BGer 4C.227/2002
 
BGer 4C.227/2002 vom 24.01.2003
Tribunale federale
{T 0/2}
4C.227/2002 /rnd
Urteil vom 24. Januar 2003
I. Zivilabteilung
Bundesrichterin und Bundesrichter Corboz, Präsident,
Walter, Rottenberg Liatowitsch.
Gerichtsschreiberin Charif Feller.
A.________,
Beklagte und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Bühlmann, Talacker 42, 8001 Zürich,
gegen
X.________ AG,
Klägerin und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Franz P. Oesch, Pestalozzistrasse 2, 9000 St. Gallen.
Werklohn,
Berufung gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, III. Zivilkammer, vom 24. Mai 2002.
Sachverhalt:
A.
Die Klägerin als Unternehmerin und die Beklagte als Bestellerin schlossen am 24. April 1997 einen Werkvertrag über den Umbau einer Liegenschaft in St. Gallen ab. Die Arbeiten dauerten vom 7. April bis zum 12. Dezember 1997.
Am 5. März 1998 stellte die Klägerin ihre Schlussrechnung über brutto Fr. 344'904.65, woraus nach Abzug von Skonti und Rabatten sowie der Berücksichtigung von Aktontozahlungen ein Saldo von netto Fr. 143'291.10 resultierte, welcher später auf Fr. 137'126.05 korrigiert wurde. Er blieb unbeglichen.
B.
Am 25. Juni 1998 reichte die Klägerin beim Bezirksgericht St. Gallen Klage ein. Sie verlangte den Zuspruch ihrer restanzlichen Werklohnforderung nebst Zins sowie die definitive Eintragung der auf den einzelnen Stockwerken der umgebauten Liegenschaft vorgemerkten Bauhandwerkerpfandrechte.
Mit Entscheid vom 16. Mai 2001 hiess das Bezirksgericht die Klage im Teilbetrag von Fr. 101'015.90 nebst Zins gut und ordnete die entsprechende Eintragung von Bauhandwerkerpfandrechten an, soweit die Beklagte nicht anderweitige Sicherheit geleistet hatte.
C.
Eine kantonale Berufung der Beklagten wies das Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, am 24. Mai 2002 ab.
Erfolglos blieb ebenfalls eine Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten, welche das Kassationsgericht des Kantons St. Gallen am 29. Oktober 2002 abwies, soweit es darauf eintrat.
D.
Die Beklagte hat den Entscheid des Kantonsgerichts ebenfalls mit eidgenössischer Berufung angefochten. Sie beantragt dessen Aufhebung und die Rückweisung der Streitsache zu weiterer Sachverhaltsabklärung und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz.
Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Kantonsgericht hat keine Gegenbemerkungen eingereicht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Beklagte macht vor Bundesgericht geltend, das Kantonsgericht habe
1.1 bundesrechtswidrig eine Werklohnvereinbarung "nach Ausmass" anstatt eine Pauschalpreisabrede angenommen,
1.2 der Klägerin zu Unrecht einen Werklohn für Regiearbeiten trotz fehlender Unterzeichnung der Regierapporte zugesprochen,
1.3 in Verletzung von Art. 8 ZGB keine Oberexpertise angeordnet.
Über diese Rüge hinaus ist der angefochtene Entscheid im vorliegenden Verfahren nicht zu überprüfen (Art. 55 Abs. 1 lit. b und c OG; BGE 121 III 397 E. 2a; Poudret, N 1.5.1.1 zu Art. 55 OG).
2.
Der blosse Rückweisungsantrag genügt den Anforderungen von Art. 55 Abs. 1 lit. b OG, da das Bundesgericht, sollte es die Rechtsauffassung der Beklagten für begründet erachten, kein Endurteil fällen könnte, sondern die Sache zu weiteren Abklärungen an die Vorinstanz zurückweisen müsste (BGE 125 III 412 E. 1b mit Hinweisen).
3.
Die Parteien vereinbarten in Ziff. 1 ihrer besonderen Vertragsbestimmungen:
"Der Unternehmer übernimmt die vorgenannten Arbeiten nach Ausmass. Diese wurden von ihm kontrolliert. Die Ausführungen müssen nach den vorliegenden Plänen und dem Devisbeschrieb vorgenommen werden."
Die Vorinstanz schliesst in normativer Auslegung dieser Bestimmung auf die Vereinbarung einer Abrechnung nach Ausmass. Zudem schliesst sie aus dem Prozessverhalten der Beklagten, dass auch diese von einem solchen Abrech- nungsmodus und nicht von einem Pauschalpreis ausgegangen sei. Die Beklagte wirft der Vorinstanz eine bundesrechtswidrige objektivierte Auslegung des Werkvertrags zur Preisabrede vor.
3.1 Die Auslegung eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie nach dem übereinstimmenden tatsächlichen Willen der Parteien (Art. 18 Abs. 1 OR; BGE 125 III 305 E. 2b). Dessen empirische Feststellung ist eine vom Sachgericht zu beantwortende Tatfrage, welche der Kognition des Bundesgerichts im Berufungsverfahren von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen entzogen ist (BGE 126 III 375 E. 2e/aa S. 379 f. mit Hinweisen).
Liegt kein übereinstimmender tatsächlicher Parteiwille vor oder lässt sich ein solcher beweismässig nicht feststellen, ist der Vertrag, sofern nicht von einem konsenshindernden Dissens auszugehen ist, objektiviert so auszulegen, wie die Parteien ihn unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben verstehen durften und mussten. Diese normative Vertragsauslegung beschlägt Rechtsfragen, die dem Bundesgericht mit Berufung unterbreitet werden können. Gebunden ist es jedoch auch diesfalls an die tatsächlichen Feststellungen des Sachgerichts zum Inhalt der einzelnen Willenserklärungen und den Umständen, unter denen sie abgegeben wurden (BGE 126 III 375 E. 2e/aa S. 379 f. mit Hinweisen).
3.2 Das Kantonsgericht hat aus dem Prozessverhalten der Beklagten geschlossen, dass sie - wie die Klägerin - bei Vertragsschluss davon ausgegangen sei, die Arbeiten würden nicht pauschal sondern nach Ausmass abgerechnet. Dieser Schluss aus dem nachträglichen Verhalten aber hat den tatsächlichen und nicht den mutmasslichen Parteiwillen zum Gegenstand, beschlägt damit eine Tatfrage und ist der Überprüfung im Berufungsverfahren entzogen (BGE 107 II 417 E. 6).
Hat demnach das Kantonsgericht einen übereinstimmenden tatsächlichen Parteiwillen für das Bundesgericht verbindlich festgestellt, bleibt nach der gesetzlichen Rangordnung der Verständnismethoden für eine objektivierte Auslegung des Vertrags nach dem Vertrauensprinzip kein Raum. Auf die daherige Rüge der Beklagten wäre nur einzutreten, wenn das tatsächliche Auslegungsergebnis im Verfahren der kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde oder einer daran anschliessenden Verfassungsbeschwerde zu Fall gebracht worden wäre und sich danach die Frage stellen würde, ob die normative Ersatzbegründung vor dem Bundesrecht stand zu halten vermag (vgl. BGE 121 III 46 E. 2). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
4.
Die Vorinstanz hat die Beklagte ebenfalls zur Vergütung von Regiearbeiten verpflichtet. Die Beklagte hält dies für bundesrechtswidrig. Sie beruft sich auf den Vertragstext, wonach nicht visierte Regierapporte bei der Schlussabrechnung nicht berücksichtigt werden und schliesst daraus auf den Ausschluss einer Vergütungspflicht für Regiearbeiten, deren Rapporte bauherrenseits nicht unterzeichnet sind.
Regiearbeiten sind nach der Fachsprache der Berufsleute Arbeiten, die nach Aufwand vergütet werden und von einem Pauschalpreis oder einer Vergütung nach Ausmass und Einheitspreisen nicht erfasst werden (vgl. Art. 44 SIA-Norm 118 (Ausgabe 1977/1991); Gauch, Der Werkvertrag, 4. Aufl., Zürich 1996, Rz. 948). Des ungeachtet sind sie Teil des Werkvertrags und damit von der grundsätzlichen Vergütungspflicht erfasst (Art. 363 OR).
Nach den Branchenusanzen erstellt der Unternehmer für die einzelnen Regie- arbeiten Zeitrapporte, welche er der Bauherrschaft zur Gegenzeichnung vorlegt, und die mit der Gegenzeichnung eine tatsächliche Vermutung für den darin ausgewiesenen Aufwand begründen (Gauch, a.a.O. Rz. 1020 und 1028; Zindel/Pulver, Basler Kommentar, N 18 zu Art. 374 OR). Der nicht unterzeichnete Regierapport lässt daher nach diesen Usanzen nicht die Vergütungspflicht des Bestellers entfallen, sondern beschlägt ausschliesslich die Beweisführungslast des Unternehmers. Davon ist bundesrechtskonform auch die Vorinstanz ausgegangen. Dass die Parteien in ihrem Werkvertrag vereinbarten, nicht unterzeichnete Regierapporte blieben in der Schlussabrechnung unberücksichtigt, kann nach Treu und Glauben offensichtlich keine andere als eine bloss beweisrechtliche Bedeutung haben. Die Vertragsklausel ist mit der Vorinstanz normativ so zu verstehen, dass die Unternehmerin bei fehlender Gegenzeichnung der Regierapporte ihren Aufwand im Nachhinein noch zu beweisen hat und sich nicht auf die beweiserleichternde Unterschrift der Bestellerin als Anerkennung des unternehmerischen Aufwandes berufen kann. Die Auffassung der Beklagten dagegen würde die Vergütungspflicht für Regiearbeiten als solche in die Willkür der Bestellerin stellen, je nachdem ob sie bereit ist, die Rapporte zu unterzeichnen oder nicht. In diesem Verständnis aber wäre die Klausel als Knebelungsvertrag oder "contrat léonin" sittenwidrig und damit nichtig (Kramer, Berner Kommentar, N 225 f. zu Art. 19-20 OR). Die Beklagte vermag daher aus ihrem - unzutreffenden - Vertragsverständnis von vornherein nichts zu ihren Gunsten abzuleiten.
5.
Schliesslich rügt die Beklagte eine Verletzung von Art. 8 ZGB, weil die Vorinstanz ihrem Antrag auf Einholung einer Oberexpertise nicht stattgegeben habe.
Art. 8 ZGB gibt der beweisbelasteten Partei solange einen Anspruch auf die Abnahme prozesskonform beantragter und tauglicher Beweise, als das Sachgericht seine beweismässige Überzeugung noch nicht bundesrechtskonform gebildet hat. Dabei regelt das Bundesrecht weder die Zulässigkeit noch die Art noch die Würdigung der Beweismittel (BGE 127 III 519 E. 2a). Mit einem positiven Beweisergebnis aber werden Art. 8 ZGB und der darauf gestützte Beweisführungsanspruch gegenstandslos. Ein solcher kann daher aus der bundesrechtlichen Beweisvorschrift im Grundsatz nur geltend gemacht werden, wenn das Sachgericht bei angenommener Beweislosigkeit im non liquet nach der Beweislastregel entschieden oder seine Überzeugung zum Beweisergebnis bundesrechtswidrig gebildet hat, insbesondere bestrittene Parteibehauptungen unbesehen als richtig hingenommen oder über rechtserhebliche Tatsachen überhaupt nicht Beweis geführt hat (zum Gesamten BGE 114 II 289 E. 2). Davon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Darüber hinaus aber gibt Art. 8 ZGB keinen Anspruch auf die Anordnung einer Oberexpertise, auch nicht bei behaupteter Befangenheit des ersten Experten. Dessen Unabhängigkeit garantieren das kantonale Prozessrecht (vgl. BGE 124 I 34 E. 3d S. 39) und das Verfassungsrecht (BGE 125 II 541 E. 4a mit Hinweisen; 118 Ia 144 E. 1c S. 146;116 Ia 135 E. 2c), deren Verletzung nicht mit Berufung geltend gemacht werden kann (Art. 43 Abs. 1 OG). Eine Verletzung von Art. 8 ZGB scheidet demgegenüber aus. Auf die Rüge ist nicht einzutreten (BGE 119 II 84).
6.
Die Berufung ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beklagte kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG). Die von der Klägerin beanspruchte Parteientschädigung von Fr. 4'118.- ist tarifkonform (vgl. Art. 4 und 6 des Tarifs über die Entschädigungen an die Gegenpartei für das Verfahren vor dem Bundesgericht [RS 173.119.1]).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 5'000.- wird der Beklagten auferlegt.
3.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 4'118.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, III. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 24. Januar 2003
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: