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Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.292/2002 /zga
Urteil vom 8. Oktober 2002
II. Zivilabteilung
Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichter Meyer,
Gerichtsschreiber Gysel.
Streitgenossenschaft der Abtretungsgläubiger im Konkurs des Renn-Clubs Luzern, bestehend aus:
1. Einfache Gesellschaft A.________ & Consorten, bestehend aus:
a) A.________,
b) B.________,
c) C.________,
d) D.________,
e) E.________,
f ) F.________,
g) G.________,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Liniger, Marktgasse 36, 4900 Langenthal,
2. H.________, vertreten durch Fürsprecher Daniel Liniger, Marktgasse 36, 4900 Langenthal,
3. Einfache Gesellschaft I.________, bestehend aus:
a) K.________,
b) L.________,
vertreten durch Fürsprecher Daniel Liniger, Marktgasse 36, 4900 Langenthal,
4. M.________,
5. N.________,
6. O.________,
7. P.________,
8. Q.________,
Beschwerdeführer,
alle vertreten durch Iurista Consult GmbH, Chalet Ahoi, 6365 Kehrsiten, (Zustelladresse: Postfach 1249, 6060 Sarnen),
gegen
Z.________, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Müller, Murbacherstrasse 3, 6003 Luzern,
Kantonsgerichtspräsidium Zug (Einzelrichter im ordentlichen Verfahren), Aabachstrasse 3, Postfach 760, 6301 Zug.
Art. 9 BV (Mitgliederbeiträge),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichtspräsidiums Zug (Einzelrichter im ordentlichen Verfahren) vom 20. Juni 2002.
Sachverhalt:
A.
Unter dem Namen Renn-Club Luzern (Société Hippique Lucerne) bestand ein Verein im Sinne der Art. 60 ff. ZGB (nachfolgend RCL genannt) Er bezweckte die Förderung des Pferdesports und die Durchführung pferdesportlicher Veranstaltungen und spezieller Anlässe für die Vereinsmitglieder. In Art. 4 der Statuten waren die Beitragspflichten der Mitglieder wie folgt geregelt:
"4.1 Die Mitglieder haben einen jährlichen Mitgliederbeitrag zu bezahlen. Ausnahmen bestimmt der Vorstand.
4.2 Die Mitgliederbeiträge werden alljährlich von der Vereinsversammlung festgesetzt. Sie gelten jeweils für das folgende Kalenderjahr."
In Übereinstimmung mit dieser statutarischen Ordnung setzte die Vereinsversammlung die Mitgliederbeiträge jährlich fest. An der ordentlichen Versammlung vom 7. Mai 1998 wurde ohne Gegenstimmen und ohne Enthaltungen beschlossen, für das Jahr 1999 die seit 1986 gültigen Mitgliederbeiträge (Junioren: Fr. 20.--; Einzelmitglieder: Fr. 70.--; Partnermitglieder: Fr. 110.--; Kollektivmitglieder: Fr. 170.--) beizubehalten. Anlässlich der Vereinsversammlung vom 27. Mai 1999 wurde auf die Festsetzung und Erhebung von Mitgliederbeiträgen für das Jahr 2000 verzichtet.
Gemäss Art. 17 der Statuten haftete für die Verpflichtungen des Vereins gegenüber Dritten ausschliesslich das Vereinsvermögen und war eine persönliche Haftung der Vereinsmitglieder ausgeschlossen.
Nachdem der RCL im Zusammenhang mit der Organisation und Durchführung des CSIO Luzern vom Juni 1998 ein Defizit von rund 500'000 Franken erwirtschaftet hatte, gab er mit Schreiben vom 3. September 1999 beim Amtsgericht Luzern-Stadt die Insolvenzerklärung gemäss Art. 191 SchKG ab. Der Amtsgerichtspräsident III eröffnete hierauf am 29. September 1999 über den RCL in Liq. antragsgemäss den Konkurs. Am 4. Juli 2001 trat das Konkursamt Luzern-Stadt im Sinne von Art. 260 SchKG unter anderem die "Forderung in vorderhand noch unbestimmter Höhe gegenüber den Vereinsmitgliedern zur Deckung der Vereinsschulden nach Massgabe von Art. 71 Abs. 2 ZGB" an verschiedene Konkursgläubiger ab.
B.
Mit Eingabe vom 18. Januar 2002 erhoben die zu einer Streitgenossenschaft zusammengeschlossenen Abtretungsgläubiger beim Kantonsgerichtspräsidium Zug gegen Z.________, die seit 1984 Mitglied des RCL gewesen war, Klage mit dem Begehren, diese zu verpflichten, ihnen einen Betrag von Fr. 780.-- zu zahlen.
Z.________ beantragte Abweisung der Klage.
Am 20. Juni 2002 wies das Kantonsgerichtspräsidium (Einzelrichter im ordentlichen Verfahren) die Klage ab.
C.
Gegen dieses Urteil hat die Streitgenossenschaft der Abtretungsgläubiger im Konkurs des RCL staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 und Art. 29 Abs. 1 BV erhoben mit dem Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.
