Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess
{T 7}
B 86/01
Urteil vom 28. Juli 2003
IV. Kammer
Besetzung
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber Grünvogel
Parteien
Pensionskasse der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft, Steinengraben 41, 4003 Basel, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokatin und Notarin Dr. Agnes Dormann, c/o Böckli Bodmer & Partner, St. Jakobs-Strasse 41, 4002 Basel,
gegen
S.________, 1954, Beschwerdegegner, vertreten durch das Behindertenforum, Rechtsdienst, St. Jakobs-Strasse 40, 4052 Basel
Vorinstanz
Versicherungsgericht Basel-Stadt, Basel
(Entscheid vom 15. August 2001)
Sachverhalt:
A.
Der 1954 geborene S.________ schloss Ende 1979 das juristische Studium ab, um anschliessend seine erste Stelle bei einer Bank im Finanzbereich anzutreten. In der Folge wechselte er den Arbeitgeber innerhalb von jeweils maximal zwei Jahren. 1984 erlitt er im Februar/März einen ersten psychotischen Schub. Daraufhin gab er die sieben Monate früher angetretene Arbeitsstelle als Effektenhändler auf. Anschliessend bekleidete er eine Stelle als Analyst und später als Obligationen-Porfoliomanager, ehe er nach verschiedenen weiteren Arbeitseinsätzen mit wechselnder Arbeitslosigkeit Ende 1989 einen weiteren Beschwerdeschub erlitt. Danach nahm er eine Tätigkeit als Versicherungsberater auf. In dieser Funktion trat er am 1. November 1992 in die Schweizerische National-Versicherungs-Gesellschaft ein und war dadurch bei der Pensionskasse der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft, Basel (nachfolgend: Pensionskasse), berufsvorsorgeversichert. S.________ kündigte das Arbeitsverhältnis auf Ende Oktober 1994.
Wegen der Folgen eines psychischen Leidens sprach die IV-Stelle des Kantons Basel-Stadt S.________ mit Wirkung ab 1. November 1995 eine ganze Invalidenrente zu (Verfügung vom 17. Januar 1996).
S.________ ersuchte auch die Pensionskasse, ihm eine Invalidenrente auszurichten. Diese lehnte das Begehren am 3. November 1999 ab mit der sinngemässen Begründung, die zur Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit sei bereits vor dem Stellenantritt vom 1. November 1992 eingetreten, weshalb die Pensionskasse keine Leistungspflicht treffe.
B.
Am 23. Mai 2000 liess S.________ Klage erheben mit dem Rechtsbegehren, die Pensionskasse sei zu verpflichten, ihm ab 1. November 1995 eine ganze Invalidenrente und für die ausstehenden Rentenbetreffnisse spätestens seit der Einreichung der Klage einen Verzugszins zu 5 % auszurichten; weiter sei er von der Beitragspflicht für Sparbeiträge an das Alterskapital gemäss Art. 14 BVV 2 zu befreien.
Mit Entscheid vom 15. August 2001 hiess das Versicherungsgericht Basel-Stadt (heute: Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt) die Klage gut und verpflichtete die Pensionskasse, S.________ ab 1. November 1995 eine ganze Invalidenrente in der Höhe entsprechend der von der Pensionskasse vorgelegten Rentenberechnung vom 11. April 2001 auszurichten. Zusätzlich seien die geschuldeten Rentenbetreffnisse ab 23. Mai 2000 mit 5 % zu verzinsen sowie S.________ von der Beitragspflicht für die Sparbeiträge an das Alterskapital zu befreien.
C.
Die Pensionskasse erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Klage vom 23. Mai 2000 abzuweisen.
S.________ lässt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragen. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Stellungnahme.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Gerichtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht zuständig sind (BGE 128 II 389 Erw. 2.1.1, 128 V 258 Erw. 2a, 120 V 18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).
2.
Die Parteien sind sich einzig darin uneinig, ob sich die zur Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit während der Zeit des Vorsorgeverhältnisses manifestiert hat und damit die Pensionskasse leistungspflichtig ist oder nicht.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf Invalidenleistungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge (Art. 23 ff. BVG; BGE 120 V 112; vgl. auch: BGE 123 V 263 f. Erw. 1a und c mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Danach muss die leistungsansprechende Person u.a. bei Beginn der zur Invalidität führenden Arbeitsunfähigkeit bei der in die Pflicht genommenen Vorsorgeeinrichtung versichert gewesen sein.
2.2 Dieser Grundsatz gilt unter dem Vorbehalt abweichender reglementarischer oder statuarischer Bestimmungen auch im Bereich der weitergehenden Vorsorge (BGE 123 V 264 Erw. 1b in fine mit Hinweisen; SZS 2002 S. 157 Erw. 2c).
Wie von der Vorinstanz zutreffend unter Hinweis auf Art. 51 der Statuten der Pensionskasse vom 1. Januar 1989 ausgeführt, sehen diese nichts Abweichendes vor, womit der Rentenanspruch sowohl für den obligatorischen als auch überobligatorischen Bereich nach den gleichen Grundsätzen festzusetzen ist.
3.
Aus den Akten geht hervor und ist unbestritten, dass der Beschwerdegegner bereits vor Arbeitsantritt am 1. November 1992 seit ca. 1984 an einer Schizophrenie litt. Uneinig sind sich die Parteien, ob die zur Invalidität führende Arbeitsunfähigkeit während der Zeit, in der der Versicherte bei der Beschwerdeführerin vorsorgeversichert war (1. November 2002 bis Ende Oktober 1994 zuzüglich der 30-tägigen Nachdeckungsfrist; Art. 10 BVG), eintrat oder nicht. Eine berufsvorsorgerechtliche Bindungswirkung der von der IV-Stelle mit Verfügung vom 17. Januar 1996 vorgenommenen Einschätzung (November 1994) wird zu Recht nicht behauptet (BGE 129 V 73; Urteil M. vom 14. August 2000, B 50/99; siehe ferner BGE 126 V 311 Erw. 1 in fine mit Hinweisen).
4.
Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, das psychische Leiden habe sich bereits im Frühjahr 1984 derartig nachhaltig auf die Arbeitsfähigkeit des Versicherten ausgewirkt, dass dieser seine damals ausgeübte Tätigkeit als Finanz- und Kapitalmarktspezialist habe aufgeben müssen. Der rechtsprechungsgemäss geforderte enge zeitliche Konnex (BGE 123 V 264 Erw. 1c) sei gegeben, weil der Versicherte wegen des Krankheitsbilds fortan gezwungen gewesen sei, auf weniger anspruchsvolle Arbeiten auszuweichen, welche er zudem nie über einen längeren Zeitraum inne gehalten habe. Demgegenüber gehen Vorinstanz und Beschwerdegegner vom Fehlen einer rein gesundheitlich bedingten beruflichen Zäsur im Jahre 1984 aus und erachten darüber hinaus den geforderten engen zeitlichen Zusammenhang durch die zahlreichen zwischenzeitlichen Tätigkeiten, spätestens aber durch das zweijährige Arbeitsverhältnis bei der National-Versicherungs-Gesellschaft als unterbrochen.
5.
5.1 Während sich aus der Zeit des ersten Schubs postschizophrener Depression im Jahre 1984 in den Akten keine Arztberichte finden, nimmt erstmals am 9. Januar 1990 Prof. Dr. B.________, dazu Stellung. Prof. Dr. B.________ behandelte den Versicherten seit dem zweiten Beschwerdeschub Ende 1989 / Anfang 1990. Dabei bezeichnete er den Gesundheitszustand als stationär bis besserungsfähig und erinnerte gleichzeitig daran, dass die im Jahre 1984 herrschende besondere Belastung des Berufs und schwere narzisstische Kränkung im Privatleben zwar zu einer psychotischen Dekompensation geführt habe, diese aber nach relativ kurzer Zeit wieder unter Kontrolle gebracht worden sei; weitere Rückfälle hätten wahrscheinlich dank fortdauernder antipsychotischer Medikation vermieden werden können; sofern es das Konzentrationsvermögen und die Motivation des Patienten zulassen würde, sei eine anspruchsvolle Tätigkeit im kaufmännischen Bereich oder in der Verwaltung (nach wie vor) denkbar. Zur früheren oder aktuellen Arbeitsfähigkeit äusserte er sich dagegen nicht abschliessend. Erst im zweiten in den Akten liegenden Bericht von Frau Dr. X.________, vom 11. September 1995 wird der Versicherte im Anschluss an einen weiteren psychotischen Schub im Winter 1994 / Frühjahr 1995 als gänzlich arbeitsunfähig eingestuft. Dies vor allem deshalb, weil seither eine weitere Verschlechterung in Richtung schizophrenem Residuum im Sinne von ICD-10, F 20.5, stattgefunden habe.
5.2 Somit findet sich kein Arztbericht aus der Zeit des ersten Beschwerdeschubes in den Akten. Ebenso wenig hat einer der Experten die medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit in diesen Zeitraum gelegt. Vielmehr sind schubförmig aufgetretene, zu leichteren Dauerveränderungen führende Wesensveränderungen umschrieben, wie sie für das Beschwerdebild einer fortschreitenden Schizophrenie typisch sind (vgl. Battegay/Glatzel/Pöldinger/Rauchfleisch, Handwörterbuch der Psychiatrie, 2. Auflage, Stuttgart 1992, S. 526 f.). Dabei erachteten die Ärzte den Beschwerdegegner auch noch nach der zweiten Exazerbation Ende 1989 / Anfang 1990 und damit zum Zeitpunkt des Berufswechsels zum Versicherungskaufmann zumindest zeitweilig für in einer anspruchsvollen Tätigkeit vollständig arbeitsfähig.
5.3 Ohnehin würde eine erst nach Jahren rückwirkend festgelegte medizinisch-theoretische Arbeitsunfähigkeit, ohne dass der frühere Arbeitgeber die Leistungseinbusse bemerkt hätte, nicht genügen. Denn wie von der Vorinstanz treffend erwogen, muss die Beeinträchtigung der Arbeitsunfähigkeit sinnfällig sein. Das heisst, die gesundheitliche Beeinträchtigung muss sich auf das Arbeitsverhältnis auswirken oder ausgewirkt haben. Es muss arbeitsrechtlich in Erscheinung treten, dass der Versicherte Leistungsvermögen eingebüsst hat, so etwa durch einen Abfall der Leistungen mit entsprechender Feststellung oder gar Ermahnung des Arbeitgebers oder durch gehäufte, aus dem Rahmen fallende gesundheitlich bedingte Arbeitsausfälle (Urteile B. vom 5. Februar 2003, B 13/01, Erw. 4.2, und I. vom 28. März 2002, B 73/00, Erw. 3a/bb). Derartiges findet sich für die Jahre 1984 und 1985 aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit in den Akten: Bereits vor dem ersten Beschwerdeschub fiel der Beschwerdegegner durch häufige Stellenwechsel auf. Auch übte er danach durchaus noch (andere) anspruchsvolle Tätigkeiten aus (Analyst, Portfolio-Manager), ohne dass sich dort die gesundheitliche Beeinträchtigung nachweislich auf das Arbeitsverhältnis ausgewirkt hätte (vgl. Arbeitszeugnisse der jeweiligen Arbeitgeberinnen vom 31. März 1985 und vom 31. Oktober 1987). Daran ändern die vom Versicherten gegenüber der Arbeitslosenkasse und anderen gemachten Aussagen nichts.
Von zusätzlichen medizinischen Abklärungen zur Gesundheitssituation im Jahr 1984, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gefordert, ist aus eingangs dieser Ziffer erwähntem Grund abzusehen.
5.4 Sodann wurde der Beschwedegegner bei Eintritt in die National-Versicherungs-Gesellschaft am 1. November 1992 nach durchgeführter Gesundheitsprüfung als arbeitsfähig betrachtet und am 18. Dezember 1992 vorbehaltslos in die weitergehende berufliche Vorsorge aufgenommen. Aktenmässig ist nicht erstellt, wann er zuvor seit Winter 1989 / Frühling 1990 letztmals wegen der psychischen Störung in der Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt war. Weiter ist aus dem Schreiben der Arbeitgeberin zur Lohnerhöhung vom 15. Dezember 1993 auf eine zumindest bis zu diesem Zeitpunkt ausreichende Leistung des Beschwerdegegners zu schliessen. Daran ändert das Verfehlen der vertraglich festgehaltenen Provisionserwartung nichts. Umgekehrt begab sich der Versicherte noch innerhalb der Nachdeckungsfrist gemäss Art. 10 BVG im November 1994 wegen einer neuerlichen Exazerbation in ärztliche Behandlung, worauf ihn Frau Dr. X.________ für dauerhaft arbeitsunfähig einstufte (Erw. 5.1 in fine hiervor).
5.5 Zusammengefasst ist von einer sich erst während der Zeit des Vorsorgeverhältnisses manifestierenden und schliesslich zur Invalidität führenden funktionellen Einbusse des Leistungsvermögens auszugehen. Von einem Eingliederungsversuch kann nicht die Rede sein. Ohnehin wäre angesichts der zwei Jahre dauernden Arbeitsfähigkeit der zeitliche Zusammenhang zwischen vor dem Stellenantritt bestehenden und danach erneut aufgetretener Arbeitsfähigkeit unterbrochen, dies auch in Berücksichtigung des besonderen Natur des Krankheitsbildes (Erw. 5.2 hievor).
6.
Andere Gründe, die gegen die tatsächliche oder rechtliche Richtigkeit des angefochtenen Entscheids sprächen, sind weder ersichtlich noch geltend gemacht, so dass sich Weiterungen erübrigen (BGE 110 V 53).
7.
Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens entsprechend steht dem Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Pensionskasse der Schweizerischen National-Versicherungs-Gesellschaft hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 28. Juli 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Die Präsidentin der IV. Kammer: Der Gerichtsschreiber: