BGer 2A.534/2002 |
BGer 2A.534/2002 vom 14.11.2002 |
Tribunale federale
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{T 0/2}
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2A.534/2002 /bmt
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Urteil vom 14. November 2002
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II. Öffentlichrechtliche Abteilung
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Bundesrichter Wurzburger, Präsident,
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Bundesrichter Hungerbühler, Müller,
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Gerichtsschreiber Klopfenstein.
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B.________,
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Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Vischer, Lintheschergasse 21, Postfach, 8023 Zürich,
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gegen
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Migrationsamt des Kantons Zürich, Berninastrasse 45, 8090 Zürich,
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Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, Wengistrasse 28, Postfach, 8026 Zürich.
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Ausschaffungshaft gemäss Art. 13b ANAG,
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Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter, vom 11. Oktober 2002.
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Sachverhalt:
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A.
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Der aus der Türkei stammende B.________, geb. 1963, reiste 1972 im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz ein und erhielt die Niederlassungsbewilligung. Hier wurde er im Laufe der Jahre mehrfach straffällig und verurteilt (u.a. zu viereinhalb Jahren Zuchthaus infolge schwerer Betäubungsmitteldelikte). Am 8. September 1998 wurde er vom Regierungsrat des Kantons Zürich für die Dauer von zehn Jahren aus der Schweiz ausgewiesen. Diese fremdenpolizeiliche Ausweisung ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem zuerst das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und in der Folge das Bundesgericht Beschwerden hiegegen abgewiesen hatten (vgl. Urteil 2A. 317/1999 vom 15. November 1999). B.________ wäre verpflichtet gewesen, die Schweiz bis zum 31. März 2000 zu verlassen. Dies tat er nicht. Am 14. Oktober 2001 wurde er verhaftet und in Untersuchungshaft gesetzt. Ihm wurden Erpressung bzw. sexuelle Nötigung/Vergewaltigung vorgeworfen. Am 25. Januar 2002 wurde die Untersuchung betreffend Erpressung eingestellt. Mit Urteil vom 17. Mai 2002 verurteilte das Bezirksgericht Zürich B.________ hingegen u.a. wegen mehrfacher Vergewaltigung, mehrfacher sexueller Nötigung, Betrug und Urkundenfälschung zu 18 Monaten Zuchthaus und ordnete den Vollzug der Freiheitsstrafe an, wobei es dem Verurteilten 212 Tage Untersuchungs- und Sicherheitshaft anrechnete.
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Gegen dieses Urteil erhob B.________ fristgerecht Berufung.
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B.
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Mit Präsidialverfügung vom 18. September 2002 hiess das Obergericht des Kantons Zürich ein Haftentlassungsgesuch von B.________ gut. Es ordnete an, dieser sei "per 9. Oktober 2002 aus der Sicherheitshaft zu entlassen und dem Migrationsamt des Kantons Zürich zwecks Ausschaffung zuzuführen". Seine Verfügung eröffnete das Obergericht u.a. auch dem Migrationsamt.
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C.
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Am 9. Oktober 2002 hat das Migrationsamt des Kantons Zürich gegenüber B.________ gestützt auf Art. 13b Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) Ausschaffungshaft angeordnet, welche vom Bezirksgericht Zürich, Haftrichter (im Folgenden: "Haftrichter"), am 11. Oktober 2002 bis zum 8. Januar 2003 bewilligt worden ist.
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D.
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Mit Eingabe vom 31. Oktober 2002 führt B.________ Verwaltungsgerichts-beschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag, er sei "umgehend aus der Ausschaffungshaft zu entlassen". Sodann ersucht er um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.
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Das Migrationsamt des Kantons Zürich beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Der Haftrichter hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Bundesamt für Flüchtlinge hat sich innert Frist nicht geäusssert. B.________ hat von der Möglichkeit, sich ergänzend vernehmen zu lassen, keinen Gebrauch gemacht.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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1.
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1.1
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Die zuständige Behörde kann einen Ausländer in Ausschaffungshaft nehmen, sofern die Voraussetzungen von Art. 13b ANAG erfüllt sind. Danach ist im Einzelnen unter anderem erforderlich, dass ein erstinstanzlicher, nicht notwendigerweise auch rechtskräftiger Weg- oder Ausweisungsentscheid vorliegt (vgl. BGE 121 II 59 E. 2 S. 61; 125 II 369 E. 3a S. 374; 122 II 148 E. 1 S. 150), dessen Vollzug (z.B. wegen fehlender Reisepapiere) noch nicht möglich, jedoch absehbar ist (BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 2a S. 379). Sodann muss einer der in Art. 13b Abs. 1 ANAG genannten Haftgründe bestehen (BGE 125 II 369 E. 3a S. 374, 377 E. 3a S. 381; 124 II 1 E. 1 S. 3) und die Ausschaffung rechtlich und tatsächlich möglich sein (vgl. Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG; dazu BGE 125 II 217 E. 2 S. 220, 377 E. 5 S. 384). Auf Seiten der Behörden sind die für den Vollzug der Wegweisung notwendigen Vorkehrungen (wie Identitäts- und Herkunftsabklärungen, Papierbeschaffung) umgehend zu treffen (Art. 13b Abs. 3 ANAG, Beschleunigungsgebot; vgl. BGE 124 II 49 ff.).
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1.2 Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass ein rechtskräftiger Ausweisungsentscheid vorliegt. Soweit er das Vorliegen eines Haftgrundes bezweifelt (S. 4 der Beschwerdeschrift), sind seine Vorbringen unbegründet . Ein Haftgrund gemäss Art. 13b Abs. 1 lit. b in Verbindung mit Art. 13a lit. e ANAG ist klarerweise gegeben, nachdem der Beschwerdeführer Personen ernsthaft bedroht bzw. an Leib und Leben erheblich gefährdet hat und deshalb strafrechtlich verfolgt und verurteilt worden ist. Dass die eine Verurteilung - diejenige wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz - schon einige Zeit (1997) zurückliegt und der Beschwerdeführer die fragliche Freiheitsstrafe abgesessen hat, ändert nichts. Die Behauptung, die vorliegend angeordnete Ausschaffungshaft ziele vor allem darauf, die Sicherheitshaft fortzusetzen, erscheint abwegig, zumal das Obergericht in seiner Präsidialverfügung vom 18. September 2002 festgehalten hat, der Beschwerdeführer sei aus der Sicherheitshaft zu entlassen und dem Migrationsamt zum Zweck des Vollzugs der Ausweisung zuzuführen.
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2.
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Zu prüfen bleibt, ob die kantonalen Behörden - wie der Beschwerdeführer rügt - das Beschleunigungsgebot verletzt haben.
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2.1 Das Beschleunigungsgebot gemäss Art. 13b Abs. 3 ANAG gebietet den mit dem Vollzug der Wegweisung betrauten kantonalen Behörden, zu versuchen, die Identität des Ausländers so schnell wie möglich festzustellen und die für seine Ausschaffung erforderlichen Papiere zu beschaffen. Arbeitet die zuständige Behörde nicht zielstrebig auf den Wegweisungsvollzug hin, ist die Ausschaffungshaft mit der einzig zulässigen Zielsetzung des Zwangsmassnahmengesetzes, nämlich die Ausschaffung des Ausländers sicherzustellen, nicht mehr vereinbar. Sie verstösst in diesem Fall gegen Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK, weil das Ausweisungsverfahren nicht mehr als "schwebend" im Sinne dieser Bestimmung gelten kann. Die Pflicht, Vorbereitungen für den Vollzug der Ausschaffung zu treffen, beginnt nicht erst mit der Anordnung der fremdenpolizeilichen Haft. Befindet sich ein Ausländer etwa in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug, müssen bei klarer fremdenpolizeilicher Ausgangslage bereits während dieser Zeit Abklärungen mit Blick auf die Ausschaffung eingeleitet werden. Die Strafvollzugs- und Fremdenpolizeibehörden haben hierfür nötigenfalls zusammenzuarbeiten (Urteil 2A.115/2002 vom 19. März 2002, E. 3a). Ob das Beschleunigungsgebot eingehalten ist, ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung der durch sämtliche verantwortlichen Behörden geleisteten Arbeit, in Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (BGE 124 II 49 E. 3a S. 50 f.; Urteil 2A.294/2002 vom 3. Juli 2002, E. 3.1).
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2.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, er verfüge über kein gültiges heimatliches Ausweispapier. Deshalb hätte das Migrationsamt spätestens am 30. Oktober 2001 die nötigen Schritte zur Erlangung der fraglichen Ausweispapiere einleiten müssen. Die Untätigkeit der Behörden seit dem 21. Oktober 2001 widerspreche krass dem Beschleunigungsgebot. Selbst wenn davon ausgegangen werde, das Migrationsamt hätte erst dann handeln müssen, als es von der bevorstehenden Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherheitshaft erfahren habe, sei das Beschleunigungsgebot verletzt, weil dem Migrationsamt der obergerichtliche Entlassungsentscheid vom 18. September 2002 zugestellt worden sei und es längst vor dem 9. Oktober 2002 gewusst habe, dass der Beschwerdeführer auf dieses Datum hin aus der Sicherheitshaft entlassen werde. Auch nach dem 18. September 2002 habe das Migrationsamt nicht umgehend gehandelt und das Beschleunigungsgebot verletzt.
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2.3 Der Beschwerdeführer besitzt die Niederlassungsbewilligung. Insofern durften die fremdenpolizeilichen Behörden grundsätzlich davon ausgehen, dass - anders als gegebenenfalls bei einem illegal eingereisten Ausländer - seine Identität feststeht und er über gültige Papiere verfügt. Nachdem das Migrationsamt am 30. Oktober 2001 nach einem Telefonat mit dem türkischen Konsulat erfahren hatte, dass der Beschwerdeführer im Besitz eines gültigen Reisepasses sein müsse (weil ein solcher vom türkischen Generalkonsulat in Zürich ausgestellt und dort auch registriert worden sei), bestand für die fremdenpolizeiliche Behörde vorerst keine Pflicht mehr, weitere Vorkehrungen zu treffen. So lange eine Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer lief und nicht absehbar war, wann dieser aus der Untersuchungshaft oder - nach erfolgter Verurteilung - aus dem Strafvollzug bzw. aus der Sicherheitshaft entlassen würde, bestand für die fremdenpolizeilichen Organe keine Veranlassung, sich weiter um die Reisepapiere des Beschwerdeführers zu kümmern (vgl. Urteil 2A.133/2002 vom 26. März 2002, E. 3.3). Als am 18. September 2002 das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom Obergericht gutgeheissen wurde, blieb das Migrationsamt entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers nicht untätig: Am 23. September 2002 ergab eine Rückfrage beim Bezirksgefängnis Winterthur, dass sich in den Effekten des Beschwerdeführers keine Reisepapiere befänden. Daraufhin erkundigte sich das Migrationsamt am 4. Oktober 2002, d.h. ebenfalls noch vor der angekündigten Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherheitshaft, beim türkischen Konsulat nach einem Ersatzreisepapier für diesen.
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Soweit der Beschwerdeführer rügt, die Fremdenpolizeibehörden hätten bereits ab Oktober 2001 (Anordnung der Untersuchungshaft) zusätzliche Vorkehren treffen müssen, dringt er damit nicht durch; das Migrationsamt durfte damals, wie bereits erwähnt, davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer im Besitze eines Passes sei. Aber auch der Einwand, das Migrationsamt habe in den drei Wochen zwischen dem 18. September 2002 - Ankündigung der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Sicherheitshaft - und dem 9. Oktober 2002 - Überstellung des Beschwerdeführers an die Fremdenpolizei - nicht das Nötige zur Beschaffung der Reisepapiere in die Wege geleitet, erscheint nach dem Gesagten unbegründet. Von einer Verletzung des Beschleunigungsgebotes kann, wie im angefochtenen Urteil des Haftrichters zutreffend dargelegt, nicht gesprochen werden.
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3.
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Der angefochtene Entscheid des Haftrichters hält auch im Übrigen vor Bundesrecht stand: Wiewohl die für eine Ausreise in die Türkei notwendigen Dokumente noch nicht vorliegen, erscheint die Ausschaffung des Beschwerdeführers tatsächlich möglich, und es stehen dem Ausweisungsvollzug auch keine rechtlichen Hindernisse entgegen (vgl. Art. 13c Abs. 5 lit. a ANAG).
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4.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.
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Bei diesem Verfahrensausgang würde der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). Seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann mangels ernsthafter Erfolgsaussicht der gestellten Rechtsbegehren nicht entsprochen werden (Art. 152 OG). Da sich eine Gerichtsgebühr aber als offensichtlich uneinbringlich erweisen würde (vgl. die Sachdarstellung in Ziff. 2 der Beschwerdeschrift), rechtfertigt es sich, von der Erhebung einer solchen abzusehen (vgl. Art. 153a OG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht
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im Verfahren nach Art. 36a OG:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
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2.
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Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
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3.
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Es werden keine Kosten erhoben.
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4.
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Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons Zürich und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, sowie dem Bundesamt für Flüchtlinge schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 14. November 2002
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Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
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