Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
C 226/02
Urteil vom 26. Mai 2003
II. Kammer
Besetzung
Präsident Schön, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin Polla
Parteien
S.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Advokat Stephan Bläsi, Falknerstrasse 26, 4001 Basel,
gegen
Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland, Bahnhofstrasse 32, 4133 Pratteln, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal
(Entscheid vom 5. Juni 2002)
Sachverhalt:
A.
Die 1963 geborene S.________, französische Staatsangehörige mit Niederlassungsbewilligung, bezog in der Zeit vom 1. Dezember 1999 bis 29. Februar 2000 Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Mit Verfügung vom 17. Mai 2000 verneinte die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland einen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung rückwirkend für die Zeit ab 1. Dezember 1999, da S.________ nicht in der Schweiz wohne. Am 18. Mai 2000 forderte die Arbeitslosenkasse zudem verfügungsweise die ab diesem Zeitraum ausbezahlten Taggelder in der Höhe von Fr. 17'623.10 zurück. Nachdem sich S.________ am 1. Juli 2001 erneut arbeitslos meldete, verneinte die Arbeitslosenkasse eine Anspruchsberechtigung ab 2. Juli 2001 wiederum mangels Wohnsitz in der Schweiz (Verfügung vom 2. August 2001).
B.
Die gegen die Verfügungen vom 17. und 18. Mai 2000 sowie vom 2. August 2001 erhobenen Beschwerden wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft nach Vereinigung beider Verfahren mit Entscheid vom 5. Juni 2002 ab.
C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und der Verwaltungsverfügungen vom 17. und 18. Mai 2000 sowie vom 2. August 2001, sei ihr rückwirkend vom 2. Juli bis 30. November 2001 Arbeitslosenentschädigung zuzusprechen.
Während die Arbeitslosenkasse Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt, verzichtet das Staatssekretariat für Wirtschaft auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
1.1 Gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c AVIG hat Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung nur, wer in der Schweiz wohnt. Diese zentrale Anspruchsvoraussetzung ist Ausfluss des im Leistungsbereich der Arbeitslosenentschädigung geltenden Verbots des Leistungsexports, welches im Interesse der Missbrauchsverhütung aufgestellt worden ist. Bei im Ausland wohnenden Personen wäre die Überprüfung und Kontrolle der Anspruchsvoraussetzungen, namentlich der Arbeitslosigkeit, verunmöglicht (vgl. zum Ganzen Thomas Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz 138).
Der Begriff des Wohnens in der Schweiz ist dabei nicht identisch mit dem Wohnsitz im Sinne von Art. 23 ff. ZGB, sondern schliesst auch den gewöhnlichen Aufenthalt mit ein (BGE 115 V 448; vgl. Nussbaumer, a.a.O., Rz 139 f.).
Nach der Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts sind für den gewöhnlichen Aufenthalt der tatsächliche Aufenthalt in der Schweiz und der Wille massgebend, diesen beizubehalten; zusätzlich muss sich der Schwerpunkt aller Beziehungen in der Schweiz befinden (BGE 125 V 467 Erw. 2a mit Hinweisen).
1.2 Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügungen (hier: 17. und 18. Mai 2000 sowie 2. August 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). Aus demselben Grund sind die Regeln des am 1. Juni 2002 in Kraft getretenen Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Abkommen über die Personenfreizügigkeit; APF; AS 2002 1529) im vorliegenden Verfahren nicht anwendbar (BGE 128 V 315 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin vom 1. Dezember 1999 bis zum 29. Februar 2000 (Bezug von Arbeitslosenentschädigung) und vom 1. Juli bis 30. November 2001 (erneute Anspruchserhebung) in der Schweiz gewohnt hat.
2.1 Unbestrittenermassen erwarb die Beschwerdeführerin zusammen mit ihrem Ehemann im Jahre 1996 ein Grundstück im Elsass, welches sie daraufhin bebauten. Gemäss Bestätigung des Maire von X.________ (vom 12. November 2001) lebt die Beschwerdeführerin seit Fertigstellung des Hauses im Jahre 1997 während sieben Tagen pro Woche das ganze Jahr über dort. Diese Angaben sind glaubhaft. Die Folgerung, wonach X.________ ihr tatsächlicher Aufenthaltsort ist, drängt sich umso mehr auf, als die Tochter seit Beginn ihrer Schulpflicht (September 1996) ohne vorgängiges Einverständnis des Maire (welches notwendig wäre, wenn das Kind nicht auch in dieser Gemeinde wohnen würde; Schreiben der école élémentaire vom 27. November 2001) in X.________ die Schule besucht und die Beschwerdeführerin zudem im Schulrat als Elternvertreterin Einsitz hat. Eine solche Art des Zusammenlebens mit dem Ehegatten und ihrem gemeinsamen Kind in einem eigenen Haus belegt, dass an diesem Ort auch der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen begründet wurde.
Die Aussagen der vor kantonalem Gericht befragten Auskunftspersonen sind wenig aussagekräftig. So konnten diese, obwohl sich beide Personen als gute Freunde der Familie mit regelmässigem Kontakt bezeichnen, weder genaue Angaben über die Bewohnbarkeit des Hauses in X.________ machen noch etwas über den Schulort des Kindes aussagen. Bezüglich der Wohnsituation in der fraglichen Zeit verstrickten sich beide gar in Widersprüche, weshalb auf diese Aussagen nicht abgestellt werden kann. Ebenso wenig vermögen die vorinstanzlich beigebrachten Fotografien, welche, wie die Arbeitslosenkasse in ihrer Vernehmlassung zu Recht ausführt, von irgend einer sich im Bau befindenden Liegenschaft stammen könnten, etwas über den tatsächlichen Aufenthaltsort im hier interessierenden Zeitraum aussagen.
2.2 Die Ausführungen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vermögen daran nichts zu ändern. Der eingereichte Mietvertrag vom 24. Februar 2000 bezieht sich nur teilweise auf den massgeblichen Zeitpunkt, da das Mietverhältnis erst per 1. März 2000 eingegangen wurde. Überdies bestätigt er die vorinstanzliche Sichtweise, denn gemäss diesem Mietvertrag stünde der Beschwerdeführerin für sich und ihre dreiköpfige Familie bloss eine Einzimmerwohnung mit 29 m2 Wohnfläche zur Verfügung. Es ist nicht anzunehmen, dass eine Familie in derartig engen Verhältnissen lebt, wenn sie in unmittelbarer Nähe im Elsass über ein sonst leerstehendes Haus verfügt. Nichts zu ihren Gunsten kann die Beschwerdeführerin aus dem Umstand ableiten, dass sie seit 1. Dezember 2001 wieder bei einem Unternehmen in Birsfelden (Schweiz) arbeitet und die Schriften in Z.________ hinterlegt hat. Zum einen schliesst eine Tätigkeit im Grenzgebiet die Wohnsitznahme im Elsass nicht aus, zum andern gilt die polizeiliche Meldung und Hinterlegung der Schriften im Allgemeinen nur als ein Indiz unter anderen, jedoch nicht schon als Beweis für eine eigentliche Wohnsitznahme. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin würde selbst der formelle zivilrechtliche Wohnsitz in Z.________ zu keinem andern Ergebnis führen, da es gerade nicht auf diesen, sondern auf den tatsächlichen Aufenthalt im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung ankommt, sodass auch unerheblich ist, dass die Beschwerdeführerin in Frankreich lediglich über eine "résidence secondaire" verfügt. Unter den gegebenen Umständen kann von weiteren Beweiserhebungen Umgang genommen werden, da hievon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (BGE 124 V 94 Erw. 4b; SVR 2001 IV Nr. 10 S. 28 Erw. 4b).
3.
3.1 Nach Art. 95 Abs. 1 AVIG muss die Kasse Leistungen der Versicherung zurückfordern, auf welche der Empfänger keinen Anspruch hatte. Eine auf Grund einer formell rechtskräftigen Verfügung ausgerichtete Leistung ist in der Sozialversicherung nur zurückzuerstatten, wenn entweder die für die Wiedererwägung oder die prozessuale Revision erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind (BGE 126 V 399 Erw. 1 mit Hinweis). Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Arbeitslosenkasse eine Geldleistung nicht förmlich, sondern nur formlos, d.h. faktisch, zugesprochen hat, sofern die faktisch verfügte Leistung rechtsbeständig geworden ist, was vorliegend auf die dem Versicherten bis Dezember 2000 ausgerichteten Taggelder ohne weiteres zutrifft (BGE 122 V 368 f. Erw. 3). Die Arbeitslosenkasse hat im Rückforderungsverfahren zu prüfen, ob ein Rückkommenstitel gegeben ist.
3.2 Gemäss einem allgemeinen Grundsatz des Sozialversicherungsrechts kann die Verwaltung eine formell rechtskräftige Verfügung, welche nicht Gegenstand materieller richterlicher Beurteilung gebildet hat, in Wiedererwägung ziehen, wenn sie zweifellos unrichtig und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist (BGE 127 V 469 Erw. 2c mit Hinweisen).
3.3 Die Voraussetzungen für ein wiedererwägungsweises Zurückkommen sind erfüllt: Die Ausrichtung der Arbeitslosenentschädigung an die Beschwerdeführerin im Zeitraum Dezember 1999 bis Februar 2000 war zweifellos unrichtig, da sie nicht in der Schweiz wohnte und somit nicht anspruchsberechtigt war. Der zurückgeforderte Betrag von Fr. 17'623.10 ist sodann von erheblicher Bedeutung. Die vorinstanzlich bestätigte Rückforderung ist demnach ebenso rechtens wie die erneute Verweigerung der Arbeitslosenentschädigung ab 2. Juli 2002.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, dem Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 26. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der II. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: