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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
U 10/03
Urteil vom 3. April 2003
II. Kammer
Besetzung
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung; Gerichtsschreiber Jancar
Parteien
K.________, 1958, Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher Rolf P. Steinegger, Hirschengraben 2, 3011 Bern,
gegen
VISANA, Weltpoststrasse 19/21, 3000 Bern, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern
(Entscheid vom 22. November 2002)
Sachverhalt:
A.
Die 1958 geborene K.________ war als Primarlehrerin in B.________ tätig und damit bei der Visana Versicherungen AG (nachfolgend Visana) unfallversichert. Am 25. Juni 1999 fiel ihr am Vormittag während Vorbereitungsarbeiten für ein am Abend stattfindendes Schülerfest ein ca. 40 kg schwerer Scheinwerfer beim Verstellen am Stativ aus rund 50 cm Höhe auf den Kopf. Sie erlitt Kopf- und Rückenverletzungen, nahm aber dennoch am abendlichen Schülerfest teil. Die Klinik S.________, stellte in den Berichten vom 2. Juli 1999 eine Muskelverspannung mit konsekutiver Streckhaltung der HWS und LWS fest; sie verneinte das Vorliegen posttraumatischer ossärer Läsionen, einer Schädelfraktur und posttraumatischer Veränderungen der ISG. Die Visana erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Zur Abklärung der Verhältnisse zog sie verschiedene ärztliche Berichte sowie ein Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) vom 30. August 2001 mit Ergänzung vom 22. November 2001 bei. Gestützt auf diese Unterlagen stellte die Visana die Versicherungsleistungen mit Verfügung vom 28. Februar 2002 per sofort ein und verneinte den Anspruch auf weitere Leistungen. Zur Begründung wurde ausgeführt, zwischen den vorhandenen psychischen Beschwerden und dem Unfall bestehe kein adäquater Kausalzusammenhang. Die dagegen erhobene Einsprache wies die Visana mit Entscheid vom 12. April 2002 ab.
B.
Hiegegen erhob die Versicherte beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Beschwerde und legte Berichte von Z.________, Fachpsychologin für Neuropsychologie FSP, Psychotherapeutin, vom 17. November 2001 und 22. April 2002 auf. Das kantonale Gericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 22. November 2002 ab.
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die Visana anzuweisen, ihr die gesetzlichen Leistungen nach dem 28. Februar 2002 zu erbringen (Taggelder/Heilbehandlung); eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. Sie legt neu schriftliche Schilderungen des Ehemanns X.________ vom 4. Januar 2003 und der Arbeitskollegin P.________ vom 10. Januar 2003 über das Verhalten der Versicherten am Unfalltag auf.
Die Visana und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Unfallversicherungsbereich geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Entscheides (hier: 12. April 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die neuen Bestimmungen nicht anwendbar.
2.
2.1 Das kantonale Gericht hat die Rechtsprechung zu dem für die Leistungspflicht des Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden (Krankheit, Invalidität, Tod; BGE 123 V 45 Erw. 2b, 121 V 329 Erw. 2a, je mit Hinweisen; SVR 2000 UV Nr. 8 S. 26 Erw. 2), zur vorausgesetzten Adäquanz des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 127 V 102 Erw. 5b/aa, 125 V 461 Erw. 5a, je mit Hinweisen) und bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 127 V 103 Erw. 5b/bb, 115 V 133 ff.; RKUV 2001 Nr. U 412 S. 80) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.2 Zu ergänzen ist, dass die Versicherungsleistungen, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, bei Berufsunfällen, Nichtberufsunfällen und Berufskrankheiten gewährt werden (Art. 6 Abs. 1 UVG).
Hinsichtlich des Beweiswerts eines Arztberichts ist entscheidend, ob er für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet und nachvollziehbar sind (BGE 125 V 352 Erw. 3a; AHI 2001 S. 113 Erw. 3a).
3.
3.1 Im MEDAS-Gutachten vom 30. August 2001 wurde folgende Diagnose gestellt: linksbetontes Zervikobrachial-Syndrom und Lumbovertebral-Syndrom bei Status nach Kontusion des Kopfes und des Rückens am 25. Juni 1999; psychogene Unfall-Fehlverarbeitung im Sinne einer anhaltenden somatoformen Störung (ICD-10: F45.4) bei vorbestehenden neurotischen Tendenzen narzisstischer und histrionischer Prägung; Verdacht auf diskrete zentrale Hörstörung. Die geltend gemachten Beschwerden könnten nur zum kleinen Teil somatisch erklärt werden. Bei der Versicherten liege in erster Linie eine psychogene Unfall-Fehlverarbeitung vor. In der Expertise-Ergänzung vom 22. November 2001 legte die MEDAS dar, im Rahmen der erlittenen Kontusion des Kopfes habe ein Anprall des Schädels ohne Hirnverletzung stattgefunden. Im Vordergrund stehe eindeutig eine psychogene Fehlverarbeitung, die zu einer funktionellen Verstärkung initial somatisch erklärbarer Beschwerden geführt und mit der Zeit ihre Eigendynamik entwickelt habe. Das Beschwerdebild sei somatisch nicht objektivierbar, sondern auf eine psychogene Unfallfehlverarbeitung zurückzuführen. Zusammengefasst könne gesagt werden, dass in somatischer Hinsicht keine Befunde feststellbar seien, die das heutige Beschwerdebild erklärten.
Im Rahmen der MEDAS-Begutachtung wurde die Versicherte orthopädisch, neurologisch, rheumatologisch, otorhinolaryngologisch, psychiatrisch und neuropsychologisch abgeklärt. Die Expertise samt Ergänzung genügt den von der Rechtsprechung zum Beweiswert von Arztberichten aufgestellten Kriterien und erlaubt eine verlässliche Beurteilung, weshalb darauf abzustellen ist.
3.2 Nach Ansicht der Versicherten ist die MEDAS-Abklärung nicht schlüssig, weil im Gutachten vom 30. August 2001 ausgeführt werde, sämtliche geltend gemachten Beschwerden einschliesslich der psychischen Einschränkungen müssten auf den Unfall zurückgeführt werden, währenddem in der Gutachten-Ergänzung vom 22. November 2001 dargelegt werde, die geltend gemachten somatischen Beschwerden könnten bestenfalls in einem möglichen natürlichen Kausalzusammenhang mit dem Unfall gebracht werden. Hieraus kann die Versicherte indessen nichts zu ihren Gunsten ableiten. Denn auch in der Expertise-Ergänzung vom 22. November 2001 wird anerkannt, dass die Beschwerden anfangs somatisch erklärbar gewesen seien. Wenn der natürliche Kausalzusammenhang in dieser Hinsicht lediglich als möglich bezeichnet wird, steht dies im Kontext mit der im Vordergrund stehenden psychischen Komponente, deren natürliche Kausalität zum Unfall von der MEDAS bejaht wird.
SUVA und Vorinstanz haben gestützt hierauf anerkannt, dass der Unfall vom 25. Juni 1999 zumindest Teilursache der psychischen Beschwerden ist, was für die Bejahung der natürlichen Kausalität praxisgemäss genügt (BGE 121 V 329 Erw. 2a mit Hinweisen).
4.
Streitig und zu prüfen ist, ob zwischen dem Unfall und den bestehenden psychischen Beeinträchtigungen ein adäquater Kausalzusammenhang besteht.
4.1 Die Beurteilung der Adäquanz hat nach konstanter Praxis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts gemäss BGE 115 V 138 ff. Erw. 6 zu erfolgen. Der in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde zitierte Entscheid des Versicherungsgerichts Basel-Stadt vom 28. Januar 1997, veröffentlicht in BJM 1997 S. 83 ff., ist vom Eidgenössischen Versicherungsgericht mit Urteil vom 11. November 1998, publiziert in SVR 1999 UV Nr. 10 S. 31, aufgehoben worden.
4.2 Die Vorinstanz hat den von der Versicherten erlittenen Unfall zu Recht als mittelschwer qualifiziert, was denn auch unbestritten ist. Die Würdigung der massgebenden Adäquanzkriterien ergibt Folgendes:
4.2.1 Von besonders dramatischen Begleitumständen oder einer besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls kann nicht ausgegangen werden. Die Beschwerdeführerin war im Zeitpunkt des Unfalls nicht allein, wurde sofort umsorgt und danach von einem Kollegen nach Hause gefahren; die am Unfall beteiligte Arbeitskollegin wurde nicht erheblich verletzt (Fingerverletzung). Die Versicherte begab sich am gleichen Abend wieder in die Schule zur Schülervorstellung und bediente dort die Scheinwerfer. Unbehelflich ist diesbezüglich ihr Einwand, sie habe in einer ausserordentlichen Lage trotz der Mahnungen ihres Arztes und erheblicher Schmerzen ohne Rücksicht auf die eigenen Interessen ihre Pflicht erfüllen wollen.
4.2.2 Die somatischen Verletzungen waren nicht von besonderer Schwere. Insbesondere fanden sich am Schädel, an der Halswirbel- und an der Lendenwirbelsäule sowie im Bereich des Beckens keine Läsionen oder pathologischen Veränderungen (Berichte der Klinik S.________ vom 2. Juli 1999). Soweit eine Lärmempfindlichkeit und der Verdacht auf eine Hörstörung festgestellt wurden, sind sie auf Grund des MEDAS-Gutachtens ebenfalls Teil des psychogenen Geschehens und damit nicht zu berücksichtigen.
Im Weiteren liegen keine besonders gearteten Verletzungen vor, die erfahrungsgemäss geeignet wären, psychische Fehlentwicklungen auszulösen.
4.2.3 Die körperlichen Beschwerden waren auf Grund des MEDAS-Gutachtens spätestens nach einem Jahr verheilt, was auch die Versicherte einräumt. Es fand diesbezüglich keine besonders intensive ärztliche Behandlung statt (keine stationären Aufenthalte). Von einer ungewöhnlich langen Dauer der ärztlichen Behandlung kann demnach nicht gesprochen werden.
Entgegen dem Vorbringen der Versicherten ist die ärztliche Behandlung, die auf die psychische Problematik zurückzuführen ist, ausser Acht zu lassen (RKUV 1993 Nr. U 166 S. 94 Erw. 2c; Urteil P. vom 22. November 2002 Erw. 5, U 207/01).
4.2.4 Nach dem Unfall klagte die Beschwerdeführerin nach eigenen Angaben über Nacken- und Kreuzschmerzen, welche oft Kopfschmerzen verursacht hätten. Etwa ein halbes Jahr nach dem Unfall seien die Schmerzen erträglicher geworden und nicht mehr im Vordergrund gestanden, worauf sie andere diffuse Beschwerden, wie z.B. die gelegentlichen Hörstörungen, realisiert habe. Von ausgeprägten körperlichen Dauerschmerzen kann demnach nicht gesprochen werden, zumal die Beschwerden nach maximal einem Jahr nicht mehr physisch, sondern psychisch bedingt waren.
4.2.5 Eine ärztliche Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert hat, liegt nicht vor.
4.2.6 Ebenso wenig sind in somatischer Hinsicht ein schwieriger Heilungsverlauf und erhebliche Komplikationen nach dem Unfall ersichtlich.
4.2.7 Die physisch bedingte Arbeitsunfähigkeit dauerte maximal ein Jahr an.
4.2.8 Mithin ist festzustellen, dass einzig zwei Adäquanzkriterien (Arbeitsunfähigkeit, hiezu RKUV 2001 Nr. U 442 S. 544, und Schmerzen), jedoch auch diese nicht in besonders ausgeprägter oder auffallender Weise erfüllt sind (BGE 115 V 141 Erw. 6c/bb). Dies führt zur Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 3. April 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer: Der Gerichtsschreiber: