Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 69/01
Urteil vom 10. Dezember 2002
II. Kammer
Besetzung
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiber Arnold
Parteien
IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern, Beschwerdeführerin,
gegen
B.________, 1953, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, Schwanenplatz 7, 6004 Luzern
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
(Entscheid vom 15. Dezember 2000)
Sachverhalt:
A.
B.________, geb. 1953, meldete sich am 5. Juli 1994 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen in medizinischer, beruflich-erwerblicher und haushaltlicher Hinsicht, worunter insbesondere eine polydisziplinäre Begutachtung durch die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) (vom 31. Januar 1997), wonach u.a. ab dem 19. Dezember 1996 wiederum eine 100%ige Arbeitsfähigkeit bestand, sprach die IV-Stelle Luzern den Eheleuten B.________ für die Zeit vom 1. April 1996 bis 31. März 1997 rückwirkend und befristet - gestützt auf einen Invaliditätsgrad von 59 % der Ehefrau und von 70 % des Ehemannes - eine ganze Ehepaar-Invalidenrente zu. Die entsprechende Verfügung vom 6. Juli 1998 erwuchs unangefochten in Rechtskraft, wobei der Rechtsvertreter von B.________ am 19. August 1999 bei der IV-Stelle den bisher unterbliebenen Erlass einer verfahrensabschliessenden Verfügung rügte, worauf ihm die Verwaltung mitteilte, er habe eine Kopie des Verwaltungsaktes vom 6. Juli 1998 erhalten (Schreiben vom 23. August 1999).
Auf ein daraufhin am 22. September 1999 gestelltes zweites Leistungsbegehren trat die Verwaltung nicht ein (Verfügung vom 27. Januar 2000).
In gleicher Weise verfuhr sie, als B.________ sich am 17. März 2000 abermals zum Leistungsbezug anmeldete (Nichteintretensverfügung vom 1. Mai 2000).
B.
In Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern den angefochtenen Verwaltungsakt (vom 1. Mai 2000) auf und wies die Sache an die IV-Stelle zurück, damit diese auf "das Rentengesuch vom 17. März 2000 eintrete und darüber materiell verfüge" (Entscheid vom 15. Dezember 2000).
C.
Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Entscheid sei aufzuheben.
B.________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Ferner sei ihr die unentgeltliche Verbeiständung zu gewähren. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin auf die Neuanmeldung vom 17. März 2000 hin zu Recht auf Nichteintreten verfügt hat oder ob sie - mit der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin - die materielle Prüfung des Leistungsbegehrens an die Hand zu nehmen hat.
1.2 Das kantonale Gericht hat die Prüfungspflichten hinsichtlich des Eintretens auf ein erneutes Rentengesuch nach vorausgegangener rechtskräftiger Ablehnung ( Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV ; BGE 117 V 200 Erw. 4b, 109 V 114 Erw. 2a, 123 Erw. 3b und 264 Erw. 3) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Ergänzend ist zu präzisieren, dass in zeitlicher Hinsicht die Verhältnisse bei Erlass der strittigen Verwaltungsverfügung mit denjenigen im Zeitpunkt der letzten materiellen Abweisung zu vergleichen sind. Die entsprechenden, in BGE 109 V 265 Erw. 4a zur Rentenrevision dargelegten Grundsätze gelten analog auch bei einer Neuanmeldung (vgl. zuletzt Urteil M. vom 28. Juni 2002, I 50/02).
2.
Nachdem die Verwaltung mit der Verfügung vom 27. Januar 2000 auf das Leistungsbegehren im Sinne von Art. 87 Abs. 4 IVV nicht eingetreten war, ist der Rentenanspruch einzig mit der Verfügung vom 6. Juli 1998 materiell beurteilt worden. Zu entscheiden ist demnach (vgl. Erw. 1.2 in fine), ob glaubhaft ist, dass sich der Grad der Invalidität in der Zeit zwischen dem 6. Juli 1998 und dem 1. Mai 2000 in einer für den Anspruch auf Rente erheblichen Weise geändert hat.
3.
Die Vorinstanz - und mit ihr die Beschwerdegegnerin - bejahen dies.
Sie stützten sich dabei im Wesentlichen auf den zuhanden der Hausärztin der Beschwerdegegnerin, Dr. med. P.________, erstatteten Bericht der Medizinischen Klinik des Spitals X.________ vom 24. Februar 2000. Darin diagnostizieren der Leitende Arzt der Rheumatologie (Dr. med. S.________) und der im selben Fachbereich tätige Assistenzarzt (Dr. med. Z.________) u.a. eine "depressive Entwicklung". In ihrer Beurteilung führten die Ärzte aus, die Beschwerdegegnerin fühle sich laut eigenen Angaben seit Beginn der Schmerzsymptomatik zunehmend depressiv, eindeutige depressive Symptome könnten aus anamnestischen Angaben jedoch nicht eruiert werden; die Beschwerdegegnerin scheine willig, etwas gegen ihre Beschwerden zu unternehmen (Bericht S. 3).
4.
4.1 Im Gutachten der MEDAS vom 31. Januar 1997 wurde - nebst einem Panvertebralsyndrom, einem Status nach chronischen Oberbauchbeschwerden, Nikotinabusus und Adipositas - primär ein ausgeprägtes psychogenes Schmerzsyndrom diagnostiziert. An diesem Hauptleiden hat sich im massgeblichen Vergleichszeitraum insoweit nichts geändert, als die Ärzte des Spitals X.________ in ihrem Bericht vom 24. Februar 2000 vorab eine Fibromyalgie mit aktuell scapulonuchaler Betonung bei proximaler Haltungsinsuffizienz nennen. Laut ergänzender Stellungnahme (vom 2. März 1998) des Leitenden Arztes der MEDAS (Dr. med. K.________) ist nicht gesichert, ob es sich bei der Fibromyalgie um eine klar abgrenzbare Sonderform der Schmerzkrankheiten mit eigenen diagnostischen Gegebenheiten handelt oder ob Fibromyalgie, diffuse Schmerzkrankheiten und somatoforme Störungen im Wesentlichen das gleiche Krankheitsbild betreffen. Die Schwierigkeiten der (differenzierten) Diagnose der so genannten Schmerzkrankheiten fällt vorliegend nicht ins Gewicht. Neuanmeldungsrechtlich bedeutsam ist demgegenüber, dass der psychische Gesundheitszustand bereits im Rahmen des interdisziplinären Gutachtens der MEDAS (vom 31. Januar 1997) Gegenstand fachärztlicher Abklärungen bildete (psychiatrisches Konsilium vom 20. November 1996 durch Dr. med. M.________). Der Psychiater erhob den Psychostatus, gab eine Beurteilung ab, diagnostizierte ein ausgeprägtes psychogenes Schmerzsyndrom und hielt unter dem Titel "Empfehlungen" u.a. fest, die Explorandin zeige keinerlei Eigeninitiative, ihre Situation zu verbessern. Rentenbegehrliche Tendenzen seien offensichtlich. Möglicherweise liege eine leichte depressive Stimmungslage vor, die jedoch in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit keinen Krankheitswert besitze (Gutachten der MEDAS, S. 16 f.). Die psychiatrische Abklärung erfolgte vor dem Hintergrund, dass gemäss den (umfangreichen) medizinischen Vorakten neben eindeutigen somatischen Ursachen zuzuordnenden Schmerzen bereits im Frühjahr 1992 und in der Folge wiederholt von einer depressiven Entwicklung sowie von einer Fibromyalgie oder einem psychogenen Schmerzsyndrom die Rede war. Laut der im Gutachten der MEDAS erhobenen Eigenanamnese leidet die Beschwerdegegnerin schliesslich seit circa 1985 an Schmerzen am gesamten Körper.
4.2 Der vorinstanzliche Entscheid verletzt Bundesrecht, indem einzig gestützt auf das Gefühl der Beschwerdegegnerin, seit Beginn der Schmerzsymptomatik zunehmend depressiv zu sein, sowie auf die im Bericht des Spitals X.________ vom 24. Februar 2000 gestellte Diagnose einer depressiven Entwicklung eine erhebliche Änderung im Sinne von Art. 87 Abs. 3 IVV als glaubhaft erachtet wird. Die Darlegungen der Beschwerdegegnerin sind als blosse Parteibehauptungen zu qualifizieren. Auf Grund der im Gutachten der MEDAS (vom 31. Januar 1997) erhobenen Eigenanamnese ist sodann davon auszugehen, dass die geklagte Schmerzsymptomatik bereits seit circa 1985 besteht, mithin zum weitaus grössten Teil bereits Gegenstand des mit Verfügung vom 6. Juli 1998 abgeschlossenen (ersten) Verfahrens bildete und insoweit neuanmeldungsrechtlich irrelevant ist. Nach den Akten ist zu schliessen, dass die Rheumatologen des Spitals X.________ in ihrem Bericht vom 24. Februar 2000 gleichwohl einzig gestützt auf die Angaben der Beschwerdegegnerin eine depressive Entwicklung diagnostizierten. Die Diagnose einer Depression liegt indes ausserhalb des Fachbereichs der Bericht erstattenden Ärzte, die zudem einräumten, dass eindeutige depressive Symptome aus den anamnestischen Angaben nicht eruiert werden konnten. Die vage, objektiv unbegründete Diagnose einer depressiven Entwicklung durch die Ärzte des Spital X.________ genügt umso weniger für die Bejahung des Tatbestandes von Art. 87 Abs. 3 IVV, als der psychische Gesundheitszustand bereits im Rahmen des interdisziplinären Gutachtens der MEDAS (vom 31. Januar 1997) Gegenstand fachärztlicher Abklärungen bildete (psychiatrisches Konsilium vom 20. November 1996 durch Dr. med. M.________). Nach den dortigen (umfangreichen) medizinischen Vorakten war neben eindeutigen somatischen Ursachen zuzuordnenden Schmerzen bereits im Frühjahr 1992 und in der Folge wiederholt von einer depressiven Entwicklung sowie von einer Fibromyalgie oder einem psychogenen Schmerzsyndrom die Rede. Die Ärzte des Spitals X.________ gaben schliesslich in ihrem Schreiben vom 14. März 2000 an, dass ihnen bei der Erstattung ihres Berichtes vom 24. Februar 2000 keine Unterlagen über die Untersuchung durch die MEDAS vom 19. Dezember 1996 (diese bildete u.a. Grundlage des Gutachtens vom 31. Januar 1997) vorlagen. Sofern das Gutachten der MEDAS (vom 31. Januar 1997) samt der Ergänzung vom 2. März 1998 den Ärzten des Spitals X.________ nicht vorlag, blieb aber ein mit Blick auf die komplexe, mehrere Jahre dauernde Krankengeschichte, bei welcher mehrfach Leiden somatischer wie psychischer Natur diskutiert wurden, auch für die hier strittige Frage des Vorliegens eines Neuanmeldungstatbestandes wesentlicher Teil der medizinischen Akten ausser Betracht. Auch aus diesem - zusätzlichen - Grunde wäre die Diagnose einer Depression und insbesondere die Aussage über eine Entwicklung einer solchen im vorliegend relevanten Zeitraum vom 6. Juli 1998 bis 1. Mai 2000 durch die Ärzte des Spitals X.________ in ihrem Beweiswert erschüttert.
Nach dem Gesagten ist mit der Beschwerdeführerin jedenfalls nicht glaubhaft dargetan, dass sich der psychische Gesundheitszustand in der massgeblichen Zeit (vom 6. Juli 1998 bis 1. Mai 2000) in einer für den gemäss Verfügung vom 6. Juli 1998 ab 1. April 1997 gestützt auf eine 100%ige Arbeitsfähigkeit verneinten Anspruch auf eine Invalidenrente in erheblicher Weise geändert hat.
5.
5.1 Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der obsiegenden Beschwerdeführerin ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 159 Abs. 2 OG; BGE 126 V 150 Erw. 4a mit Hinweisen).
5.2 Der Beschwerdegegnerin kann die unentgeltliche Verbeiständung für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht gewährt werden (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG), da die Bedürftigkeit aktenkundig ist und die Vertretung geboten war (BGE 125 V 202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Sie wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 15. Dezember 2000 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 800.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) ausgerichtet.
4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wird über eine Neuverlegung der Parteikosten für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 10. Dezember 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: