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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
I 229/02
Urteil vom 17. Dezember 2002
III. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiberin Schüpfer
Parteien
S.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch den Rechtsdienst für Behinderte, Bürglistrasse 11, 8002 Zürich,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5001 Aarau, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
(Entscheid vom 15. Februar 2002)
Sachverhalt:
A.
Die 1960 geborene S.________ leidet seit Geburt an einem congenitalen Klumpfuss rechts und seit 1992 an einer Drogensucht. Sie absolvierte nach der Realschule eine zweijährige Verkäuferinnenlehre - welche sie zwei Monate vor der Abschlussprüfung abbrach - bei der Firma U.________. In der Folge war sie jeweils während einer kurzen Dauer an verschiedenen Stellen, beispielsweise als Hilfspflegerin, als Hilfsarbeiterin in der Industrie oder als Briefträgerin tätig. Nachdem sie seit 1989 nicht mehr gearbeitet hatte, meldete sie sich am 7. September 1994 erstmals bei der IV-Stelle Aargau zur Berufsberatung und zum Bezug einer Rente an. Wegen fehlender Mitwirkung bei der Abklärung des Sachverhaltes wurde ihr Begehren mit Verfügung vom 20. Juni 1995 abgelehnt. Am 30. Dezember 1997 teilte die IV-Stelle der Versicherten mit, es werde ihr Kostengutsprache für orthopädische Spezialschuhe gewährt.
Mit einer weiteren Anmeldung vom 7. Juli 1998 ersuchte S.________ erneut um berufliche Massnahmen (Umschulung) und eine Invalidenrente. Die IV-Stelle gewährte der Versicherten Berufsberatung (Mitteilung vom 28. Juli 1999), traf Abklärungen in beruflicher (Aufenthalt in der Stiftung E.________ vom 7. Februar bis 31. März 2000) und medizinischer Hinsicht. Sie liess sich über den orthopädischen (Bericht orthopädische Klinik X.________ vom 16. Juli 1999) und den psychischen Gesundheitszustand von S.________ informieren (Gutachten des Psychiatrischen Dienstes, Y.________, vom 14. August 2000). Gestützt auf die beigezogenen Unterlagen wies die IV-Stelle das Leistungsbegehren nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens ab, da aus medizinischer Sicht keine Umschulung angezeigt sei und es der Versicherten auch ohne weitere Ausbildung oder Umschulung möglich sei, ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen (Verfügung vom 19. Juli 2001).
B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 15. Februar 2002 ab.
C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, in Aufhebung des angefochtenen Entscheids und der Verfügung vom 19. Juli 2001 seien ihr eine erstmalige berufliche Ausbildung und Taggelder zu gewähren, wobei die Sache zur Abklärung bezüglich einer geeigneten beruflichen Ausbildung an die Verwaltung zurückzuweisen sei. Eventuell habe diese auch ergänzende medizinische Abklärungen zu treffen oder ihr eine Invalidenrente auszurichten.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig ist, ob die Beschwerdeführerin eine Invalidität aufweist, welche Anspruch auf berufliche Massnahmen in Form einer Umschulung gibt. Die zur Beurteilung dieser Frage massgeblichen Rechtsgrundlagen (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 1 IVG) hat das kantonale Gericht unter Einschluss der dazu ergangenen Rechtsprechung im Wesentlichen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
Zu ergänzen ist, dass für die Vornahme des Einkommensvergleichs grundsätzlich auf die Gegebenheiten im Zeitpunkt des allfälligen Rentenbeginns abzustellen ist. Bevor die Verwaltung über einen Leistungsanspruch befindet, muss sie indessen prüfen, ob allenfalls in der dem Rentenbeginn folgenden Zeit eine erhebliche Veränderung der hypothetischen Bezugsgrössen eingetreten ist. Gegebenenfalls hat sie vor ihrem Entscheid einen weiteren Einkommensvergleich durchzuführen (noch nicht in der Amtlichen Sammlung veröffentlichtes Urteil B. vom 23. Mai 2002, U 234/00).
2.
Für den Anspruch auf eine Umschulung durch die Invalidenversicherung ist unter anderem vorausgesetzt, dass die versicherte Person invalid oder von Invalidität bedroht ist.
Auf Grund der für den hier relevanten Zeitraum - zwischen der zweiten IV−Anmeldung vom 7. Juli 1998 und dem Erlass der ablehnenden Verfügung vom 19. Juli 2001 - vorliegenden Arztberichte ist nicht von einer anspruchsberechtigenden Invalidität auszugehen. Dr. med. L.________ von der Sprechstunde für Technische Orthopädie der Orthopädischen Klinik X.________ berichtet über den Verlauf am 3. März 1998, die Patientin sei mit den orthopädischen Spezialschuhen sehr zufrieden und habe kaum Beschwerden. Auf Grund der Physiotherapie verspüre sie keine ausstrahlenden Schmerzen in die Arme oder Beine mehr, auch die Kopfschmerzen seien deutlich regredient. Auf weitere am 23. Februar bzw. 23. März 1999 vorgesehene medizinische Kontrollen an der Klinik X.________ ist die Versicherte nicht erschienen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass ihre Beschwerden sich zumindest nicht verstärkt haben. Mit Bericht vom 16. Juli 1999 legt Dr. med. R.________, Assistenzarzt an der Klinik X.________ dar, es bestehe eine Beinverkürzung rechts von ca. 1 cm. Die Achillessehne sei massiv verkürzt und es gebe eine Tendenz zur Überlastung der lateralen Fusskante und des Vorfusses, wo eine ausgeprägte Schwielenbildung beobachtet werden könne. An der Halswirbelsäule sei eine schmerzbedingte leichte Bewegungseinschränkung mit unauffälliger Neurologie in den oberen Extremitäten, aber keine Bewegungseinschränkung in der Brustwirbelsäule festzustellen. An den unteren Extremitäten bestünden keine sensomotorischen Ausfälle bei symmetrisch auslösbaren Reflexen. Zur Entlastung der Schwielenbildung werde die Schuheinlage angepasst. In einer abwechselnd sitzend und gehend auszuführenden leichten Arbeit ohne Tragen von schweren Lasten sei die Versicherte voll arbeitsfähig. Bei der aktuellen Tätigkeit als Verkäuferin in der Firma M.________ betrage diese 82%, wobei eine Reduktion auf 50% drohe. Dr. med. T.________, Oberärztin bei E.________, berichtete am 14. August 2000, bei aktuell bestehender Drogenabstinenz sei die Beschwerdeführerin aus psychiatrischer Sicht voll arbeitsfähig.
Anhaltspunkte für eine Verschlechterung des Gesundheitszustands seit Erstattung dieser ärztlichen Berichte, fehlen. Damit ist die Versicherte trotz gelegentlich auftretenden Rücken- und Beinbeschwerden und der neu vorgetragenen Migräneanfälle, in der Lage, in einer Weise erwerbstätig zu sein, wie ihr dies vor der Drogenabhängigkeit während vielen Jahren und seit dem erfolgten Drogenentzug mit ambulanter Weiterbehandlung seit August 1998 wieder gelang. Entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist der medizinische Sachverhalt genügend abgeklärt.
3.
Die Beschwerdeführerin beruft sich auf die Rechtsprechung gemäss BGE 126 V 461, wonach für invaliditätsbedingte Ausbildungsabbrüche und -verzögerungen die Invalidenversicherung aufzukommen hat, selbst wenn im späteren Zeitpunkt der neu gewonnenen Eingliederungsfähigkeit kein invalidisierender Gesundheitsschaden mehr besteht.
3.1 Das IVG beruht auf dem Konzept des leistungsspezifischen Invaliditätsfalles. Dies bedeutet im Bereich der beruflichen Eingliederungsmassnahmen (Art. 15 ff. IVG) u.a., dass ein Anspruch auf Beiträge an die erstmalige berufliche Ausbildung besteht, wenn dem Versicherten aus Gründen eines bleibenden oder längere Zeit dauernden Gesundheitsschadens, somit invaliditätsbedingt, in wesentlichem Umfange zusätzliche Kosten entstehen (Art. 16 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 IVV; BGE 126 V 461 Erw. 1 mit Hinweis).
3.2 Mit Blick auf eine leistungsspezifische Invalidität ist in Bezug auf die geltend gemachte erstmalige berufliche Ausbildung bedeutsam, ob die Beschwerdeführerin aus gesundheitlichen Gründen in der Zeit seit Abbruch ihrer Verkäuferinnenlehre im Jahre 1978 bis zur IV-Anmeldung daran gehindert worden ist, im üblichen Rahmen die erstmalige berufliche Ausbildung zu absolvieren. Wird diese Frage verneint, liegt keine Invalidität vor, und die Beschwerdeführerin kann folglich für eine berufliche Ausbildung, der sie sich nunmehr unterziehen will, keine Ansprüche gegen die Invalidenversicherung erheben. Wird die Frage bejaht, hätte dies zur Folge, dass die nunmehr nachzuholende erstmalige berufliche Ausbildung - mit Abschluss - als invaliditätsbedingt verspätet zu qualifizieren und der damit verbundene Erwerbsausfall als invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse gestützt auf Art. 22 Abs. 1 Satz 2 IVG taggeldmässig zu entschädigen ist.
3.3 Die einzige wesentliche gesundheitliche Einschränkung, mit welcher die heranwachsende Beschwerdeführerin als Schülerin und sich der beruflichen Ausbildung unterziehende Person auseinander zu setzen hatte, bildete der kongenitale Klumpfuss. Ein solches Gebrechen schränkt wohl die Berufswahl etwas ein, erlaubt aber noch den Besuch eines weiten Spektrums von üblichen Ausbildungs- und Lehrgängen. Eine solche Versicherte vermag sich daher, ohne invaliditätsbedingte Erschwernisse, berufliche Kenntnisse anzueignen, deren spätere Verwertung auf dem Arbeitsmarkt eine Invalidität regelmässig ausschliessen dürften. Selbst wenn der seinerzeitige Lehrabbruch (1977/78) gesundheitlich bedingt gewesen sein sollte - was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde behauptet, nach der Aktenlage aber nicht anzunehmen ist -, hätte sie damals ohne weiteres eine andere Lehre oder Ausbildung machen können. Das hat die Beschwerdeführerin jedoch nicht getan, wofür keine gesundheitlichen Gründe verantwortlich gemacht werden können. Vielmehr steht aktenmässig fest, dass sie danach während mehr als zehn Jahren in den verschiedensten Berufen erwerbstätig war, bevor sie sich im Alter von rund 34 Jahren erstmals an die Invalidenversicherung wandte. Die erst im Erwachsenenalter aufgetretenen Drogenprobleme können daher, abgesehen von der Frage ihres invalidisierenden Charakters (Art. 4 Abs. 1 IVG; vgl. zuletzt Urteil T. vom 8. Oktober 2002, I 168/02), beim hier eingetretenen Ablauf der Dinge nicht kausal für das Fehlen einer abgeschlossenen Berufsausbildung gewesen sein. Darin liegt der massgebliche Unterschied zu BGE 126 V 461.
3.4 Auch der Hinweis auf die Frühinvaliditätsregelung gemäss Art. 26 Abs. 1 IVV in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde geht fehl, weil die Beschwerdeführerin nach dem Gesagten im Hinblick auf die Vielzahl der ihr offen stehenden Berufsausbildungsmöglichkeiten sich nicht darauf berufen kann, sie hätte wegen ihres Gesundheitsschadens (Klumpfuss) keine zureichenden beruflichen Kenntnisse erwerben können. Demnach kann sie auch nicht als Frühinvalide gelten.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 17. Dezember 2002
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: