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Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.299/2002 /mks
1P.300/2002
Urteil vom 13. August 2002
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Nay, Féraud,
Gerichtsschreiber Störi.
A.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher und Notar Thomas Jacobi, Stockerenweg 1, 3014 Bern,
gegen
Gerichtspräsident 2 des Gerichtskreises XIII Obersimmental-Saanen, Amthaus, 3792 Saanen,
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern.
Strafverfahren; Anordnung einer Durchsuchung der Person des Angeschuldigten, Ausstand
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Beschlüsse der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 30. April 2002
Sachverhalt:
A.
Im Rahmen eines Strafprozesses gegen A.________ wegen Sachbeschädigung und Beschimpfung zum Nachteil von B.________ beauftragte der Gerichtspräsident 2 des Gerichtskreises XIII Obersimmental-Saanen, Gammeter, mit Verfügung vom 24. April 2002 die Kantonspolizei, A.________ vor der Durchführung einer Zeugeneinvernahme am 29. April 2002 und der Hauptverhandlung am 2. Mai 2002 zu durchsuchen.
Am 26. April 2002 stellte A.________ einen Befangenheitsantrag gegen Gerichtspräsident Gammeter. Dieser habe durch die ungerechtfertigte und willkürliche Anordnung der "Leibesvisitationen" den Anschein der Befangenheit erweckt.
Am 28. April 2002 beschwerte sich A.________ bei der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern gegen die von Gerichtspräsident Gammeter angeordnete "Leibesvisitationen".
Am 29. April 2002 setzte Gerichtspräsident Gammeter die auf den gleichen Tag angesetzte Zeugeneinvernahme ab.
Am 30. April 2002 wies die Anklagekammer des Obergerichts mit Beschluss Nr. 167/2002 das Ablehnungsgesuch und mit Beschluss Nr. 166/2002 die Beschwerde ab.
Am 2. Mai 2002 führte Gerichtspräsident Gammeter die Hauptverhandlung gegen A.________ durch, nachdem dieser, wie angeordnet, durchsucht worden war. Er sprach ihn vom Vorwurf der Beschimpfung frei und verurteilte ihn wegen Sachbeschädigung zu 1000 Franken Busse.
B.
B.a Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 31. Mai 2002 (1P.300/2002) wegen Verletzung von Art. 8, Art. 9 , Art. 10 Abs. 2, Art. 29 Abs. 1, Art. 30 Abs. 1, Art. 35 und Art. 36 BV sowie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK beantragt A.________, den Beschluss Nr. 167/2002 der Anklagekammer des Obergerichts aufzuheben.
B.b Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 31. Mai 2002 (1P.299/2002) wegen Verletzung von Art. 8, Art. 9, Art. 10 Abs. 2, Art. 29 Abs. 1, Art. 30, Art. 35 und Art. 36 BV beantragt A.________, den Beschluss Nr. 166/2002 der Anklagekammer des Obergerichts aufzuheben.
C.
Mit gleichlautenden Eingaben ersucht A.________, ihm in beiden Verfahren unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Die Anklagekammer des Obergerichts beantragt unter Verweis auf ihre Entscheide die Abweisung beider Beschwerden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die beiden Verfahren stehen in engem Zusammenhang und sind daher zu vereinigen.
2.
2.1 Der angefochtene Entscheid Nr. 166/2002 über die Abweisung des Ablehnungsbegehrens schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab, sondern lässt im Gegenteil dessen Fortführung zu. Es handelt sich um einen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 1 OG, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 88 OG befugt, sich gegen die Abweisung seiner Befangenheitsrüge zur Wehr zu setzen. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, sodass auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.
2.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ermöglicht indessen keine Fortsetzung des kantonalen Verfahrens. Das Bundesgericht prüft in diesem Verfahren nur in der Beschwerdeschrift erhobene, detailliert begründete und soweit möglich belegte Rügen. Der Beschwerdeführer muss den wesentlichen Sachverhalt darlegen, die als verletzt gerügten Verfassungsbestimmungen nennen und überdies dartun, inwiefern diese verletzt sein sollen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c).
2.3 Diesen Anforderungen genügen beide Beschwerden über weite Strecken nicht. Zwar führt der Beschwerdeführer eine ganze Reihe von mehr oder weniger einschlägigen Verfassungs- und Konventionsbestimmungen an, die angeblich verletzt sein sollen, und gibt verschiedene Zitate aus einem bekannten Lehrbuch wieder. Dies kann indessen die teilweise fehlende substanziierte Auseinandersetzung mit den angefochtenen Entscheiden und eine Begründung dafür, weshalb welche der angerufenen Grundrechte konkret verletzt sein sollen, nicht ersetzen. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in den Beschwerden nicht eingegangen wird, genügen sie den gesetzlichen Anforderung an die Beschwerdebegründung nicht.
3.
3.1 Nach der materiell unverändert von Art. 58 aBV in Art. 30 Abs. 1 BV überführten, ebenfalls in Art. 6 Ziff. 1 EMRK enthaltenen Garantie des verfassungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt (BGE 125 I 219 E. 3a; 120 Ia 184 E. 2b). Verfahrens- oder andere Rechtsfehler, die einem Richter unterlaufen, können nach der Rechtsprechung den Anschein der Befangenheit allerdings nur begründen, wenn sie wiederholt begangen wurden oder so schwer wiegen, dass sie Amtspflichtverletzungen darstellen (BGE 116 Ia 14 E. 5; 135 E. 3a).
3.2 Wird mit einer staatsrechtlichen Beschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf den verfassungs- und konventionsmässigen Richter geltend gemacht, so überprüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Mit freier Kognition prüft es dagegen, ob die als vertretbar erkannte Auslegung des kantonalen Prozessrechts mit den Garantien von Art. 30 Abs. 1 BV (Art. 58 Abs. 1 aBV) und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist (BGE 117 Ia 170 E. 1; 116 Ia 14 E. 3; 114 Ia 50 E. 2b).
3.3 Nach der Auffassung des Beschwerdeführers war die Verfügung, ihn vor der Hauptverhandlung nach Waffen zu durchsuchen, ungesetzlich, willkürlich und mit seiner persönlichen Freiheit unvereinbar. Durch diese Anordnung habe Gerichtspräsident Gammeter daher den Anschein der Befangenheit erweckt.
3.3.1 Die persönliche Freiheit schützt nach der Rechtsprechung die elementaren Erscheinungen der Persönlichkeitsentfaltung des Menschen (BGE 123 I 112 E. 4a, 122 I 360 E. 5a). Es fragt sich, ob eine derart geringfügige Beschränkung der Bewegungs- und Willensfreiheit wie die umstrittene, die Körperöffnungen nicht betreffende Durchsuchung des Beschwerdeführers nach Waffen, wie sie z.B. jeder Flugpassagier zu gewärtigen hat, überhaupt vom Schutzbereich der persönlichen Freiheit erfasst wird. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, die Massnahme sei über das übliche Abtasten über den Kleidern hinausgegangen. Selbst wenn man einen Eingriff in die durch Art. 10 Abs. 2 BV geschützte körperliche Unversehrtheit bejahen wollte (vgl. Andreas Auer/Giorgio Malinverni/ Michel Hottelier, Droit constitutionnel suisse, Vol. II, Berne 2000, S. 146 N. 295, und Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. A. Bern 1999, S. 25 f.), erweist sich dieser, wie die Anklagekammer im angefochtenen Entscheid zu Recht festgestellt hat, als gesetz- und verhältnismässig und verletzt die Verfassung nicht.
3.3.2 Nach Art. 59 Abs. 1 des Gesetzes über das Strafverfahren vom 15. März 1995 (StrV) obliegt dem Verfahrensleiter die Sitzungspolizei. Die von Gerichtspräsident Gammeter zur Gewährleistung der Sicherheit während der Verhandlungen angeordnete Durchsuchung wird von dieser Bestimmung abgedeckt und liegt fraglos im öffentlichen Interesse. Die Anhaltspunkte, die ihn zu dieser Massnahme veranlassten - der Umstand, dass sich der Beschwerdeführer seit mehreren Jahren in einem regional bekannten, verbissenen Nachbarschaftsstreit mit B.________ befindet und die öffentliche Sympathie fast ausschliesslich letzterem gilt, dass er seit mehreren Jahren im Besitz von Feuerwaffen ist und sich nach der persönlichen Einschätzung des Gerichtspräsidenten von den Behörden unverstanden fühlt - sind zwar vage. Angesichts des verheerenden Schadens, den beispielsweise ein Amokschütze in einem Gerichtssaal anrichten kann, erscheint jedoch eine derart milde, dem Betroffenen allenfalls lästige, ihn aber nicht weiter beeinträchtigende Massnahme wie die umstrittene Durchsuchung schon dann verhältnismässig, wenn nur geringfügige Indizien dafür bestehen, dass jemand bewaffnet zum Gerichtstermin erscheinen könnte. Mit dieser Massnahme wird der Beschwerdeführer auch keineswegs zum potentiellen Amokschützen abgestempelt, es liegt in der Natur solcher präventiver Sicherheitsmassnahmen, dass sie in ihrer weit überwiegenden Mehrzahl Personen treffen, die keinerlei unlautere Absichten haben. Die umstrittene Anordnung der Durchsuchung ist somit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und damit auch nicht geeignet, Gerichtspräsident Gammeter als befangen erscheinen zu lassen. Die Rüge ist unbegründet.
4.
Ob auf die staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer Nr. 167/2002 über die Abweisung der Beschwerde gegen die Anordnung der Durchsuchung eingetreten werden kann, erscheint in verschiedener Hinsicht fraglich. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, diese Massnahme habe sich in unstatthafter Weise auf den Ausgang des Strafprozesses gegen ihn ausgewirkt, ist der angefochtene Entscheid als Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG anzusehen, gegen den die staatsrechtliche Beschwerde nicht zulässig ist, da ein dadurch bewirkter Nachteil im Rechtsmittelverfahren gegen das Strafurteil ohne weiteres zu beheben wäre. Wollte man ihn als eigenständigen (angeblichen) Eingriff in die persönliche Freiheit betrachten, wäre zu prüfen, ob vom in der Regel erforderlichen, (seit der Durchsuchung vor der Hauptverhandlung) nicht mehr vorhandenen aktuellen Rechtsschutzinteresse ausnahmsweise abzusehen wäre. Da nach den Ausführungen in E. 3.3 die Beschwerde indessen in der Sache unbegründet und daher auf jeden Fall abzuweisen ist, können diese Eintretensfragen offen bleiben.
5.
Die Beschwerden sind somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG). Er hat zwar in beiden Verfahren Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welche jedoch abzuweisen sind, da die Beschwerden aussichtslos waren (Art. 152 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.
Die Verfahren 1P.299/2002 und 1P.300/2002 werden vereinigt.
2.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
3.
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen.
4.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Gerichtspräsidenten 2 des Gerichtskreises XIII Obersimmental-Saanen und der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. August 2002
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: