Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5P.346/2002 /min
Urteil vom 30. Oktober 2002
II. Zivilabteilung
Bundesrichter Bianchi, Präsident,
Bundesrichter Raselli, Bundesrichterin Escher,
Gerichtsschreiber Zbinden.
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Blum, Apollostrasse 2, Postfach 2068, 8032 Zürich,
gegen
Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, Postfach, 8023 Zürich.
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 20. August 2002.
Sachverhalt:
A.
X.________ wurde mit Beschluss der Sozialbehörde der Gemeinde Y.________ vom 16. Juli 2002 in Anwendung von Art. 397a ZGB in das Psychiatrie-Zentrum Z.________ eingewiesen, worauf er mit Eingabe vom 18. Juli 2002 seines Anwaltes ein Gesuch um Entlassung aus dem Zentrum und um gerichtliche Beurteilung des Einweisungsbeschlusses stellte. Mit Urteil vom 23. Juli 2002 bestätigte der Einzelrichter für das Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung des Bezirkes W.________ den Beschluss der Sozialbehörde und wies das Gesuch um Entlassung ab. Einer allfälligen Berufung wurde die aufschiebende Wirkung entzogen.
B.
Gegen diesen Entscheid erklärte X.________ Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, mit den Begehren, den Beschluss der Sozialbehörde der Gemeinde Y.________ aufzuheben und ihn aus der Anstalt zu entlassen. Ferner beantragte er, der Berufung aufschiebende Wirkung zu erteilen. Das Obergericht stellte in seinem Beschluss vom 20. August 2002 fest, dass X.________ am 12. August 2002 aus dem Zentrum entwichen sei, dass das Psychiatrie-Zentrum Z.________ am 14. August 2002 seine administrative Entlassung verfügt habe, und schrieb das Verfahren zufolge Gegenstandslosigkeit als erledigt ab.
C.
X.________ hat rechtzeitig staatsrechtliche Beschwerde erhoben. Er beantragt, den obergerichtlichen Beschluss aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, auf die Sache einzutreten. Ferner stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Die staatsrechtliche Beschwerde ist rein kassatorischer Natur. Soweit der Beschwerdeführer mehr als die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE 125 I 104 E. 1b).
1.2 Mit dem angefochtenen Beschluss ist kantonal letztinstanzlich eine Berufung als gegenstandslos abgeschrieben worden; dieser Beschluss kann mit keinem weiteren kantonalen Rechtsmittel mehr angefochten werden, weshalb ein Endentscheid im Sinne von Art. 86 Abs. 1 OG vorliegt (§ 284 Ziff. 6 ZPO/ZH; BGE 116 Ia 181 E. 3a S. 183; Kälin, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl. 1994 S. 338).
1.3 Gemäss Art. 88 OG steht das Recht zur Beschwerdeführung Bürgern und Korporationen bezüglich solcher Rechtsverletzungen zu, die sie durch allgemein verbindliche oder sie persönlich betreffende Erlasse und Verfügungen erlitten haben. Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsbehelf zum Schutz der Träger verfassungsmässiger Rechte gegen Übergriffe der Staatsgewalt. Zur Verfassungsbeschwerde ist demnach legitimiert, wer durch den angefochtenen Hoheitsakt beschwert ist, das heisst persönlich einen rechtlichen Nachteil erlitten hat (BGE 114 Ia 93 E. 1).
Mit dem angefochtenen Beschluss hat es das Obergericht abgelehnt, auf die Begehren des Beschwerdeführers einzutreten und die am 16. Juli 2002 gestützt auf Art. 397a ZGB beschlossene bzw. mit Urteil vom 23. Juli 2002 bestätigte Einweisung in das Psychiatrie-Zentrum auf ihre Rechtmässigkeit hin zu überprüfen. Der Beschwerdeführer bringt in diesem Zusammenhang denn auch vor, das Obergericht habe ihm das Recht auf eine Überprüfung der Rechtmässigkeit des fürsorgerischen Freiheitsentzugs verweigert (Art. 29 Abs. 1 BV). Überdies ist der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge wieder in die Anstalt zurückgeführt worden. Ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 88 OG ist damit zu bejahen.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer begründet den Vorwurf der Rechtsverweigerung zusammengefasst im Wesentlichen damit, er sei mit Beschluss der Sozialbehörde der Gemeinde Y.________ vom 16. Juli 2002 in Anwendung von Art. 397a ZGB in das Psychiatrie-Zentrum Z.________ eingewiesen worden. Diese durch eine vormundschaftliche Behörde verfügte Einweisung sei noch nicht durch die anordnende Behörde aufgehoben worden, wie dies Art. 397b Abs. 3 ZGB ausdrücklich vorsehe. Nicht von Belang sei daher der Umstand, dass er (der Beschwerdeführer) aus der Klinik entwichen sei und die Klinik daraufhin seine administrative Entlassung verfügt habe. Aufgrund der geltenden Rechtslage müsse er nach wie vor damit rechnen, jederzeit aufgegriffen und wiederum in die Anstalt zurückgeführt zu werden. Der Beschluss des Obergerichts, das Verfahren der Berufung gegen den Entscheid des Einzelrichters als gegenstandslos abzuschreiben, erweise sich somit als Rechtsverweigerung.
2.2 Hat eine vormundschaftliche Behörde die Unterbringung oder Zurückbehaltung angeordnet, so befindet sie auch über die Entlassung (Art. 397b Abs. 3 ZGB). Die Anstalt ist nicht befugt, die Entlassung vorzunehmen (BGE 128 III 12 E. 4b S. 15). Im vorliegenden Fall befindet gemäss § 117e Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch (EG zum ZGB; ZGS 230) vom 2. April 1911 die Vormundschaftsbehörde über die Entlassung. Vormundschaftsbehörde ist der Gemeinderat (§ 73 EG zum ZGB), welcher allerdings die Besorgung des Vormundschaftswesens an seiner Statt einer Kommission von drei bis fünf Mitgliedern aus seiner Mitte übertragen kann (§ 74 Abs. 1 EG zum ZGB). Ferner ermöglicht es das Gesetz, die Besorgung des Vormundschaftswesens durch Gemeindebeschluss einer besonderen Kommission von mindestens drei Mitgliedern anzuvertrauen, deren Vorsitz ein Mitglied des Gemeinderates übernimmt (§ 74 Abs. 2 EG zum ZGB). Im vorliegenden Fall ist die Sozialbehörde der Gemeinde Y.________ für die Einweisung in eine Klinik gestützt auf Art. 397a ZGB zuständig und hat diese Behörde die Einweisung angeordnet; nach Art. 397b Abs. 3 ZGB ist somit auch sie allein für die Entlassung sachlich zuständig. Dass die Klinik den Beschwerdeführer nach seinem Ausbruch administrativ entlassen hat, bleibt unter den gegebenen Umständen belanglos. Sodann ist unbestritten, dass im vorliegenden Fall keine Entlassung durch die Sozialbehörde angeordnet worden ist, dass aber der Einzelrichter für das Verfahren betreffend fürsorgerische Freiheitsentziehung des Bezirkes W.________ mit Urteil vom 23. Juli 2002 den Einweisungsbeschluss bestätigt hat. Erweist sich aber die von der zuständigen Behörde angeordnete Einweisung nach wie vor als verbindlich, so ist die gegen den Entscheid des Einzelrichters ergriffene kantonale Berufung mit der administrativen Entlassung bzw. mit dem Ausbruch des Beschwerdeführers keinesfalls gegenstandslos geworden, wie das Obergericht annimmt. Sein Beschluss, das Berufungsverfahren als gegenstandslos abzuschreiben, erweist sich daher als Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 29 Abs. 1 BV.
3.
Damit ist die staatsrechtliche Beschwerde gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, womit das Obergericht nunmehr auf die Berufung einzutreten und sie zu behandeln haben wird.
4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist von einer Gerichtsgebühr abzusehen.
Dem Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist zu entsprechen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist; zumal er als bedürftig gilt und die Sache nicht als offensichtlich aussichtslos zu bezeichnen ist (Art. 152 Abs. 1 OG). Dem Beschwerdeführer ist ein Rechtsbeistand beizugeben, dem ein Honorar aus der Bundesgerichtskasse zusteht (Art. 152 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 20. August 2002 wird aufgehoben.
2.
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist; ihm wird Rechtsanwalt Stefan Blum, Apollostrasse 2, Postfach, 8032 Zürich, als Rechtsbeistand beigegeben.
3.
Es werden keine Kosten erhoben.
4.
Rechtsanwalt Blum wird aus der Bundesgerichtskasse ein Honorar von Fr. 2'000.-- entrichtet.
5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 30. Oktober 2002
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: