BGer H 140/2002 |
BGer H 140/2002 vom 19.11.2002 |
Eidgenössisches Versicherungsgericht
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Tribunale federale delle assicurazioni
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Tribunal federal d'assicuranzas
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Sozialversicherungsabteilung
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des Bundesgerichts
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Prozess
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{T 7}
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H 140/02
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Urteil vom 19. November 2002
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II. Kammer
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Besetzung
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Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin Bollinger
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Parteien
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B.________, 1961, Beschwerdeführerin,
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gegen
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Schweizerische Ausgleichskasse, avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf, Beschwerdegegnerin
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Vorinstanz
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Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen, Lausanne
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(Entscheid vom 15. April 2002)
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Sachverhalt:
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A.
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Die 1961 geborene B.________ verfügt über Ausbildungen als Primarlehrerin und als diplomierte Bäuerin. Zuletzt war sie als Primarlehrerin in S.________ tätig. Vom 1. August 2000 bis zum 31. Juli 2001 wurde ihr ein unbezahlter Urlaub gewährt, den sie in I.________ verbrachte, wobei sie sich ab dem 25. Juni 2000 in ihrer Wohnsitzgemeinde S.________ abgemeldet hatte. Im Frühjahr 2001 kündigte sie von I.________ aus ihre Stelle auf den 31. Juli 2001. Vom 11. Mai bis zum 31. Juli 2001 meldete sie sich erneut in S.________ an; ab 1. August 2001 zog sie wiederum nach I.________ und lebt seither dort. Am 21. August 2001 ersuchte sie um Aufnahme in die freiwillige Versicherung der AHV/IV. Mit Verfügung vom 27. November 2001 wies die Schweizerische Ausgleichskasse das Beitrittsgesuch ab, weil B.________ nicht unmittelbar vor dem Beitritt während mindestens fünf Jahren der schweizerischen AHV/IV angeschlossen gewesen sei.
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B.
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B.________ erhob dagegen Beschwerde und beantragte sinngemäss die Aufnahme in die freiwillige Versicherung der AHV/IV. Am 15. April 2002 wies die Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen die Beschwerde ab.
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C.
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Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt B.________ die Aufnahme in die freiwillige Versicherung der AHV/IV. Die Schweizerische Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
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1.
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Obligatorisch versichert nach Massgabe des AHVG in der seit 1. Januar 1997 gültigen Fassung sind natürliche Personen mit Wohnsitz in der Schweiz (Art. 1 Abs. 1 lit. a AHVG), natürliche Personen, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben (Art. 1 Abs. 1 lit. b AHVG) sowie Schweizer Bürger, die im Ausland im Dienste der Eidgenossenschaft oder vom Bundesrat bezeichneter Institutionen tätig sind (Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG). Im Ausland niedergelassene Schweizer Bürger können sich nach Massgabe von Art. 2 AHVG (in der vorliegend anwendbaren, ab 1. April 2001 gültigen Fassung) in Verbindung mit Art. 7 und Art. 8 VFV freiwillig versichern, falls sie unmittelbar vor ihrem Beitritt während mindestens fünf aufeinanderfolgenden Jahren obligatorisch versichert waren und innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden aus der obligatorischen Versicherung ein Beitrittsgesuch zur freiwilligen Versicherung einreichen.
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2.
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Streitig und zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen für eine freiwillige Versicherung erfüllt sind. Dabei kommt es entgegen der Auffassung von Vorinstanz und Verwaltung nicht darauf an, ob eine Beitragslücke besteht, sondern einzig darauf, ob die betreffende Person während der gesetzlich vorgeschriebenen Dauer obligatorisch versichert war und fristgerecht um Beitritt zur freiwilligen AHV/IV ersuchte, zumal innerhalb der fünfjährigen Verwirkungsfrist des Art. 16 Abs. 1 AHVG die Möglichkeit besteht, allfällige fehlenden Beiträge nachzuzahlen.
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Die Beschwerdeführerin macht einerseits geltend, sie habe ihren Wohnsitz erst ab 1. August 2001 definitiv ins Ausland verlegt. Anderseits sei ihr Arbeitsvertrag mit der Einwohnergemeinde S.________ während des unbezahlten Urlaubs weitergelaufen, weshalb sie bis zum 31. Juli 2001 obligatorisch versichert gewesen sei.
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3.
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3.1 Nach dem Gesetzeswortlaut ist im Rahmen von Art. 1 Abs. 1 lit. a AHVG der zivilrechtliche Wohnsitzbegriff nach Art. 23 ff. ZGB massgebend (Käser, Unterstellung und Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl., Bern 1996, S. 14 f. Rz 1.16 und 1.19). Es kommt somit allein auf den zivilrechtlichen Wohnsitz an und nicht auf die sozialversicherungsrechtliche Begriffsbildung, wie sie beispielsweise bei der Anspruchsberechtigung auf ausserordentliche Renten oder im Zusammenhang mit Staatsverträgen massgebend ist (dazu BGE 112 V 164, 111 V 180). Art. 23 Abs. 1 ZGB bestimmt, dass sich der Wohnsitz einer Person an dem Ort befindet, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Der Wohnsitzbegriff ist folglich an das Bestehen zweier Bedingungen geknüpft, die gleichzeitig erfüllt sein müssen: Einerseits an eine objektive, äussere, nämlich den Aufenthalt, andererseits an eine subjektive, nämlich die Absicht, an einem bestimmten Ort dauernd zu verbleiben, wobei das Gewicht auf jenen Umständen liegt, die Dritten erkennbar sind. Die betreffende Person muss sich daher bei dem von ihr erweckten Rechtsschein behaften lassen (vgl. ZAK 1990, S. 247 f. Erw. 3a f.; Käser, a.a.O., S. 14). Bei Personen, die sich lediglich zu Studienzwecken im Ausland aufhalten, besteht eine widerlegbare Vermutung, wonach am Ort des Aufenthalts kein Wohnsitz begründet wird, was indessen eine Wohnsitzbegründung am Studienort nicht ausschliesst (ZAK 1984 S. 540 Erw. 2 mit Hinweisen).
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3.2 Der Begriff der Erwerbstätigkeit setzt die Ausübung einer auf die Erzielung von Einkommen gerichteten bestimmten (persönlichen) Tätigkeit (vgl. Art. 6 Abs. 1 AHVV) voraus, durch welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht wird. Für die Beantwortung der Frage, ob Erwerbstätigkeit vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob die betreffende Person subjektiv eine Erwerbsabsicht für sich in Anspruch nimmt. Diese muss vielmehr auf Grund der konkreten wirtschaftlichen Tatsachen nachgewiesen sein. Wesentliches Merkmal einer Erwerbstätigkeit ist sodann eine planmässige Verwirklichung der Erwerbsabsicht in der Form von Arbeitsleistung, welches Element ebenfalls rechtsgenüglich erstellt sein muss (BGE 125 V 384 Erw. 2a, 115 V 171 Erw. 9b, 107 V 194 Erw. 1b; ZAK 1991 S. 312 Erw. 5a). Von zentraler Bedeutung ist der Kausalzusammenhang zwischen der erwerblichen Tätigkeit und dem Zufluss von Einkünften, welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen (AHI 1994 S. 135 Erw. 2c; Käser, a.a.O., S. 19 f. Rz 1.33; Kieser, Alters- und Hinterlassenenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 17 und 28).
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4.
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4.1 Sowohl die Vorinstanz als auch die Verwaltung haben den Beitritt zur freiwilligen Versicherung einzig wegen einer Beitragslücke vom 1. Januar bis 7. August 2001 verneint und ausgeführt, daran ändere auch der befristete Wohnsitz in der Schweiz vom 11. Mai bis 31. Juli 2001 nichts. Ob die Beschwerdeführerin während des Aufenthalts in I.________ von Juni 2000 bis Mai 2001 weiterhin in der Schweiz Wohnsitz hatte, wurde dabei nicht selbständig geprüft, obwohl dies im Hinblick auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus der obligatorischen Versicherung von entscheidender Bedeutung ist (vgl. BGE 110 V 69 f. Erw. 4a).
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4.2 Aus den Akten ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin vom 6. Mai 1984 bis 24. Juni 2000 sowie vom 11. Mai 2001 bis 31. Juli 2001 in der Gemeinde S.________ angemeldet war und vom 25. Juni 2000 bis 10. Mai 2001 keinen offiziellen Wohnsitz in der Schweiz hatte. Den im Verwaltungsgerichtsbeschwer-deverfahren eingereichten Schriftstücken lässt sich entnehmen, dass sie während ihres unbezahlten Urlaubs in I.________ einen Sprachkurs besuchte und sich in einem Kibbuz zum Studium des gesellschaftlichen Lebens und der Arbeitswelt aufhielt. Der Auslandaufenthalt diente daher Studienzwecken. Dies und die Tatsache, dass sie zunächst ihre Arbeitsstelle in S.________ behielt, deutet einerseits auf ihre Absicht hin, zu Beginn des Schuljahres im Herbst 2001 wieder in die Schweiz zurückzukehren, weshalb bei ihrer Abmeldung in S.________ im Juni 2000 keine Absicht dauernden Verbleibs im Ausland angenommen werden kann. Die im Frühjahr 2001 erfolgte Kündigung ihrer Arbeitsstelle auf den 31. Juli 2001 lässt anderseits darauf schliessen, dass sie ihren Willen im Verlauf des Auslandaufenthaltes insofern änderte, als sie nunmehr beabsichtigte, inskünftig im Ausland zu bleiben. Das am 21. August 2001 erfolgte Gesuch um Aufnahme in die freiwillige Versicherung ging zwar jedenfalls innerhalb eines Jahres ab Wohnsitzaufgabe ein, weshalb dem Beitritt in die freiwillige Versicherung mit Blick auf diese Voraussetzung nichts entgegen steht. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, auf welchen Zeitpunkt hin die Aufgabe der Erwerbstätigkeit erfolgte. Hingegen bedarf die Frage des Zeitpunkts der Wohnsitzaufgabe in S.________ zusätzlicher Abklärungen, zu welchem Zweck die Sache an die Schweizerische Ausgleichskasse zurückzuweisen ist. Diese wird auch über eine allfällige Nachzahlungspflicht ab dem Ausscheiden der Beschwerdeführerin aus der obligatorischen Versicherung zu befinden haben (BGE 113 V 84 ff. Erw. 4).
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Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
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1.
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Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen vom 15. April 2002 und die Verfügung der Schweizerischen Ausgleichskasse vom 27. November 2001 aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische Ausgleichskasse zurückgewiesen wird, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über das Beitrittsgesuch neu befinde.
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2.
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Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
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3.
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Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der Beschwerdeführerin zurückerstattet.
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4.
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Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
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Luzern, 19. November 2002
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Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
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Der Präsident der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin:
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