Es sind keine Vernehmlassungen eingeholt worden.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid, gegen den kein anderes Rechtsmittel gegeben ist. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher zulässig (Art. 84 und 86 OG). Sodann sind die Abtretungsgläubiger zur Beschwerde legitimiert (Art. 88 OG), so dass auch aus dieser Sicht auf die fristgerecht eingereichte Beschwerde einzutreten ist.
1.2 Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV und nennen diese Bestimmung denn auch wiederholt, allerdings stets zusammen mit Art. 9 BV. Indessen legen sie nicht hinreichend begründet dar, inwiefern Art. 29 Abs. 1 BV verletzt sein soll. Sie begründen ausschliesslich, weshalb Art. 71 Abs. 1 und 2 ZGB in willkürlicher Weise angewendet bzw. nicht angewendet worden und damit gegen Art. 9 BV verstossen worden sei. Soweit eine Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV geltend gemacht wird, ist auf die Beschwerde nach dem Gesagten nicht einzutreten.
2.
Willkür im Sinne von Art. 9 BV (früher: Art. 4 aBV) liegt nach ständiger Rechtsprechung nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung als die beanstandete ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen materieller Rechtsverweigerung nur dann auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder sonstwie in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 126 III 438 E. 3 S. 440; 125 II 10 E. 3a S. 15 und 129 E. 5b S. 134; 119 Ia 113 E. 3a S. 117, mit Hinweisen).
3.
Gemäss Art. 71 Abs. 1 ZGB werden die Beiträge der Vereinsmitglieder durch die Statuten festgesetzt; solange es an einer solchen Festsetzung fehlt, haben die Mitglieder die zur Verfolgung des Vereinszwecks und zur Deckung der Vereinsschulden nötigen Beiträge zu gleichen Teilen zu leisten (Art. 71 Abs. 2 ZGB). Hauptstreitpunkt des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob die Beschwerdegegnerin anteilsmässig für die Verbindlichkeiten des RCL aufzukommen habe oder ob sie mit der Leistung ihres Mitgliederbeitrags ihren Verpflichtungen hinreichend nachgekommen sei.
3.1 Der Einzelrichter erklärt, dass kein Anlass bestehe, die Bestimmung von Art. 71 Abs. 1 ZGB eng auszulegen. Eine Begrenzung der Beitragspflicht bzw. der Schuld sei nicht nur dann anzunehmen, wenn in den Statuten der Beitrag ziffernmässig genau bestimmt bzw. auf Grund der Statuten objektiv bestimmbar sei oder wenn in den Statuten ein bestimmter Maximalbetrag genannt werde und allfällige Abweichungen nach unten einem Vereinsbeschluss überlassen würden, sondern auch dann, wenn die Statuten diese Pflicht lediglich dem Grundsatz nach erwähnten und die Fixierung in quantitativer Hinsicht einem Reglement oder einem periodischen Vereinsbeschluss vorbehielten. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Verein tatsächlich vom statutarischen Vorbehalt Gebrauch gemacht habe und die Mitgliederbeiträge durch das zuständige Organ festgesetzt würden.
Diese Auslegung bezeichnen die Beschwerdeführer als willkürlich: Sie halten angesichts des Umstandes, dass die Statuten lediglich den Grundsatz der Beitragspflicht vorsehen, die Festsetzung der Beitragshöhe aber der Vereinsversammlung überlassen, dafür, die Beiträge würden entgegen dem Wortlaut, aber auch entgegen dem Sinn des Gesetzes, das den Schutz der Mitglieder gegen aleatorische Vereinsversammlungsbeschlüsse bezwecke, eben nicht von den Statuten festgesetzt.
3.2 Die Frage, ob es zur Begrenzung der Beitragspflicht der Vereinsmitglieder im Sinne von Art. 71 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ZGB ausreicht, dass die Statuten lediglich bestimmen, es sei ein fester jährlich festzulegender Beitrag zu leisten, wobei die Festsetzung der Höhe des Beitrags dem dafür vorgesehenen Organ überlassen wird, oder ob der Beitrag mit einer bestimmten oder bestimmbaren Höhe in den Statuten selbst festgelegt sein muss, hatte das Bundesgericht bisher noch nie zu beurteilen. Nach Auffassung eines Teils der Literatur wird die Beitragspflicht auch dann begrenzt, wenn in die Statuten der allgemeine Grundsatz des fixen Beitrags aufgenommen und die betragsmässige Festsetzung einem Reglement oder einem periodischen Vereinsbeschluss vorbehalten worden ist (so Hans Michael Riemer, Personenrecht des ZGB, 2. Aufl., Bern 2002, S. 257 f., N. 676; derselbe, Berner Kommentar, N. 11 zu Art. 71 ZGB mit weiteren Hinweisen; Urs Scherrer, Wie gründe und leite ich einen Verein, 11. Aufl., Zürich 2002, Ziff. 117, S. 79 f.; A. Egger, Zürcher Kommentar, N. 8 zu Art. 71 ZGB). Andere Autoren vertreten die Meinung, Art. 71 Abs. 2 ZGB werde nur dort ausgeschlossen, wo die Höhe des Beitrags auf Grund der Statuten objektiv bestimmt werden könne, sei es, dass in diesen ein Maximalbetrag genannt werde (so Christian Brückner, Das Personenrecht des ZGB, Zürich 2000, S. 386, N. 1290), sei es, dass die Beitragshöhe sich aus den statutarisch umschriebenen Kriterien errechnen lasse oder ein Verzicht auf Mitgliederbeiträge in den Statuten verankert worden sei (Christian Ruetz-Venzin, Finanzielle Beitragspflichten der Vereinsmitglieder, Diss. Zürich 1985, S. 81 und 107); enthielten die Statuten keine Bestimmung über die finanzielle Beitragspflicht der Mitglieder oder sei aus ihnen deren Höhe nicht ersichtlich, so bestimme sich diese nach Art. 71 Abs. 2 ZGB (Anton Heini, Das Schweizerische Vereinsrecht, Basel 1988, S. 59; Heinz Hausheer/Regina E. Aebi-Müller, Das Personenrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Bern 1999, S. 221, Rz. 18.47).
3.3 Dem Einzelrichter kann im erwähnten Punkt nach dem Gesagten schon deshalb nicht Willkür vorgeworfen werden, weil er sich für seinen Entscheid auf namhafte Lehrmeinungen stützen kann (vgl. dazu BGE 127 III 232 E. 3a S. 233 f.; 126 III 438 E. 4b S. 444; 122 III 439 E. 3b S. 442 f.; 104 II 249 E. 3b S. 251 f.). Diese lassen sich zudem sachlich begründen: Art. 71 Abs. 1 ZGB ist Ausdruck des Grundsatzes, wonach die Leistungspflichten der Mitglieder eines Vereins der statutarischen Grundlage bedürfen. Legen die Statuten die Leistungspflichten fest, hat kein Mitglied mehr zu erbringen, als in den Statuten vorgeschrieben (so schon Eugen Huber, Erläuterungen zum Vorentwurf des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, 2. Aufl., Bern 1914, I. Band, S. 89). Fehlt es an einer Regelung in den Statuten, richtet sich die Leistungspflicht nach den Bedürfnissen des Vereins und dessen Verschuldung (Art. 71 Abs. 2 ZGB). Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Ausnahme vom erwähnten Grundsatz, der nur beschränkte Bedeutung zukommt (BGE 46 II 313 E. 2 S. 319). Die dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegende Annahme, diese Ausnahme komme nur zum Tragen, wenn den Statuten überhaupt nichts zur Beitragspflicht und zu deren betragsmässigem Umfang zu entnehmen ist, ist auf jeden Fall nicht unhaltbar.
4.
Für den Fall, dass die Annahme des kantonalen Richters, die Beitragspflicht der Mitglieder des RCL sei auf Grund der Vereinsstatuten begrenzt gewesen, als nicht willkürlich betrachtet werden sollte, beanstanden die Beschwerdeführer, dass das zuständige Organ weder für das Jahr 2000 noch für die späteren Jahre die erforderlichen Beschlüsse über die konkreten Mitgliederbeiträge gefasst habe.
Unbestritten ist, dass die Vereinsversammlung zumindest seit 1984, dem Jahr des Eintritts der Beschwerdegegnerin in den RCL, alljährlich den Mitgliederbeitrag entsprechend der statutarischen Ordnung festgelegt hat. Für das Jahr 2000 ist dies jedoch in der Tat nicht (mehr) geschehen. Wenn die kantonale Instanz dieser einzigen Ausnahme keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat, ist dies nicht unhaltbar, zumal im Herbst 1999 über den RCL dann der Konkurs eröffnet wurde. Es kommt hinzu, dass der RCL anlässlich der Vereinsversammlung vom 27. Mai 1999 offenbar wegen des desolaten finanziellen Zustands und im Hinblick auf die Gründung eines neuen Vereins bewusst auf Mitgliederbeiträge für das Jahr 2000 verzichtet hat. Bei dieser Sachlage durfte ohne Willkür angenommen werden, für jenes Jahr sei der Mitgliederbeitrag auf Null festgesetzt worden. Der betreffende Beschluss hätte binnen zwei Jahren seit Konkurseröffnung angefochten werden können (Art. 285 ff. in Verbindung mit Art. 292 Ziff. 2 SchKG), doch wurde von einer solchen Anfechtung abgesehen.
5.
Die Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang ist die Gerichtsgebühr den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Da keine Vernehmlassung eingeholt worden ist, sind der Beschwerdegegnerin keine Kosten erwachsen, so dass die Zusprechung einer Parteientschädigung von vornherein entfällt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Beschwerdeführern auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgerichtspräsidium Zug (Einzelrichter im ordentlichen Verfahren) schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. Oktober 2002
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: