Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
U 250/02
Urteil vom 10. März 2003
IV. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Ackermann
Parteien
S.________, 1947, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Dr. Charles Wick, Schwanengasse 8, 3011 Bern,
gegen
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 28. Juni 2002)
Sachverhalt:
A.
S.________, geboren 1947, arbeitet seit Januar 1996 als Buffetmitarbeiterin für die Genossenschaft X.________ und ist bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) unfallversichert. Am 17. März 2000 rutschte sie in der Küche ihres Arbeitsplatzes aus und fiel auf das linke Knie, wobei sie einen Schmerz in der rechten Schulter verspürte. Der gleichentags aufgesuchte Hausarzt Dr. med. W.________, Arzt für allgemeine Medizin FMH, diagnostizierte eine Rotatorenmanschettenruptur rechts, die am 15. Mai 2000 durch Dr. med. J.________, Chefarzt Chirurgie des Spitals Y.________, operiert wurde und einen guten Erfolg zeitigte; ab dem 27. September 2000 arbeitet S.________ im Umfang von 50 % in ihrer angestammten Tätigkeit. Die SUVA zog zahlreiche medizinische Berichte bei und klärte den Arbeitsplatz ab. Mit Schreiben vom 12. Juni 2001 stellte sie mit Wirkung ab dem 31. Juli 2001 ihre Taggeld- und Heilkostenleistungen ein und richtete mit Verfügung vom 15. August 2001 eine Integritätsentschädigung aufgrund einer Integritätseinbusse von 5 % aus, während sie den Anspruch auf eine Invalidenrente verneinte, da S.________ ihre bisherige Tätigkeit als Buffetmitarbeiterin ohne zeitliche Limitierung ausüben könne. Mit Einspracheentscheid vom 18. Oktober 2001 bestätigte die SUVA ihre Verfügung, wobei sie davon ausging, dass betreffend Integritätsentschädigung keine Einsprache erhoben worden sei.
B.
Die gegen den Einspracheentscheid der SUVA erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 28. Juni 2002 ab, soweit es darauf eintrat.
C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides seien die Akten zur weiteren Sachverhaltsabklärung und zu neuem Entscheid an das kantonale Gericht zurückzuweisen, eventualiter sei ihr eine Invalidenrente in Höhe von 50 % zuzusprechen. Im Weiteren sei ihr eine Integritätsentschädigung in gerichtlich zu bestimmender und 5 % übersteigender Höhe auszurichten, eventualiter seien die Akten auch in diesem Punkt zur weiteren Abklärung und neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die SUVA schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung verzichtet.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Versicherte rügt vorab, dass die Einsprache gegen die Verfügung von August 2001 zumindest implizit auch die Höhe der ausgerichteten Integritätsentschädigung umfasst habe; es sei dabei insbesondere der Charakter als Laieneinsprache zu berücksichtigen.
1.1 Mit Schreiben vom 14. September 2001 erhob die Beschwerdeführerin "Einsprache gegen die obgenannte Verfügung insbesondere die Zumutbarkeitsbeurteilung betreffend die Tätigkeit als Buffetmitarbeiterin und der daraus abgeleiteten Ablehnung einer Rentenleistung." Als Begründung wurde angeführt, dass ein ganztägiger Arbeitsversuch wegen Schmerzen abgebrochen werden musste, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, die bisherige Tätigkeit sei ohne zeitliche Limitierung durchführbar; im Weitern wurde die Neubeurteilung (eventuell durch ein unabhängiges Gutachten) der bestehenden hälftigen Arbeitsfähigkeit beantragt.
1.2 Es ist im Sinne des Rügeprinzips auch im Einspracheverfahren in erster Linie Sache der Versicherten, den zu überprüfenden Gegenstand zu bestimmen. Die SUVA hat die streitige Verfügung in der Regel nur insoweit zu überprüfen, als sie angefochten ist und aufgrund der Parteivorbringen oder anderer sich aus den Akten ergebender Anhaltspunkte hinreichender Anlass zur Überprüfung besteht (BGE 119 V 350 Erw. 1b). Dies ist vorliegend nicht gegeben: Die Einsprache bezieht sich weder explizit noch sinngemäss auf die Integritätsentschädigung, da sich die Begründung auf die Frage der Zumutbarkeit der ganztägigen Erwerbstätigkeit beschränkt. Entgegen der Auffassung in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde ergibt sich aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" im Text der Einsprache (vgl. Erw. 1.1 hievor) kein anderes Ergebnis, denn der Begriff "insbesondere" bezieht sich auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Rentenanspruchs, die neben den rechtlichen Grundsätzen in der Verfügung wiedergegeben sind. Im Übrigen fällt die Integritätsentschädigung in der Verfügung der SUVA von August 2001 sowohl inhaltlich als auch graphisch dermassen auf, dass sie von der Versicherten - hätte sie sich damit nicht einverstanden erklären können - in der Einsprache explizit erwähnt worden wäre. Es muss folglich bei der Feststellung bleiben, dass die Verfügung vom 15. August 2001 bezüglich der Integritätsentschädigung in Rechtskraft erwachsen und einer Überprüfung durch das Eidgenössische Versicherungsgericht entzogen ist; insoweit ist auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde deshalb nicht einzutreten.
2.
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Einspracheentscheides, der an die Stelle der vorgängig erlassenen Verfügung tritt (BGE 119 V 350 Erw. 1b mit Hinweisen; hier: 18. Oktober 2001), eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen anwendbar.
2.2 Wird der Versicherte infolge eines Unfalles invalid, so hat er Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG). Als invalid gilt, wer voraussichtlich bleibend oder für längere Zeit in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist (Art. 18 Abs. 2 Satz 1 UVG). Für die Bestimmung des Invaliditätsgrades wird das Erwerbseinkommen, das der Versicherte nach Eintritt der unfallbedingten Invalidität und nach Durchführung allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihm zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das er erzielen könnte, wenn er nicht invalid geworden wäre (Art. 18 Abs. 2 Satz 2 UVG).
3.
Streitig ist der Invaliditätsgrad und in diesem Zusammenhang die Frage der Arbeitsfähigkeit.
3.1 Die Vorinstanz hat auf die Einschätzung des SUVA-Arztes Dr. med. G.________ sowie auf die von der SUVA vorgenommenen Abklärungen am Arbeitsplatz abgestellt und eine vollständige Arbeitsfähigkeit in der bisherigen Tätigkeit angenommen. Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Auffassung, dass der rechtserhebliche Sachverhalt nicht genügend abgeklärt worden sei, da Widersprüche zwischen den medizinischen Berichten des SUVA-Arztes Dr. med. G.________ und denjenigen des Dr. med. J.________ vorlägen; zudem habe der SUVA-Arzt die Entzündungen im Schulterbereich nicht berücksichtigt. Im Übrigen habe das kantonale Gericht durch Verzicht auf ein Parteiverhör und einen Augenschein das rechtliche Gehör der Versicherten verletzt.
3.2 Der SUVA-Arzt Dr. med. G.________ hat die Beschwerdeführerin am 4. April 2001 untersucht und am 4. Juli 2001 - nach Eingang des Inspektorenberichts über den Arbeitsplatz sowie eines Schreibens des Dr. med. J.________ vom 15. Juni 2001 - aufgrund der Akten eine weitere ärztliche Beurteilung vorgenommen; in diesen beiden Berichten kommt der Arzt klar zum Ergebnis, dass ein ganztägiger Einsatz als Buffetmitarbeiterin zumutbar ist. Diese Berichte sind für die streitigen Belange umfassend, beruhen auf allseitigen Untersuchungen (wobei am 4. April 2001 insbesondere die rechte Schulter genau untersucht worden ist), berücksichtigen die geklagten Beschwerden und sind in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden; zudem sind die Ausführungen in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen Situation einleuchtend und beinhalten begründete Schlussfolgerungen (BGE 125 V 352 Erw. 3a). Die Berichte des Dr. med. J.________ sind weder geeignet, zu einer anderen Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zu führen, noch vermögen sie Zweifel an der Zuverlässigkeit der Ausführungen des SUVA-Arztes Dr. med. G.________ zu wecken (vgl. BGE 125 V 353 Erw. 3b/ee), beruhen sie doch auf einer nicht ganz korrekten Einschätzung des Arbeitsplatzes der Beschwerdeführerin: So geht Dr. med. J.________ davon aus, dass die Versicherte während der Tätigkeit als Kassiererin Tablette entgegennehmen müsse, was jedoch in Anbetracht des Selbstbedienungsbetriebes nicht der Fall ist. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass auch Dr. med. J.________ die konkret ausgeübte Stelle nicht an sich, sondern einzig im zeitlichen Rahmen als unzumutbar erachtet. Die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde erwähnten Entzündungen sowie das Verbot des Dr. med. J.________, die Arbeit zu mehr als 50 % auszuüben, finden keinerlei Anhaltspunkte in den jeweiligen Berichten und insbesondere auch nicht im Schreiben vom 15. Juni 2001, in welchem Dr. med. J.________ die (ganztägige) Zumutbarkeit der ausgeübten Tätigkeit in Frage stellt. Damit sind die geltend gemachten Entzündungen allenfalls erst nach dem praxisgemäss massgebenden Zeitpunkt des Einspracheentscheides (RKUV 2001 Nr. U 419 S. 101 Erw. 2) aufgetreten; diese mögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann unter Umständen im Rahmen eines zeitlich nach dem Einspracheentscheid eingetretenen Rückfalls resp. einer Spätfolge (dazu RKUV 1997 Nr. U 275 S. 191 Erw. 1c mit Hinweisen) geltend gemacht werden.
3.3 Damit ist davon auszugehen, dass der Versicherten die Tätigkeit als Buffetmitarbeiterin ganztägig zumutbar wäre und in der Folge keine rentenbegründende Invalidität vorliegt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern ein Parteiverhör oder ein Augenschein an diesem Ergebnis etwas ändern sollten (antizipierte Beweiswürdigung, BGE 124 V 94 Erw. 4b); im Übrigen konnte die Beschwerdeführerin ihren Standpunkt ausführlich schriftlich darlegen und es liegt eine ausführliche Beschreibung des Arbeitsplatzes vor.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, dem Bundesamt für Sozialversicherung und der ASSURA Kranken- und Unfallversicherung, Marly, zugestellt.
Luzern, 10. März 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: