Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 681/01
Urteil vom 8. August 2002
II. Kammer
Besetzung
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Grunder
Parteien
Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern, Beschwerdeführer,
gegen
B.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Näf, Scheffelstrasse 1, 9000 St. Gallen,
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen
(Entscheid vom 27. September 2001)
Sachverhalt:
A.
Der 1970 geborene B.________, von Beruf Plattenleger, arbeitete ab 1. Juni 1998 als Unterakkordant bei O.________, dipl. Plattenlegermeister, und gründete am 5. Juni 1998 zusammen mit einem Kollegen die Kollektivgesellschaft A.________, die den Ein- und Verkauf von Textilien aller Art sowie von Natursteinskulpturen bezweckte. Am 19. Juli 1999 liess er die Einzelfirma S.________ ins Handelsregister eintragen. Als Folge eines Verkehrsunfalles vom 13. Juli 1998, bei welchem B.________ sich eine Pilotibialfraktur am rechten Unterschenkel zugezogen hatte, wurde er arbeitsunfähig. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen übernahm die Kosten der Umschulung zum technischen Kaufmann bzw. Web Publisher SIZ an der Betriebs- und Verwaltungsschule GmbH, St. Gallen, und sprach mit Verfügung vom 6. Oktober 2000 eine Entschädigung für Taggelder in Höhe von Fr. 201.- und eine Betriebszulage von Fr. 59.- für die Wartezeit vom 1. April bis 22. Oktober 2000 zu. Mit Verfügung vom 7. November 2000 kam sie darauf zurück und setzte das Taggeld auf Fr. 94.- fest.
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 27. September 2001 gut und sprach B.________ für die Wartezeit eine Gesamtentschädigung für Taggelder der Invalidenversicherung in Höhe von Fr. 215.-, einen Eingliederungszuschlag von Fr. 27.- sowie eine Betriebszulage von Fr. 59.- zu.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids bezüglich der Betriebszulage.
B.________ lässt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen schliesst auf deren Gutheissung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Der Versicherte hat während der Eingliederung Anspruch auf Taggeld (Art. 22 Abs. 1 1. Halbsatz IVG). Nach Art. 23 Ab. 1 IVG werden die Taggelder als Haushaltsentschädigungen, Entschädigungen für Alleinstehende, Kinder-, Unterstützungs- und Betriebszulagen ausgerichtet. Für die Bemessung gelten die gleichen Ansätze, Regeln und Höchstgrenzen wie für die entsprechenden Entschädigungen und Zulagen gemäss EOG (Art. 24 Abs. 1 IVG). Art. 8 Abs. 1 EOG schreibt vor, dass Dienstleistende, die u.a. als Eigentümer, Pächter oder Nutzniesser einen Betrieb führen, Anspruch auf Betriebszulage haben.
1.2 Der Versicherte, der grundsätzlich die Voraussetzungen eines Betriebsführers nach Art. 8 Abs. 1 EOG erfüllt und sich einer Eingliederungsmassnahme der Invalidenversicherung unterzieht, hat demnach Anspruch auf eine Betriebszulage, solange er Taggelder bezieht und wegen der Durchführung der Massnahme seine Betriebsleiterfunktion nicht ausüben kann. Der Zweck der Betriebszulage im Rahmen des Taggeldes der Invalidenversicherung besteht darin, die aus selbstständiger Erwerbstätigkeit weiterhin anfallenden Betriebskosten teilweise zu decken. Der Betriebsinhaber, der überwiegend unselbstständig erwerbend ist, kann demgegenüber keine Betriebszulage beanspruchen (Art. 8 Abs. 1 in fine EOG), weil er für den dienstlichen Erwerbsausfall bereits durch die Entschädigungsarten der Art. 4 ff. EOG, bemessen nach dem durchschnittlichen vordienstlichen Erwerbseinkommen ( Art. 9 Abs. 1 und 2 EOG ), entschädigt wird (BGE 117 V 280 Erw. 4a mit Hinweisen; AHI 2000 S. 209).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob bei der Berechnung des Taggeldes während der Wartezeit eine Betriebszulage mitzuberücksichtigen ist.
2.1 Es steht fest und ergibt sich aus den unbestrittenen Ausführungen des kantonalen Gerichts, dass die die Zeit vom 1. April bis 22. Oktober 2000 betreffende Verfügung der IV-Stelle vom 6. Oktober 2000, mit welcher sie den Beschwerdegegner als selbstständig Erwerbenden qualifiziert hatte, unrichtig war. Nachdem die Rechtsmittelfrist bezüglich dieser Verfügung noch nicht abgelaufen war, durfte die Verwaltung am 7. November 2000 darauf zurückkommen, ohne an die für die Wiedererwägung oder die prozessuale Revision formell rechtskräftiger Verfügungen geltenden Voraussetzungen gebunden zu sein (BGE 122 V 368 Erw. 3 in fine mit Hinweisen).
2.2 Die Vorinstanz hat erwogen, dass der Beschwerdegegner bei der Einzelfirma O.________ als Unterakkordant und damit beitragsrechtlich in unselbstständiger Stellung vom 1. Juni bis 13. Juli 1998 ein Einkommen von Fr. 10'344.- erzielt hatte. Dieses Einkommen sei in die Kollektivgesellschaft A.________ geflossen und dort in der Bilanz auf der Aktivenseite aufgeführt worden. Diese unrichtige Verbuchung und die Tatsache, dass der Beschwerdegegner seinen Lebensunterhalt durch Bezüge aus der Kollektivgesellschaft bestritten habe, ändere jedoch nichts daran, das es sich um Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit handle. Diese Vorgänge seien indessen für die Beurteilung, ob der Beschwerdegegner Anspruch auf die Betriebszulage habe, nicht entscheidend, massgebend sei allein, dass er während der Wartezeit den Betrieb S.________ nicht mehr habe weiterführen können.
Das BSV wendet demgegenüber ein, der Anspruch auf Betriebszulage setze voraus, dass der Versicherte vor Eintritt des Gesundheitsschadens nicht überwiegend einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Der Beschwerdegegner habe nach den Akten vor dem Unfall ein deutlich höheres Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit erzielt, weshalb kein Anspruch auf Betriebszulage bestehe.
2.3 Nach der Rechtsprechung ist für die Betriebszulagenberechtigung entscheidend, ob der Versicherte tatsächlich vor Eintritt des Gesundheitsschadens selbstständigerwerbender Betriebsinhaber und in dieser Zeit nicht etwa überwiegend unselbstständigerwerbend war (BGE 117 V 281 Erw. 4b). War der Versicherte tatsächlich überwiegend selbstständig Erwerbender, ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, ob er die Betriebsleiterfunktion trotz des Gesundheitsschadens auszuüben vermag und ob tatsächlich Betriebskosten anfallen.
Das kantonale Gericht hat zutreffend ausgeführt, dass das Unterakkordantenverhältnis mit der Einzelfirma O.________ beitragsrechtlich als unselbstständige Erwerbstätigkeit zu qualifizieren ist und dass durch die Investition des damit erzielten Einkommens in die Kollektivgesellschaft sich am Beitragsstatus nichts geändert hatte. Nicht zu beanstanden ist weiter die Einschätzung des vom Beschwerdegegner im Jahre 1998 erzielten Ertrages aus der Geschäftstätigkeit der Kollektivgesellschaft von Fr. 309.- monatlich.
Aus den Akten ergeben sich keine Anhaltspunkte, die das Vorbringen des Beschwerdegegners in der Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, er sei vor dem Unfall vom 13. Juli 1998 selbstständigerwerbender Plattenleger gewesen, stützen. Nach den von der Verwaltung eingeholten Auszügen aus dem individuellen Konto arbeitete er bis Dezember 1997 und auch noch im Juni 1998 bei der Firma M.________. In der Zwischenzeit war er arbeitslos, ohne sich zum Leistungsbezug bei der Arbeitslosenversicherung angemeldet zu haben. Gemäss der Bestätigung der Einzelfirma O.________ vom 15. Dezember 1998 bestand ein Unterakkordantenverhältnis mit der Kollektivgesellschaft A.________, indessen bezweckte diese gemäss Handelsregisterauszug den Ein- und Verkauf von Textilien aller Art sowie von Natursteinskulpturen, sodass daraus nicht abgeleitet werden kann, der Beschwerdegegner, der die Arbeiten persönlich ausgeführt hatte, sei im Rahmen des Geschäftsbetriebs unternehmerisch tätig gewesen. Schliesslich ist anzufügen, dass nach der Rechtsprechung zum Beitragsstatut (Art. 5 Abs. 2 AHVG) Akkordanten im Baugewerbe regelmässig als unselbstständig Erwerbende qualifiziert werden, wenn sie nicht Inhaber eines (zweckgerichteten) eigenen Betriebs sind und so als gleichberechtigte Geschäftspartner mit eigenem Unternehmerrisiko für den Akkordvergeber arbeiten (ZAK 1989 S. 24 ff. Erw. 3a mit Hinweisen).
Zusammengefasst ist somit festzustellen, dass der Beschwerdegegner vor dem Unfall vom 13. Juli 1998 sein Einkommen überwiegend aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit erzielte.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird das Urteil des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 27. September 2001 bezüglich Betriebszulagen aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf Betriebszulagen hat.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wird über eine Neuverlegung der Parteikosten für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, der IV-Stelle des Kantons St. Gallen und der Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen zugestellt.
Luzern, 8. August 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: