Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 149/02
Urteil vom 27. Januar 2003
III. Kammer
Besetzung
Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Lustenberger; Gerichtsschreiber Widmer
Parteien
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI, Monbijoustrasse 36, 3011 Bern, Beschwerdeführerin,
gegen
B.________, 1959, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 17. Mai 2002)
Sachverhalt:
A.
Die 1959 geborene B.________ war seit 1994 in einem Teilzeitpensum von 50% als Psychologin bei den Psychiatrischen Diensten X.________ tätig. Daneben arbeitete sie freiberuflich während einiger Stunden wöchentlich als Psychotherapeutin. Nachdem sie das Arbeitsverhältnis auf Ende September 2001 gekündigt hatte, stellte sie am 11. Oktober 2001 Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab 1. Oktober 2001, wobei sie erklärte, eine Teilzeitarbeit im Umfang von 50% zu suchen. In den Bescheinigungen über Zwischenverdienst gab die Versicherte an, im Oktober 2001 ein Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit von Fr. 2'765.- und im November 2001 ein solches von Fr. 2'185.- erzielt zu haben. Gestützt auf die Angaben von B.________ zu dem von ihr im Jahr vor Eintritt der Arbeitslosigkeit durchschnittlich verdienten Einkommen aus selbstständiger Nebenerwerbstätigkeit (Fr. 1'898.- im Monat) eröffnete ihr die Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie (GBI) mit Schreiben vom 13. Dezember 2001, dass im Falle einer Erweiterung des Nebenverdienstes die über Fr. 1'898.- im Monat liegenden Einkünfte als Zwischenverdienst abgerechnet werden müssten.
Mit Abrechnungen vom 14. Dezember 2001 setzte die Arbeitslosenkasse die Arbeitslosenentschädigung von B.________ für die Monate Oktober und November 2001 fest, wobei sie Einkünfte von Fr. 867.- (Oktober ) und Fr. 287.- (November) als Zwischenverdienst anrechnete.
B.
B.________ führte gegen diese Abrechnungen Beschwerde und beantragte, bei der Festlegung der Arbeitslosenentschädigung seien die Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ausser Acht zu lassen. In Gutheissung der Beschwerde hob das Verwaltungsgericht des Kantons Bern die Abrechnungen vom 14. Dezember 2001 auf. Es hielt fest, dass das Einkommen aus der Tätigkeit als selbstständige Psychotherapeutin nur dann als Zwischenverdienst zu gelten hätte, wenn die Versicherte ihren selbstständigen Erwerb erweitert hätte. Dies treffe so lange nicht zu, als ihr Pensum 20% nicht übersteige. Da sie durchschnittlich weniger als 20% (8,36 Stunden in der Woche) selbstständig arbeite, liege kein Zwischenverdienst vor (Entscheid vom 17. Mai 2002).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Arbeitslosenkasse, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
B.________ lässt sich nicht vernehmen, während das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Stellungnahme verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Nach Art. 24 AVIG gilt als Zwischenverdienst jedes Einkommen aus unselbstständiger oder selbstständiger Erwerbstätigkeit, das der Arbeitslose innerhalb einer Kontrollperiode erzielt (Abs. 1). Der Versicherte hat innerhalb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls für Tage, an denen er einen Zwischenverdienst erzielt. Der anzuwendende Entschädigungssatz bestimmt sich nach Art. 22 (Abs. 2 Sätze 1 und 2). Als Verdienstausfall gilt die Differenz zwischen dem in der Kontrollperiode erzielten Zwischenverdienst, mindestens aber dem berufs- und ortsüblichen Ansatz für die betreffende Arbeit, und dem versicherten Verdienst (Abs. 3 Satz 1).
Nach der Rechtsprechung hat der Versicherte so lange Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls nach Art. 24 Abs. 1bis 3 AVIG, als er in der fraglichen Kontrollperiode nicht eine zumutbare Arbeit im Sinne von Art. 16 AVIG aufnimmt. Nimmt der Versicherte während der streitigen Kontrollperiode eine - insbesondere lohnmässig - zumutbare Arbeit auf, mithin eine Tätigkeit, die ihm ein Einkommen verschafft, welches zumindest dem Betrag der Arbeitslosenentschädigung entspricht, bleibt für die Annahme eines Zwischenverdienstes kein Raum (BGE 120 V 250 ff. Erw. 5c, 512 Erw. 8c; vgl. auch BGE 121 V 54 Erw. 2 und 359 Erw. 4b). Als Zwischenverdienst gilt grundsätzlich auch das Einkommen, das in Fortführung der bisherigen Arbeit in zeitlich reduziertem Umfang erzielt wird (BGE 120 V 514 Erw. 9; vgl. auch BGE 122 V 433). Diese zum Anspruch auf Differenzausgleich bei Zwischenverdienst nach Art. 24 AVIG (in der bis Ende 1995 gültig gewesenen Fassung) ergangene Rechtsprechung ist auch unter der Herrschaft des neuen (seit 1. Januar 1996 in Kraft stehenden) Rechts anwendbar (SVR 1999 ALV Nr. 8 S. 21 Erw. 2). Gemäss dem im nämlichen Urteil als gesetzmässig erklärten Art. 41a Abs. 1 AVIV (in der seit 1. Januar 1997 gültigen Fassung) besteht innerhalb der Rahmenfrist für den Leistungsbezug ein Anspruch auf Kompensationszahlungen, wenn das Einkommen geringer ist als die dem Versicherten zustehende Arbeitslosenentschädigung. Gemäss BGE 127 V 479 sind bei der Prüfung des Anspruchs auf Differenzausgleich Einkommen aus mehreren Teilzeittätigkeiten zu addieren. Ein Anspruch auf Kompensationszahlungen besteht nur, wenn das gesamte Einkommen der versicherten Person geringer ist als die mögliche Arbeitslosenentschädigung.
2.
Es steht fest und ist unbestritten, dass die Weiterführung der von der Versicherten vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ausgeübten, nicht versicherten selbstständigen Arbeit im bisherigen Umfang keinen Zwischenverdienst darstellt. Streitig und zu prüfen ist hingegen, ob der Beschwerdegegnerin das in den Monaten Oktober und November 2001 als selbstständige Psychotherapeutin erzielte Einkommen als Zwischenverdienst anzurechnen ist, soweit es den bisherigen durchschnittlichen Monatsverdienst aus selbstständiger Nebenerwerbstätigkeit in der Zeit von Oktober 2000 bis September 2001 in der Höhe von Fr. 1'898.- überstiegen hat.
3.
Das kantonale Gericht gelangte zur Auffassung, als Zwischenverdienst könne nur die Teilzeitbeschäftigung des Teilarbeitslosen angesehen werden, die für die dem Arbeitsausfall entsprechende Zeit angenommen wurde, ohne dass sie die Teilarbeitslosigkeit beendete. Dies treffe hier nicht zu. Die Beschwerdegegnerin habe ihren selbstständigen Erwerb nicht erweitert, sondern sei nach wie vor im bisherigen Rahmen von etwa 20% als selbstständige Psychotherapeutin tätig.
Die Arbeitslosenkasse macht demgegenüber geltend, dass alle aktuell erzielten Einkommen als Zwischenverdienst abzurechnen seien. Lägen diese gesamthaft unter 70% oder 80% des versicherten Verdienstes, sei der Verdienstausfall zu entschädigen.
4.
Die Beantwortung der hier interessierenden Frage, ob in den Kontrollperioden Oktober und November 2001 im Vergleich zu den zwölf vorangegangenen Monaten eine Erweiterung der selbstständigen Erwerbstätigkeit angenommen werden muss, hängt davon ab, ob auf die zeitliche Beanspruchung der Beschwerdegegnerin oder die Höhe des erzielten Verdienstes abzustellen ist. Da nach Art. 41a Abs. 1 AVIV und der Rechtsprechung (BGE 127 V 479) das (gesamthaft) erzielte Einkommen und nicht der Beschäftigungsgrad für den Anspruch auf Kompensationszahlungen bei Zwischenverdienst massgebend ist, erscheint es naheliegend, für die Beurteilung der Frage, ob ein Zwischenverdienst erzielt wird, oder ob es lediglich um die Fortführung der bisherigen selbstständigen Nebenerwerbstätigkeit geht, ebenfalls auf die Höhe der erwirtschafteten Einkünfte und nicht auf die zeitliche Inanspruchnahme abzustellen. Würde die Beschwerdegegnerin den Nebenverdienst in unselbstständiger Stellung erzielen, wäre ebenfalls von der Höhe des Einkommens auszugehen.
Da die Beschwerdegegnerin im Vergleichszeitraum von Oktober 2000 bis September 2001 im Durchschnitt nur zu rund 12% und somit deutlich weniger als die von ihr angestrebten 20% eines Vollzeitpensums als selbstständige Psychotherapeutin tätig war, hätte ein Abstellen auf den von der Versicherten anvisierten Beschäftigungsgrad von 20% zur Folge, dass sie ihren selbstständigen Erwerb in erheblichem Umfang ausdehnen, damit den Verdienstausfall, der aus dem Verlust der Arbeitsstelle bei den Psychiatrischen Diensten X.________ resultiert, teilweise kompensieren und gleichzeitig für den nämlichen Verdienstausfall Arbeitslosenentschädigung beziehen könnte.
Der Zeitraum von einem Jahr, den die Arbeitslosenkasse zu Vergleichszwecken herangezogen hat, ist ausreichend, um festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin ihre Nebenerwerbstätigkeit in den im Streit liegenden Kontrollperioden erweitert hat. Da ihre Einkünfte im Oktober und im November 2001 über dem Durchschnittswert von Fr. 1'898.- (Oktober 2000 bis September 2001) lagen, hat die Arbeitslosenkasse diese zu Recht als Zwischenverdienst abgerechnet, weil damit eine Erweiterung der Nebenerwerbstätigkeit ausgewiesen ist und ein Teil des Verdienstausfalls, der durch die Aufgabe der Teilzeitstelle von 50% entstanden ist, ausgeglichen wird.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 17. Mai 2002 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA), Abteilung Arbeitsvermittlung, Rechtsdienst, Bern, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 27. Januar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: