonale Gericht mit Vernehmlassung vom 28. August 2001 zutreffend dargelegt und ausreichend nachgewiesen, dass die erwähnten Schreiben mit eingeschriebener Postsendung zum genannten Zeitpunkt an die korrekte Zustelladresse (Erw. 1.1 hievor) versandt worden sind. Mangels einer Rücksendung dieser Briefe durch die Post mit einem Vermerk wie etwa "nicht abgeholt", "Annahme verweigert" oder "abgereist ohne Adressangabe" durfte das Gericht zu Recht davon ausgehen, dass die Sendungen am Zielort zugestellt worden waren. Auf weitere Beweismassnahmen hinsichtlich (der in Frage gestellten Berechtigung) des Postempfängers am Zustelldomizil durfte die Vorinstanz angesichts der widersprüchlichen Argumentation der Beschwerde Führenden (Erw. 1.1 hievor) und der feststehenden Tatsachen verzichten (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 124 V 94 Erw. 4b mit Hinweisen; RKUV 2001 Nr. U 447 S. 564 mit Hinweisen). Gründe für eine Fristwiederherstellung sind somit nicht ersichtlich. Am Rande sei mit Blick auf den Personenkreis der möglichen Postempfänger darauf hingewiesen, dass gemäss Handelsregisterauszug an der mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemachten, angeblich ab 1. März 1999 gültigen Wohnadresse von A.________ und B.________ - wie bereits erwähnt - u.a. auch die Firma H.________ Ltd domiziliert war, wobei A.________ als Mitglied mit Einzelunterschrift und B.________ sowie S.________ je mit Einzelprokura verzeichnet waren.
3.
Soweit auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde überhaupt eingetreten werden könnte, was bezüglich Schadenersatzforderung für entgangene Beiträge an die kantonale Familienausgleichskasse nicht zutrifft (vgl. BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis), hätte sie unzweifelhaft als materiell unbegründet abgewiesen werden müssen. Wie aus den Erwägungen des am heutigen Tage ergehenden Urteils in Sachen des verantwortlichen Mitorgans S.________ hervorgeht, liegt eine krasse Verletzung der Beitragszahlungspflicht durch die konkursite Arbeitgeberin vor, für welchen Schaden die Beschwerde Führenden als Organe einzustehen haben.
4.
Entsprechend dem Verfahrensausgang werden die Gerichtskosten den Beschwerde Führenden auferlegt (Art. 135 OG in Verbindung mit 156 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 5'000.- werden den Beschwerde Führenden unter Verrechnung mit den von ihnen geleisteten Kostenvorschüssen auferlegt. Die Beträge von je Fr. 2'500.- werden ihnen zurückerstattet.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, dem Bundesamt für Sozial-versicherung und S.________ zugestellt.
Luzern, 6. August 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: