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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
U 485/00
Urteil vom 26. Februar 2003
II. Kammer
Besetzung
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ferrari; Gerichtsschreiber Fessler
Parteien
C.________, 1960, Portugal, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dominique Chopard, Werdstrasse 36, 8004 Zürich,
gegen
SOLIDA Versicherungen AG, Saumackerstrasse 35, 8048 Zürich, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Marianne I. Sieger, Kuttelgasse 8, 8001 Zürich
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
(Entscheid vom 18. Oktober 2000)
Sachverhalt:
A.
Der 1960 geborene, aus Portugal stammende C.________ arbeitete seit 1989 als Saisonnier auf dem Bauernhof X.________. Aufgrund dieser Tätigkeit war er obligatorisch gegen die gesundheitlichen und erwerblichen Folgen von Unfällen versichert, und zwar bei der Krankenkasse Z.________ für Heilbehandlung und Taggeld, bei der SOLIDA Versicherungen AG für Invalidenrente und Integritätsentschädigung. Am 12. September 1994 verletzte sich C.________ bei der Arbeit, als das Hinterrad eines rückwärts fahrenden Traktors über seinen linken Fuss fuhr. Es wurde ein Quetschtrauma und eine Trümmerfraktur der Fusswurzeln und des Mittelfusses links diagnostiziert. Nach einem Aufenthalt im Spital Y.________, wo er osteosynthetisch versorgt wurde, und einem zweimonatigen Heimaturlaub arbeitete C.________ 1995 teilzeitlich wieder auf dem Bauernhof X.________. Die behandelnden Ärzte attestierten eine Arbeitsfähigkeit von 50 %. Wegen persistierender Beschwerden bei posttraumatischer Fehlstellung des Mittelfusses mit Defektheilungen der Fraktur und Arthrose wurden am 12. März 1997 mehrere Fusswurzelarthrodesen links durchgeführt. Trotz komplikationslosem Heilungsverlauf verblieben Restbeschwerden. Aus ärztlicher Sicht bestand eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit als Landarbeiter.
Die Krankenkasse Z.________ erbrachte bis 31. Januar 1996 sowie vom 11. März 1997 bis 31. Mai 1998 Taggeldleistungen und übernahm die Heilbehandlung. Die SOLIDA sprach C.________ mit Verfügung vom 1. April 1996 eine Integritätsentschädigung von Fr. 29'160.- (Integritätseinbusse: 30 %) zu. Dagegen verneinte sie den Anspruch auf eine Invalidenrente. Auf Einsprache hin teilte die SOLIDA dem Rechtsvertreter des Versicherten mit Schreiben vom 29. Oktober 1996 mit, sie sistiere das Verfahren im Hinblick auf die in Aussicht stehende unfallbedingte Behandlung (Arthrodesierung), was gemäss Auskunft der IV-Stelle des Kantons Aargau zur Folge habe, dass weitere allfällige Massnahmen der Invalidenversicherung zurückgestellt würden. Mit Einspracheentscheid vom 1. Februar 2000 bestätigte die SOLIDA ihre Verfügung vom 1. April 1996.
B.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde des C.________ hob das Versicherungsgericht des Kantons Aargau den Einspracheentscheid vom 1. Februar 2000 insoweit auf, dass es die SOLIDA verpflichtete, vom 1. Februar 1996 bis 10. März 1998 eine (masslich noch festzusetzende) Übergangsrente für eine Invalidität von 50 % zu entrichten. Im Übrigen wies es das Rechtsmittel ab (Entscheid vom 18. Oktober 2000).
C.
C.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in teilweiser Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides sei ihm ab 1. Juni 1998 eine Invalidenrente auf der Basis einer Erwerbsunfähigkeit von mindestens 40 % auszurichten.
Die SOLIDA beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Invalidenrente nach Unfallversicherungsgesetz ab 1. Juni 1998. Die für die Beurteilung dieser Frage massgeblichen Rechtsgrundlagen werden im angefochtenen Entscheid richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheids (hier: 1. Februar 2000) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). Das Gleiche gilt für das am 1. Juni 2002 in Kraft getretene Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten anderseits über die Freizügigkeit (APF; vgl. Erw. 1 des zur Publikation in der Amtlichen Sammlung bestimmten Urteils S. vom 9. August 2002 [C 357/01]).
2.
2.1 Das kantonale Gericht hat für den Zeitpunkt des allfälligen Rentenbeginns (1. Juni 1998) einen Einkommensvergleich nach Massgabe von Art. 18 Abs. 2 UVG durchgeführt. Das Valideneinkommen hat die Vorinstanz ausgehend vom 1994 erzielten Monatslohn von Fr. 2745.- unter Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung auf Fr. 2841.- festgesetzt. Beim Invalideneinkommen ist das kantonale Gericht im Wesentlichen gestützt auf das Gutachten des Dr. med. P.________ vom 26. Januar 1996 davon ausgegangen, auch ohne berufliche Eingliederung seien einfache und repetitive Aufgaben (Hilfsarbeitertätigkeiten) in überwiegend sitzender Position zu 100 % zumutbar. Aufgrund der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 1996 des Bundesamtes für Statistik (LSE 96) könnte somit der Versicherte, so die Vorinstanz, bei einem monatlichen Bruttolohn von Fr. 4294.- (S. 17 Tabelle A1 [Privater Sektor, Anforderungsniveau 4]) oder Fr. 4498.- bei einer betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41,9 Stunden unter Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung einen Verdienst von Fr. 4536.- im Monat erzielen (vgl. BGE 124 V 322 f. Erw. 3b/aa). Ein nach der Gerichtspraxis an sich zulässiger Abzug vom Tabellenlohn (vgl. dazu BGE 126 V 75) sei nicht gerechtfertigt. Bei einem Valideneinkommen von Fr. 2841.- und einem Invalideneinkommen von Fr. 4530.- bestehe keine gesundheitlich bedingte Erwerbseinbusse und damit keine Invalidität. Dies gelte selbst wenn ein leidensbedingter Abzug von 25 % gewährt werde, was zu einem Invalideneinkommen von Fr. 3402.- führte. Ein Rentenanspruch sei somit nicht gegeben.
2.2 Die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung wird in verschiedener Hinsicht beanstandet. In Bezug auf das Valideneinkommen wird vorgebracht, aufgrund der IV-Akten sei erstellt, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland wesentlich länger als Bauarbeiter tätig gewesen sei als die 5,5 Saisons als Landarbeiter in der Schweiz. Die Annahme des kantonalen Gerichts, der Versicherte hätte bis zur Pensionierung in der Landwirtschaft gearbeitet, treffe daher nicht zu. Auch wegen der tiefen Entlöhnung in diesem Sektor sei zu vermuten, dass er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung früher oder später erneut im Baugewerbe tätig gewesen wäre. In diesem Zusammenhang sei auch zu beachten, dass ab 1991 in der Schweiz ein massiver Anstieg der Arbeitslosigkeit zu verzeichnen gewesen sei. Davon sei insbesondere auch der Bausektor stark betroffen gewesen. Hätte ein ausgeglichener Arbeitsmarkt bestanden, wäre der Beschwerdeführer in diesem Bereich tätig gewesen, wie vor seiner Einreise in die Schweiz während Jahren. Das Valideneinkommen sei daher gemäss den Löhnen im Baugewerbe zu bestimmen unter Berücksichtigung der langjährigen Berufserfahrung. Dies ergebe für 1998 Fr. 5133.- im Monat (Fr. 4900.- [monatlicher Bruttolohn für Männer im Baugewerbe, Privater Sektor, Anforderungsniveau 3; vgl. LSE 98 S. 25 Tabelle A1] x 41,9/40).
Im Weitern wird geltend gemacht, das kantonale Gericht habe beim Einkommensvergleich die branchenspezifische Minderentlöhnung unberücksichtigt gelassen. Die Durchschnittslöhne in den strukturschwachen Branchen (Landwirtschaft, Gartenbau, Gastgewerbe) seien verglichen mit dem über den gesamten privaten Sektor gemittelten Verdienst sehr tief (Fr. 3351.- zu Fr. 4268.- gemäss LSE 98 S. 25 Tabelle A1). Nach der Praxis (ZAK 1989 S. 456) sei diese erhebliche Diskrepanz als invaliditätsfremd beim Einkommensvergleich zu berücksichtigen, indem beim Invalideneinkommen ein entsprechender Abzug gemacht oder das Valideneinkommen ebenfalls aufgrund der LSE bestimmt werde. Sinngemäss rechtfertige sich diese Berechnungsweise auch deshalb, weil dem invaliden Versicherten unter dem Titel Schadenminderungspflicht eine Lohnsteigerung zugemutet werde. Folglich müsse ihm unter dem Gesichtspunkt der Rechtsgleichheit diese finanzielle Verbesserung auch beim Validenlohn zugestanden werden.
Schliesslich wird vorgebracht, die Vorinstanz habe zu Unrecht keinen leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn gewährt. Der Beschwerdeführer sei unbestrittenermassen nicht in der Lage, nach längerem Sitzen die Arbeitsposition flexibel zu wechseln. Dies wirke sich am Arbeitsplatz ohne Zweifel aus und sei daher angemessen zu berücksichtigen.
3.
3.1 Unter dem Valideneinkommen ist der Verdienst zu verstehen, welchen die versicherte Person als Gesunde tatsächlich erzielen würde (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 97, ZAK 1992 S. 92 Erw. 4a, 1961 S. 367; vgl. auch BGE 125 V 157 Erw. 5c/bb). Massgebend ist, was sie aufgrund ihrer beruflichen Fähigkeiten und persönlichen Umstände zu erwarten (gehabt) hätte. Die berufliche Weiterentwicklung ist zu berücksichtigen, wenn und soweit hiefür hinreichend konkrete Anhaltspunkte bestehen (Kursbesuche, Aufnahme eines Studiums etc.; BGE 96 V 29, ZAK 1985 S. 635 Erw. 3a sowie RKUV a.a.O. S. 100 f. Erw. 3b). Da nach empirischer Feststellung in der Regel die bisherige Tätigkeit im Gesundheitsfall weitergeführt worden wäre, ist Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Valideneinkommens häufig der zuletzt erzielte, der Teuerung sowie der realen Einkommensentwicklung angepasste Verdienst (RKUV a.a.O. S. 101 Erw. 3b am Ende; vgl. auch ZAK 1990 S. 519 Erw. 3c).
3.2 Im Lichte dieser Grundsätze stellt die mehr- oder langjährige Tätigkeit beim gleichen Arbeitgeber ein gewichtiges Indiz dar, dass die versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung weiterhin am selben Ort und in der selben Funktion tätig wäre. Der Umstand allein, dass sie früher während Jahren eine andere, besser entlöhnte Tätigkeit ausgeübt hatte, kann nicht zur gegenteiligen Annahme führen. Daraus kann allenfalls auf die Möglichkeit eines früheren oder späteren Stellenwechsels zurück in den angestammten Bereich geschlossen werden. Das genügt indessen nicht. Vielmehr müssen weitere Umstände dazukommen, welche die Ausübung der schlechter bezahlten Arbeit in dem Sinne als von absehbarer Dauer erscheinen lassen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die versicherte Person bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit wieder in den angestammten Bereich mit besseren Verdienstmöglichkeiten hinüber gewechselt hätte (vgl. RKUV 1993 Nr. U 168 S. 102 Erw. 4b). Dabei ist unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zu berücksichtigen, dass von den Versicherten nicht verlangt werden kann, nach Antritt einer neuen Stelle sofort und in der Folge ständig eine von der Ausbildung und der bisherigen beruflichen Tätigkeit her in Betracht fallende besser bezahlte Arbeit zu suchen. Anderseits ist eine angespannte Arbeitsmarktlage im angestammten Bereich für sich allein genommen nicht ausreichend. Namentlich wenn die schlechter bezahlte Tätigkeit bereits seit mehreren Jahren ausgeübt wurde, ist der Nachweis erforderlich, dass während dieser Zeit tatsächlich wieder in die ursprüngliche Branche zurück gewechselt werden wollte. Fehlen jegliche Anhaltspunkte für solche Bemühungen, ist anzunehmen, dass sich die versicherte Person auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigung voraussichtlich weiterhin mit einer schlechter entlöhnten Erwerbstätigkeit begnügte.
Im vorliegenden Fall stand der Beschwerdeführer unbestrittenermassen in seiner sechsten Saison als Landarbeiter. Es fehlen Hinweise in den Akten, dass er in der Zeit von 1989 bis 1994 ernstlich versucht hätte, in der angestammten Baubranche eine Stelle zu finden. Dies wird denn auch nicht geltend gemacht, ebenso wenig, dass der fremdenpolizeiliche Status als Saisonnier solche Bemühungen übermässig erschwerte oder sogar verunmöglichte. Es besteht daher kein Anlass, beim Valideneinkommen nicht auf den zuletzt als Landarbeiter erzielten, der Nominallohnentwicklung angepassten Verdienst abzustellen.
3.3 Im Weitern gilt für die Invaliditätsbemessung zwar allgemein der Grundsatz, dass beim Einkommensvergleich nach Art. 18 Abs. 2 UVG invaliditätsfremde Gesichtspunkte (Ausbildung, Sprache, Herkunft, familiäres Umfeld etc.) überhaupt nicht oder dann bei beiden Vergleichsgrössen gleichmässig zu berücksichtigen sind (RKUV 1993 Nr. U 168 S. 104 Erw. 5b, ZAK 1989 S. 458 oben, AHI 1999 S. 240 unten sowie Urteil S. vom 29. August 2002 [I 97/00] Erw. 1.4 mit Hinweisen). Diese Regel bedeutet konkret, dass ein verglichen mit den branchenüblichen Löhnen tiefer, als Valideneinkommen angenommener tatsächlicher Verdienst vor Eintritt der Invalidität unter Umständen eine entsprechende Reduktion des Invalideneinkommens rechtfertigt (vgl. die erwähnten Präjudizien). Ein solcher Tatbestand ist vorliegend indessen entgegen den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht gegeben. Der als Landarbeiter zuletzt bezogene Lohn liegt im Normbereich gemäss den Richtlinien des Luzerner Bauernverbandes und kann daher nicht als branchenunüblich tief bezeichnet werden. Dass in der Landwirtschaft im Vergleich zum gesamten privaten Sektor im Durchschnitt sehr tiefe Löhne bezahlt werden, stellt nicht einen untrennbar mit der Person des Versicherten verbundenen invaliditätsfremden Faktor dar. Für volkswirtschaftliche strukturell bedingte Lohnunterschiede auf dem Arbeitsmarkt hat die Invalidenversicherung jedoch nicht aufzukommen.
3.4 Nach dem Gesagten kann offen bleiben, inwiefern beim Invalideneinkommen ein (leidensbedingter) Abzug vom Tabellenlohn gerechtfertigt ist. Selbst eine maximal zulässige Reduktion von 25 % ergäbe ein Invalideneinkommen, welches höher ist als das Valideneinkommen. Somit besteht keine Invalidität im Rechtssinne, was den Anspruch auf eine Rente ausschliesst.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 26. Februar 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber:
i.V.