Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1P.76/2003 /sta
Urteil vom 17. März 2003
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesrichter Reeb, Catenazzi,
Gerichtsschreiberin Leuthold.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Bernhard Rüdt, Gutenbergstrasse 3, 3011 Bern,
gegen
Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII
Bern-Laupen, Fürsprecherin A.________, Amthaus, 3011 Bern,
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern,
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern.
Gegenstand
Art. 30 BV und Art. 6 EMRK (Ablehnung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 7. Januar 2003.
Sachverhalt:
A.
Der im Dezember 1994 geborene B.________ hatte nach einem operativen Eingriff am 22. März 1996 im Aufwachraum einer Klinik im Kanton Bern einen Atem- und Kreislaufstillstand, der zu einem schweren Hirnschaden des Knaben führte. In der Folge wurde gegen den bei der Operation zuständigen Anästhesiearzt X.________ sowie gegen C.________, die damals als Aufwachschwester tätig war, und gegen D.________, den Leiter der Tagesklinik und Verantwortlichen für die Weiterbildung des Personals, eine Strafuntersuchung durchgeführt. Mit Antrag und Beschluss der Untersuchungsrichterin 12 des Untersuchungsrichteramtes III Bern-Mittelland und des Prokurators 3 der Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland vom 13. Juni/10. Juli 2002 wurden X.________, C.________ und D.________ dem Strafeinzelgericht des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen zur Beurteilung wegen der Anschuldigung der fahrlässigen schweren Körperverletzung, begangen am 22. März 1996 zum Nachteil von B.________, überwiesen.
Mit Schreiben vom 10. Juli 2002 verfasste der Prokurator "Bemerkungen und Hinweise" zuhanden des urteilenden Strafeinzelgerichts. Er hielt in einer Vorbemerkung fest, aus zeitlichen Gründen, aber auch weil die Anliegen der Anklage in der Hauptverhandlung durch die Privatklägerschaft vertreten würden, verzichte er auf ein persönliches Erscheinen an der Hauptverhandlung. Die Staatsanwaltschaft sei jedoch gestützt auf Art. 280 Abs. 5 des Gesetzes über das Strafverfahren des Kantons Bern (StrV) befugt, schriftlich Anträge zu stellen. Er mache von diesem Recht insofern Gebrauch, als er dem Überweisungsbeschluss einige Bemerkungen und Hinweise zur Sache beifüge. Hingegen verzichte er darauf, formell Anträge zu stellen, weil er das Beweisergebnis aus der Hauptverhandlung weder vorwegnehmen könne noch antizipieren wolle.
Die für den Straffall zuständige Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen setzte im Oktober 2002 den Termin für die Hauptverhandlung auf den 11. bis 13. Februar 2003 fest. Mit einer an die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern gerichteten Eingabe vom 6. Dezember 2002 lehnte X.________ die Gerichtspräsidentin wegen Befangenheit und Zweifeln an ihrer Unparteilichkeit ab. Er beantragte, das Ablehnungsgesuch sei gutzuheissen und die abgelehnte Richterin sei "durch eine Gerichtsperson vorzugsweise eines andern Gerichtskreises, allenfalls desselben Gerichtskreises, zu ersetzen". Im Weiteren stellte er das Begehren, bevor ein neuer Richter oder eine neue Richterin bestimmt werde, sei die Eingabe des Prokurators vom 10. Juli 2002 betreffend "Bemerkungen und Hinweise" aus den Akten zu entfernen.
Mit Beschluss vom 7. Januar 2003 wies die Anklagekammer das Ablehnungsgesuch ab (Ziff. 1 des Dispositivs). Den Antrag, die Eingabe des Prokurators vom 10. Juli 2002 sei aus den Akten zu entfernen, wies sie ebenfalls ab (Ziff. 2 des Dispositivs).
B.
Gegen diesen Entscheid der Anklagekammer des Berner Obergerichts reichte X.________ mit Eingabe vom 3. Februar 2003 beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde ein. Er beantragt, der angefochtene Beschluss sei aufzuheben, sein Ablehnungsgesuch gegen die Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen sei gutzuheissen und die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Bern seien anzuweisen, die Bemerkungen und Hinweise des Prokurators vom 10. Juli 2002 aus den Akten des hängigen Strafverfahrens zu entfernen. Ausserdem stellte er ein Gesuch um aufschiebende Wirkung bzw. vorsorgliche Massnahme mit dem Begehren, die Strafverfolgungsbehörden seien anzuweisen, das gegen ihn und andere Personen hängige Strafverfahren bis zum Entscheid über die staatsrechtliche Beschwerde einzustellen.
C.
Mit Präsidialverfügung vom 12. Februar 2003 wurde das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen.
D.
Die Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen, der Generalprokurator und die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Abgesehen von hier nicht zutreffenden Ausnahmen ist die staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 127 II 1 E. 2c S. 5; 126 I 213 E. 1c S. 216 f., je mit Hinweisen). Auf die vorliegende Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit mit ihr mehr als die Aufhebung des angefochtenen Entscheids der Anklagekammer des Berner Obergerichts vom 7. Januar 2003 verlangt wird.
2.
Gegen selbstständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren ist die staatsrechtliche Beschwerde zulässig. Diese Entscheide können später nicht mehr angefochten werden (Art. 87 Abs. 1 OG).
Mit dem hier in Frage stehenden Zwischenentscheid der Anklagekammer des Berner Obergerichts wurde über das gegen die Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen gerichtete Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers befunden. Dieser Entscheid ist gemäss Art. 87 Abs. 1 OG mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar, und zwar auch insoweit, als er den im Gesuch gestellten Antrag auf Entfernung der Eingabe des Prokurators vom 10. Juli 2002 aus den Akten betrifft, denn wegen dieser Eingabe war das Ablehnungsgesuch eingereicht worden.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Anklagekammer habe Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt, indem sie das Ablehnungsgesuch abgewiesen habe.
3.1 Nach der materiell unverändert von Art. 58 Abs. 1 aBV in Art. 30 Abs. 1 BV überführten und auch in Art. 6 Ziff. 1 EMRK enthaltenen Garantie des verfassungsmässigen Richters hat der Einzelne einen Anspruch darauf, dass seine Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie verletzt (BGE 127 I 196 E. 2b S. 198 mit Hinweisen).
Wird mit staatsrechtlicher Beschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf den verfassungs- und konventionsmässigen Richter gerügt, so überprüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung des kantonalen Verfahrensrechts nur unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Mit freier Kognition prüft es dagegen, ob die als vertretbar erkannte Auslegung des kantonalen Prozessrechts mit den Garantien von Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK vereinbar ist (BGE 126 I 68 E. 3b S. 73 mit Hinweisen).
3.2 Der Beschwerdeführer hatte zur Begründung seines Ablehnungsbegehrens im Wesentlichen vorgebracht, der Staatsanwalt habe in einer durch das Berner Strafverfahrensgesetz nicht vorgesehenen Weise mit vorgezogenen Sachverhaltsschilderungen, Wertungen und Beweiswürdigungen die Gerichtspräsidentin in ihrer primären Meinungsbildung massiv beeinflusst; die Gerichtspräsidentin habe die als "Bemerkungen und Hinweise" bezeichnete Eingabe des Staatsanwalts vom 10. Juli 2002 "zu den Akten und somit inhaltlich unwidersprochen zur Kenntnis genommen". Die blosse Tatsache, dass eine Gerichtsperson ein derart konzipiertes Schriftstück trotz des klaren Wortlauts von Art. 280 Abs. 5 StrV nicht ohne Verzug aus den Akten weise, genüge allein schon, um "nicht nur Zweifel an ihrer Unparteilichkeit zu erregen bzw. den Eindruck von Befangenheit zu erwecken, sondern das Vorhandensein von Beidem objektiv nachzuweisen".
3.3 Gemäss Art. 280 Abs. 5 StrV ist die Staatsanwaltschaft befugt, schriftliche Anträge zu stellen, wenn sie nicht persönlich an der Hauptverhandlung erscheint. Die Gerichtspräsidentin führte in ihrer Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch aus, es scheine ihr nach dieser Vorschrift gerechtfertigt zu sein, dass die Staatsanwaltschaft, die an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen wolle, schriftlich Anträge stelle und diese auch begründe. In seiner Eingabe vom 10. Juli 2002 mache der Prokurator nichts anderes. Er stelle zwar formell keine Anträge zur Strafhöhe, äussere sich aber, gestützt auf das Ergebnis der Voruntersuchung, zu Schuldspruch bzw. Freispruch. Dabei sei es selbstverständlich, dass er seine Meinung auch begründe. Die Gerichtspräsidentin betonte, sie erachte die erwähnte Eingabe des Staatsanwalts als gesetzeskonform, weshalb diese nicht aus den Akten zu weisen sei. Die Eingabe sei auch nicht geeignet, bei ihr den Eindruck der Befangenheit zu erwecken.
3.4 Die Anklagekammer hielt im angefochtenen Beschluss fest, beim Entscheid über ein Ablehnungsgesuch prüfe sie die Verfahrensführung des abgelehnten Richters nicht wie eine Appellationsinstanz, sondern nur im Hinblick auf das Vorliegen von Anhaltspunkten für Befangenheit. Sie habe daher nicht abzuklären, ob die Auffassung der vom Beschwerdeführer abgelehnten Gerichtspräsidentin, wonach die Eingabe des Staatsanwalts vom 10. Juli 2002 gesetzeskonform sei, letztlich zutreffend sei. Es könne deshalb offen bleiben, ob Art. 280 Abs. 5 StrV auch begründete Anträge zulasse. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sei die Staatsanwaltschaft zwar nur befugt, "schriftliche Anträge" zu stellen. Dieses Recht sei indes eine besondere und gesetzlich verankerte Befugnis der Staatsanwaltschaft, welche nach Massgabe von Art. 280 Abs. 3 StrV die Möglichkeit hätte, vor dem urteilenden Gericht persönlich aufzutreten und so viel unmittelbarer und nachhaltiger auf das Verfahren einzuwirken. In diesem Sinne erscheine die Einreichung von schriftlichen Anträgen als Surrogat für den persönlichen Auftritt der Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren. Prozessökonomische Überlegungen könnten somit dafür sprechen, dass im Falle eines Verzichts auf einen persönlichen Auftritt die Staatsanwaltschaft dazu berechtigt wäre, ihre Anträge schriftlich zu begründen. Es erscheine demnach als vertretbar, die Bestimmung von Art. 280 Abs. 5 StrV so auszulegen, dass schriftliche Anträge auch begründet werden könnten, weil sie sonst nur beschränkt überhaupt einen Sinn haben könnten. Wenn aber die Stellung begründeter Anträge gemäss einer solchen Sichtweise zulässig wäre, so müsste es auch statthaft sein, Überlegungen zum Fall anzubringen, ohne formell Anträge zu stellen. Die Anklagekammer gelangte zum Schluss, für den Entscheid der Gerichtspräsidentin, dass die Eingabe des Staatsanwalts vom 10. Juli 2002 gesetzeskonform sei und daher nicht aus den Akten entfernt werden müsse, gebe es Argumente, die ihn als vertretbar erscheinen liessen; hingegen sei nicht ersichtlich, inwiefern er eine Voreingenommenheit oder Befangenheit zu begründen vermöchte. Es könne deshalb auch darauf verzichtet werden, die Eingabe des Prokurators - entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers - durch die Anklagekammer aus den Akten zu weisen.
Diese Feststellungen sind nicht zu beanstanden. In der staatsrechtlichen Beschwerde wird nichts vorgebracht, was geeignet wäre, die angeführten Überlegungen der kantonalen Instanz als verfassungs- oder konventionswidrig erscheinen zu lassen. Die Anklagekammer konnte ohne Verletzung von Verfassung und Konvention annehmen, der vom Beschwerdeführer beanstandete Entscheid der Gerichtspräsidentin betreffend die erwähnte Eingabe des Staatsanwalts sei vertretbar, weshalb daraus keine Befangenheit abgeleitet werden könne.
3.5 Die Anklagekammer führte im angefochtenen Entscheid im Sinne einer Eventualbegründung aus, der Umstand, dass die Gerichtspräsidentin die Eingabe des Prokurators bei den Akten belassen habe, vermöchte selbst dann keine Befangenheit zu begründen, wenn das Vorgehen der Gerichtspräsidentin als prozessual fehlerhaft angesehen werden müsste. Sie hielt fest, prozessuale Anordnungen eines Richters seien nur dann geeignet, eine Befangenheit darzutun, wenn sie sich als grobe Fehlentscheidungen erweisen würden und als schwere Verletzung der richterlichen Pflichten betrachtet werden müssten. Dies treffe im vorliegenden Fall nicht zu. Es gehöre zur Aufgabe einer Richterin, Eingaben und kontroverse Darstellungen der Parteien gründlich, vorsichtig und sachlich zu prüfen und zu würdigen. Allein die Tatsache, dass solche Eingaben bei den Akten seien, mache das Gericht keinesfalls befangen, und zwar auch dann nicht, wenn Umfang, Form, Zeitpunkt oder Zulässigkeit einer Eingabe unter prozessrechtlichen Gesichtspunkten diskutabel scheinen könnten. Es lägen keinerlei objektive Indizien vor, dass die Gerichtspräsidentin durch die Kenntnisnahme der Eingabe des Staatsanwalts vom 10. Juli 2002 in ihrer Meinungsbildung derart beeinflusst sein könnte, dass sie für den Ausgang des Strafverfahrens nicht mehr offen wäre. Auch sei nicht nachvollziehbar, auf welche Elemente die Annahme einer Parteilichkeit zu stützen wäre. Die Gerichtspräsidentin habe kein Verhalten an den Tag gelegt, welches auf das Vorliegen objektiver Anhaltspunkte für die Annahme von Voreingenommenheit, Befangenheit oder Parteilichkeit würde schliessen lassen.
Auch diese Erwägungen der kantonalen Instanz sind mit Verfassung und Konvention vereinbar. Allgemein reicht die Tatsache, dass der Entscheid eines Richters wegen Verfahrensfehlern oder unrichtiger Anwendung materiellen Rechts von der Rechtsmittelinstanz aufgehoben wird, für sich allein nicht aus, um ihn als befangen abzulehnen (BGE 114 Ia 153 E. 3b/bb S. 158 f.; 113 Ia 407 E. 2a S. 409 f. mit Hinweisen). Nur sehr schwere oder wiederholt begangene Fehler, welche eine Amtspflichtverletzung darstellen, können den Anschein der Befangenheit begründen (BGE 125 I 119 E. 3e S. 124; 116 Ia 135 E. 3a S. 138). Die Anklagekammer nahm mit Grund an, eine solche Verletzung und damit der Anschein der Voreingenommenheit wäre im vorliegenden Fall auch dann nicht gegeben, wenn das hier in Frage stehende Vorgehen der Gerichtspräsidentin als prozessual fehlerhaft betrachtet werden müsste. Nach dem Gesagten verletzt die Abweisung des Ablehnungsgesuchs Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK nicht. Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
4.
Bei diesem Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Ein Anspruch auf eine Entschädigung besteht nicht ( Art. 159 Abs. 1 und 2 OG ).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen, Fürsprecherin A.________, sowie dem Generalprokurator und der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 17. März 2003
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: